Eine Anzahl von Prominenten, darunter etwa Chomsky, Haidt, Pinker, Margret Atwood, Gloria Steinem, Rushdie und Rowling haben einen Brief geschrieben („Ein Brief über Gerechtigkeit und die offene Debatte„), der auf Harpers.org erschienen ist und demnach schnell als Harper’s Letter bekannt geworden ist. In diesen warnen sie vor den Gefahren der Cancel Culture und halten die Meinungsfreiheit hoch.
Our cultural institutions are facing a moment of trial. Powerful protests for racial and social justice are leading to overdue demands for police reform, along with wider calls for greater equality and inclusion across our society, not least in higher education, journalism, philanthropy, and the arts. But this needed reckoning has also intensified a new set of moral attitudes and political commitments that tend to weaken our norms of open debate and toleration of differences in favor of ideological conformity. As we applaud the first development, we also raise our voices against the second. The forces of illiberalism are gaining strength throughout the world and have a powerful ally in Donald Trump, who represents a real threat to democracy. But resistance must not be allowed to harden into its own brand of dogma or coercion—which right-wing demagogues are already exploiting. The democratic inclusion we want can be achieved only if we speak out against the intolerant climate that has set in on all sides.
Das wäre dann die Einleitung, die vermutlich erst einmal deutlich machen soll auf welcher Seite man steht um das dann folgende passend einzuordnen.
But resistance must not be allowed to harden into its own brand of dogma or coercion—which right-wing demagogues are already exploiting. The democratic inclusion we want can be achieved only if we speak out against the intolerant climate that has set in on all sides.
Also die Einschätzung, dass man ein intolerantes Klima auf beiden Seiten kritisieren muss und nicht nur den rechten Bereich kritisieren sollte, sondern auch Fehler der linken Seite.
The free exchange of information and ideas, the lifeblood of a liberal society, is daily becoming more constricted. While we have come to expect this on the radical right, censoriousness is also spreading more widely in our culture: an intolerance of opposing views, a vogue for public shaming and ostracism, and the tendency to dissolve complex policy issues in a blinding moral certainty.
Das wäre ein relativ direkter Angriff auf die gegenwärtige Ausgestaltung intersektionaler Theorien, die damit verbundene Intoleranz und die Cancel Culture.
We uphold the value of robust and even caustic counter-speech from all quarters.
Also der Gedanke, dass jede Seite sich auch gegen verbale Angriffe auf ihre Seite verbal verteidigen darf. „Caustic“ wäre „bissig“ „Sarkastisch“ oder „Scharfe“ Erwiderung
But it is now all too common to hear calls for swift and severe retribution in response to perceived transgressions of speech and thought. More troubling still, institutional leaders, in a spirit of panicked damage control, are delivering hasty and disproportionate punishments instead of considered reforms. Editors are fired for running controversial pieces; books are withdrawn for alleged inauthenticity; journalists are barred from writing on certain topics; professors are investigated for quoting works of literature in class; a researcher is fired for circulating a peer-reviewed academic study; and the heads of organizations are ousted for what are sometimes just clumsy mistakes. Whatever the arguments around each particular incident, the result has been to steadily narrow the boundaries of what can be said without the threat of reprisal. We are already paying the price in greater risk aversion among writers, artists, and journalists who fear for their livelihoods if they depart from the consensus, or even lack sufficient zeal in agreement.
Also eine Kritik, dass die Reaktionen zu weit gehen und die Auffassung, dass die Schwelle dessen was man noch sagen darf, ohne das man mit ernsten Folgen bedroht wird, immer mehr abgesenkt wird.
Es wird zudem angeführt, dass man bereits merkt, dass die Leute immer weniger bereit sind ein Risiko einzugehen, weil ihre Lebensgrundlage dadurch gefährdet ist.
