Fatina Keilani

Die Journalistin Fatina Keilani legt sich gerade mit der intersektionalen Bubble an.

Wenn Weiß-Sein zum Makel gemacht wird

 Aus der Mission „Rassismus bekämpfen“ haben einige Debattenteilnehmer zudem inzwischen ein privates Geschäftsmodell gemacht: sei es als Buchautorin, Ex-Journalist und Buchautor, Talkshow-Dauergast oder twitternde Vierfachmutter.

Denkt man sich das Thema Rassismus weg, etwa in der Annahme, dass diese Menschen hauptberuflich einem Tagesgeschäft nachgehen, dann bleibt nichts übrig. Es ist ihr Tagesgeschäft – das Anprangern ihrer Benachteiligung, das gezielte Suchen nach Belegen für allgegenwärtigen Rassismus, und wenn es nur so ist, dass jemand etwas zu ihren Haaren gesagt hat.

Die erwähnte Vierfachmutter forderte Weiße kürzlich auf Twitter auf, auf Jobs zu verzichten, „die rein weiß besetzt sind“, sonst seien sie keine „Ally’s“. Sie meint wohl „Allies“, also Verbündete. Das ist im Grunde Erpressung und markiert insoweit eine neue Stufe. Mit der Methode steht sie nicht alleine da.

Verlangt wird: Weiße sollen ihre Privilegiertheit als Makel anerkennen und dafür Buße tun. Geschieht das nicht freiwillig, dann eben mit moralischem Druck. Von ihrer moralischen Überlegenheit sind die Missionare der öffentlichen Meinung völlig überzeugt. Und deshalb können selbst jene Weißen, die reinen Herzens und guten Willens sind, nichts richtig machen.

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Nun lautete der Vorwurf: kulturelle Aneignung! Diese Weiße verhöhne das Leid der Schwarzen, von dem sie eigentlich keine Ahnung habe und das sie sich nicht zu eigen machen dürfe, praktisch reiße der Unterdrücker nun auch noch das Leid, das er selbst erzeugt habe, an sich. Dabei war die Frau aus redlichen Motiven gekommen: Sie wollte gegen Rassismus demonstrieren.

Weiße dürfen es aber nicht richtig machen, denn dann bliebe der Empörungsnachschub aus und das schöne Geschäftsmodell wäre kaputt. Dabei übersehen die – sich marginalisiert fühlenden – Ankläger, dass sie sich auf diese Weise auch selbst ausgrenzen, indem sie keine Gleichberechtigung für sich anstreben, sondern eine Sonderstellung, die sie unangreifbar macht.

Was ich erlebte, als ich über Antirassismus schrieb

In dem Text, einer Kolumne im Ressort Meinung, versuchte ich im Wesentlichen zwei Punkte zur Diskussion zu stellen:

Ich äußerte die Vermutung, dass die Art, wie antirassistisches Engagement derzeit läuft, nur wenigen nützt. Vor allem denen, die damit ihr Auskommen sichern. Während es die vielen anderen, die von Rassismus betroffen sind, nicht weiterbringt, sondern im Gegenteil verhindert, dass Menschen unbefangen mit ihnen umgehen können, weil sie immer befürchten müssen, gleich wieder in eine Falle zu laufen.

Dazu griff ich auch noch den Vorwurf der „kulturellen Aneignung“ auf, der gegen eine weiße Frau erhoben worden war, die in Berlin gegen Rassismus demonstriert hatte.

Meine zweite These war, dass viele, die sich marginalisiert fühlen, für sich eine Sonderrolle beanspruchen, und dass dies dazu führt, dass sie ihre eigene Gleichstellung behindern. Das brachte mir den Vorwurf der Täter-Opfer-Umkehr ein.

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In meinem Text schreibe ich, dass man es aus Sicht der Antirassisten als Weißer nicht richtig machen kann. Sie finden immer etwas, das nicht geht. Mir warfen sie nun vor, ich sei ein „Token“. Überhaupt musste ich einige neue Vokabeln lernen. Ein „Token“ ist ein Migrant, der im Establishment angekommen ist.

In meinem Weltbild ist das eine gute Sache, wenn Migranten in der Gesellschaft ankommen. In dem Weltbild meiner neuen Gegner jedoch nicht, ein Token hat sich nämlich sozusagen selbst versklavt, durch Überanpassung an die Unterdrücker, das ist natürlich schlecht. Aber was ist denn dann gut? Ausgegrenzt sein ist schlecht, aber drin sein – ist auch schlecht? Ein Token arbeite an seiner eigenen Unterdrückung mit, hieß es. Ich fühle mich aber nicht unterdrückt, sondern frei.

