Paula-Irene Villa Braslavsky, Genderprofessorin, hat ein FAQ zu Mythen über die Gender Studies erstellt. Ich wollte sie nach und nach hier besprechen:
Heute:
Gibt es auf dieser Welt nicht wichtigere Probleme und drängendere Fragen als die nach dem Anteil weiblicher Politikerinnen im Parlament, der Möglichkeit eines dritten Geschlechts im Geburtenregister und der Einrichtung von Unisex-Toiletten?
Mal sehe, was kommt
So viel ist sicher: Ein höherer Anteil weiblicher Politikerinnen wird keine direkte Auswirkung darauf haben, dass es Kriege in der Welt gibt, und auch die mögliche Wahl eines dritten Geschlechts wird die zunehmende Kinderarmut in Deutschland nicht ändern können. Aber das hat ja auch niemand behauptet. Gleichwohl sind politische Forderungen, die das Thema Geschlecht und Sexualität auf die Tagesordnung setzen, nicht einfach nur Wohlstandsprobleme oder Identitätsgedöns, weil sie jeweils sehr unmittelbar Verhältnisse kritisieren, die gewaltvoll sind und Leid verursachen. So steht Homosexualität in vielen Ländern nach wie vor unter Todesstrafe und auch in Deutschland sind Menschen, die der geltenden Norm in Bezug auf Geschlecht und sexueller Orientierung nicht entsprechen immer wieder Übergriffen und Diskriminierungen ausgesetzt (vgl. allgemeiner zum Thema Diskriminierung die Antidiskriminierungsstelle des Bundes http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/Home/home_node.html).
Bei dem Punkt, dass mehr weibliche Politiker keine Auswirkungen darauf haben wird, dass es Kriege in der Welt gibt, da würden sicherlich einige Feministinnen widersprechen.
Aber auch hier wird eine Frage auf eine merkwürdige Weise gestellt, die zwar tatsächliche Fragen aufgreift, dann aber den eigentlichen Kern dieser Frage nicht wirklich beantwortet.
Denn die Frage, ob es nichts wichtigeres gibt als die Einrichtung von Unisextoiletten enthält aus meiner Sicht weitere Elemente, etwa das die Anliegen in ihrer Bedeutung dort stark übertrieben werden, indem sie in etwas größeres eingebunden werden. Es sind nicht nur übereifrige Aktivisten, die sich bewußt sind, dass sie etwas eigentlich unwichtiges umsetzen, was aber trotz seiner geringen Größe wichtig ist, sondern damit werden eben größere Aktionen verbunden wie „Aufbrechen der Geschlechterrollen“ oder „Bekämpfung des Patriarchats“ etc.
Keine Möglichkeit zu haben auf die Toilette gehen zu können, weil man sowohl auf der Männer- wie der Frauentoilette Diskriminierung erfährt bzw. dort nicht reingelassen wird, ist eine leidvolle Erfahrung. Und umgekehrt gewinnen doch alle mit einer dritten Toilette mehr als sie verlieren (nicht zuletzt eine weitere Toilette). Das Problem ist jedoch auf einer allgemeineren Ebene, dass häufig verschiedene politische Anliegen fälschlicherweise gegeneinander ausgespielt werden. Dabei gehören Verteilungsgerechtigkeit und die Anerkennung von Vielfalt zusammen. Denn nicht-Anerkennung hat konkrete materielle Folgen. Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung sind häufig die Voraussetzung für die ungleiche Verteilung von Chancen aber auch von ganz materiellen Ressourcen.
Wenn die Frage formuliert wäre als
„Ist der Umbau aller Toiletten für einen sehr geringen Anteil an Leuten in der Bevölkerung, von denen ein großer Teil ohnehin sich nicht als drittes Geschlecht einordnet nicht eine Fehlallokation von Ressourcen, die nicht durchgesetzt wird, weil Leute dies brauchen, sondern weil man damit einen ideologischen Punkt machen möchte, der aus Sicht der allermeisten Menschen das dafür notwendige Geld nicht wert ist und das zielführender eingesetzt werden könnte um anderweitig belasteten Menschen zu helfen?“
Dann hätte sie vielleicht zumindest mal zu Zahlen etc Stellung nehmen können,zu den Kosten pro Person oder was auch immer, was es etwas konkreter machen würde.
