Corona-Impfstoff

Es soll einen Corona-Impfstoff geben, der in Test gute Ergebnisse zeigt. Das stimmt grundsätzlich hoffnungsvoll für ein schnelleres Ende der Corona-Krise.

Gleichzeitig hört man auch in Gesprächen viele Unsicherheiten: Es ist zwangsläufig ein relativ unerprobter Impfstoff. Wie sicher ist er und was sind eventuelle Gefahren?

Ich habe schon häufiger gehört, dass viele durchaus froh sind nicht zur „ersten Reihe“ zu gehören, also die, die wegen besonderer Wichtigkeit zuerst geimpft werden sollen, weil der Impfstoff nicht für alle reicht.

Wie seht ihr das?

Politik und junge Leute: Was interessiert sie?

Ein interessantes Interview dazu, was „junge Leute“ heute an der Politik interessiert. Ein Interview mit einem Parteienforscher (Wolfgang Merkel):

ZEIT Campus ONLINE: Herr Merkel, Deutschlands Studenten bezeichnen sich, wie Umfragen regelmäßig zeigen, weiterhin in großer Zahl als politisch links. Gleichzeitig sind sie aber kaum noch in Parteien oder – wie derzeit etwa in Frankreich – auf der Straße in großer Zahl zu finden. Wo spielt sich junges Linkssein eigentlich derzeit ab?

Ich vermute mal einer der Gründe ist, dass normale Parteiarbeit weit weniger zu virtue Signalling geeignet ist als die Teilnahme an bestimmten Aktionen.  Die Mitgliedschaft bei den Grünen mag da noch eher was taugen, aber auch da wird ein Bericht über die Kreistagssitzung zu dem geplanten Verkehrskreisel wenig her machen. 
Die meiste Politik betrifft eben recht langweilige Fragen mit einer geringen Strahlwirkung. 

ZEIT Campus ONLINE: Und inhaltlich?

Merkel: Auch da lässt sich eine ganz spannende Entwicklung beobachten – und die geht weg von der Verteilungspolitik. Die Frage danach, wie sich gesellschaftlicher Wohlstand gerecht verteilen lässt, war ja seit jeher der Wesenskern linker Politik. Und der ist unter jungen Linken heute fast gänzlich in den Hintergrund getreten. Stattdessen dominieren kulturelle und identitätspolitische Themen, über die sich junges Linkssein heute definiert. Das zentrale progressive Anliegen ist mittlerweile die unbedingte Gleichstellung von Minderheiten. Das können ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten sein.

Der Vormarsch der intersektionalen Theorien.  

Gerade im Fall der Religion hat dies jedoch hochproblematische Konsequenzen: Denn die junge Linke neigt dazu – entgegen einer aufklärerischen oder marxistischen Tradition der Religionskritik – Religion unter Immunitätsschutz zu stellen und Kritik am Islam unmittelbar als „rechts“ oder als „Phobie“ zu brandmarken. Linke Religionskritik gerät dann in Vergessenheit, kritische Diskurse werden schlicht nicht mehr geführt – und das ist ein großes Problem.

Schön knapp zusammengefasst.

ZEIT Campus ONLINE: Gibt es also gewissermaßen ein selbst auferlegtes Sprachverbot in der Linken?

Merkel: So hart würde ich nicht es formulieren, aber sicherlich gibt es so etwas wie Zonen diskursiver Immunität. Und die darf man eben erst betreten, wenn man vorher drei Minuten ein Bekenntnis abgelegt hat, dass man kein Rechter, nicht xenophob ist und auch für offene Grenzen ist. Und dann darf man vielleicht irgendwann darüber reden, ob die Minderheitspositionen für die man ja – im Übrigen mit vollem Recht – eintritt nicht möglicherweise selbst kritisiert werden dürfen. Beim Islam sieht man sehr deutlich, dass ein freier Diskurs kaum zugelassen wird, sondern entsprechende Positionen sofort mit Vorwürfen überzogen werden. Ein Diskussionsverbot kann nicht links sein.

„Zonen diskursiver Immunität“? Für bestimmte Positionen reicht kein Bekenntnis mehr, sie bedeuten, dass man den „erlaubten Bereich“ verläßt. Und „Ein Diskussionsverbot kann nicht links sein“ ist schön. Ein klassischer falscher Schotte. 

ZEIT Campus ONLINE: Die junge Linke ist also weniger an Verteilungsfragen interessiert, engagiert sich aber umso mehr für kulturelle, identitätspolitische Themen. Und ihr Diskurs ist dabei ein in Teilen restriktiv geworden. Welche Veränderungen lassen sich darüber hinaus beobachten?

Merkel: Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass sich die junge Linke heute ganz eindeutig kosmopolitisch orientiert. Das heißt, Gerechtigkeitsfragen werden nicht mehr im nationalen Kontext, etwa anhand von sozial- oder lohnpolitischen Auseinandersetzungen, verhandelt. Stattdessen geht es um globale Zusammenhänge, der Nationalstaat wird dagegen als überholt und gestrig betrachtet. Auch dies ist ein Bruch mit einer klassisch linken, sozialdemokratischen Tradition, in der Solidarität und Gemeinschaft etwas ganz Konkretes, Nachbarschaftliches war und Wirtschaftspolitik als Nationalökonomie verstanden wurde. Dieses, an den unmittelbaren Lebenswelten und dem Nationalstaat orientierte Politikverständnis ist einer globalen Orientierung gewichen.

