Veronica Kracher hat in Incel-Foren recherchiert und darüber ein Buch geschrieben. Die jetzt interviewed sie:
jetzt: Für dein Buch hast du zahlreiche Incel-Foren analysiert. Wie hast du die Recherche dazu erlebt?
Veronika Kracher: Am Anfang war es sehr erschreckend und irritierend, da man ja sowohl mit einer Menge gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit als auch mit einem erschütternden Selbsthass konfrontiert wird. Incels sprechen davon, dass niemand sie jemals lieben könne und bezeichnen sich selbst als „Untermensch“ oder „Abschaum“. An die Vergewaltigungsfantasien gewöhnt man sich irgendwann, man stumpft da leider aus Selbstschutz ab. Einige Sachen, vor allem sexuelle Gewalt gegen Kinder, verstören jedoch nachhaltig. Da ich selbst Erfahrungen mit schweren Depressionen und Suizidalität habe, sind Texte, in denen Incels ihren Selbsthass oder Suizid thematisieren, stellenweise relativ belastend, da sie an schlechten Tagen meine eigene Depression triggern. Andererseits macht mich deren Selbsthass auch wütend, da sie durch ihre Ideologie gewissermaßen selbst an ihrem Leid Schuld sind, aber Frauen dafür verantwortlich machen: Dieser Selbsthass geht in der Regel mit Frauenhass einher, da die Erlösung vom Leid „Sexlosigkeit“ und somit eine Glückserfahrung an weibliche Zuwendung geknüpft wird, man Frauen jedoch gleichermaßen abspricht, diese einem Incel entgegen bringen zu können.
Vielleicht wäre es ganz interessant eine Abgrenzung zumindest in Deutschland zwischen „Incels“ und „AbsolutenBeginnern“ zu machen: Der Incel-Begriff würde dann für die gelten, die sich in Hass hinein steigern und der AbsoluteBeginner-Begriff für die, die zwar auch unfreiwillig sexlos sind, aber es eben gerade nicht in Hass umschlagen lassen.
Den der Incel-Begriff erscheint mit einfach zu verbrannt.
Zweifellos gibt es aus meiner Sicht genau solche, wie dort beschriebenen, es zeigen sich gewisse Überschneidungen mit dem Teil der MGTOW-Bewegung, die auch in Frauenabwertung umgeschlagen sind. Vielleicht sollte man sie als „Incel-MGTOWs“ bezeichnen.
Interessanterweise ist es ja ein sehr ähnlicher Mechanismus wie er auch andere Identitätstheorien befeuert: Auf der einen Seite die benachteiligten Männer, auf der anderen Seite die privilegierten Frauen, die einfach den Sex zurückhalten. Und der Gedanke, dass sie, weil sie in dieser privilegierten Situation sind eben die schlechten sind, und zwar als Gruppe.
Man hat einen Sündenbock und genau wie in linken Identitätstheorien muss man nicht an seinen Problemen arbeiten, etwa besser flirten lernen, sondern kann alle Schuld bei anderen abladen, auch wenn man sich damit in eine selbstverschuldete Hilflosigkeit bringt, weil die anderen um so weniger Grund sehen sich auf einen einzulassen.
Wie können wir uns einen durchschnittlichen Incel vorstellen?
Laut einer Umfrage des Forums incels.co stammen knapp 60 Prozent der User aus der Mittelschicht, 33 Prozent zählen sich zur „Lower Class“, der Rest zur Oberschicht. Die Mitglieder der Subkultur sind recht jung, laut der besagten Umfrage sind 68,2 Prozent der Befragten unter 25 Jahre alt, davon rund ein Drittel 18 bis 21 Jahre alt. Das schlägt sich auch in den Beschäftigungsverhältnissen nieder: Mehr als die Hälfte der User ist laut Selbstangabe Schüler oder Student, 30 Prozent gehen einer Lohnarbeit nach, etwas mehr als 20 Prozent spricht von sich als „NEET“, also „Not in employment, education or training“. Die Incel-Community ist mitnichten eine weiße Community, nur knapp über die Hälfte ist weiß. Ungefähr 45 Prozent der Nutzer stammen aus den USA und Kanada, 40 Prozent aus Europa. Wie viele davon aus Deutschland stammen, lässt sich schwer sagen, da die Boards größtenteils englischsprachig sind. Dies ist jedoch lediglich der Überblick aus dem Forum incels.co und stellt nur deren Community dar.
