Um uns richtig in Weihnachtsstimmung zu bringen hier gleich noch etwas mehr Kristina Lunz:
Kristina Lunz ist Aktivistin und Mitgründerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP). Sie hat unter anderem als Beraterin für das Auswärtige Amt gearbeitet und unter dessen Schirmherrschaft das internationale Frauennetzwerk Unidas aufgebaut. Im Frühjahr erscheint ihr Buch „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ bei Econ.
Wenn sie jetzt schon für das auswärtige Amt gearbeitet hat, dann wird sie unter Baerbock eher noch sicher Beschäftigung haben. Das Heiko Maas mit seiner ideologischen Ausrichtung ein Frauennetzwerk für feministische Aussenpolitik finanziert hat verwundert mich nicht.
ZEIT ONLINE: Frau Lunz, im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung steht ein Begriff, den man in der deutschen Politik bisher kaum gehört hat: „Feminist Foreign Policy“, feministische Außenpolitik. Was darf man sich darunter vorstellen?
Kristina Lunz: So wie im Koalitionsvertrag beschrieben, geht es dabei vor allem um eine verstärkte Förderung von Frauen- und Mädchenrechten, eine bessere Repräsentation von Frauen in der Außenpolitik sowie ein besonderer Fokus auf Frieden und Sicherheit. Im Koalitionsvertrag wird konkret auf die Umsetzung von Resolution 1325 verwiesen. Darin hat sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schon vor über 20 Jahren verpflichtet, Frauen stärker an Friedensprozessen zu beteiligen, weil Mädchen und Frauen viel häufiger von bewaffneten Konflikten betroffen sind als Männer.
Das ist typischer Feminismus. Die Frauen sind eben immer am meisten Betroffen und natürlich muss man ihre besonderen Interessen berücksichtigen. Erinnert gleich an den berühmten Ausspruch von Hillary, den sie vielleicht auch aus femistischen Quellen dieser Art hatte:
Women have always been the primary victims of war. Women lose their husbands, their fathers, their sons in combat.
Das zeigt auch gleich die Verblendung dieser Position. Der Fairness halber der ganze Text, der sehr so klingt als sei er aus einem ähnlichen Thinktank.
The experience that you have gone through is in many ways comparable to what happens with domestic violence. Women have always been the primary victims of war. Women lose their husbands, their fathers, their sons in combat. Women often have to flee from the only homes they have ever known. Women are often the refugees from conflict and sometimes, more frequently in today’s warfare, victims. Women are often left with the responsibility, alone, of raising the children. Women are again the victims in crime and domestic violence as well. Throughout our hemisphere we have an epidemic of violence against women, even though there is no longer any organized warfare that puts women in the direct line of combat. But domestic violence is now recognized as being the most pervasive human rights violation in the world. Here in El Salvador, according to the statistics gathered by your government, 1 in 6 women have been sexually assaulted and the number of domestic abuse complaints at just one agency topped 10,000 last year. Between 25 and 50 percent of women throughout Latin America have reportedly been victims of domestic violence.
The problem is all pervasive, but sometimes difficult to see. Every country on earth shares this dark secret. Too often, the women we see shopping at the markets, working at their jobs, caring for their children by day, go home at night and live in fear. Not fear of an invading army or a natural disaster or even a stranger in a dark alley, but fear of the very people — family members — who they are supposed to depend upon for help and comfort. This is the trust-destroying terror that attends every step of a victim of violence. For these women, their homes provide inadequate refuge, the law little protection, public opinion often less sympathy. That’s why we have to say over and over again, as Elizabeth has done and as so many of you have echoed, that violence against women is not simply cultural or a custom. It is simply criminal, a crime. The devastating effects of domestic violence on women are just as dramatic as the effects of war on women. The physical injury, the mental illness, the terrible loss of confidence limits the capacities of women to fulfill their God-given potentials.
Und natürlich sind Frauen stark von Krieg betroffen, aber einfach den Umstand, dass die Männer häufig vorher sterben oder stark verwundet werden oder Traumata davon tragen, weil sie die Schrecken des Krieges erleben, auszublenden.
