Tag: 26. Dezember 2021
Schweden und die „Luxusmütter“: Frauen die mit einem gut verdienenden Mann Hausfrauen sein wollen.
Ein Garten am Rande von Stockholm, die Wiese ist frisch gemäht und neben der Villa glitzert der Pool in der Sonne. Amanda öffnet die Tür der weißen Holzvilla und führt in eine große helle Küche. Hohe, cremefarbene Einbauschränke, ein Strauß bunter Herbstblumen auf dem großen naturbelassenen Holztisch. An den Wänden hängen Kinderzeichnungen: Bienen, Hunde, im Kreis tanzende Menschen. „Ich bin eine Luxusmutter“, sagt Amanda.
Sie muss sich oft dafür rechtfertigen. Amanda ist 45 Jahre alt und Lehrerin. Ihr Mann, ein Rechtsanwalt, arbeitet mehr als 60 Stunden pro Woche. Sie haben drei Kinder, fünf, neun und 13 Jahre sind sie alt. Ihren Nachnamen will Amanda nicht in den Medien lesen. Der Grund: Sie und ihr Mann gehören zu den wenigen Paaren, die es sich leisten können, von einem Gehalt zu leben. Amanda arbeitet nicht mehr. Das ist in Schweden nicht üblich – knapp 80 Prozent der Frauen haben hier einen Job. Zu Hause bleiben ist verpönt.
Das Problem der Luxusmütter. Er hat einen Job mit hohem Status und guten Einkommen, sie hätte vermutlich als Lehrerin auch ein okayes Einkommen. Aber sie muss eben nicht, weil sein Einkommen ausreicht.
Wäre interessant, wie viele der Frauen in Vollzeit arbeiten bzw welchen Teilzeitanteil. Ganz zu Hause zu bleiben, dauerhaft, ist aber jedenfalls ab einer gewissen Generation auch in Deutschland denke ich nicht mehr so gewöhnlich und die meisten würden denke ich davon ausgehen, dass zumindest eine gewisse Teilzeit gearbeitet wird.
Dabei spricht vieles dafür, dass die Schwedinnen das Arbeiten gar nicht glücklich macht. Studien belegen, dass es auch anderen Frauen so geht wie Amanda – nur dass viele von ihnen eben arbeiten müssen und nicht zu Hause bleiben können. Der finanzielle Druck zwingt Familien zum doppelten Vollzeitjob: Aufgrund hoher Lebenshaltungskosten und unsicherer Arbeitsbedingungen sind die meisten Familien auf das doppelte Einkommen angewiesen. Dass die Mehrheit der schwedischen Mütter Vollzeit arbeitet, liegt oft nicht daran, dass sie es wollen, sondern müssen. Mag die fast gleichberechtigte Beschäftigung von Männern und Frauen aus deutscher Sicht vorbildlich aussehen, das schwedische Modell ist nicht perfekt.
Das sind dann immer diese Artikel, bei denen so etwas ganz selbstverständlich dargestellt wird, als Leid der Frau, die gerne anders leben würde. Würde man es anführen in einer Diskussion über Karrierefrauen würde man sofort als Sexist bezeichnet werden.
Damit sich Familie und Beruf vereinbaren lassen, gibt es in Schweden eine Elternversicherung, das Pendant zum deutschen Elterngeld, die 30 Jahre zuvor eingeführt worden ist. Seither arbeiten in Schweden viel mehr Frauen als vorher. Und weil der Staat jedes Elternteil für sich besteuert, lohnt es sich für Paare nicht, dass einer voll verdient und der andere zu Hause bleibt. Ab dem zweiten Lebensjahr haben schwedische Kinder zudem ein Recht auf einen Vollzeit-Kindergartenplatz – unter der Voraussetzung, dass beide Eltern eine volle Stelle haben. 90 Prozent der Familien nutzen diese Plätze. Im Umkehrschluss heißt das: Nur sehr wenige Eltern arbeiten auf einer halben Stelle oder gar nicht.
Da habe ich auf der Stelle nur das hier gefunden:
Mahler Walther: Deutschland ist weit entfernt von anderen europäischen Ländern. Während hierzulande gerade mal 16 Prozent der Frauen mit Kindern unter 6 Jahren in Vollzeit arbeiten, sind es in Schweden 51 Prozent
In der Tat ist 16% ein großer Unterschied zu 51%. Das Kindergartenplätze mit hoher Stundenzahl eine Darlegung erfordern, dass man sie braucht, ist aber meines Wissens nach in Deutschland auch so. Man bekommt nicht einfach so eine 45 Stundenbetreuung, wenn man nicht arbeitet. Aber man bekommt natürlich einen Platz mit einer geringeren Stundenzahl. Wäre interessant wie die Regelungen in Schweden tatsächlich aussehen. Dass das Modell in Deutschland noch verbessert werden kann, wenn man Arbeiten für beide ermöglichen will.