Das ist auch eine interessante Gegenüberstellung: Kann man etwas, was man in einen globalen Zusammenhang stellt, nicht mehr konkret behandelt werden? Ergibt sich daraus, dass es zu Grundsätzen wie „Weiße sind immer privilegiert, Pocs haben nie als Pocs Privilegien“ statt „welche Ursachen liegen in der konkreten jeweiligen Gesellschaft vor, die bei bestimmten Gruppen zu Unterschieden führen?“

Man nimmt eher Abstand von konkreten Lösungen für die jeweilige Position und erschlägt alles mit globalen Positionen (die häufig nur global zu sein vorgeben und aus der Betrachtung amerikanischer Verhältnisse stammen, aber als global gesetzt werden)

Das macht natürlich auch die Welt einfacher, sie wird eher unterteilt in gut und Böse

ZEIT Campus ONLINE: Wenn man die von Ihnen beschriebenen Entwicklungen zusammennimmt, lässt sich damit auch ein Stückweit die derzeit wieder diskutierte Entfremdung der sogenannten „einfachen Leute“ von der politischen Linken erklären? Schließlich konnte sich der Hilfsarbeiter vermutlich noch nie sonderlich für geschlechtergerechte Sprache begeistern, und der Nationalstaat erscheint doch gerade in Zeiten beschleunigter Modernisierung als letztes Ordnungsprinzip in einer zunehmend unübersichtlichen Welt.

 

Merkel: Der von Ihnen angesprochene Entfremdungsprozess ursprünglich linker Kernklientel von ihren einstigen Repräsentanten ist sicherlich sehr vielschichtig. Grundsätzlich lässt sich aber sagen: Die Globalisierung hat Gewinner und Verlierer geschaffen und die Linke in ganz Europa vermag es kaum mehr, die Globalisierungsverlierer an sich zu binden. Diese Leute – prekär Beschäftigte, Arbeitslose oder kleine Angestellte – wählen nun in großer Zahl rechtspopulistisch. Das gilt auch für Arbeiter mit autoritären Einstellungen, auch wenn diese als Facharbeiter keineswegs zu den Verlierern der Globalisierung zählen.

Dabei hat diese Form der Protestwahl sicherlich kulturelle Gründe, denn verteilungspolitisch ist die Positionierung der Rechtspopulisten keinesfalls einheitlich. Die Parteien unterscheiden sich hier von Land zu Land stark. Der Front National etwa fordert erhebliche Umverteilungen, während die Schweizer Volkspartei eher neoliberal ausgerichtet ist. Was sie jedoch eint, ist ein konsequent anti-europäischer Kurs sowie eine klar national-chauvinistische Ausrichtung. Dies spricht Wählergruppen an, die sich zu den Verlierern der Modernisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte zählen, vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen wähnen und sich eine Rückkehr zu bekannten Strukturen und klar geordneten Lebenswelten wünschen. Diesen subjektiv wie objektiv abgedrängten Gruppen hat die Linke, tief im kulturellen Kosmos der Mittelschichten verankert, bisher wenig angeboten.

Eine erstaunliche Entwicklung. Wo vorher der Arbeiter und der „kleine Bürger“ (m/w) das wichtigste Element der linken Theorien war sind diese nun mehr immer uninteressanter geworden und wurden durch „Minderheiten“ ersetzt, die nur teilweise und sehr eingeschränkt Überschneidungen haben. Das sieht man etwa bei „Frauenpolitik“, die sich eben gerade nicht mehr an die „Unteren“ wendet, sondern an die „Oberen“, die die Chancen auf Führungspositionen haben.

ZEIT Campus ONLINE: Zudem hat man ja bisweilen das Gefühl, dass die junge Linke diese neue und tiefgreifende Polarisierung mit einem Achselzucken, einer Mischung aus Desinteresse, Herablassung und Ratlosigkeit betrachtet.

Merkel: In der Tat. Die junge, intellektuelle Linke hat den Bezug zu der Unterklasse im eigenen Land fast gänzlich verloren. Da gibt es vonseiten der Gebildeten weder eine Sensibilität noch eine Aufmerksamkeit und schon gar keine Verbindungen mehr. Die Linke hat sich eben kosmopolitisiert und, wie gesagt, ihren politischen Schwerpunkt auf eine kulturelle Ebene verlagert, und eben auf dieser Ebene unterscheiden sich die Milieus der hoch und weniger Gebildeten deutlich voneinander. Dieser Verlust der Kommunikation zwischen den Klassen, wenn ich diesen Begriff einmal verwenden darf, ist massiv und ein Problem für die soziale Gerechtigkeit.

Wir sehen das übrigens nicht nur im Diskurs. Auch in den Lebensstilen und Werthaltungen sind die Differenzen  zwischen „oben“ und „unten“ sowie den urbanen und ländlichen Milieus unübersehbar. Das drückt sich dann auch im Abstimmungsverhalten bei Wahlen aus. Ähnliches können wir zum Beispiel auch im Heiratsverhalten beobachten. Klassenstrukturen prägen hier ganz enorm. Menschen suchen ihre Partner in der eigenen Schicht und im gleichen Bildungsstand. Dies verschärft die soziale Spaltung und Segregation unserer Gesellschaften noch weiter. Im Schatten der wachsenden kulturellen Sensibilität der Linken ist also eine neue Klassengesellschaft entstanden. Und diese Klassengesellschaft ist bislang zumindest nicht Thema des jungen intellektuellen Diskurses.

Klasse: Vom beherrschenden Element zu etwas quasi unwichtigen.