This stifling atmosphere will ultimately harm the most vital causes of our time. The restriction of debate, whether by a repressive government or an intolerant society, invariably hurts those who lack power and makes everyone less capable of democratic participation. The way to defeat bad ideas is by exposure, argument, and persuasion, not by trying to silence or wish them away. We refuse any false choice between justice and freedom, which cannot exist without each other. As writers we need a culture that leaves us room for experimentation, risk taking, and even mistakes. We need to preserve the possibility of good-faith disagreement without dire professional consequences. If we won’t defend the very thing on which our work depends, we shouldn’t expect the public or the state to defend it for us.
Also ein klassisches Bekenntnis zur Meinungs- und Redefreiheit und für den Gedanken, dass man sich argumentativ auseinander setzen sollte und sich auch die Möglichkeit offen halten sollte, dass man einfach mit jemanden verschiedener Meinung sein kann, ohne das es für einen der beiden negative Konsequenzen haben sollte.
Eigentlich ist das ein Statement gegen das man weiter nichts sagen könnte. Wer den Streit dahinter und die extremeren intersektionalen Positionen nicht kennt, der würde an dem Brief nichts besonderes sehen. Ich vermute einmal vor 15 Jahren hätte man sich gefragt, warum sie ihn überhaupt meinen so etwas schreiben zu müssen.
Jedem, der die Debatte aber kennt ist klar, dass sie sich damit Feinde geschaffen haben, nicht zuletzt auch allein schon weil sie Rowling mit im Boot haben, aber natürlich auch inhaltlich.
Mir sind auch die meisten Namen der Unterzeichner unbekannt, keine Ahnung welche „größeren“ Namen da noch dabei sind.
Der offene Brief ist natürlich richtig und wichtig!
Mir sind auch viele der Personen nicht bekannt, die den Brief unterzeichnet haben, es hat aber schon noch ein paar wichtige Grössen dabei, die mir bekannt sind wie:
Francis Fukuyama (bedeutender Politikwissenschaftler)
Todd Gitlin (einigermassen bekannter Soziologe)
Arlie Russell Hochschild (Feministin, welche das folgende Buch geschrieben hat)
Garry Kasparov (ehemaliger Schachweltmeister)
Mark Lilla (bedeutender Politikwissenschaftler)
Cathy Young (liberale Feministin)
Bari Weiss (Journalistin, die erst kürzlich bei der NYT mit grossem Tamtam gekündigt hat)
Michael Walzer (bedeutender Moralphilosoph)
Orlando Patterson (Soziologe)
Yascha Mounk (Politikwissenschaftler)
Yascha Mounk vertritt schon sehr zweifelhafte Positionen, Menschen sind fuer den Experimentiermasse, die manipuliert werden muss.
Kann seinen Wiki- Artikel grad nicht verlinken.
Noch ein paar andere bekannte Schreiber
Jeffrey Eugenides (Autor, Pulitzer Preis Träger, Mitglied der American Academy of Atrs & Sciences, „Middlesex“ und „The Virgin Suicides“)
David Brooks (konservativer Kolumnist der NY Times)
Roger Cohen (Kolumnist NY Times)
Nicholas Christakis (Yale-Professor, Soziologe, der über Netzwerkeffekte und Biosoziale Wissenschaft forscht, aber auch über evolutionäre Biologie und Verhaltensgenetik)
Steven Pinker (Harvard, Kognitiver Psychologe, forscht zu evolutionärer Psychologie, und war zuletzt dieses Jahr Ziel einer cancel Kampagne)
David Frum (Spin Master von George W Bush, der den Begriff „Climate Change“ statt „Global Warming“ etabliert hat; zuletzt abgewandt von den Republikanern)
Ronald S. Sullivan Jr. (Verteidiger von Weinstein, daraufhin von Harvard den Vertrag nicht verlängert bekommen)
Fareed Zakaria (Journalist, CNN, Kolumnist der Washington Post)
Sehr gute Einordnung von Douglas Murray
Der Hinweis auf eine gewisse innere Unlogik in dem offenen Brief ist durchaus nachvollziehbar.
