Selbermach Samstag

Welche Themen interessieren euch, welche Studien fandet ihr besonders interessant in der Woche, welche Neuigkeiten gibt es, die interessant für eine Diskussion wären und was beschäftigt euch gerade?

Welche interessanten Artikel gibt es auf euren Blogs? (Schamlose Eigenwerbung ist gerne gesehen!)

Welche Artikel fandet ihr in anderen Blogs besonders lesenswert?

Welches Thema sollte noch im Blog diskutiert werden?

Für das Flüchtlingsthema oder für Israel etc gibt es andere Blogs

Zwischen einem Kommentar, der nur einen Link oder einen Tweet ohne Besprechung des dort gesagten enthält, sollten mindestens 5 Kommentare anderer liegen, damit noch eine Diskussion erfolgen kann.

Ich erinnere auch noch mal an Alles Evolution auf Twitter und auf Facebook.

Wer mal einen Gastartikel schreiben möchte, auch gerne einen feministischen oder sonst zu hier geäußerten Ansichten kritischen, der ist dazu herzlich eingeladen

Es wäre nett, wenn ihr Artikel auf den sozialen Netzwerken verbreiten würdet.

Die „Goldene Kartoffel“: Preisträger ist die Debatte über „Identitätspolitik” in bürgerlichen Medien

Die Neuen Medienmacher haben ihren jährlichen Preis verliehen:

Seit 2018 verleihen die Neuen deutschen Medienmacher*innen die „Goldene Kartoffel“. Der Preis für besonders unterirdische Berichterstattung geht an Medien oder Journalist*innen, die ein verzerrtes Bild vom Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland zeichnen, Probleme und Konflikte stark übertreiben, Vorurteile verfestigen und gegen journalistische Standards verstoßen.

Ein Preis wie die „Goldene Kartoffel“ ist natürlich gerade dazu gedacht zu profitieren und Aufmerksamkeit zu bekommen, und auch dazu Konflikte stark zu übertreiben und Vorurteile zu verfestigen, aber dennoch steige ich mal darauf ein.

Die Goldene Kartoffel 2021 geht an die Debatte über „Identitätspolitik” in bürgerlichen Medien, die rechtsradikale Thesen normalisiert und salonfähig gemacht hat.

Was auch sonst. Jede Kritik an Teilbereichen intersektionaler Theorien ist unweigerlich rechts und unbegründet.

Die Jury begründet ihre Entscheidung so:

„Identitätspolitik” ist – anders als Klima, Steuern oder Rente – kein Thema, das mit dem Alltag (von irgendwem) zu tun hat und das niemand so richtig versteht.

Was für eine bizarre Angabe. Natürlich hat Identitätspolitik mit dem Alltag vieler zu tun, jedenfalls nach der Meinung der Identitätspolitiker. Denn da wird ja gerade alles unter dem Gesichtspunkt der Identität gesehen. „Alles ist sexistisch (Rassistisch etc) und wir müssen es alles anprangern“. Frauenquoten werden überall diskutiert und um mit „Diversität“ in Berührung zu kommen muss man auch nur Netflix abonniert haben, Twitter haben oder Zeitungen lesen, wenn sich mal wieder über den „alten weißen Mann“ beschwert wird.

Trotzdem wurde es im Jahr 2021 in den meisten Medien rauf und runter diskutiert, mit Stichworten wie „Cancel Culture”, „bedrohte Meinungsfreiheit” und „Rassismus gegen Weiße”.
Die Wahnvorstellung, dass Ausländer*innen die Diskurshoheit übernehmen, autoritäre Minderheiten Sprechverbote erteilen und linke Aktivist*innen an den Schaltstellen der Macht sitzen, könnte man getrost als neurechtes Geschwafel abtun. Nicht so das deutsche Feuilleton: Um die verlorene Ehre des alten weißen Mannes wiederherzustellen, fuhr es 2021 journalistisch schwere Geschütze auf:

Da wird ziemlich viel durcheinander gemischt. Ausländer müssen nicht die Diskurshoheit übernehmen oder Minderheiten Sprechverbote erteilen, es reicht vollkommen aus, dass solche Theorien an Macht gewinnen und weiße Aktivistinnen sich dadurch profilieren wollen. Und natürlich gibt es eine Vielzahl populärer Unterstützer und es ist in vielen Zeitungen und Medien eine prominente Theorie, der man nicht widersprechen darf.