Das fettmarkierte wäre ja für intersektionale Theorien wieder interessant: Reagieren da schwarze Männer nur auf den Rassismus und prangern zurecht an, dass Frauen nicht mit ihnen schlafen, eben weil diese Rassisten sind?
Was sind typische Hauptcharakteristika eines Incels?
Incels hängen der sogenannten „Blackpill“-Theorie an. Diese besagt, dass quasi die einzige Diskriminierungsform unserer Zeit der sogenannte „Lookismus“ ist, also die Unterdrückung aufgrund von unattraktivem Aussehen. Vor der sexuellen Revolution und dem Feminismus sei die Welt nach dem Prinzip des „Looksmatching“ aufgebaut gewesen: einem Mann war eine Frau seines „Attraktivitätslevels“ garantiert. Der Feminismus habe Frauen jedoch die freie Partnerwahl ermöglicht. Da alle Frauen von Natur aus hypergam, triebhaft und oberflächlich seien, begnügen sie sich laut der Theorie nun nicht mehr mit ihrem „Looksmatch“, sondern wollen alle nur mit „Chads“, ein Begriff, der Klischeezeichnungen von Gym-Bro-Männlichkeit umschreibt, schlafen. Diese machten ungefähr zwanzig Prozent der männlichen Bevölkerung aus, glauben Incels. Und naja, deshalb bleiben keine Frauen für die armen Incels mehr übrig – obwohl ihnen der Sex doch eigentlich zustehen sollte! Der ist für Incels nämlich ein Grundrecht wie Nahrung oder Wasser.
Ist das eine dort verbreitete Theorie? Ich könnte es mir durchaus vorstellen. Auch hier vielleicht interessante Theorien zu „fatshaming“ und dem Gedanken, dass alle Frauen hübsch sind. Oder den Theorien, dass es Transfeindlich ist, nicht mit einer Transperson Sex haben zu wollen etc.
Ich denke, dass die „hypergamy“ in dem Bereich überschätzt wird. Natürlich haben hübschere Männer bessere Chancen auf dem Markt, auch und gerade für Sex. Schönere Frauen auch. Bei Männern wirkt sich zusätzlich aus, dass Männer üblicherweise für Sex einfach recht offen sind und nichts gegen wechselnde Sexpartner haben. Das macht den Markt für hübsche Männer noch günstiger bzw für Frauen, die einfach so Sex haben wollen. Sie können eben recht einfach einen hübschen Mann finden, der Sex mit ihnen hat. Wobei ich es nicht so sehen würde, dass man als schlechter aussehender Mann keine Chancen hat. Genug Frauen sehen auch schlecht aus und suchen in ihrer Schönheitsklasse. Aber da sehen sich dann wahrscheinlich viele Incels (im schlechten Sinne) auch als „zu gut“ an als das sie dann mit den „hässlichen“ Frauen Sex haben wollen
Was folgt aus dieser Logik?
Dass Frauen Incels den Sex verweigern und lieber mit Chads schlafen, ist für sie eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. So rechtfertigen Incels ihren Frauenhass, der stellenweise bis in den Femizid und den frauenfeindlichen Terrorakt, wie dem 1989 am polytechnischen Institut in Montréal, bei dem 14 Studentinnen getötet wurden, reicht.
Gewaltphantasien und Hass können einem innerhalb der richtigen Gruppe in einer Identitätstheorie eben auch viel Unterstützung und einen gewissen Status geben. Das ist das gefährliche daran.
