Hubert Ulrich zum Frauenstatut der Grünen und seiner Wahl auf Platz 1 der Liste

Ein interessantes Interview  mit Hubert Ulrich, der mit seiner Wahl auf Platz ein der saarländischen Landesliste trotz Frauenstatut für Ärger bei den Grünen sorgt (via Pfundevogel):

WELT: Herr Ulrich, in einem Schreiben von Landesgeschäftsführer Michael Kellner an den Landesvorstand heißt es, Sie sollen auf Ihren Listenplatz 1 verzichten und eine Neuaufstellung der Liste ermöglichen. Sie weigern sich. Warum?

Hubert Ulrich: Warum sollte ich? Das ist eine von den Delegierten gewählte Landesliste. Die bisherige Landesvorsitzende Tina Schöpfer ist von den Delegierten dreimal nacheinander deutlich nicht gewählt worden. Ich hingegen bin mit einer klaren Mehrheit nominiert worden, Jeanne Dillschneider hat als Gegenkandidatin deutlich weniger Stimmen erhalten. Schöpfer hatte sich nicht vernetzt, hat ihre Kandidatur im Vorfeld nicht mit den wesentlichen Ortsverbänden besprochen, sondern per Presseerklärung verkündet. Das wurde breit in der Partei diskutiert. Sie ist angetreten, obwohl ihre Kandidatur von vielen Ortsverbänden nicht getragen wurde.

Durchaus eine verständliche Sicht. Aber auch ein interessanter Einblick, welche Macht die Frauenquote auf der einen Seite bringt und wie „faul“ sie macht. Anscheinend hat die Kandidatin nicht geklärt, ob sie wirklich eine Mehrheit hat und sich auch nicht darum bemüht. Es reicht ja auch aus, wenn man keinen Gegenkandidaten hat und die einzige Frau ist, die für den Posten kandidiert, wenn man man davon ausgeht, dass keiner so frech sein wird jemand anderes als eine Frau auf diese Position zu wählen.

Es macht die Wahl dann noch viel undemokratischer und es ist auch interessant als Beispiel dafür, wie Frauen Konkurrenz ausleben und Konfrontation meiden. Wenn es tatsächlich bekannt war, dass sie bei wesentlichen Ortsverbänden nicht gut ankommt, dann hätte sich da ja durchaus eine weibliche Kandidatin nach vorne wagen könnne.

Es kann natürlich auch gemeint sein, dass sie mit seinem Ortsverband nicht zurecht kam, weil nur mit einem Platz für den Bundestag gerechnet wird und er den eben selbst haben wollte.

WELT: Aber für Ihre Wahl wurde die Pflicht, eine Frau auf Platz 1 zu stellen, aufgehoben.

Ulrich: Die Frauen haben das demokratisch mitentschieden. Es gab eine Mehrheit unter den Frauen, dass der Platz nach Bundesfrauenstatut geöffnet werden soll.

Auch das ein durchaus wichtiger Punkt, der gerne untergeht (wenn er denn richtig ist): Hier haben die Frauen ebenso nicht für die Frau gestimmt und die Frauen hätten nach dem Frauenstatut meines Wissens nach sogar noch ein Vetorecht gehabt, welches sie nicht ausgeübt haben und über welches sie wohl noch nicht einmal abstimmen wollten.

WELT: Kellner spricht von einem „Debakel“, sie sollen ihren Platz räumen. Annalena Baerbock drückte ebenfalls ihr Missfallen über die Wahl aus, sie sagte: „Wir haben uns das anders gewünscht“. Was empfinden Sie dabei?

Ulrich: Das schockiert mich. Das ist ein unglaublicher Vorgang, ins Bundeswahlrecht und in die Wahl von unabhängigen Landesverbänden einzugreifen. Das ist undemokratisch. Ich kritisiere auch Annalena Baerbock. Das ist nicht zulässig. Ich trage ihre Politik mit, aber nicht an dieser Stelle. Man kann doch einem Landesverband nicht vorschreiben, wen er zu wählen hat. Jetzt wird es als unerlaubte Handlung dargestellt, wenn eine Frau nicht gewählt wird, die offenkundig von ihrem Landesverband nicht getragen wird. Ich bin seit 40 Jahren in der Partei, aber was der Bundesvorstand da macht, habe ich noch nicht erlebt. Bei Boris Palmer gab es wenigstens eine inhaltliche Kontroverse, aber hier ist es ja durch nichts inhaltlich begründet. Auch Palmer, gegen den ja sogar ein Parteiausschlussverfahren läuft, wird von Berlin aus stark unter Druck gesetzt, das fand ich auch überzogen.

Ich denke mal hier bereitet er seine Bühne etwas vor, denn genau das könnte ja problematisch für die Grünen werden: Wenn die Wahl eines Mannes unmöglich ist, dann ist die Klausel eher unwirksam oder jedenfalls schwerer politisch zu verteidigen. Die Grünen müssen sich da überlegen, wie sie sich darstellen, sie stehen jetzt schon bezüglich der Befähigungen der „Quotenfrauen“ nicht so gut dar, wenn man jetzt jede Frau wählen muss, auch solche, die sich anscheinend nicht um Mehrheiten bemühen, dann wirkt das auf den Wähler sicherlich nicht sehr vertrauenserweckend.

