Ich hatte alles gegeben, um mich in Tokio zu integrieren: die Sprache gelernt, mich den Hierarchien und den ungeschriebenen Gesetzen untergeordnet. Und das sind viele: Zum Beispiel soll man in der U-Bahn nicht trinken oder essen, sich in der Öffentlichkeit nicht die Nase putzen. Und niemals laut sein. Die Japaner klingeln nicht an deiner Tür, wenn man auf einer Party zu viel Krach macht, sie rufen gleich die Polizei.
Die Regeln sind an sich nicht so schlimm, doch die Japaner nehmen sie einfach so hin, auch wenn sie sinnlos sind. Das gilt auch für Hierarchien, die selten hinterfragt werden. Ich habe inzwischen akzeptiert, dass ich niemals ein gleichwertiger Teil der japanischen Gesellschaft sein kann.
Besonders schwer fiel es mir, mich unterordnen zu müssen, ständig höflich und zurückhaltend zu sein. Ich habe ziemlich lange gebraucht, um zu lernen, wann ich mich als Ausländer Hierarchien fügen sollte und wann ich vielleicht weiterkomme, wenn ich das nicht tue. Das Unterordnen bringt einen ja nicht weiter, wenn man Events organisiert und nicht als gleichwertiger Gesprächspartner angesehen wird. Je mehr ich versucht habe, mich anzupassen, desto deutlicher wurden die Unterschiede.
Das fiel mir auch bei den zwischenmenschlichen Beziehungen auf. Es dauert sehr lange, bis man in Japan mit jemandem befreundet ist. Die Menschen teilen nicht so gern ihre Gefühle mit, weil sie andere damit nicht belasten wollen. Inzwischen habe ich gute japanische Freunde gefunden, aber das hat Jahre gedauert.
Was mich auch nervt, ist der Rassismus. Die Japaner unterteilen in gute (aus Europa) und schlechte Ausländer (aus Südostasien). Es gibt auch einen alltäglichen Rassismus, zum Beispiel muss man als Ausländer eine Art Zuschlag zahlen, wenn man eine Wohnung mietet. Das nennen die Japaner Ausländerversicherung. Zudem kann ich nach all den Jahren in Japan noch immer keine Kreditkarte beantragen, weil ich als Ausländer ja einfach abhauen könnte. Es hat mich auch mehrere Monate gekostet, einen Handyvertrag zu bekommen – ich habe ihn nur, weil ich eingewilligt habe, mehr zu bezahlen.
Auch die Rolle der Frau ist noch sehr traditionell. Japan ist noch sehr weit von #MeToo entfernt und da brauchen wir gar nicht erst über LGBTQ zu reden.
Die Überarbeitung ist ebenso ein großes Thema, manche Leute arbeiten hier 100 Stunden in der Woche. Karoshi heißt es, wenn jemand stirbt, weil er so viel gearbeitet hat. Überstunden werden hier meist nicht bezahlt, sondern gelten als Geschenk an die Firma, weil man dort einen Job bekommen hat. Ich arbeite zwar auch viel, aber bei Kreativen ist das etwas anderes, sie leben in einer Art Parallelgesellschaft, in der die Grenze zwischen Arbeit und Vergnügen verschwimmt.