45 Prozent der Schwedinnen wären lieber Vollzeitmütter, statt zu arbeiten. Das ergab vor sechs Jahren eine Umfrage der schwedischen Familienwebsite Familjeliv. Bei den Frauen unter 30 waren es sogar 53 Prozent. In den Medien ist deshalb vom „Hausfrauentrend“ oder auch vom „Tantentrend“ die Rede, wenn es darum geht, dass sich gebildete junge Frauen auf einmal lieber wieder häuslich betätigen wollen.
45% ist nicht gerade niedrig. Sogar noch mehr bei den Frauen unter 30. Ein Hausfrauentrend in einem der feministischsten Länder dieser Welt mit einem der höchsten Level an Gleichberechtigung. Aber das Patriarchat und die verdammten Geschlechterrollen lassen natürlich nicht locker und verteidigen ihren Besitzstand!
Amanda, die Lehrerin, konnte sich nie vorstellen, Hausfrau zu sein. Nach der Geburt jedes Kindes kehrte sie ein Jahr später wieder in die Schule zurück. „Ich dachte, alle Menschen müssen arbeiten“, sagt sie, wie es in Schweden eben üblich sei. Als sie sich vor drei Jahren ein Bein brach und sieben Wochen krankgeschrieben war, stellte sie fest: An der Schule lief es auch ohne sie – und es war schön zu Hause. Sie konnte mit ihren Kindern Hausaufgaben machen, Mittagessen kochen und hatte auch noch Zeit, Zeitung zu lesen. „Dazu bin ich früher nie gekommen“, sagt sie.
Natürlich läuft es als Angestellter üblicherweise ohne einen. Das ist ja gar nicht die Frage. Jeder ist ersetzbar. Es ist etwas unglaubwürdig, dass sie dachte sie wäre nicht ersetzbar, zumal sie ja auch schon Elternzeit genommen haben dürfte.
Spontan kündigte sie ihren Job. Dass es sich nicht jede Mutter leisten kann, zu Hause zu sein, ist Amanda klar. Aber sie habe auch Freundinnen, die es sich leisten könnten, aber trotzdem arbeiten. „Ihnen geht es wie mir damals, sie sehen keine Alternative“, sagt sie. „Außerdem steht man als Hausfrau unter permanentem Rechtfertigungsdruck.“ Wenn sie vormittags mit ihrem Sohn einkaufen gehe, werde sie schräg angeschaut. Wenn sie nachmittags auf dem Spielplatz seien, vermisse ihr Sohn seine Freunde. „Die sind dann ja alle noch im Kindergarten.“ Und in den Sommerferien langweilten sich ihre Kinder, weil die anderen den Tag im Freizeitheim verbringen. „Dort bekommt man aber nur einen Platz, wenn beide Eltern arbeiten.“
Ich würde auch die Kinder nicht aus dem Kindergarten nehmen. Es ist eine gute Sache für sie unter Kindern zu sein. Es klingt ja so als könnte man eine Teilzeitlösung dort aber nicht machen. Das wäre eine interessante Regelung.
Amanda weiß, dass sie auf hohem Niveau klagt. Doch wenn Hausfrauen in Foren, Blogs und Facebook-Gruppen wie Hemmaföräldrars nätverk (Netzwerk der Haus-Eltern) von ihrem Lebensstil berichten, geht es um mehr als um Luxussorgen. Es geht um Fragen wie: Darf ich es genießen, Hausfrau zu sein? Darf ich mir wünschen, Hausfrau zu werden? Und wie kann ich diesen Wunsch in die Tat umsetzen?
In der Tat Luxussorgen. Und man darf vermuten, dass es keine entsprechende Gruppe für Väter gibt, die Hausmänner werden wollen.
So erzählt eine Schwedin auf Kvinna iFokus: „Große Augen sahen mich überrascht an, als ich leise in einem Café sagte: Wenn das Einkommen meines Mannes reichen würde, hätte ich nichts dagegen, Hausfrau zu werden. Hatte ich etwas Falsches gesagt?“ Eine Userin des Forums von familjeliv schreibt: „Tief im Herzen habe ich den Wunsch, mit meinen Kindern in Vollzeit zu Hause zu sein.“ Und fragt: „Gibt es noch andere, die im Jahr 2017 in diese Richtung denken? Ich fühle mich unter Druck, mich anzupassen als moderne, starke Frau mit einer Karriere – während ich im Innersten lieber eine Hausfrau im Stil der fünfziger Jahre wäre.“
Der Reiz der reinen Hausfrau ist an mich verloren. So ganz ohne Arbeit, nur zuhause, es ist irgendwie eine Verschwendung des eigenen Studiums und die Arbeit ist ja auch eine gewisse Form der Bestätigung bzw eine andere Interaktion mit der Aussenwelt. Außerdem macht man es sich schwieriger wieder einzusteigen, wenn die Kinder dann älter sind.
