Selbermach Mittwoch

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Many Shades of Gender (17): Die GS sind ideologisch, nicht wissenschaftlich. Das hat der jüngste Publikationsskandal (peer review Skandal 2018) doch deutlich gezeigt.

Paula-Irene Villa Braslavsky, Genderprofessorin, hat ein FAQ zu Mythen über die Gender Studies erstellt. Ich wollte sie nach und nach hier besprechen:

Heute:

Die GS sind ideologisch, nicht wissenschaftlich. Das hat der jüngste Publikationsskandal (peer review Skandal 2018) doch deutlich gezeigt.

Erstaunlicherweise hatte ich, wenn ich nicht etwas übersehen hatte, zu der Aktion gar keinen Artikel, so dass es sich nunmehr doppelt anbietet diese Aktion noch einmal zu besprechen.

Mal sehen, was sie sagt:

Drei US-Amerikaner_innen, James A. Lindsay, Peter Boghossian und Helen Pluckrose, publizierten Anfang Oktober 2018 auf einem Portal ihre Erfahrung mit der absichtsvollen Veröffentlichung von nonsense-Aufsätzen in möglichst angesehenen Fachzeitschriften der Gender und anderer ‘studies’. Die drei Autor_innen hatten die explizite Absicht‚ “to study, understand, and expose the reality of grievance studies, which is corrupting academic research” (https://areomagazine.com/2018/10/02/academic-grievance-studies-and-the-corruption-of-scholarship/), d.h. von ihnen so bezeichneten Jammer- oder Beschwerde-Studien sollten ob ihres ideologischen Gehalts überführt und dabei deren schädliche Wirkung auf das ganze Wissenschaftssystem gezeigt werden. Die Veröffentlichung erregte eine relativ große Aufmerksamkeit und schien für viele Kritiker_inner der Gender Studies der endgültige Beweis, dass es den Gender Studies an Wissenschaftlichkeit mangelt. Dabei ist die Studie in Bezug auf die Gender Studies weniger aussagekräftig als viele denken:
Die Autor_innen schrieben über einen längeren Zeitraum 20 Paper, die sie versuchten in hochrangigen Journals zu veröffentlichen. Dies gelang ihnen nur bedingt: insgesamt wurden bis zur Bekanntgabe ihrer Unternehmung 7 Paper angenommen, und dies meist in weniger etablierten bzw. unseriösen ‘pay-to-publish’ Journals (das sind sich wissenschaftlich gerierende Zeitschriften, in denen Wissenschaftler_innen für die Publikation ihrer Texte selber zahlen. So wird Qualitätskontrolle untergraben oder ganz umgangen. Es gibt solche fake oder mindere Journals in so gut wie allen Disziplinen. Für die Physik: https://phys.org/news/2017-03-publish-schemes-rampant-science-journals.html). Dass selbst diese 7 Paper trotz offensichtlicher Mängel veröffentlicht wurden, und zwar in einigen wenigen Fällen in tatsächlich hoch renommierten Zeitschriften der Gender Studies, verdeutlicht durchaus bestehende Probleme im wissenschaftlichen Publikationsbetrieb. Das ist ein ernsthaftes Problem, das auch die Gender Studies betrifft.

Hier noch einmal die Darstellung in der Wikipedia

Sokal Squared (im Englischen auch Grievance Studies affair, deutsch etwa „Sokal[-Affäre] im Quadrat“) bezeichnet eine Kontroverse um Qualitätsstandards in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Drei US-amerikanische Autoren haben von 2017 bis 2018 unter wechselnden Pseudonymen insgesamt 20 Hoax-Artikel bei akademischen Zeitschriften eingereicht,[1] um deren Peer-Review-Praxis zu testen. Die Bezeichnung, zurückgehend auf einen Beitrag von Yascha Mounk,[2][3] hebt ab auf die Sokal-Affäre aus dem Jahr 1996.[4]

Nach Aussage der Urheber – James Lindsay, Peter Boghossian und Helen Pluckrose – entstand ihr Projekt aus Sorge um die Korruption einiger Teile der Wissensproduktion in den Vereinigten Staaten.[5] Die Affäre ist auch unter dem Begriff Grievance Studies (deutsch etwa „Misstand-Studien“) bekannt.[6]

Zum Zeitpunkt des frühzeitigen Bekanntwerdens des Projektes im Oktober 2018 waren von den 20 eingereichten Artikeln vier bereits veröffentlicht und drei weitere zur Veröffentlichung angenommen. Sechs der Artikel wurden zurückgewiesen und sieben weitere waren noch im Review-Prozess.