„Identitätspolitik – woke oder Wahnsinn?“1 hieß es bei Deutschlandfunk Kultur. „Spaltet Identitätspolitik die Gesellschaft?“2 wollte das NDR-Kulturjournal wissen. „Eine radikale Geisteshaltung zerstört unseren Westen”3 fabulierte die Welt am Sonntag. Sogar Polit-magazine wie rbb-Kontraste recherchierten zu „Gendern: Gaga oder Gleichberechtigung?“4 und frontal21 zu „Schweig, alter weißer Mann! – Wie Identitätspolitik spaltet”5. Auch eine eigene Folge des Presseclubs6 musste her. Der Spiegel lieferte eine ganze Titelgeschichte: „Aufstand gegen den alten weißen Mann: Spaltet Identitätspolitik die Gesellschaft?”7. Fehlte eigentlich nur noch ein ARD-Brennpunkt.

Oh nein, es gibt Artikel, die die Identitätspolitik nicht gut finden. Wie können sie nur in einer freien Gesellschaft? Das müsste verboten werden! Und natürlich braucht man auch nicht wirklich auf Inhalte eingehen oder sich mit den Argumenten der anderen Seite auseinandersetzen.

Nach den rechtsterroristischen Anschlägen von Halle und Hanau, dem Mord an Walter Lübcke und dem Einzug von Rechtsextremen in sämtliche deutsche Parlamente wurde ernsthaft darüber sinniert, ob „linke Identitätspolitik” das harmonische Zusammenleben bedrohe. Und nur wenige Monate nach der “Black Lives Matter”-Debatte haben sich im Frühjahr 2021 fast alle Medien in Deutschland gefragt, ob People of Color und Schwarze Menschen mit ihrem Antirassismus nicht doch zu weit gehen.

Black lives Matter könnte mit etwas zu weit gehen? Wie kann man so etwas Schreckliches sagen??

Vielleicht haben sie sogar so etwas gesagt:

„Die Art und Weise, wie wir die Demokratie strukturieren, erfordert, dass Sie Menschen berücksichtigen, die mit Ihnen nicht einverstanden sind“, sagte er bei einer Veranstaltung der Obama-Stiftung im Rathaus in Berlin, Deutschland. „Und das bedeutet per Definition, dass du nicht 100 Prozent von dem bekommen wirst, was du willst.“ Eines der Dinge, um die ich mich manchmal bei Progressiven sorge“, fuhr er fort, „wir fangen manchmal an, ein so genanntes „Zirkuläres Erschießungskommando“ zu erschaffen, in dem du anfängst, auf deine Verbündeten zu schießen, weil einer von ihnen von der Reinheit der Dinge abgewichen ist“.

Ach nein, das war Barack Obama.

Oder sogar so etwas:

Most of us prefer to surround ourselves with opinions that validate what we already believe. You notice the people who you think are smart are the people who agree with you? (Laughter.) Funny how that works. But democracy demands that we’re able also to get inside the reality of people who are different than us so we can understand their point of view. Maybe we can change their minds, but maybe they’ll change ours. And you can’t do this if you just out of hand disregard what your opponents have to say from the start. And you can’t do it if you insist that those who aren’t like you — because they’re white, or because they’re male — that somehow there’s no way they can understand what I’m feeling, that somehow they lack standing to speak on certain matters.

Nein, auch Obama.