Murray schätzt aber mMn die wirklichen Adressaten des Briefs falsch ein: Personen, die noch nicht komplett gehirngewaschen und radikalisiert sind, sondern in den ideologischen Kriegen eher an der Seitenlinie stehen. Der offene Brief hat zumindest das Potential, solchen Personen klar zu machen, was derzeit auf dem Spiel steht, und sie hoffentlich für eine klare Positionierung zu aktivieren.
„overdue demands for police reform, along with wider calls for greater equality and inclusion across our society,“
Wer sich von Anfang an so anbiedert ist bestenfalls irrelevant, schlimmstenfalls ein Schaf im Allie-Pelz.
Apropos „Polizeireform“. Sowas ist tatsächlich angebracht, aber natürlich ganz anders als fürderhin gedacht. Zum Beispiel ist es ein absolutes Unding, dass die Polizei berechtigt ist eine „civil forfeiture“ durchzuführen, eine Beschlagnahme von privatem Vermögen oder Sachen, wenn diese auch nur im Verdacht stehen illegal erworben zu sein. Zurückfordern geht nicht. Das sind Privilegien aus der Wildwestzeit bzw Gepflogenheiten aus der nachmittelalterlichen europäischen Raubrittertums, die in einer rechtstaatlichen Demokratie absolut nichts zu suchen haben. Präsident Trump hat ursprünglich mal einen halbherzigen Versuch gemacht, um das abzuschaffen, hat aber ganz schnell den Schwanz eingezogen, als der Justizminister sich schützend vor dieses Raubritter-Privileg gestellt hat!
Also, Reformmässig geht da bestimmt was, aber Rassismus ist sicher nicht das vordringliche Problem, welches die US Gesellschaft mit ihrer Polizei hat. Traurig, dass man eine sachliche Diskussion diesbezüglich praktisch völlig vermisst.
Dieser Aspekt ist weder das Problem, das BLM angreift noch das, was Trump und Co vorhaben. In der USA hat jede Gemeinde eine kleine Polizei, die willkürlich vom Bürgermeister kontrolliert wird, schlecht ausgebildet ist und gleichzeitig in einer hochgefährlichen Umgebung mit vielen Waffen und vielen Morden operieren muss. Trumps Order sollte etwas zu Mindeststandards und Zertifizierung von Polizeioperationen sowie Informationsaustausch voranbringen, siehe https://www.whitehouse.gov/presidential-actions/executive-order-safe-policing-safe-communities/
„Eigentlich ist das ein Statement gegen das man weiter nichts sagen könnte.“
Das Statement enthält viele Passagen, denen ich zustimme.
Es gibt aber auch Texte von Kritikern des Statements, die durchaus interessante und bedenkenswerte Passagen enthalten. Da wir nur zur Wahrheit gelangen können, wenn wir beide Seiten gehört haben und auf ihre Teilwahrheiten hin untersucht haben, seien zwei Texte hierzu an dieser Stelle verlinkt.
Nathan J. Robinson – The Right-Wing Myth of the Left-Wing Mob
https://www.currentaffairs.org/2020/07/the-right-wing-myth-of-the-left-wing-mob/
Und hier mal ein Artikel, der tendenziell eine politisch korrekte Perspektive zum Thema wiedergibt (und viele Formulierungen enthält, denen ich nicht zustimme), gleichwohl aber argumentiert und daher für eine Auseinandersetzung interessant ist:
A More Specific Letter on Justice and Open Debate
https://theobjective.substack.com/p/a-more-specific-letter-on-justice
Habe mir die Gegenmeinung angehört:
„If I tell you a professor was investigated for reading a historical document aloud, you might be outraged. But if I add some more facts, namely that the professor had been told by his Black students that they’d prefer he not say the n-word, and he disregarded them, the complaint seems slightly less insane.“
Einfach: Nein. Es liest sich vielmehr als Bestätigung des „nicht existenten“ PC-cancel-Mobs, wenn irgendwer – hier Neger – das Wort „Neger“ nicht hören wollen, wenn es in einem Buch gedruckt steht, und das jemand keine vollkommen abstruse Forderung findet. Nicht die Forderung – die Idee, das Wort nicht zu sagen, obwohl es in dem Buch steht.
