Männer, die in Teilzeit arbeiten wollen finden schwerer einen Job

Ein interessanter Artikel zu Teilzeitarbeit:

Warum arbeiten fast alle Männer Vollzeit? Zwei Erklärungen kommen infrage: Weil sie es so wollen. Oder weil sie es müssen. Ein brisantes Ergebnis liefert eine Studie der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, deren Resultate nächste Woche publik werden: Wer Teilzeit arbeitet, muss auf dem Arbeitsmarkt Nachteile in Kauf nehmen. Vor allem ist diese Benachteiligung deutlich grösser für Männer als für Frauen. Somit haben sie wenig Anreize, ihr Pensum zu reduzieren.

Der Studienautor, KOF-Ökonom Daniel Kopp, hat für die Untersuchung einen neuartigen Ansatz gewählt: Er hat die effektiven Rekrutierungsentscheide der Firmen analysiert. «Gegenüber einer herkömmlichen Befragung ist das viel exakter», erklärt Kopp. «Wenn eine Firma behauptet, dass sie Teilzeitarbeit gleichwertig behandelt, so lässt sich das in der Praxis nur schwer nachprüfen.»

Für seine Studie erhielt Kopp während zehn Monaten Zugriff auf die vom Bund betriebene Stellenplattform job-room.ch. In dieser Zeit gingen 43 000 Personalleute auf die Seite und hatten dort Einsicht in die Profile von über 200 000 Stellensuchenden.

Auf diese Weise konnte Kopp 450 000 Rekrutierungsanfragen untersuchen. Wichtig ist: Die Auswertung enthält nur solche Anfragen, die keine Präferenz für Voll- oder Teilzeit-Angestellte deklarierten. Wer explizit eine Person zu 100% suchte, wurde nicht berücksichtigt.

Das Resultat: Das Arbeitspensum hat einen erheblichen Einfluss auf die Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt. Frauen, die Teilzeit arbeiten, erhalten 10% weniger Job-Angebote. Bei den Männern allerdings ist diese «Teilzeit-Strafe» gar doppelt so gross: Ihre Auswahl an Stellen sinkt um 22%.

Das ist schon ein deutlicher Unterschied. Und wie unten dargestellt wird auch noch in gleichen Berufen.

«Es macht einen grossen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau in einem tieferen Pensum arbeiten will», sagt Ökonom Kopp. «Offenbar sind die traditionellen Geschlechterrollen auf dem Arbeitsmarkt noch immer tief verankert.»

Zwar beteuert die Wirtschaft regelmässig, Teilzeitler seien gleichgestellt. Man wolle zudem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Doch im Einzelfall stellen die Firmen eben doch lieber jemanden zu 100% ein. Was manche Patrons nur hinter vorgehaltener Hand äussern, bringt der selbständige Firmensanierer Urs Bürge auf den Punkt: «Teilzeitmodelle führen oftmals zu Problemen: Sie erfordern zusätzlichen Aufwand und erschweren die reibungslosen Abläufe.»

In der Tat ist eine Vollzeitstelle für den Arbeitgeber in vielen Fällen einfacher, und das gerade bei qualifizierteren Jobs. Einfach weil derjenige mehr Arbeitserfahrung sammelt, den ganzen Tag über für Rückfragen zu etwa einem bestimmten Projekt zur Verfügung steht, für Mitarbeiter und für den Kunden, weil man weniger Planen muss um eine Besetzung aller wichtiger Stellen hinzubekommen etc.

Bürge betreut Unternehmen in Krisensituationen. «Wenn es hart auf hart geht, habe ich eine klare Präferenz zugunsten der Vollzeit.» Allerdings, ergänzt er, gelte dies vor allem für kleinere Betriebe: «In einem KMU kommt es auf jeden Einzelnen an – Grosskonzerne dagegen sind flexibler.»

