Umstyling bei „Germany’s next Topmodel“

Wie hier schon mehrfach mitgeteilt schaue ich gerne GNTM (wie die Fans sagen würden) und gerade war die sog. „Umstylingfolge“, die es in jeder Staffel gibt. Sie gilt allgemein als Höhepunkt jeder Staffel.

Inhalt ist eigentlich, dass die Kandidatinnen „Modelhafter“ umgestylt werden sollen, mit einem modernen Haarschnitt etc. damit sie dann mehr Chancen auf dem „Modelmarkt“ haben.

Das mag am Anfang auch noch der ehrliche Hintergrund gewesen sein und ist auch als solcher nicht falsch für eine Modelshow, aber es hat sich eingebürgert, dass zumindest eine der Kandidatinnen eine ganz besonders fürchterliche/gewagte Frisur bekommt und allgemein etwas gemacht wird, was Kandidatinnen heulen lässt, etwa Haare bis zum Po, die erkennbar der Stolz der Kandidatin sind, abzuschneiden und ihr eine Kurzhaarfrisur zu geben.
Im Gegenzug hat die Kandidatin mit dem fürchterlichsten Frisur bzw dem größten Verlust auch üblicherweise eine gewisse „Schonzeit“ und bleibt zumindest die nächsten drei Folgen in der Sendung, damit keiner sagen kann, dass es nur an der Frisur lag, dass sie gescheitert ist.

Das Konzept der „Umstylingfolge“ ist so populär, dass man es diese Folge wohl sogar auf zwei Folgen aufgeteilt hat und in einer erst die Hälfte der Kandidatinnen umgestylt hat.

Ein Artikel darüber:

Wenn Heidi Klum über diese Frisuren-Schlacht spricht, klingt das ganz vernünftig. Sie scannt mit ihrem professionellen Model-Blick das „Rohmaterial“ und erhält umgehend Eingebungen, welcher Style einer Teilnehmerin das „gewisse Etwas“ verleihen könnte, um aus der Masse herauszustechen und „mehr Jobs“ zu ergattern. Es sollen „richtige Charakterköpfe entstehen“ (Gala).

Und es funktioniert: Die ProSieben-Show hat erfolgreiche Präzedenzfälle erschaffen. Das Umstyling von Kim Hnizdo aus Staffel 11 im Jahr 2016 dient als leuchtendes Vorbild. Hnizdo ließ sich unter großem Wiederwillen ihre ca. 60 Zentimeter lange Haarpracht abschneiden. (Das sind fünf Jahre Haarwachstum, hab ich recherchiert.) Und sie gewann die Show am Ende. Die Botschaft für alle nachfolgenden: Seid wie Kim! Es lohnt sich! Auch wenn es wehtut.

Was beim Umstyling von GNTM wirklich passiert

Mag schon sein, dass Heidi Klum und GNTM bei alledem den Vorteil ihrer Kandidatinnen im Sinn haben. Aber warum geschieht diese Transformation dann unter Zwang? Und nicht etwa im Dialog? Immerhin sprechen wir hier von erwachsenen Frauen (seit ein paar Jahren sind alle Teilnehmenden mindestens 18 Jahre alt).

Warum zählt nur das Style-Diktat von Heidi Klum? Eine Wahl haben die Frauen faktisch nicht. Wer sich dem Frisuren-Regiment nicht fügt, fliegt aus der Show. In einem Rückblick auf ihre Umstyle-Erfahrung („Ich weinte bestimmt 5 Stunden lang“) sagte Kim Hnizdo 2019 der Gala:

Ob ich Heidi bei ihrer Auswahl vertraute? Naja, musste ich ja. Mir blieb doch nichts anderes übrig. Hahaha.

Ja, schon funny, wenn blinde Selbstaufgabe der einzige Schlüssel zum Weiterkommen ist. Der Ethos dahinter: Wer es nicht tut, hat es auch nicht verdient. Also Germany’s Next Topmodel und überhaupt eine Karriere in der Schönheitsindustrie.

Nicht immer sind die Frisier-Sessions so dramatisch wie bei Kim. Aber so gut wie nie will eine der Kandidatin wirklich umgekrempelt werden. Aber sie lassen es alle trotzdem mit sich geschehen. Mit leeren Blicken und zitternd setzen viele sich auf Frisierstühle, was sich anfühlen muss wie beim Zahnarzt. Das Mantra: Heidi wird schon wissen, was sie tut.

Dann wird gefärbt, was das Zeug hält und links und rechts segeln die erschreckend langen Haarsträhnen auf den Boden. Ein besonderer Thrill, denn in den Spiegel gucken dürfen die Frauen während der Prozedur nicht, was den Kontrollverlust noch unerträglicher macht.

Das zitternde Warten auf die Behandlung, zunächst die Weigerung und später die Fügung ins Schicksal, der Schneidevorgang selbst, dem die anderen Kandidatinnen händchenhaltend und mit Angstlust beiwohnen, schließlich die finale Betrachtung des Ergebnisses im Spiegel vor versammeltem Publikum, bei dem alle den neuen Look immer ganz toll finden – dieses Umstyling hat fast schon was Heiliges, etwas Feuerprobenartiges. Ja, etwas Ritualistisches, nach dem die Frauen auf einen größeren Weg geschickt werden.

Das Umstyling markiert stets eine Grenze in der Show. Die softe Schnupperphase ist vorbei. Ab hier kommen härtere Prüfungen und Jobs, Nacktshootings, Höhen-Shootings, Shootings mit Tieren. Ein Schnelldurchlauf, der angeblich die Anforderungen der Schönheitsindustrie abbildet.

In den Stunden des Umstylings werden die Frauen für alles, was kommt, weichgeklopft gestrafft und geschliffen. Es wird ihnen die Bereitschaft eingeimpft, sich den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen. Egal, wie sehr sich der Verstand dagegen wehrt. Purer Psycho-Terror.

Der imaginierte Kunde regiert allein in einem Raum, in dem Selbstbestimmung, Schmerzen und Würde wenig relevante Kategorien sind“, schrieb Margerete Stokowski 2016 über GNTM. Aber so imaginiert ist „der Kunde“ gar nicht. Heidi Klum verkörpert in ihrer ganzen Funktion als GNTM-Betreuerin, Einpeitscherin, Moderatorin und Topmodel-Vorbild eine universelle Version des Schönheits-Markts.

Das Umstyling ist ihre mächtigste Methode, die Kandidatinnen auf genau eine Lektion einzuschwören: Wer sich anpasst und verändert, kommt weit(er). Ob sich die Kandidatin danach im Spiegel wiedererkennt, ob sie mag, was sie dort sieht – das ist egal. Nur dem Markt und Heidi Klum muss es passen.

Ich denke es spricht einfach die weibliche Lust am Drama an, auch weibliche Hierarchien, bei denen Heidi prosoziale Dominanz ausübern kann: Ich sage auch, was gut für euch ist und wer nicht mitmacht, der muss eben aus der Gruppe raus.

Natürlich dient die fürchterliche Frisur gerade in den letzten Staffeln mehr diesem Gedanken des Gruseln über das Leid der Anderen, des Mitleidens und den Gefühlen. Das ist meiner Meinung nach auch eine unterschätzte Seite einer gewissen „Toxischen Weiblichkeit“, eben der Lust an Drama, am Mitleiden wollen, der Sucht nach großen Gefühlen, die man miterlebt und bei der man das Leiden der Kandidatinnen hinnimmt, weil sie sich ja nun einmal in die Hände der Queen Bee begeben haben und nun zur Unterhaltung da sind.