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Tag: 2. Dezember 2020
CDU-Abgeordnete von Frauenquote überrumpelt?
Über Arne bin ich auf einen Artikel in der NZZ gekommen, in dem es darum geht, dass viele CDU-Politiker mit der nun mehr in der großen Koalition vereinbarten Frauenquote nicht einverstanden sind:
Dass sich die deutschen Regierungsparteien darauf geeinigt haben, einen Frauenanteil in den Vorständen grosser Unternehmen vorzuschreiben, missfällt vielen in der Unionsfraktion. Dagegen aufzubegehren, hätten sich aber nur wenige getraut, sagt ein CDU-Abgeordneter
Lange Zeit standen deutsche Christlichdemokraten und Christlichsoziale Frauenquoten ablehnend gegenüber, sowohl was die Politik als auch was die Wirtschaft betrifft. Unternehmen bei der Besetzung ihrer Vorstände entsprechende Regelungen vorzuschreiben, wäre CDU und CSU noch vor wenigen Monaten als Sünde wider den Geist der sozialen Marktwirtschaft erschienen.
Es passt auch eigentlich nicht wirklich zu der CDU, die sich immer als wirtschaftsnah und konservativ entstanden hat.
Die Zeiten ändern sich, und sie ändern sich rasch: Im Frühjahr scheiterte ein Gesetzentwurf, der grossen Unternehmen derartige Vorgaben gemacht hätte, noch am Widerstand der beiden Unionsparteien. Vor zwei Wochen einigte sich schliesslich eine Arbeitsgruppe der drei Regierungsparteien CDU, CSU und SPD auf eine Regelung, wonach börsenkotierte und der paritätischen Mitbestimmung unterliegende Unternehmen, deren Vorstand mehr als drei Personen umfasst, mindestens ein weibliches Vorstandsmitglied haben müssen; in der deutschen Öffentlichkeit wird die Regelung häufig als «Vorstandsquote» bezeichnet, tatsächlich handelt es sich um eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestbeteiligung.
Die beiden sozialdemokratischen Ministerinnen Franziska Giffey (Familie) und Christine Lambrecht (Justiz) haben sich damit durchgesetzt. Der christlichdemokratische Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der sich im Frühjahr noch gegen den entsprechenden Gesetzentwurf ausgesprochen hat, steht nun ebenso hinter der Einigung wie der bayrische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder.
Ich finde es interessant, dass sich Politiker viel davon versprechen. Denn den meisten Frauen dürfte es relativ egal sein, ob Frauen in Vorstandspositionen sind, für ihr tägliches Leben ändert sich dadurch nichts. Will sich Söder einen weniger konservativen Anstrich geben? Oder was genau steckt dahinter?
Dass die Union innert relativ kurzer Zeit langjährige Grundsätze aufgibt, ist in der Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel zum bekannten Muster geworden. In der Bundestagsfraktion von CDU und CSU herrscht dennoch ein gewisser Unmut über die Einigung von vorletzter Woche. Die Gegner der «Vorstandsquote» seien von den Befürwortern vor vollendete Tatsachen gestellt worden, klagt ein CDU-Abgeordneter: «Wir wurden regelrecht überrumpelt.»
Das könnte dann auch wieder Merz einen gewissen Auftrieb geben, da er eben für eine konservativere Richtung steht und die CDU eher auf „alte Pfade“ zurückführen würde. Die Basis zu sehr zu ignorieren ist immer eine gefährliche Sache.
Viele Gegner der Vorlage hätten sich in der entscheidenden Fraktionssitzung allerdings auch nicht zu Wort gemeldet: «Man will sich nicht ins Aus schiessen, wenn es um die Besetzung von Posten geht.» Das Ziel der Fraktionsführung sei es, den Boden für eine schwarz-grüne Koalition nach der nächsten Bundestagswahl zu bereiten. Dem werde alles untergeordnet, meint der Abgeordnete. Zwar betreffe die geplante Regelung nur wenige Firmen, doch der Vertrauensverlust unter den Stammwählern der Union sei nicht zu unterschätzen: «Bei uns ist nichts mehr sicher, die Wähler sehen keine roten Linien mehr.»
