Ich habe extra etwas gewartet bevor ich einen Artikel dazu geschrieben habe, hier aber nun ein paar Punkte dazu.
1. Was ist eigentlich passiert?
Ein Problem ist, dass ich die ganzen Artikel hinter den Bezahlschranken nicht gelesen habe. Insofern mögen mir einige Informationen fehlen. Hier eine Zusammenfassung aus einem Artikel:
Mitarbeiter hätten Reichelt als machtbesessen beschrieben. Als jemanden, der einen aggressiven Ton anschlug, Menschen demütigte, der überall Verräter und Konkurrenten sah. Doch anscheinend war das nur eine Seite des Chefredakteurs. Frauen, die sich auf ihn einließen, habe er sich nahbar und verletzlich gezeigt. Er habe ihnen schnell das Gefühl gegeben, ein wichtiger Teil seines Lebens zu sein. „Er bringt einen dazu, innerhalb kürzester Zeit über brennende Brücken zu laufen“, zitiert das Magazin eine Person aus Reichelts beruflichem Umfeld.
Vor allem junge Berufseinsteigerinnen, Praktikantinnen und Volontärinnen soll Reichelt systematisch verführt haben. Eine von ihnen sagte laut „Spiegel“ aus, dass Reichelt Jobs und Aufstiegschancen durchaus davon abhängig mache, dass man mit ihm schlafe. Auch sie hätte eine Affäre mit ihm gehabt, sei schnell aufgestiegen – sogar in eine Position, der sie nach eigenen Aussagen nicht gewachsen war. Mehrfach soll sich Reichelt mit ihr damals in Hotels, meistens in der Nähe des Springer-Gebäudes zum Sex getroffen haben. In einem Fall, weil er in Nachrichten darauf gedrungen habe, sie ihn nicht habe verärgern wollen und sich beruflich von ihm abhängig fühlte, heißt es im „Spiegel“. Später sei ihr gesagt worden, sie solle sich im Zuge des Verfahrens gegen Reichelt nicht äußern.
Reichelts sexuelle Verhältnisse mit Frauen, die in der Hierarchie unter ihm standen, reichen laut Bericht teils zurück bis ins Jahr 2014. Bei der Verführung soll er nach immer gleichen Mustern vorgegangen sein: Mehrere Frauen hätten beschrieben, dass sich Reichelt bereits zu Beginn ihrer Ausbildungszeit bei Springer als eine Art „Mentor“ etablierte. Er habe sie regelmäßig kontaktiert und ihnen Komplimente zu ihrer Arbeit gemacht. „Er sagte, ich sei das begabteste Nachwuchstalent, das es je gab“, zitiert der „Spiegel“ eine von ihnen.
2. Sex gegen Karriere
In der Debatte wurde schnell das alte Bild gezeichnet, bei dem die Frau immer das Opfer ist und vollkommen Passiv in eine Affäre gezwungen wurde.
Das fand ich interessant, weil es Frauen schon wieder ein klassische Opferrolle vorgibt, sogar dann wenn sie wie in dem fett markierten Teil dargestellt, in eine hohe Position kommt. Sie kann sich sogar beschweren, dass die Position zu hoch für sie war, so als hätte sie diese antreten müssen und hätte da gar nichts sagen können.
Natürlich: Es kann unfair von ihm gewesen sein und Frauen können sich, je nachdem wie er das gemacht hat, tatsächlich einem unfairen Druck ausgesetzt gefühlt haben oder das ganze als höchst unangenehm empfunden haben.
Aber auch die andere Version ist genau so denkbar. Frauen, die es interessant fanden eine Affäre mit einem reichen und hochstehenden Mann zu haben, der gleichzeitig noch ihre Karriere voranbringt. Die sich geschmeichelt fühlten und genau wussten, was sie da machen. Die vielleicht mit anderen um ihn konkurriert haben.
3. Kann man als Feminist der Sexwork unterstützt ausschließen, dass Frauen den Deal bewußt und selbstbestimmt eingehen?
Ich hatte dazu mal einen Tweet geschrieben:
Üblicherweise dürfte der finanzielle Anreiz einer Karriere viel interessanter sein als der einer Prostituierten und sie müssen mit weitaus weniger Frauen schlafen.
Insofern ist die Rückkehr zum Bild der unschuldigen Frau, deren Sexualität ihr höchstes Gut ist, welches sie niemals für einen Vorteil hergibt, sondern nur für den richtigen und die Liebe interessant.
4. Was ist mit den anderen?
Die beförderte Frau hat nach allem was wir wissen den Deal durchaus bewußt mitgemacht, mit ihm zumindest zuerst anscheinend eine Affäre geführt. Dann scheint ihr der Job, auf den sie befördert worden ist, über den Kopf gewachsen zu sein und nunmehr erst beschwert sie sich. Das hat schon einen Geschmack, weil es eine gute Entschuldigung abgibt dafür, dass sie nichts dafür kann, dass sie den Job nicht gut gemacht hat. Reichelt hat sie eben – quasi gegen ihren Willen – befördert um sich immer wieder ihre sexuellen Gefügigkeit zu erhalten.
Erstaunlich, dass sie damit anscheinend durchkommt.
Neben Reichelt ist auch sonst keiner wirklich genannt worden. Weder die zu Unrecht beförderte, die immerhin jemanden anderen den Platz weggenommen hat noch die anderen Frauen, die davon gewusst haben oder aber die anderen Angestellten.
Wenn es so bedrohlich war, dann wäre es ja eigentlich klar gewesen, dass man ihnen helfen musste. Wahrscheinlich hat man sie aber dort auch als berechnender oder die Situation als weniger bedrohlich angesehen und schlicht über sie gelästert.
5. Hochschlafen, aber richtig
Natürlich ist das auch sonst nicht unüblich. Es wird aber anders bewertet, je nach dem wie es läuft. Wäre die Frau nicht überfordert gewesen, dann hätte auch niemand etwas gesagt.
Noch anders wäre es natürlich gewesen, wenn sie zu einer offiziellen Beziehung übergegangen wären oder gar geheiratet hätten:
Das mächtige Männer ihre späteren zweit, dritt oder viert oder gar fünft Frauen bei der Arbeit kennenlernen ist keineswegs ungewöhlich. Klassiker sind etwa Politiker, die etwas mit (politischen) Journalisten anfangen, die natürlich auch an Informationen von ihnen interessiert waren oder eine Frau aus der Marketingabteilung etc den Chef heiratet.
Natürlich hat der Grundsatz „never fuck the Company““ seine Berechtigung, aber wo immer Menschen zusammenarbeiten werden auch entsprechende Verbindungen entstehen.
Das gilt um so mehr, wenn mächtige Männer auf junge Frauen treffen.
6. Andere Hintergründe für die Veröffentlichung
Aus einem Artikel:
Am Wochenende veröffentlichte die »New York Times« einen ausführlichen Bericht über die »Bild«-Zeitung und Julian Reichelt. Am Dienstag schloss der Axel-Springer-Konzern die angekündigte Übernahme des einflussreichen US-Onlineportals Politico ab. Wer das für Zufall hält, glaubt auch, dass Kapitalismus immer nett und moralisch ist und nichts mit dem Kampf um Marktanteile zu tun hat.
Das man in den USA ein anderes Verhältnis dazu hat (und es dennoch immer wieder vorkommen wird) ist sicherlich so.
7. Noch einige Tweets