Aufgabe der Gender Studies ist es in historischen, empirischen und vergleichenden Analysen aufzuzeigen, dass und inwieweit die Ausgrenzung und Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung mit grundlegenden Strukturen und mit Werten und Normen in der Gesellschaft zu tun haben.
Aufgabe von Forschung ist es erst einmal nicht ein bestimmtes Ergebnis aufzuzeigen, sondern Thesen auf einem gewissen Gebiet aufzustellen und dann zu versuchen, diese mit passenden Versuchsaufbauten und der Gewinnung von Daten zu belegen. Dabei muss auch die Ausgrenzung und Ungleichbehandlung hinterfragbar sein und zunächst belegt werden. Das steckt etwas in dem „inwieweit“ aber ihre Formulierung erinnert eher an einen politischen Auftrag und weniger einen neutralen Forschungsauftrag.
Ebenso klingt an, dass sie eher einem sozialkonstruktivistischen Ansatz hat und biologische Unterschiede in ihrer Sichtweise als mögliche Antwort eher keinen Raum haben.
Die Ausprägung dieser Ungleichheit ist durchaus unterschiedlich gewaltvoll oder relevant. Bezogen auf die Abwertung von Frauen betrifft sie beispielweise so unterschiedliche Phänomene wie den nicht nur in Lateinamerika sondern auch in Europa existenten Feminizid. Erst im November diesen Jahres meldete das Familienministerium, dass 2017 jeden zweiten bis dritten Tag eine Frau in Deutschland von ihrem “aktuellen oder früheren Lebenspartner getötet wurde” (https://www.tagesschau.de/inland/haeusliche-gewalt-giffey-101.html) (vgl. hierzu Zahlen auf https://www.europeandatajournalism.eu/ger/Nachrichten/Daten-Nachrichten/Frauenmord-in-Europa-Ein-Vergleich-zwischen-unterschiedlichen-Laendern) wie Debatten um frauenfeindliche Werbung (vgl. hierzu https://pinkstinks.de/negativ-beispiele/).
Zum Femizid und der populistischen Aussage „jeden dritten Tag“ hatte ich hier schon etwas
- „Jeden dritten Tag…“
- Ehrenmord vs Femizid
- Thomas Fischer zum „Femizid“
- Katharina Schulze zu einer Tat, bei der ein Mann 2 Frauen und drei Männer erschossen hat: Es ist ein Femizid
- „Frauenmorde 2018: Von ihren Männern getötet“ die Zeit-Liste
- Gewalt gegen Frauen weltweit
Sie scheint hier sagen zu wollen „wir machen ja auch sehr wichtige Sachen neben den Toiletten, eben Morde an Frauen“. Was ja nur Sinn macht, wenn sie eigentlich zustimmt, dass die Toiletten nicht so wichtig sind.
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Weiterführende Links:
- Gender Glossar, Univ. Leipzig
https://gender-glossar.de- Was bedeutet Gender? Von Prof. Dr. Paula-Irene Villa, LMU München
https://www.gender.soziologie.uni-muenchen.de/lehrstuhlprofil/gender-eine-soziale-tatsache.pdf- “Das akademische Geschlecht” – Eine Radiodiskussion zum (Un-)Sinn und Inhalte der Gender Studies vom Oktober 2018
https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/swr2-forum/swr2-forum-das-akademische-geschlecht/-/id=660214/did=22300912/nid=660214/1qi700u/index.html- Gender Open Repositorium; Fachliteratur der Gender Studies online lesen
https://www.genderopen.de- Gender – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft
https://www.gender-zeitschrift.de/index.php?id=start
Das sind relativ allgemeine Links, die auch deutlich machen, dass ich bei dem Ende der Reihe angekommen bin.