In dem Interview mit dem Primatologen welches ich neulich schon erwähnte fand ich eine andere Stelle auch noch interessant.
Er führte aus, dass es beim Menschen kein klassisches Alphamännchen gibt, wobei er Alphamännchen für die anderen Primaten so definiert hat, dass es einen Primaten gibt, der allein aufgrund seiner körperlichen Stärke alle anderen unter Kontrolle hält.
Im Gegensatz dazu sei in einer Menschengruppe die Kontrolle nur über Bündnisse von Männern zu erreichen, ein einzelner Mann könne sich im Endeffekt dort nicht durchsetzen, weil ihn die Gruppe der Männer immer absetzen könne.
Jetzt meine ich mich an Ausführungen anderer Primatologen, insbesondere Franz de Waal zu erinnern, dass Schimpansen durchaus gewissen Koalitionen eingehen, ihnen genehme Anführer unterstützen, aber natürlich ist ein Interview auch immer eine Verkürzung gewisser Gedanken, ich kann mir schon vorstellen, dass menschliche Bündnisse wesentlich umfassender und komplexer sein können.
Als wesentlichen Unterschied für diese komplexeren Bündnisse verwies er auf die menschliche Fähigkeit zu sprechen, die wesentlich mehr Planung erlaubt und damit auch einen effektiveren Widerstand gegen einen dominanten Mann. Das macht ja auch durchaus Sinn, man kann sich eben vorher vergewissern, dass man unterstützt wird, wenn einer angegriffen wird und vorher schauen, welche Gruppengröße auf jeder Seite vorhanden ist und man kann auch insbesondere koordinierte Angriffe absprechen, ohne das man diese allein über Verhalten koordiniert. Man kann also zB planen „Wenn er eingeschlafen ist und ich das Signal gebe stürzen wir uns alle auf ihn“ oder „wenn er auf der Jagd ist, dann schnappen wir uns zuerst seinen Verbündeten und wenn er wiederkommt ihn“.
Das alles macht es einem Bully, der allein über körperliche Gewalt agiert, deutlich schwieriger.
Er vertrag die Auffassung, dass damit reaktive Gewalt gegenüber proaktiver Gewalt deutlich zurückgegangen ist, wir uns also besser beherrschen können als etwa ein Schimpanse.
Dazu kurz:
reaktive Aggression
Sie tritt unmittelbar und impulsiv als Konsequenz einer realen oder wahrgenommenen Provokation, Frustration oder Bedrohung auf und ist von starken Ärgergefühlen begleitet. Die Ursachen liegen in einer verzerrten Wahrnehmung (Kind oder Jugendlicher fühlt sich durch fast alles provoziert), in der mangelnden Fähigkeit mit Gefühlen angemessen umzugehen (Kind oder Jugendlicher explodiert leicht vor Wut) und in einem eingeschränkten Verhaltensrepertoire (Kind oder Jugendlicher kennt bei Wut nur eine Reaktion, nämlich aggressives Verhalten).
Proaktive Aggression
Von dieser Form spricht man, wenn ein Kind oder Jugendlicher aggressiv handelt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wie Erlangen von Macht über eine andere Person oder Ansehen sowie Anerkennung. Dieses aggressive Verhalten wird von angenehmen Gefühlen, wie Lust und Spaß, begleitet. Die Ursachen liegen im Wunsch nach Anerkennung und Ansehen in der Gruppe, in einer positiven Lernerfahrung (Kind oder Jugendlicher hatte Erfolg mit seinem Verhalten und bekam Anerkennung) und in gruppendynamischen Prozessen (viele Kinder oder Jugendliche in der Klasse sind beteiligt).
Also einmal Gewalt, weil man auf Umstände reagiert, ein anderes Mal Gewalt, weil sie einen an ein Ziel bringt.
Dabei eben auch der Gedanke, dass proaktive Gewalt kontrollierbarer ist und Ziele zudem dann eben auch erst auf anderem Wege erreicht werden können.
Der weitere Gedanke war dann, dass dieser Prozess der Koalitionsbildung im Gegensatz zur Herrschaft des (einzelnen) Stärkeren wesentlicher Bestandteil des menschlichen Zivilisationsprozesses war. Denn wer eine Koalition bildet, der muss der Gruppe eher Regeln geben, die allen gefallen und nicht nur ihm, damit er die passende Unterstützung erhält. Daraus folgen dann eher soziale Normen, die sich insgesamt durchsetzen können, Regeln, die allgemein akzeptiert werden und Willkür zumindest einschränken (zumindest innerhalb der mächtigeren Koalition).
Finde ich eine interessante Herleitung der menschlichen Gesellschaft und einer Form des „Gesellschaftsvertrages“ ausgehend von der kleineren Gruppe:
Thomas Hobbes hatte den Naturzustand der Menschheit 1651 als Krieg aller gegen alle (Bellum omnium contra omnes) geschildert, der nur durch eine ordnende Autorität mit absoluter Macht beendet werden könne. Vernünftige Untertanen sollten demnach in einen Herrschaftsvertrag einwilligen. Dadurch wechseln sie vom Naturzustand in den Gesellschaftszustand (Staat). Sowohl Vertragsabschluss als auch Naturzustand sind nur Vorstellungen, dass es so gewesen sein könnte.
Gegen diese Sichtweise wandte sich hundert Jahre später Jean-Jacques Rousseau mit der überaus einflussreichen Vorstellung, dass der Naturzustand im Gegenteil ein paradiesischer Friede sei, der erst durch gesellschaftliche Ungleichheiten zerstört werde. In seinem politisch-theoretischen Hauptwerk Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes (1762) forderte er, die bisherige Unterordnung in Monarchie oder Aristokratie durch den Willen gleichberechtigter Individuen in der Gesellschaft zu ersetzen.
Beim Kontraktualismus wird also angenommen, dass die Individuen sich aufgrund natürlicher Interessen aus freiem Willen zu einer staatlichen Ordnung zusammenschließen. Daraus resultieren wechselseitige Beziehungen sowie eine Selbstverpflichtung, den beschlossenen Vertrag einzuhalten.
Die Idee des Gesellschaftsvertrags ist nach Wolfgang Kersting ein Gedankenexperiment, das sich in einen „argumentationsstrategischen Dreischritt“[2] gliedert: Naturzustand – Gesellschaftsvertrag – Gesellschaftszustand. Das Gedankenexperiment in Hobbes’ suggestiver Formulierung versuche zu zeigen, dass der rechtsfreie Raum eine Gefangenendilemma-Situation mit sich bringe, also die Unmöglichkeit gegenseitigen Vertrauens. Die Anwendung des Rechts erscheint dann als friedenssichernder Ausweg.
Da wäre also der Krieg aller gegen alle, aber in dem Moment, indem er sich von Einzelkämpfen zu Gruppenkämpfen entwickelt müssen die Gruppen gewisse „Verträge“ miteinander schließen.