ZEIT ONLINE: Warum ist es im Jahr 2021 noch so wichtig, das explizit hervorzuheben?
Lunz: Weil sich auch in der Außenpolitik zeigt, wie einflussreich rechte und antifeministische Kräfte weltweit geworden sind. Die Bekämpfung der Menschenrechte von Frauen und LGBTIQ ist hier so stark wie noch nie, sei es im Sicherheitsrat der UN oder im Europarat. Ein Beispiel: 2019 drängten die USA unter Donald Trump darauf, einen Passus in einer UN-Resolution zu streichen, der das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch für Frauen forderte, die in Konflikten vergewaltigt wurden. Und die Bundesregierung, die diese Resolution im Sicherheitsrat eingebracht hatte, knickte ein.
Auch interessant, dass ihre Antwort so ziemlich gar nicht dazu passt, was sie eigentlich gefragt worden ist. Da ging es gerade darum, dass Frauen stärker von bewaffneten Konflikten betroffen sind als Männer. Gut, man könnte Einschränkungen des Abtreibungsrechts nach Vergewaltigungen als stärkere Beeinträchtigung sehen. Aber das scheint mir eh etwas zu sein, was in einer tatsächlichen Kriegssituation schwer nachzuhalten ist.
ZEIT ONLINE: Was erwarten Sie von der neuen Regierung – außer, dass sie in solchen Situationen hart bleibt?
Lunz: Dass sie die großen Zusammenhänge sieht, etwa das Zusammenspiel von Klima, Konflikten und Sicherheit, das vor allem zulasten von Frauen und anderen politisch Marginalisierten geht. Das Patriarchat funktioniert auch international vor allem über Hierarchien. Ganz oben stehen mächtige Männer im globalen Norden, ganz unten Frauen im globalen Süden. Aufrechterhalten werden solche Strukturen letztlich immer durch Gewalt. Und Gewalt wird effizient gemacht durch die Verwendung von Waffen. Man könnte sagen: Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen ist die schlimmste Ausprägung männlicher Machtstrukturen. Bei einer feministischen Außenpolitik geht es deshalb maßgeblich um Frieden und Abrüstung.
Die globalen Hierarchien waren bisher unter anderem auch Merkel, auf Deutscher Seite zudem eine weibliche Verteidigungsministerin. Und ich wüsste nicht, dass sich irgendwer im „Männlichen Norden“ mit Frauen im Süden angelegt hat. Wann wurden überhaupt zuletzt vom „Männlichen Norden“ Massenvernichtungswaffen eingesetzt unter denen nicht Männer eher die Ziele waren?
Aber ja auch immer eine gute Sache: Frauen können nur für Frieden stehen. Wen interessiert schon Thatcher und ihr Falklandkrieg oder ein Vielzahl anderer weiblicher Herrscher, die Kriege angefangen haben?
ZEIT ONLINE: Die neue Regierung will allerdings die „rüstungstechnische Zusammenarbeit in Europa“ stärken und muss im Rahmen der Nato-Mitgliedschaft auch die Verteidigungsausgaben erhöhen.
Lunz: Ja, aber da steht auch viel Erfreuliches im Koalitionsvertrag: Etwa, dass Deutschland beim kürzlich in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrag immerhin den Status eines Beobachterstaats einnehmen will, während sich die vorherige Bundesregierung komplett verweigert hatte. Von den Nato-Staaten hatte sich bislang nur Norwegen dazu bereit erklärt. Und auch ein Rüstungsexportkontrollgesetz hat sich die Ampel ins Programm geschrieben.
Der Status eines Beobachterstaats wird viel ändern. Die Großmächte werden ihre Atomwaffen eh nie abschaffen. Und das Rüstungsexportkontrollgesetz kann sicherlich strenger eingerichtet werden, aber so zu tun als wäre das etwas feministisches geht auch vollkommen an der Sache vorbei.
ZEIT ONLINE: Sie klingen ganz zuversichtlich.