Denn das *steht da*. Klar, man kann die Bücher ändern, aber das ist halt das, was die stalinistische Gedankenpolizei gemacht hat, von der die Autorin bestreitet, dass es sie gäbe oder sie sie toll findet.
Ihre Hauptausrede verstehe ich so, dass die totalitäre Linke ja nicht an der Macht sei und sich deswegen Vergleiche mit totalitären (linken) Regimes verbieten würden. Ändert aber nichts daran, dass es Leute gibt, die das *wollen*.
Aber das ist natürlich nur ein „Mythos“ fieser faschistoider Nazis; wir _sing_ gar nicht „plagued by marauding hordes of immigrants, vandals, and Stalinists“.
Linke schmieren nämlich keine Hakenkreuze.
Die Antifa zündet keine Autos an.
Kein Neger in den USA hat Fernseher geplündert.
Kein Demonstrant – und kein Kamerateam – wurde je von einem linken Mob angegriffen.
Außer fiesen ISIS-Terroristen zerstört niemand Kulturdenkmäler.
Und wir waren schon immer im Krieg mit Eurasien!
Interessant zu lesen! „The Right-Wing Myth of the Left-Wing Mob“
Ohje, das ist ein massloses Herunterspielen. Totalitarismus beginnt im Kopf, mit einer totalitären Ideologie bzw Weltanschauung, mit einem intoleranten Grundhaltung und mit der Bereitschaft gewaltsam „durchzugreifen“. Alles Dinge, die bei der Linken mehr als nur sporadisch verbreitet sind, sondern die tatsächlich ein durchgehendes Merkmal der progressiven Linken ist. Insofern ist dem Zitierten von Trump nur zuzustimmen.
Das ist ganz vergleichbar mit der Situation, in der Antisemitismus auch nur dann gesehen wird, wenn er über laufende Mordfabriken verfügt und kommt ja auch aus den gleichen linken Kreisen.
Das ist ein extrem unehrliche Agumentation. Die konkrete Polizei der alten Ordnung ist unerwünscht und nur deshalb wird sie abgeschafft. Um dann von einer neuen Polizei, die eben nach der neuen Ordnung verfährt, abgelöst zu werden. So läuft jede Revolution ab. Und bei dem autoritären Charakter der Linken kann man nur eine neue Polizei erwarten, die eine neue Stasi oder Gestapo wäre.
Über den Harper´s letter:
Das stimmt nicht. Der Brief behauptet ganz generell, es gäbe „böse Menschen auf beiden Seiten“ (das soll jetzt auf ein vielkritisierten Spruch von Trump anspielen…). Der Autor fühlt sich ganz offenbar angesprochen, als ein Vertreter der Progressiven.
Ja, diese „serious issues“ sind Sexismus, Rassismus und Antisemitismus, die sich unter dem linken Progressivismus breit machen wie Krebs und die Linke zu einer intoleranten, gewalttätigen und revolutionären Bewegung machen. Wer das verleugnet, der will diesem Wahnsinn den Weg ebnen, etwa weil er fanatisch soziale Veränderung herbeisehnt, so sehr, dass es ihm egal ist, wie diese vorangetrieben wird.
Plötzlich und unvermittelt kommt der Autor aber doch mit dem „Beide Seiten“ des Harper´s Letter um die Ecke, um den linken Verschwörungsmythos von der alles beherrschenden „Machtstruktur“ aufzutischen:
Kein Wunder, dass die Linke in ihrem grenzenlosen Hass immer mehr in den Antisemitismus abdriftet, denn dieser ist die extremste traditionelle Form dieses Vorstellens einer totalen Macht, der sie schon immer zugeneigt war. Und daher überrascht es überhaupt nicht, dass der Autor einen genozoidalen iranischen Topterroristen als unschuldiges Opfer hinstellt:
Allein diese Bemerkung disqualifiert den Autor vollständig, etwas Vernünfiges über die fanatische Linke sagen zu können, denn er selbst gehört sicher dazu.