Da zeigt sich schon einmal, dass in dem Artikel etwas geschummelt wurde. Da steht, dass von 20 Artikeln 7 angenommen worden sind, was richtig ist, aber es steht eben nicht da, dass noch sieben weitere im Review Prozess waren, also möglicherweise noch durchgekommen wären (oder zurückgewiesen worden wären)

Einer der Artikel (Nr. 1 in der Tabelle unten) wurde vom veröffentlichenden Fachblatt wegen seiner exzellenten Qualität besonders geehrt.[7] Dem Projekt vorangegangen war die Veröffentlichung eines Hoax-Artikels mit dem Titel The conceptual penis as a social construct, in dem die Autoren in der Tradition des radikalen Konstruktivismus argumentieren, dass der Penis des Menschen mit einer performativen toxischen Maskulinität gleichzusetzen sei und in enger Verbindung mit dem Klimawandel stehe:

“A change in our discourses in science, technology, policy, economics, society, and various communities is needed to protect marginalized groups, promote the advancement of women, trans, and gender-queer individuals (including non-gendered and gender-skeptical people), and to remedy environmental impacts that follow from climate change driven by capitalist and neocapitalist overreliance on hypermasculine themes and exploitative utilization of fossil fuels.”

„Ein Wandel in unserem Diskurs in den Naturwissenschaften, der Technologie, der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft sowie in verschiedenen Communities ist notwendig, um marginalisierte Gruppen zu beschützen, das Vorankommen von Frauen, Trans- und Gender-Personen (inkl. sich keinem Geschlecht zugehörig Fühlender und Gender-Skeptikern) voranzubringen, und um den Problemen Abhilfe zu schaffen, die aus dem Klimawandel folgen, der von der kapitalistischen und neo-kapitalistischen Überabhängigkeit hypermännlicher Motive sowie der ausbeutenden Nutzung fossiler Brennstoffe vorangetrieben wird.“
– Jamie Lindsay & Peter Boyle (Pseudonyme)[8]

Die 20 Artikel wurden absichtlich mit haarsträubenden Thesen formuliert, um zu testen, ob eine gewisse Wortwahl und Haltung ausreiche, um in teils führenden Journals (wie Hypatia in den Gender Studies) Artikel platzieren zu können. So behaupteten die Autoren etwa, das Verhalten von Hunden in verschiedenen Hundeparks untersucht und mit der Analyse von 10.000 Hundepenissen angereichert zu haben. Sie seien dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass es dort eine Vergewaltigungskultur (rape culture) gäbe, die einer menschlichen vergleichbar sei, und dass das Verhalten von Männern folglich wie bei einer Hundedressur geändert werden könne und müsse.[4] Andere Artikel behandeln eine feministische Lesart von Hitlers Mein Kampf (Nr. 7) oder behaupten, Männer könnten und sollten durch das anale Einführen von Gegenständen ihre Homo- und Transphobie verringern (Nr. 3).[7] Im Sinne der Transparenz haben die Urheber einen Google-Drive-Ordner freigegeben, auf dem sich eine Selbstbeschreibung ihres Projektes, Pressefotos, die eingereichten Paper sowie die einzelnen Rückmeldungen der Peer Reviews finden.

Und das ist eben auch etwas was zu kurz kommt: Es wurde eben gerade versucht so absurde Studien zu produzieren, dass sie kein normaler Mensch veröffentlichen würde, die aber gleichzeitig die „richtige Botschaft“ hatten, also etwa „Männer böse, Frauen gut“ oder „Rape Culture bestätigt“. Das trotz dieser Absurdität überhaupt von den bisher geprüften 13 Studien 7 durchgekommen sind, also mehr als die Hälfte, sollte den Gender Studies peinlich sein.

Noch peinlicher sollte den Gender Studies sein, dass sie diesen Betrug nicht selbst aufgedeckt haben, sondern ein Twitter Account, der blödsinnige, aber peer reviewte Studien veröffentlicht, davon ein sehr hoher Anteil aus den Gender Studies, die Studien entdeckte und ihnen damit wegen ihrer Absurdität eine hohe Aufmerksamkeit bescherte, bei der auffiel, dass es die Autoren nicht gab.

Allerdings gingen die drei Autor_innen weit über diese sinnvolle Kritik hinaus: Denn der Nachweis schludriger Peer-Review und mangelnder Qualitätskontrolle bei pay-to-publish Journals macht nicht zwangsläufig einer Aussage über die generelle Fachdisziplin, in der die Hoax Paper verordnet wurden und sogar nicht einmal über andere Paper in denselben Journals. Dieser logische Fehlschluss wirft ein Licht auf weitere Schwächen des Studiendesigns.