Großkonzerne haben eher mehr Personal und können einen Ausfall besser ausgleichen. Auch das Vorhalten passender Büros kann zu einem Problem werden. Wer 10 Mitarbeiter in Teilzeit hat, braucht evtl 10 Büros, wer hingegen 5 Mitarbeiter in Vollzeit hat nur 5.

Diese Vorliebe der Firmen für Vollzeitjobs hat allerdings einen Haken. Denn sie trifft primär die Männer. Bei den Frauen fällt die «Teilzeit-Strafe» deutlich geringer aus. Dazu hat die KOF-Studie bemerkenswerte Zahlen: Wenn eine Frau 90% statt 100% arbeiten will, so sinken ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt um lediglich 2%. Bei einem Mann jedoch hat die gleiche Reduktion des Pensums zur Folge, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Stellenangebot um 17% abnimmt.

Auch hier wieder ein deutlicher Unterschied. Wobei eine 90% Stelle ja noch ein geringer Abzug ist.

Hier eine Grafik aus dem Artikel:

Teilzeit Unterschiede Männer Frauen

Bei Vollzeit hätte der Mann also eine etwas höhere Wahrscheinlichkeit, Bei unter 50% gleichen sich die Abzüge wieder an. Aber bei bis 50% ist die Frau etwa 16%, der Mann aber bei etwa 28%.

Daniel Kopp führt diese Divergenz darauf zurück, dass in den Firmen nach wie vor klare Stereotypen in Bezug auf die Geschlechter herrschen. «Wenn eine Frau Teilzeit arbeitet, wird dies auf ihre familiäre Belastung zurückgeführt. Bei einem Mann dagegen wird eher unterstellt, dass er beruflich weniger engagiert sei.»

Bei einer Frau wird es erwartet. Bei einem Mann wirft es Fragen auf. Vielleicht auch schlicht das Gefühl, dass ein Mann, der sich da seiner Frau „unterordnet“ schon mal nicht den richtigen Biss haben kann. Wobei es ja genug andere Gründe geben könnte. Etwa das er eben die Kinder nach Trennung erhalten hat etc.

Ein wesentliches Detail zur Studie: Die Abweichung zwischen den Geschlechtern bezieht sich stets auf die gleiche Berufskategorie. Dass Teilzeitarbeit in typischen Frauenberufen wie dem Verkauf stärker verbreitet ist, hat somit keinen Einfluss auf das Ergebnis.

Ein wichtiger Hinweis, denn sonst wäre der Aussagegehalt sehr gering.

Die Studie zeige, dass die Gleichstellungsdebatte auch für Männer relevant sei, sagt Adrian Wüthrich, Präsident des Gewerkschaftsdachverbands Travail Suisse. Er höre regelmässig, dass von Männern höhere Pensen erwartet werden. «Ein typisches Beispiel ist der Job in einem Staatsbetrieb, ausgeschrieben für 80 bis 100%. Eine Frau und ein Mann sind in der Endrunde: Sie erhält die Stelle mit 80% – bei ihm jedoch wird ein 100%-Pensum erwartet.»

Natürlich ist sie auch für Männer interessant. Allerdings nicht in dem Sinne, dass das „Patriarchat auch Männern schadet“. Sondern in dem Sinne, dass sie eigene Ansprüche geltend machen können und müssen.

Wüthrich kritisiert, das fixe Rollenbild in der Wirtschaft benachteilige Väter, die bei der Kindererziehung gleichberechtigt mithelfen wollen. «Gleichzeitig hindert es die Frauen daran, im Beruf Karriere zu machen und einen ebenbürtigen Lohn zu erzielen.» Gemäss einer repräsentativen Erhebung von Pro Familia finden sechs von zehn Väter, sie seien zu wenig verfügbar in ihrer Familie. Zudem sagen vier von fünf Bankangestellten, dass sie konkret über Teilzeit nachdenken, wie eine Umfrage der Organisation männer.ch ergeben hat.