Lunz: Ja und nein. Es muss global gesehen darum gehen, die patriarchalisch geprägten Strukturen in der Außen- und Sicherheitspolitik grundlegend auf den Kopf zu stellen, neue Narrative und Vorgehensweisen anzubieten. Das lässt sich aus dem Koalitionsvertrag jetzt weniger herauslesen. Aber er macht mit der Formulierung immerhin eine Tür auf, die bisher verschlossen gehalten wurde.
Da bleibt sie wieder erstaunlich vage. Irgendwelche patriarchalen Strukturen müssen auf den Kopf gestellt werden, wobei die Welt gleichzeitig in einer ihre friedlichsten Zeiten hat. Die Wiedervereinigung, die Schaffung der EU, das Ende des kalten Krieges, das waren eben alles Taten von Frauen. Bekanntlich hat Frau Gorbatschow die Breschnew-Doktrin aufgehoben. Oder mit einer Frau Gorbatschow wäre alles noch schneller gegangen.
Aber gut, dass endlich im Koalitionsvertrag steht, dass es eine feministische Außenpolitik gibt. Und auch noch eine Frau Außenministerin ist. Es kann nur eine bessere Welt geben.
ZEIT ONLINE: Vor allem für eine: Deutschland hat mit Annalena Baerbock seine erste Außenministerin. Warum spielt es eine Rolle, dass die oberste Diplomatin des Landes eine Frau ist?
Frauen machen es natürlich nicht nur für Frauen besser, sondern gleich für alle anderen marginalisierten Gruppen. Und Baerbock kann gar nicht anders als eine kompetente Frau sein, schon weil sie eben eine Frau ist.
ZEIT ONLINE: Die USA hatten in ihrer Geschichte schon drei Außenministerinnen. Aber eine „Feministische Außenpolitik“ spielte in den Vereinigten Staaten bislang keine Rolle. Warum braucht es den Begriff überhaupt? Man könnte doch auch inklusive Außenpolitik sagen.
Das ist ja sogar mal eine gute Frage.
Lunz: Feminismus geht weiter als Inklusivität. Feminismus bedeutet, problematische Strukturen von Grund auf zu ändern – und nicht, unterrepräsentierte Personengruppen in diese Strukturen einzuschließen. Der moderne Feminismus erkennt an, dass die Unterdrückung, unter der Frauen leiden, auch andere betrifft, für deren Gleichstellung man sich genauso einsetzt. Ich spreche auch deshalb weiter von feministischer Außenpolitik, weil der Begriff berücksichtigt, welche wichtige Rolle Frauen schon immer in den internationalen Beziehungen gespielt haben, auch wenn das kaum bekannt ist. Die Geschichte des internationalen Friedens ist letztlich eine weibliche.
Also klassischer intersektionaler Feminismus, der natürlich alles mal wieder besser macht als alle anderen. Aber auch mal wieder klasse, dass ihr Argument für eine feministische Außenpolitik ist, dass die sich auch für Nichtfrauen einsetzen.
Und natürlich ist die Geschichte des internationalen Friedens eine weibliche. Sie hatte zwar oben noch angeführt, dass Frauen eigentlich von den Männern gar nicht nach draussen gelassen worden sind und nichts mitzureden hatten, aber die Geschichte des internationalen Friedens ist natürlich dann wieder eine weibliche.
ZEIT ONLINE: Wie das?
Lunz: Der Grundstein für die feministische Außenpolitik wurde 1915 beim Internationalen Frauenkongress in Den Haag gelegt. Dessen Abschlussresolution sah etwa vor, den Ersten Weltkrieg sofort zu beenden, Krieg als illegal im Völkerrecht zu verankern und den Waffenhandel zu privatisieren, um ihn mittelfristig ganz abzuschaffen. Natürlich wurde das von Seiten der politischen Entscheider, die ja alle Männer waren, zunächst nicht ernst genommen. Man hat auch später Frauen nicht an Friedensverhandlungen teilnehmen lassen, weil man Angst hatte, sie würden sich tatsächlich für Frieden einsetzen. Aber dass wir heute eine internationale Strafbarkeit haben und ein völkerrechtliches Verbot von militärischen Aggressionen, verdanken wir letztlich den Aktivistinnen von damals.