Ich würde sogar zustimmen, dass damit die Gender Studies nicht „wissenschaftlich widerlegt“ werden können.  Es ist aus meiner Sicht weitaus eher ein Projekt, dass weniger für die Wissenschaft als für die öffentliche Meinung gedacht war und da hatte es natürlich seinen Erfolg.

Theoretisch können auch in einem Wissenschaftsbereich in dem einige unglaublich schlechte Studien veröffentlicht werden, sehr gute Studien vorhanden sein. Und das gerade bei einer These über eine rein soziale Begründung der Geschlechter, die weitaus mehr Raum für Interpretationen und Mutmaßungen bietet.

Die Gender Studies kann man auf anderer Weise wissenschaftlicher angreifen, was ja auch gemacht wird. Aber hier werden sie eben der Lächerlichkeit preisgegeben, was in dem Kampf um die öffentliche Meinung das höhere Gewicht haben kann als etwa eine detailierte Beschreibung der Wirkung pränataler Hormone.

Die ‚Grievance Study‘ folgt selbst nicht den wissenschaftlichen Standards, die sie vorgeblich für unabdingbar hält. Die Unwissenschaftlichkeit der sogenannten ‚Grievance Studies‘ ist mitnichten bewiesen. Dafür basiert das Ganze auf zu viele resultatverzerrende Formen (verschiedene Journaltypen, Peer Review System, Publikationsindustrie). Um zu beweisen, dass es sich hier um ein disziplinspezifisches Problem handelt, hätte es in der Studie selbst eine Kontrollgruppe in anderen Disziplinen geben müssen (so u.a. Richardson hier https://www.buzzfeednews.com/article/virginiahughes/grievance-studies-sokal-hoax).

Welche Disziplin würde sich denn für eine Kontrollgruppe für eine Studie über eine Rape Culture bei Hunden anbieten? Was kommt der Verrücktheit dieses Ansatzes in anderen Disziplinen gleich?

Vielleicht wäre als Disziplin der Bereich der Evolutionsbiologie interessant gewesen, mit irgendeiner verrückten Selektionstheorie, aber das ist ja häufig schwieriger als viele Kritiker meinen.

Ich würde im übrigen einen „Hoax Versuch“ in dem Bereich durch Gender Studies Anhänger voll befürworten. Mal sehen ob was durchkommt, was nur annährend si verrückt ist wie die Hunde Rape Culture.

Man müßte vielleicht mal  Joan Roughgardens Studien  durchschauen, ihren Büchern nach zu urteilen.

Im Übrigen hat es in der Geschichte vieler Disziplinen ähnliche Hoax Paper gegeben: u.a. in der Mathematik, der Physik, Chemie und IT. Überhaupt haben derzeit insbes. die experimentellen Disziplinen mit einer seit Jahren andauernden ‘Replikationskrise’ https://www.nzz.ch/wissenschaft/physik/fallstricke-der-statistik-die-wissenschaft-in-der-replikationskrise-ld.86330) zu kämpfen, d.h. viele Ergebnisse sind nicht reproduzierbar, nicht wenige scheinen geschönt oder gefälscht. Die medienwirksame Anprangerung der vermeintlichen disziplinspezifischen Missstände der ‚Grievance Studie‘ blendet diese Problematiken bewusst aus.

Wie gesagt, ich sehe die Beweiskraft auch nicht als so hoch auf wissenschaftlicher Ebene an.

Abschließend lässt sich sagen, dass wissenschaftliche Kritik gut und nötig ist. Die Aufdeckung von Problemen in der Wissenschaftspraxis sind berechtigt und wichtig und sollten ernsthafte Lösungsansätze zur Folge haben. Auch inhaltliche bzw. Methodenkritik hat ebenso ihren Platz wie die Kritik an ideologisierter Wissenschaft. Studien hingegen deren erklärtes Ziel es ist, eine Disziplin zu delegitimieren sind genau das, was sie vorgeben nicht zu sein: unwissenschaftlich und ideologisch.

Aber immerhin musste man darauf reagieren. Auf genug andere wissenschaftliche Angriffe wird eben nicht reagiert. 

Aber ein netter Spin. Das die Gender Studies auch eigentlich alles, was nicht ihrer Meinung ist, delegitimieren wollen, wird da eher verschwiegen.

Zum Weiterlesen:

https://ethxblog.blogspot.com/2018/10/sokal-on-steroids-why-hoax-papers.html
https://www.pressreader.com/germany/neues-deutschland/20181027/281582356621186
https://slate.com/technology/2018/10/grievance-studies-hoax-not-academic-scandal.html

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