In der Praxis allerdings läuft es genau umgekehrt: Ledige Frauen und Männer haben im Durchschnitt praktisch das gleich hohe Arbeitspensum von rund 85%. Kommt aber ein Kind dazu, so erhöhen die Väter ihren Beschäftigungsgrad. Bei den Müttern hingegen sackt das Pensum ab, auf zunächst 40%.

Soziologen der Universität Freiburg haben untersucht, wie sich die Teilzeitarbeit auf die Zufriedenheit auswirkt. Dabei sind sie ebenfalls auf einen Geschlechtergraben gestossen: Frauen sind deutlich glücklicher mit ihrem reduzierten Pensum als Männer.

Woher kommt dieser Unterschied? Teilzeitmänner vergleichen ihre Situation nicht mit den entsprechenden Frauen, sondern mit den männlichen Kollegen, die dank Vollzeit besser im Beruf vorankommen und mehr verdienen. «Je stärker sich jemand von der dominanten Norm seines Geschlechts entfernt, desto schlechter wird die eigene Zufriedenheit eingeschätzt», lautet das Fazit der Studie.

Wer hätte es gedacht: Intersexuelle Konkurrenz um Status ist ein relevantes Element im Verhalten der Leute.

Er halte Teilzeit für ein zweischneidiges Schwert, sagt Simon Wey, Chefökonom beim Arbeitgeberverband. «Einerseits ist es besser, Teilzeit zu arbeiten, als gar nicht. Auf der anderen Seite aber wollen die Unternehmen die Arbeitskräfte natürlich mit möglichst hohen Pensen im Betrieb einbinden.»

Zwar sei eine Karriere mit reduzierten Pensum noch immer die Ausnahme, räumt Wey ein. «Doch je nach Branche hat die Digitalisierung klare Fortschritte ermöglicht.» Der Ökonom spricht aus eigener Erfahrung: Trotz 80%-Pensum hält er eine Kaderposition.

Es kommt eben sehr auf den Betrieb an, aber warum sollte man auch jemanden befördern, der in Teilzeit arbeitet? Die Vollzeitkraft bringt sich üblicherweise mehr ein und die meisten Beförderungsstellen sind eben auch in Teilzeit nicht zu schaffen.

Anpassungsfähigkeit brauche es von beiden Seiten, ergänzt Wey: «Dass man auch bei Abwesenheit zwischendurch eine Mail beantwortet, gehört dazu.» Der zunehmende Mangel an Fachkräften habe jedoch zur Folge, dass die Mitarbeitenden eine stärkere Verhandlungsposition erreichen. Laut KOF-Studie weisen Männer, die sich auf einen Teilzeitjob bewerben, durchaus ebenbürtige Qualifikationen vor – ihre Ausbildung ist im Schnitt sogar leicht besser.

Dennoch verdienen sie eher schlechter.

Studienautor Daniel Kopp betont, eine Beseitigung der «Teilzeit-Strafe» würde die Gleichstellung der Geschlechter fördern. «Wenn Männer voll auf den Beruf setzen, haben sie weniger Möglichkeiten, Aufgaben in der Familie zu übernehmen. Das verhindert eine gerechtere Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit.»

Die aber viele auch gar nicht „gerecht“ im Sinne von gleich verteilen wollen. Eben aufgrund verschiedener Zielsetzungen etc.

Noch immer investieren Frauen 50% mehr Zeit in die Hausarbeit als Männer, wie die jüngste Statistik des Bundes ergeben hat. Bei Eltern mit Kindern leisten Mütter pro Woche 17 Stunden an zusätzlicher unbezahlter Arbeit. Somit bleiben die Geschlechterrollen auch in der Familie klar getrennt. Viele Paare sind glücklich mit dieser klassischen Aufteilung. Jene aber, die mehr Gleichheit anstreben, haben nach wie vor hohe Hindernisse zu überwinden.

Und diese Hindernisse bestehen eben nicht nur für Frauen.

 

vgl auch: