Meinungsfreiheit an deutschen Hochschulen

Mitm hat mir in den Kommentaren etwas Arbeit abgenommen und etwas zu der Studie geschrieben, die anführt, dass dort einige für erhebliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind:

Gestern hat Genderama einen FAZ-Artikel über eine neue Studie über mangelnde Meinungsfreiheit an Hochschulen verlinkt.
Der FAZ-Artikel folgt wieder mal der Unsitte, die besprochene Studie nicht anzugeben. Ich habe dann zuerst einen Preprint auf researchgate.net gefunden und später das „offizielle“ Papier:

https://link.springer.com/article/10.1007/s11577-020-00713-z Is Free Speech in Danger on University Campus? Some Preliminary Evidence from a Most Likely Case
Matthias Revers, Richard Traunmüller

KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 72, pages 471-497

Inhaltlich faßt der FAZ-Artikel das Papier recht gut zusammen, ich spare mir hier eine Wiederholung.

Es lohnt aber trotzdem (wenn man sich die Zeit nimmt), in die Studie selber hineinzusehen. Im ersten Drittel gibt sie eine sehr gute und gut lesbare Übersicht über Meinungsunfreiheit an Hochschulen, inklusive einer langen Liste von Vorfällen an deutschen Hochschulen.

Die Schwierigkeiten, Intoleranz gegenüber anderen Meinungen zu messen, werden recht gut erklärt. Intoleranz und Versuche, andere Meinungen zu unterdrücken, hängen eng mit den eigenen Grundwerten zusammen. Deshalb stellt sich Intoleranz je nach ideologischer Orientierung verschieden dar. Deshalb kommt man mit den falschen Fragen (z.B.: Sollte ein Dozent mit Meinung [strittiger Standpunkt] an einer Uni auftreten dürfen?) zu völlig falschen Einschätzungen der Offenheit.

Die Originalpublikation weist zwar darauf hin, daß die konkreten Anteile intoleranter Studenten (ferner Beispiele für Dozenten) nur für die Sozialwissenschaften in Frankfurt gelten. Die Zahlen sind sehr hoch (30 – 50 % je nach Thema und Art des Cancelns). Wenn man nun bedenkt, daß heute an den Unis i.d.R. mehr als die Hälfte der Studenten aus dem resgionalen Umfeld kommen, wo sie aufgewachsen sind, die Uni also nicht wegen ihres Images gewählt wurde, dann ist es wenig plausibel, daß in Frankfurt nur eine Negativselektion der intolerantesten Studenten herumläuft. Daher ist es ziemlich wahrscheinlich, daß an vielen anderen Standorten 10 – 20 % intolerante Studenten herumlaufen. Je nach der Aggressivität von deren Auftreten reicht aber auch ein Anteil von ca. 10 % aus, um das Meinungsklima zu dominieren.

Das ist vielleicht das größte Defizit der Studie von Revers und Traunmüller: Soweit ich sie verstanden habe, werden zwar Haltungen und damit indirekt Grundwerte abgefragt, wes bleibt aber unklar, wie lautstark und radikal man diese Haltungen öffentlich vertritt und damit das Meinungsklima beeinflußt.

Hier noch mal die Zusammenfassung in der FAZ:

Die Befragung von knapp tausend Studenten überwiegend aus dem linken Spektrum brachte den alarmierenden Befund, dass ein beträchtlicher Anteil von Studenten mit anderen Meinungen nicht konfrontiert werden will. Ein Drittel bis die Hälfte der Befragten sind dagegen, Redner mit abweichenden Meinungen zu den am meisten umstrittenen Themen Islam, Geschlecht und Zuwanderung an der Hochschule zu dulden. Noch höher ist der Anteil derer, die solchen Personen keine Lehrbefugnis geben würden, wiederum ein Drittel will ihre Bücher aus den Bibliotheken verbannen. Nun kann man über Aussagen wie die, dass es zwischen Männern und Frauen biologisch begründete Begabungsunterschiede gebe oder dass der Islam mit europäischen Werten nicht kompatibel sei, unterschiedlicher Meinung sein, aber dafür muss man zum Streit bereit sein.

Die Toleranz für andere Ansichten war unter den sich als links bezeichnenden Studenten deutlich geringer als im konservativen Spektrum. Groß ist auf beiden Seiten die Bereitschaft, sich als Opfer zu fühlen. Ein Drittel der Befragten klagte über Konformitätsdruck bei politisch umstrittenen Themen und gab an, die eigene Meinung in solchen Fällen zurückzuhalten oder nur mit Unbehagen zu äußern.

Was sagt ihr zu der Studie?