Warum haben diese Männer denn keinen Hass auf die „Chads“?
Den gibt es durchaus, zum Beispiel sprach Alek Minassian (der 2018 bei einem Attentat in Toronto 10 Menschen tötete und 16 verletzte, AdR) davon „alle Chads und Stacys zu stürzen“, da Chads einem die Frauen ja „wegnehmen“. Dieser geht jedoch immer mit Neid und Bewunderung einher: Man will selbst die Rolle eines Chads einnehmen. Deswegen verschreiben sich zahlreiche Incels dem sogenannten „Looksmaxxing“, also der Verbesserung des Aussehens durch Sport, Mode oder plastische Chirurgie.
Elliot Rodgers war ja auch besessen von seinem Aussehen und den „besseren Männern“, den „Chads“, die die hübschen Frauen abbekommen. Es passt in dieses Weltbild, dass sie Pickup ablehnen und statt dessen eine vermeintlich leichte Lösung wie plastische Chirurgie favorisieren, die dann wahrscheinlich für die meisten zu teuer ist, so dass es wieder ungerecht ist. Es ist, wenn man selbst nichts ändern will, immer gut, dass der Erfolg unerreichbar ist, aber nur, weil die „Böse Gruppe“ die Anforderungen so ungerecht hoch setzt. Man kann ja nichts dafür, dass man kein Chad ist.
Weiß man, woher das Phänomen der Incels kommt?
Bei Incels fallen der gesellschaftlich ohnehin präsente Frauenhass und patriarchales Anspruchsdenken, die Vereinzelung und Entfremdung des Individuums im Neoliberalismus, und das Internet als Echokammer zusammen. Junge Männer erfahren, dass sie hegemonialen Ansprüchen von Männlichkeit sowie sexuellem und finanziellem Erfolg nicht genügen. Aber anstatt das System und seine Auswirkungen auf das Subjekt in Frage zu stellen, verlagern sie ihren Selbsthass in Form der autoritären Revolte auf Frauen, die sind nämlich prädisponiertes Feindbild und etablierter Sündenbock. Und online bestätigt man sich dann selbst in diesem Denken.
Junge Männer erfahren insbesondere, dass sie den Anforderungen von (jungen) Frauen nicht genügen. Ich finde es erstaunlich, dass man das so ganz außen vor lässt. Sie erleben, dass sie von Frauen nicht akzeptiert sind, sie würden gerne Erfolg bei Frauen haben und am liebsten ohne sich verändern zu müssen.
Aber natürlich ist es das patriarchale System, wenn man Erfolg beim anderen Geschlecht haben will.
Natürlich verkennen sie, was sie falsch machen und in der Tat suchen sie Sündenböcke um sich der Verantwortung nicht stellen zu müssen und ihr Selbstbild zu erhalten. Natürlich weichen sie auch intrasexueller Konkurrenz aus und flüchten sich in Scheinwelten.
Aber erst einmal ist das Problem, dass Frauen sie nicht wollen.
Bleiben wir hier mal bei der konkreten Verknüpfung von Incel-Ideologie und Feminismus: Wie verhält es sich da?
Incels sind, wie andere maskulinistische Gruppen auch, eine regressive Reaktion auf den Feminismus. Anstatt zu realisieren, dass Kritik am herrschenden Geschlechterverhältnis auch Männern zugute kommen könnte, da herrschende Geschlechtervorstellungen auch Jungen und Männern gegenüber immensen psychischen Schaden zufügen, bekämpft man lieber im Männerbund gemeinsam diese „aufmüpfigen Weiber“. Selbst Incels, die ja immer wieder betonen, dass sie darunter leiden, keine „Chads“ zu sein, würden niemals auf die Idee kommen, diese herrschenden Vorstellungen von Männlichkeit oder das Patriarchat zu hinterfragen; letztendlich profitieren sie durch die Abwertung von Frauen doch mehr, als sie unter toxischen Männlichkeitsvorstellungen leiden. Und für solche Männer gibt es nichts Schlimmeres, als einer Frau ähnlich oder ihr gar solidarisch gegenüber zu sein; die Frau muss immer wieder durch Sexismus und Misogynie „zur Frau gemacht“ werden, wie Simone de Beauvoir schon vor siebzig Jahren konstatiert hat.
