Gibt es die Cancel Culture nur, wenn man dagegen machtlos ist?

Ein Bericht im Spiegel zur „Lage am Morgen“ fasst die Neuigkeiten zusammen und berichtet dabei auch über die Kandidatur von Maaßen und die Einschaltquoten von ja-Josef Liefers:

Die Unterstützer Maaßens – und vermutlich auch Maaßen selbst – sehen in der Aufregung über dessen Kandidatur vor allem eins am Werk: die sogenannte »Cancel Culture«. Sie hält angeblich das ganze Land im Griff und führt dazu, dass man nichts mehr sagen dürfe. Und das ist ja auch ganz offensichtlich: Die angeblichen Opfer dieser »Cancel Culture« werden derart mundtot gemacht, dass sie – im Fall von Maaßen – beispielsweise für Bundestagsmandate nominiert werden.

Ein anderes prominentes Beispiel ist der Schauspieler Jan-Josef Liefers, der sich an der Aktion #allesdichtmachen beteiligte, und dafür derart »gecancelt« wird, dass er seit Tagen unablässig von Medien interviewt wird und auf Titelseiten landet – und gestern natürlich wieder im »Tatort« spielte. Die Ineffektivität dieser »Cancel Culture« ist atemberaubend. Fast könnte man den Eindruck bekommen, dass »Cancel Culture« eine geschickte rhetorische Figur der Selbstviktimisierung ist, die als Karrierebooster in manchen Kreisen sehr gut funktioniert. Aber darf man so etwas überhaupt noch sagen?

Mir geht es dabei nicht um die zwei Fälle im Einzelnen, mir geht es um die Cancel Culture und ihr (teilweises) Bestreiten in linken Kreisen.

Denn das dort verwendete Argument ist aus meiner Sicht ein ziemlicher Strohmann. Es wird gerne in der Hinsicht gebraucht, dass eine Cancel Culture etwas ist, gegen das man sich dann nicht wehren können kann, dass also sicher dazu führt, dass man „gecancelt“ wird und damit ist jedes „überleben“ dann ein Beleg, dass es so schlimm ja nicht sein kann. 

Dieser Strohmann wird dann jedesmal erfolgreich widerlegt, wenn jemand den entfachten Shitstorm aushält und seinen Job behält bzw einigermaßen aus der Sache heraus kommt. 

Es ist ein Strohmann, weil der Begriff der Cancel Culture an sich keinen immer bestehenden Erfolg oder eine fehlende Möglichkeit der Gegenwehr beeinhaltet. Es beschreibt vielmehr eine Situation erheblichen sozialen Drucks, der aufgrund einer Meinung nicht nur gegen denjenigen, der eine unliebsame Meinung geäußert hat ausübt, sondern gleich sein Umfeld mit einbezieht und eine Distanzierung von diesem einfordert mit der Drohung ansonsten auch gegen den Arbeitgeber, Freunde, Familie etc vorzugehen. 

Derjenige soll quasi ein Ausgestoßener sein, alle sollen sich von ihm distanzieren und nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten, weil ihnen sonst auch droht ausgestoßener zu sein. 

Eine Cancel Culture lässt damit häufig keine Diskussion zu, weil man mit Ausgestoßenen nicht diskutieren kann, sonst würde man sie wieder einbeziehen. 

Das ein Shitstorm und der Versuch des Ausstoßens mitunter nicht gelingt ist dabei eine ganz andere Sache, sie widerlegt an sich nicht, dass erst einmal ein erheblicher Druck aufgebaut wird, um es zu versuchen und das dann Leute ohne den passenden Mut davon abgeschreckt werden und versuchen, sich von der beanstandeten Handlung wieder zu distanzieren um die Ausstoßung zu beenden. 

Eine Cancel Culture kann insbesondere auch eine Gegenkultur hervorrufen, bei der Leute in kleinerer oder größerer Zahl deutlich machen, dass sie diesen Ausschluss gerade nicht wollen und statt dessen diese Person bewusst hervorheben oder auf andere Weise fördern oder einbeziehen. Eine Cancel Culture kann auch nur von einem Teil versucht werden, aber diese sind damit (außerhalb ihrer eigenen Gruppe) nur bedingt erfolgreich. 

In beiden Fällen, bei Maaßen und Liefers, wurde natürlich versucht sie zu Ausgestoßenen zu machen. Teilweise war das erfolgreich, aber eben nicht erfolgreich genug um Liefers sofort als Tatortkommentar abzusetzen. Wie sich seine Karriere in der Hinsicht entwickelt wird man sehen. Um so weniger, wenn die Einschaltquoten stimmen. Bei Maaßen hat es weitaus eher geklappt, er ist für viele jemand, von dem man sich fernhält und der zu meiden ist. Inwieweit er jetzt eine weitere politische Karriere macht oder ob dies eher auf den Osten begrenzt ist, ist eine weitere Frage