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Diese meinungsstarke Gruppe ist eine Gefahr für die Pressefreiheit, davon bin ich inzwischen überzeugt. Sie ist bestens in den Redaktionen vernetzt und entwickelt ungeheure Diskursmacht, mit der sie tief in die öffentliche Meinungsbildung eingreift.

Da Meinungsvielfalt und der Wettbewerb um die besten Ideen die Grundlage für den Erfolg der Demokratie bilden, ist sie auch eine Gefahr für die Demokratie. Irritiert hat mich, dass auch Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Sender hierbei mitmachten. Journalisten sollen in alle Richtungen Distanz halten, das ist meine Überzeugung. Sie dürfen keine Aktivisten sein.

Die Eiferer auf Twitter halten sich für die besseren Menschen, sind dabei aber gnadenlos intolerant. Ich kann mir jetzt vorstellen, dass Autoren sich einen Text wie meinen eher verkneifen, um sich Ärger zu ersparen.

(…)

Wer sich mit den Antirassisten verbündet, ist ein „Ally“. Manche geißeln sich selbst für ihr Weißsein. Zu erleben ist auch eine neue Form der Rassenkunde. Es gibt die unterschiedlichsten Klassifizierungen von Hautfarbe und Diskussionen darüber, wer wen wie nennen darf. Es gibt auch Klassifizierungen nach Sozialisation. Wer Jahrhunderte der Benachteiligung durch Kolonisation hinter sich hat, ist ein top Opfer. Auch sonst, je unterdrückter, desto besser im Opfer-Ranking. Wer es im Leben gut hatte, hat es hier plötzlich schlecht, wegen Privilegien.

Es läuft immer auf „die“ und „wir“ hinaus, die Unterdrücker und wir Geknechteten, wobei lebhaft darum gerungen wird, wer wozu gehört. Ich denke: Ihr macht euch auch selbst zu Sklaven.

„Kümmer’ dich doch einfach nicht drum!“, will ich ihnen zurufen. Guck mal, du liegst gar nicht in Ketten. Wieso ist es wichtig, von irgendwem anerkannt zu werden? Wessen Support kann deine Wunde heilen, die du so öffentlich zur Schau trägst? Das kannst du nur selbst. Mach einfach dein Ding. Es gibt ja auch viele erfolgreiche Menschen mit nichtweißer Hautfarbe, die diesen Weg gegangen sind.

Oder mache ich es mir damit zu einfach? Vielleicht habe ich nicht genug Schlimmes erlebt? Es geht hier auch um Identitätskonstruktion. Gar nicht so einfach, positiv zu bestimmen, wer man ist. Es ist viel einfacher, dies durch Abgrenzung von anderen zu tun.

Erwiderungen dazu:

Schwarz, lesbisch, arm – Jackpot? (Stokowski im Spiegel)

Menschen würden sich über Rassismus beschweren, dabei sollten sie eigentlich froh und dankbar sein, dass sie immer noch diskriminiert werden, denn daraus ergibt sich doch das »schöne Geschäftsmodell« des Kampfes gegen Rassismus. Demnach müssten allerdings schwarze, lesbische, alleinerziehende Frauen, die womöglich noch trans und arm und behindert sind, hierzulande zu den Reichsten gehören, weil sie quasi den Jackpot an Diskriminierung hätten.

Das alles ist im Grunde eine Neuauflage des Vorwurfs von vor etwa neun Jahren, dass Frauen ein »Opfer-Abo« hätten – ein Begriff, der zu Recht zum »Unwort des Jahres 2012« gekürt wurde. Nun sollen es also von Rassismus betroffene Menschen sein, die das »Opfer-Abo« haben und damit fleißig verdienen. Interessant. Wenn ich die Schlagworte »Rassismus« und »Geschäftsmodell« in mein bescheidenes Gehirn eingebe, fällt mir als Erstes ein, dass in unserem Parlament eine Partei sitzt, deren Hauptgeschäft Rassismus ist und deren Abgeordnete wir alle mit unseren Steuern bezahlen.


