Auch eine Beleidigung einer Gruppe, die nach dem Geschlecht bestimmt ist, kann nach dem OLG Köln Volksverhetzung sein

Ein interessantes Urteil des OLG Köln nimmt Stellung dazu, inwieweit die Abwertung von Frauen Volksverhetzung sein kann:

Volksverhetzungsparagraf schützt auch vor pauschaler Verunglimpfung von Frauen

Freispruch aufgehoben

Der Paragraf, mit dem Volksverhetzung unter Strafe gestellt wird (§ 130 StGB), greift auch bei der pauschalen Verunglimpfung von Frauen ein.
Zwar ist der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift der Schutz von Minderheiten, das Gesetz erfasst aber nach Wortlaut, Sinn und Zweck auch Angriffe auf die Menschenwürde von Frauen. Das hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln mit Urteil vom 09.06.2020 entschieden und einen Freispruch des Landgerichts Bonn aufgehoben.
Der Angeklagte hatte auf einer von ihm betriebenen Homepage im Internet in zahlreichen Beiträgen Frauen u.a. als „Menschen zweiter Klasse“, „minderwertige Menschen“ und „den Tieren näherstehend“ bezeichnet. Das Amtsgericht Bonn hatte ihn daher zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bonn diesen aus Rechtsgründen freigesprochen. Es hat die Auffassung vertreten, dass § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur Gruppen schütze, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung oder ihre sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, ihren Beruf oder ihre soziale Funktion erkennbar seien. Eine geschlechtsspezifische Bestimmung nehme die Norm dagegen nicht vor. Die Gesetzgebungsgeschichte zeige, dass der allgemeine Geschlechterschutz von der Norm gerade nicht beabsichtigt sei.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln den Freispruch aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass zu den von § 130 StGB geschützten „Teilen der Bevölkerung“ auch Frauen zählen. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Gesetzes, der Auslegungshistorie, der Systematik und aus dem Zweck der
Vorschrift.
Zwar werde in der juristischen Fachliteratur vereinzelt argumentiert, dass
die Vorschrift nur dem Minderheitenschutz dienen solle, und aus diesem
Grund die Vorschrift für Frauen als statistische Mehrheit der Bevölkerung nicht anwendbar sei. Dafür könne als Argument ins Feld geführt werden, dass Angehörige der Mehrheitsbevölkerung von Anderen nichts zu befürchten hätten, weil ihnen alleine die zahlenmäßige Überlegenheit genügend Schutz biete. Eine solche Konzeption finde aber im Gesetzeswortlaut keinen Ausdruck. Im Übrigen könne die Rechtsanwendung kaum von Zufälligkeiten der (möglicherweise wechselnden) Majoritätenbildung abhängig gemacht werden. Auch zeige die Historie der Vorschrift eine Entwicklung zu einem umfassenden „Anti-Diskriminierungstatbestand“ auf.

Der in den Schutzbereich einbezogene Teil der Bevölkerung sei keineswegs anhand der ausdrücklich erwähnten Merkmale beschränkt. Zwar möge der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift in der Praxis nach wie vor im Bereich rechtsradikaler Hetze gegen Minderheiten liegen. Unter die Vorschrift fielen aber auch diskriminierende Äußerungen gegen
Frauen.
Da der Angeklagte mit seinen Äußerungen Frauen unter Missachtung des
Gleichheitssatzes als unterwertig dargestellt und ihre Menschenwürde
angegriffen habe, sei davon auszugehen, dass er den Tatbestand der
Volksverhetzung erfüllt habe.
Eine Strafe konnte der Senat als Revisionsgericht aus Rechtsgründen nicht verhängen. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bonn zurückverwiesen.

Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 09.06.2020 – Az. III-1RVs 77/20.

Wie viele erkennen werden geht es um das Verfahren gegen Lentze der in der Tat ein Frauenhasser ist, dessen Meinungen ich für wenig durchdacht und inhaltlich falsch halte. Er hält sich irgendwie für einen Verteidiger der Würde des Mannes und meint Frauen müssten im Gegenzug erfahren, wie es ist herabgewürdigt zu sehen. Aus meiner Sicht wäre es um seine Texte nicht schade, aber das ist nicht der Grund für die Besprechung des Inhalts.

Ich habe leider den Volltext des Urteils noch nicht, wenn ihn jemand online sieht freue ich mich über einen Hinweis.