Die Sehnsucht der Schwedinnen nach dem Hausfrauendasein könnte erklären, warum für so viele von ihnen Svenska Hollywoodfruar (Schwedische Hollywoodfrauen) die Lieblingsserie ist. So heißt eine beliebte Reality-Soap, die schwedische Frauen begleitet, die reiche Amerikaner geheiratet haben und fortan ein unbekümmertes Leben führen. Eine typische Szene: Eine blonde Frau rückt rosafarbene Kissen zurecht, zeigt auf Barbiepuppen, glitzernde Disneyfiguren und Spiegel über dem Kinderbett. Sie sagt: „Das ist unser Prinzessinnenzimmer!“ Die Frauen in der Serie haben keinen eigenen Job, aber Prinzessinnenzimmer, Schoßhündchen, teure Klamotten und schnelle Autos. Die Zuschauer sind größtenteils Frauen zwischen 25 und 44 Jahren, die elfte Staffel läuft derzeit.
Auch die schwedische Autorin Kristina Sandberg verdankt ihren Erfolg womöglich der Sehnsucht danach, nicht arbeiten zu müssen. In ihrer vor drei Jahren mit dem Roman Leben um jeden Preis beendeten Trilogie geht es um die Hausfrau Maj. Das Interessante: Das Leben der Protagonistin ist nicht schillernd wie das der Svenska Hollywoodfruar. Ihr Alltag ist trist und monoton, er besteht aus wenig mehr als Kochen, Putzen, Flicken; ihr Mann ist Alkoholiker und untreu, es gibt finanzielle Sorgen. Doch Leser wie Kritiker lieben den Roman, der mit dem August-Preis 2014 den renommiertesten schwedischen Literaturpreis gewann. Die fast schon ausgestorbene Spezies Hausfrau, die Sandberg hier skizziert: Für viele junge Mütter Schwedens ist das die Utopie.
Ein Leben im Luxus klingt natürlich auch nach einer beliebten Fantasie. Das Leben mit dem Alkoholiker weniger. Aber letzteres macht wahrscheinlich besseres Drama.
Was bedeutet das für Deutschland, wo hierzulande einiges unternommen wird, damit Mütter mehr arbeiten können? Taugt Schweden nicht als Vorbild?
Das Problem liegt in Deutschland woanders: Mit Elternzeit, Elterngeld, ElterngeldPlus, Partnerschaftsbonus, Recht auf Teilzeit und Kündigungsschutz in der Elternzeit gibt es zwar Unterstützung, Förderung und Sicherheitsnetze für Familien, und im Gegensatz zu Schweden auch individuelle Alternativen. Doch die Angebote für mehr Vereinbarkeit werden fast ausschließlich von Frauen genutzt. Dabei wünschen sich die meisten Paare hierzulande, dass sie sich die Arbeit zu Hause teilen. Das zeigte zuletzt der Väterreport 2016.
Gelebt wird ein solches Modell von lediglich 14 Prozent der Paare. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin kommt zehn Jahre nach Einführung des Elterngeldes zum Ergebnis, dass der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen, von weniger als drei Prozent vor 2007 auf 2017 über 34 Prozent gestiegen ist. Allerdings beschränkt ein Großteil der Männer die Elternzeit auf zwei Monate. So ist es wiederum auch in Schweden – auch wenn dort deutlich mehr Väter in Elternzeit gehen als in Deutschland.
Doch beim Thema Vereinbarkeit geht es nicht nur um die Elternzeit. Es geht um die Verteilung von Arbeit und Familie. Und da wünschen sich deutschen und die schwedischen Eltern das Gleiche: mehr Zeit für beides. Sie wollen arbeiten und Zeit für die Familie haben.
Aber eben in beiden Ländern mit verschiedener Verteilung in den Arbeitszeiten.
vgl auch:
- Nochmal: Berufswahl von Frauen
- Nochmal: Gender Pay Gap mit Grafiken zu Gründen
- Der Gipfel-Trugschluß (Apex-Fallacy)
- Welches Verhältnis wollen Frauen zwischen Beruf und Arbeit?
- Emma, Frauen in Führungspositionen und Halbtagsstellen
- „Frauen wollen gar nicht an die Spitze“
- Beckmann, Basha Mika und „Scheitern Frauen an sich selbst?“
- Hindernisse von Frauen in Führungspositionen
- Mann / Frau: Zufriedenheit und beruflicher Erfolg
- Was Unternehmen machen müssen um Frauen auch gegen ihren Willen zu befördern
- Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und “Work-Life-Balance”
- Mathematisch hochbegabte Männern und Frauen und ihre Leben mit Grafiken, was sie jeweils wichtig finden
- Nobelpreisträgerin Nüsslein-Volhard über Frauen in der Wissenschaft
- Wie Frauen und Männer Erfolg definieren