Ein Artikel über Selenskyj und Männlichkeit:
Viele Männer scheinen sich mit Selenskyj identifizieren zu können. »Alles ist erstaunlich an Selenskyj«, schrieb kürzlich Tobias Rapp im SPIEGEL. Er schwärmte von der Sicherheit, mit der Selenskyj in den vergangenen Tagen die richtigen Worte getroffen habe. Von der »Eleganz« und »Angstfreiheit«, mit der er sich durch das umkämpfte Kiew bewege. Er lobte »die Modernität von Selenskyjs Männerbild«. Elegant? Angstfrei? Es klingt, als ginge es um den neuen James Bond, der gegen den Bösewicht kämpft.
Ausgerechnet Männer in Deutschland, dem Land des selbst erklärten Pazifismus, dem Hauptquartier des Postheroischen, scheinen sich angesprochen zu fühlen und sich danach zu sehnen, dass endlich mal einer sagt, wo es langgeht. Männer, die Zivildienst gemacht haben, denken angesichts des Krieges in der Ukraine darüber nach, ob sie mit der Waffe kämpfen würden. Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlags, ist schon unterwegs: »Frankreich, England, Deutschland und Amerika müssen als Allianz der Freiheit Putins mörderisches Treiben mit ihren Truppen und Waffen in Kiew und mit dem modernsten Cyber-War in Moskau beenden«, schrieb er in der »Bild«.
Angespornt vom ukrainischen Präsidenten und seinem Volk forderten auch gleich einige deutsche Politiker die Wehrpflicht, als könnten sie es gar nicht erwarten, die verweichlichte Jugend in die Schützengräben zu schicken.
Bietet Selenskyj womöglich einen Ausweg aus der Krise der Männlichkeit, wie die Publizistin Jagoda Marinic schrieb? Sie teilte einen Tweet mit einem Selfie eines jungen Mannes. Er stamme aus Finnland, schreibt »rsiren« und habe sich der ukrainischen Armee angeschlossen, schreibt er. »Meine Kameraden in den Betten sind Norweger und Amerikaner. Es sind noch Plätze frei.« Es ist nicht zu überprüfen, ob der »rsiren« wirklich existiert. Aber auch anderswo in den sozialen Medien sieht man Teenager, die plötzlich vom Kampf an der Waffe schwärmen.
Natürlich hat Kampf immer etwas heroisches. Und es ist ein klassisches Element intrasexueller Konkurrenz gerade unter Männern. Dazu ist es ein klassischer Kampf der Guten gegen die Bösen, eine David gegen Goliath. Dazu noch mit einer übergeordneten Bedrohung durch die Atomwaffen, die es noch mehr zu einem Kampf „Wir gegen den Aggressor“ haben.
Viele Männer scheinen sich mit Selenskyj identifizieren zu können. »Alles ist erstaunlich an Selenskyj«, schrieb kürzlich Tobias Rapp im SPIEGEL. Er schwärmte von der Sicherheit, mit der Selenskyj in den vergangenen Tagen die richtigen Worte getroffen habe. Von der »Eleganz« und »Angstfreiheit«, mit der er sich durch das umkämpfte Kiew bewege. Er lobte »die Modernität von Selenskyjs Männerbild«. Elegant? Angstfrei? Es klingt, als ginge es um den neuen James Bond, der gegen den Bösewicht kämpft.
Was ist an Selenskyj Männerbild modern? Sein Auftreten ist ungewöhnlich, stark, selbstbewusst, vielleicht sogar bewundernswert. Aber modern? Die Werte, für die er steht, wirken auf mich eher archaisch: Ehre, Kampfbereitschaft, Stärke, Nationalismus. Als die Nato die Einrichtung einer Flugverbotszone Anfang der Woche erneut ablehnte, um russische Angriffe abzuwehren, machte Selenskyj seiner Wut Luft und warf dem Westen Schwäche vor: »Menschen werden Ihretwegen sterben, wegen Ihrer Schwäche.«
Ich habe keine Ahnung, ob es ein modernes Männerbild ist, aber es ist natürlich eine klassische Rolle:
Er ist der Anführer, der sich für das Wohl der Gruppe einsetzt und dabei den Gefahren nicht ausweicht. Er hat dabei ein gewisses Charisma, das zum Teil auch gerade daraus kommt, dass er erklärt, dass er bei seinen Leuten bleibt und dabei einen entschlossenen Willen zeigt, sich der Gefahr zu stellen und trotz Übermüdung und Gefahr die Haltung bewahrt. Er hat ein „ich bin einer von euch und nichts besseres, ich kämpfe mit euch zusammen“ was eine sympathische Eigenschaft eines Anführers sein kann und ihn besonders hervorheben kann. Jemand, dem man den Anführer abnimmt, obwohl er sich selbst nicht besonders hervorheben will, einfach weil er die Rolle ausfüllt.
Das passt sehr gut zu einem Mann, es bedient klassische Anführereigenschaften und es wäre interessant wie eine gleiche Frauenrolle ankommen würde. Ich befürchte die Rolle ist nur zum Teil zu übertragen.
Ist da etwas modernes dran? Ich denke es ist eine Rolle so alt wie der Mensch. Aber bei dem überzogenen Männerbild, welches mitunter verbreitet wird, mag seine Bescheidenheit und Bodenständigkeit in der Rolle von einigen für modern gehalten werden.