Das ist auch einmal eine interessante Aussage: Es könnte nach den momentanen Umfragen eben tatsächlich sein, dass es eine neue „Große Koalition“ gibt, dann eben nicht CDU/SDP sondern CDU/Grüne, allerdings mit einem deutlicheren Grünenanteil als man das gedacht hätte. Damit das möglich ist, müssten aber in den Grünen die Realos passende Posten besetzen oder die CDU noch weiter nach links rutschen. In beiden Fällen eine gefährliche Sache für beide Parteien: Viele Stammwähler werden die linkere CDU eh schon kritisch sehen und viele linke Stammwähler könnten dann erneut von den Grünen enttäuscht sein.
In der momentanen Zerstückelung der Parteienlandschaft bleibt aber wohl auch kaum etwas anderes als eine Koalition und die FDP wird für die CDU nicht reichen und mit der AFD kann sie nicht zusammen regieren.
Mit den rechtlichen Fragen, die durch ein entsprechendes Gesetz aufgeworfen würden, beschäftigten sich nur wenige, sagt Jana Schimke, CDU-Abgeordnete aus Brandenburg und Co-Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU und CSU. «Was passiert, wenn plötzlich der Finanzvorstand eines Unternehmens nicht mehr besetzt werden kann, weil keine geeignete Frau da ist?»
Das werden sicherlich spannende Fragen werden. Wobei die großen Unternehmen ja weltweit anheuern können. Aber es wirft in jedem Fall spannende verfassungsrechtliche Fragen auf.
In der Fraktion, so meint Schimke, sei die Stimmung gemischt. In ihrer Partei seien jüngere Frauen tendenziell gegen die «Vorstandsquote», ältere dagegen eher dafür. Früher seien Quoten ein Thema für Frauenkreise gewesen, erklärt die 41-Jährige. Viele jüngere Frauen in der Union wollten dagegen keine Vorteile aufgrund ihres Geschlechts geniessen, sagt Schimke, obschon es in dieser Hinsicht auch Ausnahmen gebe.
Das ist immer eine interessante Sache: Die jüngeren sind meist in den „bürgerlicheren“ Parteien dagegen, weil sie meinen, es aus eigener Kraft schaffen zu können. Die älteren haben schon resigniert und sehen ein, dass man Frauen nicht aus eigener Kraft dazu bekommt, dass sie im gleichen Maße in der Politik tätig sind.
Seine beiden Töchter stünden erfolgreich im Berufsleben und wollten ausschliesslich anhand ihrer Leistungen beurteilt werden, sagt Hans Michelbach, CSU-Abgeordneter aus Franken und Vizechef des Parlamentskreises Mittelstand. Die «Vorstandsquote» sei ein klarer Eingriff in die Autonomie der Unternehmen, das unterscheide sie von der seit 2015 geltenden «Aufsichtsratsquote», die börsenkotierten und der Mitbestimmung unterliegenden Firmen vorschreibt, dass das zahlenmässig geringer vertretene Geschlecht, in den meisten Fällen die Frauen, mindestens 30 Prozent der Aufsichtsräte stellen müsse.
In der Tat ist Aufsichtsrat etwas anderes als die Unternehmensführung. Auch wenn man da sicherlich zur not noch eine mit durchschleppen kann, selbst wenn sie nicht so ideal ist. Aber da wird sicherlich ein Streit drum entstehen, ob das ein zu großer Eingriff ist.
Trotz allen Bedenken rechnen Schimke und Michelbach damit, dass die «Vorstandsquote» am Ende kommt: «Man wird versuchen, die Quote noch bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode durchzuboxen», sagt Michelbach, also bis zum Herbst 2021. Viele in der Unionsfraktion schätzten die Tragweite des Entscheids falsch ein, meint er: «Die ‹Vorstandsquote› ist doch nicht das eigentliche Ziel. Sie ist lediglich der Einstieg, um immer stärker in die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen eingreifen zu können.»
Erst seien die grossen Konzerne dran, dann die grossen Mittelständler, erklärt Michelbach. Er rechne damit, dass eine Umsetzung der «Vorstandsquote» zu einer Flut rechtlicher Auseinandersetzungen führen werde: «Wenn das Leistungsmerkmal auf der Strecke bleibt, wird das Unruhe in die Betriebe tragen. Die Quote ist ganz sicher eine Arbeitsbeschaffungsmassnahme für Anwältinnen und Anwälte.»
Es bleibt also spannend.
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