Aber das hier ist natürlich interessant für das Geschlechterthema:

Zwar werde in der juristischen Fachliteratur vereinzelt argumentiert, dass
die Vorschrift nur dem Minderheitenschutz dienen solle, und aus diesem
Grund die Vorschrift für Frauen als statistische Mehrheit der Bevölkerung nicht anwendbar sei. Dafür könne als Argument ins Feld geführt werden, dass Angehörige der Mehrheitsbevölkerung von Anderen nichts zu befürchten hätten, weil ihnen alleine die zahlenmäßige Überlegenheit genügend Schutz biete. Eine solche Konzeption finde aber im Gesetzeswortlaut keinen Ausdruck. Im Übrigen könne die Rechtsanwendung kaum von Zufälligkeiten der (möglicherweise wechselnden) Majoritätenbildung abhängig gemacht werden. Auch zeige die Historie der Vorschrift eine Entwicklung zu einem umfassenden „Anti-Diskriminierungstatbestand“ auf.

Der in den Schutzbereich einbezogene Teil der Bevölkerung sei keineswegs anhand der ausdrücklich erwähnten Merkmale beschränkt. Zwar möge der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift in der Praxis nach wie vor im Bereich rechtsradikaler Hetze gegen Minderheiten liegen. Unter die Vorschrift fielen aber auch diskriminierende Äußerungen gegen
Frauen.

Da der Angeklagte mit seinen Äußerungen Frauen unter Missachtung des
Gleichheitssatzes als unterwertig dargestellt und ihre Menschenwürde
angegriffen habe, sei davon auszugehen, dass er den Tatbestand der
Volksverhetzung erfüllt habe.

Der Senat eröffnet also ausdrücklich den Straftatbestand auch bei diskriminierenden Äußerungen gegen „Nichtminderheiten“

Damit sind „Weiße“ „Männer“ „Heterosexuelle“ und „CIS“ auch von dem Schutz des Tatbestandes der Volksverhetzung umfasst und es könnte interessant werden, was dann alles Volksverhetzung sein kann.
Der Versuch so eklige Texte wie die von Lentze aus dem Netz zu bekommen könnte insofern erhebliche Folgen haben.

Hier etwa Nadine Lantzschs Ausführungen zu Männern und Heteros, denen man gar nicht erst Raum im Leben geben sollte, weil sie ja irgendwie alle Vergewaltiger und Mörder, jedenfalls aber Stützen des Patriarchats sind. Pfui wer mit Männern Sex will:

wer möchte schon gerne zugeben, sich berechtigterweise über typen von mansplainer bis mörder und vergewaltiger und die normalität von patriarchalen gewalt/verhältnissen aufzuregen, aber kein problem damit zu haben typen in unserem leben raum zu geben und ihre existenz in unserem leben mit kackscheiße als feministisch zu verteidigen. aber die rechtfertigung „ich bin halt so“???

Auch Sibel Schicks „Männer sind Arschlöcher“ wäre interessant.

Man darf auf den Volltext und die weitere Entwicklung gespannt sein.

Der Lawblog führt aus, dass das Gericht damit die Meinung evtl sehr weit zieht:

Dagegen betrachtet das Oberlandesgericht Köln auch Frauen als „Teile der Bevölkerung“ im Sinne des Gesetzes. Ausdrücklich betonen die Richter unter anderem, der Volksverhetzungsparagraf habe sich zu einem umfassenden Anti-Diskriminierungstatbestand entwickelt. Deshalb müsse auch nicht davon ausgegangen werden, dass nur Minderheiten geschützt sind. Sondern eben auch die Mehrheit.

Das klingt schon sehr weitgehend, zumal wenn man an die „Soldaten-sind-Mörder“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts denkt. Das hatte seinerzeit Pazifisten für diese Aussage freigesprochen, weil eine Ehrverletzung nur in Frage kommt, wenn sich der Spruch gegen einzelne, individualisierte Soldaten richtet. Ähnlich lauten ja auch Urteile in den „ACAB“-Fällen. Es ist also keineswegs ausgemacht, dass Karlsruhe ein so weitgehendes Verständnis des Volksverhetzungs-Paragrafen billigt – gerade mit Blick auf die Meinungsfreiheit. Jetzt muss erst einmal eine andere Kammer des Landgerichts Bonn über den Fall entscheiden (Aktenzeichen III-1 RVs 77/20).

Bei dem Soldaten sind Mörder Urteil ging es allerdings um Beleidigung, nicht um Volksverhetzung. Soldaten als abgrenzbaren Teil des Volkes zu sehen ist halte ich auch für schwieriger, da es eine Berufsbezeichnung ist. Bei Geschlecht oder Hautfarbe könnte dies schon wieder ganz anders sein.

Wäre ja schon faszinierend, wenn Lentze es zum BGH und zum BVerfG schafft und man dann evtl einen sehr weiten Begriff der Volksverhetzung hat.