Am Ende gibt der Autor zu, dass er antikapitalistisch denkt. Und deshalb ist ihm – wie der revolutionären Linken – eben jedes Mittel recht. Das ist fanatischer Hass, der tief, tief sitzt.
Was für ein schöner Satz:
Dieser Brief erweist der Social Justice-Bewegung viel zu viel falschen Respekt. Er müsste wesentlich härter formuliert sein. Die westlichen Demokratien stehen vor ihrer grössten totalitären Herausforderung des frischen neuen Jahrtausends (ok, Kunststück, hat ja erst angefangen, aber vermutlich wird die Grösse der Herausforderung lange nachhallen). Diese
Statt „trial“ –> onslaught (brutaler Angriff)
Violent and fanatical protests under the guise of racial and social justice and their supporting structure in mass media (the de facto gov´t controlled media of Europe and europhile American media like NYT and WashPost) and academia attack democracy itself and all that is deemed „Western“, as „capitalism“, „freedom of thought“ and „equality before the law“. Instead a new society strictly divided among the lines of Sex and Race is envisoned, with strong overtones of living the right life according to „Mother Nature“.
Diese Stelle ist gerasdezu lügnerisch. Denn die „forces of illiberalism“ sind zum allergrössten Teil die fanatischen selbsterklärten Feinde Trumps. Diese Stelle macht den Brief zu einem feigen Winseln und nicht zu einem mutigen Lion´s Roar!
Dies erklärt bestimmt, warum unverbesserliche Fanatiker wie Chomsky und Steinem (und bestimmt noch andere) den Brief unterschrieben haben. Sie möchten sich vopportunistisch on dem totalitären Gewaltkram distanzieren, um am Ende unschuldig dazustehen, wenn die antidemokratische linke Bewegung eine neue und möglicherweise erfolgreichere Richtung einschlägt. Chomsky hat ja schon durchblicken lassen, dass er die Sozale Gerechtigkeit für zu wenig brutal hält, als dass sie erfolgreich Revolution machen könnte.
Das ist die falsche Äquivalenz, es gäbe eine nennenwert starke Rechte, die genauso antidemokratisch und protototalitär wie die Soziale Gerechtigkeitsbewegung wäre. Das „on all sides“ verdeckt die gefährlichen Entwicklungen auf der Seite des tatsächlichen Einflusses, der realexistierenden Machtstrukturen in den Massenmedien und in den Institutionen, staatlich und privat.
Sorry, aber das ist zu eindimensional.
Es gibt auf der linken Seite des Spektrums die Cancel Culture, bei der die Konstruktivisten und radikalen Transaktivisten ganz vorne mit dabei sind.
Auf der rechten Seite des Spektrums gibt es die Populisten und Diktatoren im demokratischen Gewand, die absolute Macht anstreben, Minderheiten ausgrenzen oder attackieren, den Rechtsstaat aushebeln, politische Opposition unterdrücken und Ähnliches (USA, Ungarn, Polen, Brasilien, Indonesien, Indien und mit Abstrichen Großbritannien fallen mir da auf Anhieb ein; und natürlich Russland).
Saubere Arbeit. Vielen Dank.
Was die USA anbelangt: Die Republikaner und Demokraten finden nicht mehr zueinander. Man kann nur hoffen, dass im November, wenn die Präsidentschaftswahl ansteht, ein klares und eindeutiges Resultat jeden Zweifel beseitigt, wer denn gewonnen hat. Der „worst-case“ wäre, wenn einige hundert Stimmen wie damals in Florida, als Bush gegen Gore gewann, den Ausschlag geben und alles entscheiden. In einem solchen Fall wäre es nicht zweifelsfrei sicher, wer denn nun gewonnen hat. Dann braucht es nur noch Meldungen über Manipulationen und die Lunte wäre gelegt. Dann gibt es so richtig Stunk.