(…)

WELT: Halten Sie das Frauenstatut, dass immer eine Frau auf ungeraden Plätzen gewählt werden soll, für falsch? Oder für Männer diskriminierend?

Ulrich: Nein, es ist nicht falsch. Aber das Bundesfrauenstatut ist ja eingehalten worden. Eine Frau ist dreimal nicht gewählt worden. Dann entscheidet die Wahlversammlung, wie es weitergeht. Das hat sie getan. Aber man kann schon sagen, mit dieser Regelung werden Männer diskriminiert, ja. Denn sie haben ja damit auf einige Listenplätze keinen Zugriff. Man hat eingeschränkte demokratische Rechte. Und zuvor wurde auch mit Markus Tressel in 2009, 2012 und 2017 ein Mann nominiert.

Es wäre für ihn taktisch unklug sich gegen das Frauenstatut auszusprechen, dann ist es einfacher ihn als jemanden darzustellen, der es bewußt umgehen will, während er das Bild von jemanden darstellen möchte, der sich an die Regeln hält, den Kurs generell unterstützt, nur leider war diese Frau eben die Falsche.

WELT: Erst vor Kurzem entschied das Bundesschiedsgericht, dass im Saarland auch das Bundesfrauenstatut gelten muss, zuvor war der Platz 1 offen vergeben worden.

Ulrich: Ja, aber in der Bundespolitik hat sich niemand zuvor dafür interessiert. 12 Jahre lang. Wir kriegen im Saarland, wenn wir Glück haben, einen Platz im Bundestag, den Platz 1. Das würde jetzt bedeuten, dass ein Mann keine Chance hätte.

Auch wieder ein Punkt, bei dem es ungerecht werden könnte.

WELT: Ein Vorwurf an Sie war, dass die Wahl durch viele neue Mitglieder manipuliert wurde. Ein Schatzmeister hatte 2007 einmal behauptet, 20 Prozent der Mitglieder in Ihrem Ortsverband zahlten keine Beiträge.

Ulrich: Wie soll denn eine Manipulation funktionieren? Das sind von einer Vielzahl von unabhängigen Menschen geheim gewählte Delegierte, die von ihren Verbänden im ganzen Land entsandt werden. Das ist nicht zu manipulieren. Hintergrund ist, dass unser Ortsverband Saarlouis stark gewachsen ist, von 450 auf 700 Mitglieder in drei Jahren. Das hängt aber mit der Mitgliederentwicklung der Grünen insgesamt zusammen und hat mit dem Kampf gegen ein umstrittenes Industriegebiet zu tun. Deshalb kamen viele Menschen hinzu. Jede Partei versucht doch, Mitglieder zu gewinnen. Jetzt wird uns hier Leistung vorgeworfen. Und: 95 Prozent unserer Mitglieder zahlen Beiträge.

Er, der redliche Kämpfer für die gute Sache. Und die anderen, die ihn einfach nur mit falschen Angaben runter ziehen wollen.

WELT: Sie wurden mit 95 Stimmen gewählt. Wie viele Delegierte kamen beim Parteitag aus Ihrem Ortsverband?

Ulrich: 54 Delegierte, wir sind der stärkste Ortsverband, schon immer, und stellen rund ein Drittel der Delegierten. Ich bin aber auch wahrscheinlich nicht von allen Delegierten aus Saarlouis gewählt worden. Gegner hat man immer. Ich wurde aber von Delegierten im gesamten Landesverband unterstützt.

WELT: Außerdem wurde ihnen vorgeworfen, sie seien ein „Egoist“.

Ulrich: Ein Egoist? Dann ist jeder, der kandidiert, ein Egoist. Ich habe mich einfach zur Wahl gestellt. Ist denn schon eine Kandidatur ein Egotrip?

Er hält seinen Frame sehr sauber. Jemand der einfach das macht, was man in einer Demokratie ja nun einmal machen soll: Sie zur Wahl stellen und gewählt werden. Von einer breiten Masse der Partei.

WELT: Das „Grüne Bündnis Saar“, das sich aus zehn Orts- und zwei Kreisverbänden neuformiert hat, sieht in Ihrer Wahl ein „rücksichtsloses Hinwegsetzen über das Frauenstatut“, das nicht hinnehmbar sei. Das Bündnis rief das Schiedsgericht an, um die Wahl für ungültig erklären zu lassen.

Ulrich: Wie gesagt, das Frauenstatut wurde eingehalten. Das sind die Unterlegenen, die sich nun zusammengeschlossen haben, sie akzeptieren eine demokratische Wahl nicht. Das Schiedsgericht wurde auch aus anderen Gründen angerufen. Es muss geklärt werden, ob zwei Delegierte von den Grünen Senioren und der Grünen Jugend mitstimmen durften. Es muss von Juristen geprüft werden, ob unsere Satzung stimmt. Die Schiedsgerichte müssen jetzt entscheiden.

Das könnte durchaus interessant werden. Zumal die Grünen da das Risiko haben sich selbst erheblich zu beschädigen. .