Ich würde mir nicht anmaßen, das zu verurteilen, ich sehe einen Mann, der verzweifelt um Hilfe ruft. Aber ich wäre eben auch vorsichtig, das aus der Ferne zum Heldentum zu stilisieren oder gar zur »modernen Männlichkeit«. Dadurch wird die Not von Selenskyj romantisiert und verkitscht, und es verdeckt, welchen Anteil der Teil der Welt, die sich der Westen nennt, an seiner Lage hat.
Vielleicht ist das das Mißverständnis: Er will natürlich Hilfe in einer verzweifelten Lage: Er steht mit einem Land gegen eine Armee, die man für die zweitmächtigste der Welt gehalten hat und von der man meinte, dass sie den USA gewachsenen war, die aber selbst wenn man das abzieht, was anscheinend eher Propaganda war, an Gerät und Leuten den Kräften der Ukraine rein an Zahlen haushoch überlegen war und ist.
Das interessante ist – auch wenn ich kein Experte für alle seine Äußerungen bin – dass er es eben nicht in einem ängstlichen Ton macht, sondern so wie ich es wahrnehme mit der Aussage „Wenn ihr wollt, dass Russland gestoppt wird und wenn ihr den Tod vieler Unschuldiger verhindern wollt, dann unterstützt uns mit Waffen, aber wenn ihr das nicht macht, dann werden wir – mich eingeschlossen – dennoch bis zum letzten Kämpfen und niemals aufgeben“. Und natürlich ist das eine Form von klassischen Heldentum. Vielleicht sogar eine der klassischsten Formen – es ist der alte Kampf gegen den übermächtigen Gegner entgegen aller Chancen und unter Missachtung der Gefahr für einen selbst, weil es das Richtige ist, ihn nicht gewinnen zu lassen.
Und war Gewalt nicht noch eben etwas, was als toxische Männlichkeit verurteilt wurde? Der Krieg scheint auch in dem Teil, den man Westen nennt, eher die alten Geschlechterrollen zu reaktivieren. Sollten Männer nicht eben noch Gefühle zeigen, gewaltfrei kommunizieren, auch mal weinen können? Und jetzt wird ein Mann gefeiert, der sagt, er habe keine Angst. Der sagt: »Wenn die Ukraine bei dir ist, fühlst du dich sicher.«
Das wird vielleicht auch nicht verstanden im modernen feministischen Männerbild: Er zeigt durchaus Gefühle. Eben Ärger darüber, dass andere sein Land nicht unterstützen. Müdigkeit. Resignation. Aber eben auch Stolz und Mut.
Und natürlich wird er hier auch angegriffen. Er ist nicht der Aggressor. Wie will man von ihm erwarten gewaltfrei zu kommunizieren? Wobei er ja insoweit Gespräche angeboten hat.
Jetzt klingt es sicherlich etwas so als habe ich mich durch den Text etwas in eine Heldenverehrung Selenskyjs reingesteigert, aber darum geht es mir gar nicht. Es ist schlicht die Erkennung der klassischen Figur und eine gewisse Abneigung die Reaktion auf einen Angriffskrieg mit „moderner Männlichkeit“ abgleichen zu wollen und da Unstimmigkeiten finden zu wollen.
Die problematischen Seiten der Politik Selenskyjs werden ausgeblendet, zum Beispiel der Fakt, dass Männer zwischen 18 und 60 nicht ausreisen dürfen. In der Zeit verteidigt der Präsident das Vorgehen: Die Ukraine habe etwas, was Russland nicht habe, die Menschen, die ihre Freiheit schätzen und bereit sind, dafür zu kämpfen. »Darum wurde dieser Krieg ein Volkskrieg«, sagt er.
Es gibt aber bestimmt auch in der Ukraine Männer, die nicht kämpfen wollen, die keine Waffen tragen wollen? Was ist mit ihnen? Warum gibt es kein Recht darauf, nicht kämpfen, also nicht töten zu müssen? Und was ist mit den Familien, die zerrissen werden?
Ja, natürlich kann man darüber reden, dass das unfair den Männern gegenüber ist. Man könnte anführen, dass er dann eine allgemeine Wehrpflicht hätte ausrufen sollen, inklusive der Frauen. Aber natürlich ist dies keine akademische Debatte über die Einführung der Wehrpflicht für alle, für die man gerade einmal ein paar Monate Zeit hat und in Feuilletonbeiträgen über die Pro- und Cons diskutieren kann. Sondern um einen aktuellen Angriffskrieg, gegen den Mann sich verteidigen muss. Das schränkt die Möglichkeiten eben etwas ein und man konnte wahrscheinlich auch nicht gerade neue Gesetzte machen oder eine Verfassungsänderung oder was immer auch erforderlich ist, um auch Frauen einzuberufen. Hätte man nur auf Freiwillige setzen können und die Männer, die nicht wollen ausreisen lassen können? Sicherlich, aber ich halte es in einer aktuellen Kriegssituation durchaus für vertretbar.
Es ist auch Sicherlich keine „problematische Seite Selenskyjs, ich vermute mal, dass das in Deutschland oder mit einem anderen Anführer, der sich für Widerstand entschieden hätte anders gewesen wäre.
Kurz gesagt: Der Artikel kommt mir etwas undurchdacht vor. Er scheint irgendwie anhand von Männerbildern etwas kritisieren zu wollen ohne die besondere Lage wirklich zu beachten.
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