Wenn die publizierten Umfragen auch nur ein einigermassen korrektes Bild der Stimmungslage vermitteln, dann dürfte Trump eigentlich keine Chance haben. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass Umfragen selbst Teil des politischen Kampfs sind und daher mit grosser Skepsis zu betrachten sind.
Was im „Harper’s Letter“ angemahnt wird ist zwar richtig, aber eine politische Kultur lässt sich nicht durch Appelle verändern. In den USA wird die politische Kampfzone ständig ausgeweitet. Alles ist mittlerweile Teil des politischen Kampfs und ein Ende ist nicht abzusehen. Das nennt man dann wohl einen Kulturkampf.
Sorry, aber das ist nicht der Worst Case. Der Worst Case ist, wenn die Republikaner bewaffnete „Wahlbeobachter“ in kritische Stimmbezirke (insbes. mit hohem Minderheitenanteil) schicken, die Leute vom Wählen abhalten sollen. Im Anschluß die Wahl verlieren. Das dann von Trump nicht akzeptiert wird der sich unter der Behauptung des Wahlbetrugs weigert, das Präsidentenamt abzugeben. Und dann mit seinen „2nd Amendment People“ – ihm ergebenen paramilitärischen Einheiten – sowie Einheiten aus Grenzschutz und DHS und dem amerikanischen Militär einen Bürgerkrieg anzettelt.
Putin’s feuchter Traum
Hier herrscht erfreulicherweise immer ein ziviler Ton. Da ich möchte, dass das so bleibt antworte ich nicht eingehend auf diese Phantasien.
Das sind keine Phantasien, leider. Das ist ein realistischer, unwahrscheinlicher Worst Case.
In Bezug auf „Election Day Operations“ kannst du gerne die Quelle nehmen, CPAC: https://cpac.conservative.org/protecting-the-ballot-box-defeating-the-lefts-voter-fraud-machine/
Es gibt konkrete Pläne, „ballot security“ Maßnahmen zu ergreifen. Typischer US Euphemisms, der nichts anderes heisst, als ehemalige Soldaten und Polizisten als „Poll Watcher“ zu rekrutieren und Einschüchterungstaktiken zu fahren. Das war explizit illegal bis vor kurzem. Und soll explizit auf Innenstadtbezirke (mit hohem Farbigenanteil) und Ureinwohnerreservate abzielen. Siehe
https://theintercept.com/2020/04/11/republican-poll-watchers-vote-by-mail-voter-fraud/?ref=hvper.com
Erst vor drei Tagen hat Trump auf die direkte Frage, ob er eine Wahlniederlage akzeptieren würde gesagt: „Nein, dazu sage ich nicht einfach ja“. https://www.google.com/amp/s/www.newsweek.com/trump-declines-say-whether-hell-accept-2020-election-results-fox-news-interview-1518915%3famp=1
Und dass Trump zur „Befreiung“ von Michigan, Minnesota und Virginia aufgerufen hat, „to save your 2nd amendment“, war auch erst im April. https://www.google.com/amp/s/www.businessinsider.com/trump-tweets-to-liberate-michigan-minnesota-as-protesters-violate-orders-2020-4%3famp
Das alles ist nicht geheim. Die Quellen gehen direkt auf Republikaner, ihre Gerichtsklagen und Aussagen zurück.
Das kann man natürlich leugnen. Oder es ernst nehmen.
Ich habe mir die Quellen angesehen. Die sagen nur das aus was sie sagen, wenn man eine absolut absurde Extrapolation durchführt.
Das ist auf dem Niveau derjenigen die sagen, dass alleine schon die Gründung von Gewerkschaften zwingend zum Kommunismus führt.