Genug andere Stimmen lassen sich finden, in denen Nichtweiße die Identitätstheorien angegriffen haben. Aber das sind dann wahrscheinlich in dem Moment auch wieder Weiße, weil es ja nur ein soziales Konstrukt ist.

Die Frage nach der Spaltung der Gesellschaft ist alles andere als harmlos. Sie dient dazu, die Stimmen von Feminist*innen, Schwarzen Menschen, Migrant*innen, behinderten oder queeren Menschen usw. zu delegitimieren. In rechtsextremen Foren wird schon lange gegen angeblich allmächtige, „identitätspolitische” Minderheiten gehetzt. Dass sich diese Wahrnehmungsstörung 2021 auch in bürgerlichen Medien breit gemacht hat, ist bedenklich.

Noch einmal: Keinerlei eingehen darauf, warum sie eine Spaltung sehen. Und natürlich passiert diese, wenn man Leute nach Hautfarben aufteilt und behauptet, dass die einen ohne Eingehen auf deren persönliches Verhalten am Leid der anderen schuld sind und ihnen das vorzuhalten ist und zwar unbeschränkt in der Härte des Vorwurfs.

Was Medien leisten könnten, aber nicht lieferten

2021 wurde die Chance verpasst, darüber zu diskutieren, wie wir zu einer gerechten, progressiven, diskriminierungssensiblen Gesellschaft werden. In langen Berichten oder Titelgeschichten hätten zum Beispiel Konzepte wie die Critical Race Theory, Affirmative Action und gendergerechte Sprache erklärt und diskutiert werden können. Stattdessen blieb das Niveau meist unterirdisch. Der Fokus lag auf den wabernden Wahnvorstellungen reaktionärer Gruppen. Eine in jeder Hinsicht unterirdische Debatte.

Als ob man die Debatte tatsächlich führen wollte! Schließlich wissen die Vertreter der Identitätstheorien genau, was die Wahrheit ist und sehen diese nicht als diskutierbar an.

Aber natürlich hätten sie die Vorhaltungen auch selbst als Einstieg in Diskussionen nutzen können. Selbst bei der „Preisverleihung“ verbleiben sie vollkommen an der Oberfläche.

Die Jury findet:

Die Debatte über „Identitätspolitik” in deutschen Medien 2021 war überzogen, unsachlich, polarisierend und hat rechtsradikale Erzählungen salonfähig gemacht. Deshalb gebührt ihr die “Goldene Kartoffel” und damit, herzlichen Glückwunsch, so gut wie allen Medien des bürgerlichen Spektrums, von der taz bis zur FAZ, von ARD bis ntv, von Deutschlandradio bis zum gesamten Privatfunk. Das war wirklich ein Gemeinschaftswerk.

Sauber argumentiert, wer würde da nach dieser ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Thema nicht zustimmen?

Zum Preis und zur Jury:

Vorschläge zur Nominierung für den Preis können Mitglieder aus dem bundesweiten Netzwerk der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) einreichen. Die Jury besteht aus dem ehrenamtlichen Vorstand des Vereins. Sie wählt die Preisträger*innen nach den im ersten Absatz genannten Kriterien aus.

Zu den mehr oder weniger stolzen Gewinner*innen zählen neben Julian Reichelt als ehemaligem Chefredakteur der Bild-Zeitung und den Polit-Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender auch die Clan-Berichterstattung von Spiegel TV und anderen.

Wäre dieser Blog ein „bürgerliches Medium“? Dann wären wir ja irgendwie auch Preisträger. Wäre die Frage wie dort bürgerlich definiert ist

Zur Preisverleihung:

Die „Goldene Kartoffel“ 2021 wird am 23.10.2021 live in Köln verliehen. Wem eine PM zu trocken ist, der*die kann die Preisverleihung live auf Social Media verfolgen oder die Laudatio hier nachlesen.

Falls da noch was kommt gerne in den Kommentaren.