Dafür haben die Frauen danach eben in Deutschland Hitler gewählt und zB in England Männer verachtet, die nicht in den Krieg ziehen wollten. Man hat sie nicht teilnehmen lassen, weil „man Angst hatte, dass sie sich tatsächlich für Frieden einsetzen“. Ist aus meiner Sicht eine etwas gewagte Behauptung.
ZEIT ONLINE: Ist dieses Verdrängen von Frauen in der Außenpolitik ausgeprägter als in anderen Bereichen der Politik?
Lunz: Ja, durchaus. Wahrscheinlich, weil Diplomatie ein besonders elitärer Bereich unserer Gesellschaft ist. Und umso mehr Macht und Reputation im Spiel sind, desto größer waren stets die Beharrungskräfte, um Frauen vom Tisch fernzuhalten. Bis in die Siebzigerjahre hinein musste sich eine Frau in Großbritannien entscheiden, ob sie heiraten oder Diplomatin werden wollte. Beides zusammen war nur Männern erlaubt. In Deutschland durften Frauen erst ab 1949 die diplomatische Laufbahn antreten und erst ab den späten Achtzigerjahren waren dann auch mal mehr als nur ein, zwei Frauen in den Ausbildungsjahrgängen vertreten. Unter den Abteilungsleitungen sind immer noch nur 25 Prozent Frauen.
Richtig ist sicherlich, dass es aus heutiger Sicht unberechtigte Einschränkungen von Frauen gab, weil man davon ausging, dass diese die Kinder versorgen müssen und dies mit vielen Auslandsaufenthalten nicht möglich ist. Und natürlich waren genug Frauen genau dieser Meinung und haben es verteidigt, weil es ihnen eine sichere Stellung als Hausfrau brachte. Diplomat mit viel Reisen wird immer noch etwas sein, für das man schwerer Frauen gewinnen kann und auch der Karriereweg über die Botschaften, bei dem man sich von kleinerer unbedeutender Botschaft oder Aussenhandelskammer nach oben zu den wichtigeren hocharbeitet und alle paar Jahre das Land wechselt wird vielen nicht unbedingt gefallen (auch wenn die Familien der Botschaftler ja üblicherweise auch umziehen).
ZEIT ONLINE: Diplomatie ist ein Tanz, bei dem es oft darum geht, manches gerade nicht direkt zur Sprache zu bringen. Ist es bei Verhandlungen mit Machos wie Putin oder Erdoğan nicht womöglich kontraproduktiv, feministische Prinzipien hochzuhalten?
Das ist auch in der Tat das Hauptproblem, welches unbedingt mit Putin und Erdogan besprochen werden muss.
Lunz: Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen den Maximalforderungen, die man als feministische Aktivistin formuliert, und den realpolitischen Möglichkeiten, die man als Außenministerin oder Bundeskanzler hat. Man kann das auf eine Erfahrung herunterbrechen, die wir als Frauen im Alltag immer wieder machen: Konfrontation ist ein Risiko. Das Gewaltpotenzial steigt, wenn toxische Männer ihren Willen nicht durchsetzen können. Nur ist es für eine Gesellschaft keine Option, das einfach hinzunehmen. Genauso, wie man es nicht zulassen würde, dass ein aggressiver Mensch seine ganze Nachbarschaft terrorisiert. Es muss rote Linien geben, und sei es nur die, dass Menschen nicht durch andere Menschen Gewalt zugefügt wird. Das kann man auch formulieren, ohne überhaupt den Begriff Feminismus zu benutzen.
Faszinierend. Konfrontation ist ein Risiko. Aber (toxische) Männer dürfen auch nicht ihren Willen durchsetzen (Frauen aber schon anscheinend.)
Und die Idee, dass Menschen nicht durch andere Menschen Gewalt zugefügt werden darf, wird ja schnell auf eine Probe gestellt, wie man am Kosovo sieht. Und natürlich ist mitunter Menschen Gewalt anzutun der einzige Weg Gewalt zu stoppen.