Was genau soll der Vorwurf sein, wenn Menschen Bücher über Rassismus schreiben und damit Geld verdienen? Sollten diese Leute ihre Arbeit kostenlos anbieten? Verrückt, aber das tun sie bereits: Viele der Menschen, die in Büchern oder Talkshows über ihre Rassismuserfahrungen sprechen, tun dies auch in sozialen Medien, ohne dafür Geld zu bekommen.

Netter Strohmann – es geht nicht darum, das sie mit dem Thema Geld verdienen. Es geht darum, dass sie damit Geld verdienen ein Thema auszuschmücken und überall Rassismus oder Sexismus zu sehen. Um ein Aufblähen des ganzen. Darum, dass sie immer eine neue Diskriminierung finden müssen und diese anprangern müssen als wäre es ein riesen Skandal. 


Um es für diejenigen zu sagen, die es nicht wissen: Mit Twittern verdient man kein Geld. Außer man twittert für einen Auftraggeber, der dafür bezahlt, also beispielsweise, wenn man die Social-Media-Kanäle einer Firma bespielt. Auf Instagram kann man Geld von Firmen bekommen, wenn man Werbung für ihre Produkte macht, das sind dann aber üblicherweise Badebomben und kein Antirassismus. Wenn eine Autorin einen Twitteraccount hat, dann kann sie damit zwar Aufmerksamkeit für ihre Arbeit, ihre politischen Anliegen, ihre Selfies und Witze erzeugen, sie wird aber auch, wenn sie Antirassistin ist, eventuell einen hohen Preis dafür zahlen, denn öffentlich präsente, linke Frauen werden nicht selten mit Gewalt bedroht. Diese Gewaltandrohungen können Betroffene nicht nur Zeit, sondern auch sehr viel Geld kosten: Kosten für eine Anwältin, für Sicherheitsvorkehrungen, Honorarausfälle im eigentlichen Beruf.

„Mit Twitter verdient man kein Geld“ ist auch sehr kurz gedacht – man verdient indirekt Geld, weil man seine Bekanntheit erhöhen kann, sich vernetzen kann, die eigenen Aussagen mit mehr Followern mehr Gewicht haben etc. 

„Funfact: Wenn es Menschen, die in sozialen Medien über ihre Rassismuserfahrungen schreiben, tatsächlich ums Geld ginge, dann könnten sie spätestens ab einer mittelhohen fünfstelligen Followerzahl auf Instagram direkt mit diesen Themen aufhören, denn mit einem solchen Account wäre es auch möglich, als Influencer_in ein ordentliches vierstelliges Monatsgehalt zu erwirtschaften, indem man ein- bis zweimal die Woche eine Handcreme oder einen Wasserfilter bewirbt“

Fünfstellig reicht da meines Wissens nach nicht aus, aber gut. 

.Diskriminierte Gruppen bestehen aus Individuen
Aber Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, kämpfen gegen diese Diskriminierung nicht an, weil es besonders einträglich wäre, sondern weil sie ihnen und anderen das Leben schwer macht. Diskriminierte Gruppen sind üblicherweise froh und dankbar, wenn sich Leute von außerhalb für sie einsetzen – aber nicht egal, auf welche Art: Nicht alles, was man in guter Absicht tut, um eine diskriminierte Gruppe zu unterstützen, kommt auch wirklich gut an. Das liegt daran, dass diskriminierte Gruppen aus Individuen bestehen.

Geiles Argument von jemanden, dessen Ideologie jeden Individualismus ablehnt. 

Wenn Sie als nichtjüdischer Mensch nach einem antisemitischen Anschlag Ihre Solidarität ausdrücken wollen und dazu eine Kippa aufsetzen, dann wird es jüdische Menschen geben, die »Danke« sagen, und solche, die sagen: »Was soll das, nimm das Ding ab!« Wenn die Solidarität ernst gemeint ist, hört man darauf, was kritisiert wird. Wenn es nur Eitelkeit war und der Versuch, möglichst heldenhaft auszusehen, dann reagiert man gekränkt. So entstehen dann auch Schlussfolgerungen wie die, dass weiße Menschen sowieso nicht gegen Rassismus kämpfen können. Umgekehrt ist es richtig: Nur wenn weiße Menschen sich ändern, wird Rassismus weggehen.