„Putin’s feuchter Traum“
Ich für meinen Teil halte Putin für einen deutlich zu vernünftigen Menschen, als dass er davon träumen würde, dass eine bis an die Zähne bewaffnete und Russland nicht wohlgesonnene Nuklearmacht im Bürgerkrieg versinkt. Der Mann ist ein Veteran des Kalten Krieges und die katastrophalen Auswirkungen eines Atomkrieges dürften ihm allzu bewusst sein.
Im Gegensatz zu so Flachpfeifen wie Ursula von der Leyen oder Annegret Kramp-Karrenbauer übrigens, die sich in ihrem Leben noch nicht einmal ernsthaft der Frage stellen mussten, ob sie sich zum Töten ausbilden lassen wollen.
Wer den Dreck nicht nach den ersten zwei Absätzen in den Papierkorb geworfen hat dem ist nicht zu helfen.
https://voxday.blogspot.com/2020/07/never-take-free-speech-seriously.html
Da waren’s nur 149
hier ist noch ein ganz anderer Aspekt, im „Atlantic“, die Reaktion (sic) von Zenturien von Linguisten:
https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2020/07/steven-pinker-will-be-just-fine/614323
Hochgradig lesenswert. Und ein klares Zeichen der Hoffnung, dass der „Atlantic“ eben nicht verloren ist an die Linksextremisten.
auch extrem lesenswert:
Stanley Fish and the Argument Against Free Speech
https://www.tabletmag.com/sections/arts-letters/articles/cancel-culture-stanley-fish-free-speech
Das ist dieser illliberale und autoritäre Antiintellektualismus. Weil die Vertreter von Ideen eben auch nur Menschen sind, die hinter ihren eigenen Ideen zurückbleiben, müssen die Ideen als solche schlecht und unbrauchbar sein. Nur die pure Reinheit der Intention zählt, der Fanatismus. Und dass Fanatismus niemals ein Freund der Meinungsfreiheit sein kann, dürfte sich ja von selbst verstehen….
Auf den Punkt gebracht, sei die Konsequenz der Kritik an der Meinungsfreiheit diese:
Ja, nur noch schlecht. Reden ist falsch! GEHORCHEN ist alles. Ist das aber nicht der Kern einer jeden antifreiheitlichen Einstellung?!
Wenn du dich der Wahrheit teilhaftig wähnst und dich im manichäischen Kampf als Guter gegen das Böse gesetzt hast, dann ist alles erlaubt. Auch jede zivilisatorische Zurückhaltung aufzugeben.
Diese Passage spannt den gesammten Bogen des Essays in so prägnanter Weise, dass man ihn einfach zitieren muss:
Natürlich kann Meinungsfreiheit missbraucht werden. Aber dies kann niemals das hinlängliche Argument gegen die Meinungsfreiheit sein. Ein jegliches Mittel kann missbraucht werden und demzufolge müsste es regelmässig verboten werden. Man sieht, Fishs Reinheitsideale sind nicht von dieser Welt und würden die Menschen zum ewigen Schweigen verurteilen. Und wem könnte dies dienlich sein, ausser den diktatorischen Regimes dieser Welt?
Der Schluss des ganz hervorragenden Essays zeigt die zentrale Notwendigkeit der Vorstellung einer allgemeinverbindenen Wahrheit auf:
Wer, wenn nicht die Wissenschaft hätte überhaupt noch einen Anspruch auf die Wahrheit? Obwohl und gerade weil sie diesen ja in die fernste Abstraktion verbannt. Ein Fixstern am Himmel ist ja auch unerreichbar. Nur die Fanatiker und Ungeduldigen werden behaupten, sie wären „da gewesen“.
https://www.adl.org/news/article/sacha-baron-cohens-keynote-address-at-adls-2019-never-is-now-summit-on-anti-semitism?fbclid=IwAR21u71-T-Pap8XwSrB9DULfaxfZy1exJS83p09hROKRnb0ro4nwVGBsrJU
Wovon der Brief so ablenken soll. 😉
Bari Weiss bringt den Inhalt des Briefes gut auf den Punkt.