Ein recht einfaches Bild. Insbesondere weil sie ja Männer beneiden, die mit der „herrschenden Vorstellung von Männlichkeit“ sehr gut bei Frauen ankommen. Sie müssen Männlichkeit nicht wirklich hinterfragen, sie verstehen durchaus, dass Männlichkeit und auch körperliche Männlichkeit sehr gut bei Frauen ankommt. Sie verstehen aber auch nicht, was sie falsch machen und wie ihre Einstellung sie in der Tat unattraktiver macht und sie sich selbst schaden.
Es ist interessant, dass der Aspekt, dass Frauen gewisse „toxische Männlichkeiten“ durchaus sehr mögen, da so vollkommen unterschlagen wird.
Wie entscheidend ist dabei die Opfer-Rolle, die sich die Incels selbst zuschreiben?
Diese Täter-Opfer-Umkehr dient als Mittel, die eigene Gewalt zu legitimieren. Dies haben wir nicht nur bei Incels, sondern bei autoritären Bewegungen generell. Zum Beispiel sah sich der Attentäter von Christchurch weniger als rassistischer Terrorist, sondern als jemand, der die weiße Rasse vor der sogenannten „Umvolkung“ rettet. Incels sehen sich als Opfer einer widernatürlichen feministischen Gesellschaft, die ihnen das eigentlich naturgegebene Recht auf Sex verwehrt. Es sind laut ihnen die Frauen, und diese sogenannte „feministisch-jüdische Gesellschaft“, die im Unrecht sind. So rechtfertigt man das eigene Handeln: Man sei einer der wenigen Erleuchteten, und man habe die Aufgabe, die Welt aufzuwecken. Deswegen auch die Manifeste, die solche Männer hinterlassen: Man will aufzeigen, dass man ein Held, ein Messias, die reaktionäre Avantgarde ist, ein Soldat für eine in deren Augen richtige Welt.
Auch hier wie in anderen Identitätstheorien auch „erleuchtete“, die die Privilegierung der Frauen und die Unfairheit der Welt, die ihnen etwas vorenthält, erkannt hat. Auch hier in gewisser Weise SJWs, nur finden sie eben andere Privilegierungen bekämpfenswert.
Wie können es Incels schaffen, aus der eigenen Opfer-Rolle auszusteigen, also aufzuhören, Incels zu sein?
Ich habe in meinem Buch ein Kapitel, das sich ausschließlich mit dem Ausstieg aus der Szene beschäftigt. Es gibt auf Reddit ein Subreddit namens „IncelExit“, auf dem ausstiegswillige Incels um Rat suchen, andere User*innen geben ihnen Tipps und Hilfestellungen. Dass es dieses Subreddit gibt, zeigt aber auch auf, dass man diese Szene nicht so einfach verlassen kann; sie weist durchaus Strukturen eines Kultes oder einer Sekte auf. Was jedem einzelnen ausstiegswilligen Incel angeraten wird, ist die Therapie: Eine Szene, die ihren Mitgliedern permanent vermittelt, sie seien es, beispielsweise aufgrund fehlender Attraktivität, nicht wert, jemals geliebt zu werden, und die nur ein toxischer Sumpf ist, fügt langfristigen psychischen Schaden zu. Alleine schon deshalb sollte man darauf achten, dass Freunde, Söhne, oder Brüder nicht in diese Szene abrutschen – von der potentiellen Gewalt, die sie anderen antun könnten, ganz zu schweigen.
Ich würde auch jedem dazu raten aus einer so toxischen Weltsicht herauszukommen, wobei das wahrscheinlich sehr schwierig ist, wenn man sich da erst einmal reingedacht hat.
vgl auch:
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