Doch wer Rassismus nicht für ein ernsthaftes Problem hält, wird immer etwas daran auszusetzen haben, wenn Leute gegen ihn vorgehen, ob sie es in Büchern, Talkshows oder Tweets tun. Jasmina Kuhnke hat auf den Artikel, in dem sie angegriffen wurde, in einem Blogbeitrag geantwortet: »Solange die weiße Mehrheitsgesellschaft nicht anerkennt, dass unser System strukturell rassistisch ist, macht es keinen Sinn, in freundlich angepasstem Ton darum zu bitten, sich die Vormachtstellung weißer Privilegien bewusst zu machen.« Und auch ein anderer Autor, der über Rassismus schreibt, schrieb eine Antwort – Hasnain Kazim, der auch mit Freude zugibt, mit seinem Buch über rassistische Kommentare Geld verdient zu haben: »Nun, dazu kann ich nur mit einigem Stolz sagen: Mir ist tatsächlich gelungen, woran die Menschheit bisher gescheitert ist – nämlich aus Scheiße Gold zu machen.« Er wird, wie viele andere, regelmäßig beschimpft und bedroht und antwortet darauf das einzig Richtige: »Gegen solch einen Rassismus kann man nicht nur, sondern muss man professionell vorgehen. Solange es professionelle Rassisten gibt – einige davon sitzen im Deutschen Bundestag –, braucht es unbedingt professionelle Antirassisten.«

Auch das geht meines Erachtens an der Sache vorbei. Denn Antirassist ist ja auch nicht gleich Antirassist. Und schon gar nicht muss man dazu dann ebenfalls Leute angreifen und ultraautoritäre Strukturen aufbauen.

Offener Brief an Tagesspiegel:

Nun haben 70 Schwarze Frauen und nicht-binäre Menschen der Initiative Black Womxn Matter einen offenen Brief an den „Tagesspiegel“ verfasst, in dem sie der Chefredaktion entgegenhalten, dass es „auf redaktioneller Kontrollebene im Meinungsressort offenbar an Qualifikation fehlt, rassistische Argumente sauber zu identifizieren, und es an Verantwortungsbewusstsein mangelt, wie sehr solche Artikel rassistische Strukturen belegen. Hier zeigt sich ein Bildungsbedarf.“

Eine Verfasserin des Briefs ist die Sängerin und Moderatorin Achan Malonda. Sie sieht in den Artikeln eine „unterkomplexe Sicht und mangelndes Wissen“. Inhaltlich seien die Artikel „eine inkohärente Aneinanderreihung von Ressentiments“, wenn zuerst davon die Rede sei, dass aus Antirassismus ein Geschäftsmodell gemacht werde, um daraus im zweiten Schritt eine Bedrohung für die Pressefreiheit abzuleiten, unterstreicht die Künstlerin. Für sie steht fest: Solche Beiträge sind „gefährlich, weil offenbart wird, dass man gar nicht weiß, worüber man redet, aber man hat trotzdem eine Meinung“.

Journalisten sollten sich über Kontext, Konnotation und Sprache bewusst sein, so die Sängerin. Gleichzeitig gehe sie nicht davon aus, dass Keilani ihre Artikel geschrieben habe, „um von ganz weit rechts Applaus zu bekommen“, so Malonda. „Aber genau das ist passiert, weil ihr Text total vage formuliert ist. Gleichzeitig hat er auf unterschiedliche Art und Weise Menschen, die von struktureller Diskriminierung betroffen sind, verletzt und befremdet.“

Malonda schlägt daher vor: „mehr Diversität in den Redaktionen, Schulungen, Antirassismus-Workshops, sich selbst weiterbilden – ganz, ganz wichtig –, aber auch mehr Empathie und intellektuelle Neugier wären sehr gut“. Außerdem merkt sie an, dass das Hauptproblem in Deutschland darin liege, dass „antirassistischer Theorie mit einer Art Gefühligkeit begegnet wird“. Doch eigentlich gehe es um Strukturen, in denen jeder – bewusst oder unbewusst – Teil ist. Hinzu komme, dass „Antirassismus auch wissenschaftlich und Theoriearbeit ist“. Doch werde dies nicht anerkannt, es gebe dafür kein Bewusstsein, unterstreicht Malonda.

„Unsere Theorien sind richtig, alle anderen haben sich nicht genug informiert und keine Ahnung, wie kann man so etwas gefährliches zulassen wie eine andere Meinung“. 

Und natürlich „Antirassismus ist wissenschaftlich und Theoriearbeit“. 

Auf Twitter findet man jede Menge weitere Ausraster und es gibt auch weitere  Artikel