Crumar zu Incels

Crumar berichtet, dass sein Leser-Kommentar zu einem Artikel über Incels nicht durchgekommen ist, ich veröffentliche ihn daher gerne als Beitrag:

Ich habe schon einmal vorgelegt und bisher ist mein Kommentar nicht veröffentlicht worden.
Es sind zwei Seiten geworden, ich hätte auch 8 Seiten schreiben können:

„Dieser Artikel ist leider schlecht recherchiert und aus einer einseitig feministischen Perspektive geschrieben.

Mit dem sachlichen Fehler in der letzten Zeile des Artikels anfangend: MGTOW (men going their own way) haben mit Incel nichts zu tun.
Es macht keinen Sinn, das Publikum auf ein Forum zu verweisen, in dem MGTOW schreiben, wenn sich das Publikum über Incel informieren möchte.

Der Anfang des Artikels wiederum ist auch kein wirklicher Anfang.
Die Autorin suggeriert, der Begriff und mit ihm die community der „Incel“ wäre erst öffentlich bekannt geworden nach dem Amoklauf Rodgers in den USA im Jahr 2014.
Das trifft auf den Begriff zu, der im angelsächsischen Sprachraum geprägt worden ist, betrifft aber nicht die „Entdeckung“ sexuell unerfahrener oder in unfreiwilliger sexueller Abstinenz lebende Menschen generell.

Die Internet-Foren der „Absolute Beginners“ (AB) in Deutschland gibt es bereits seit 1998, ein Artikel über diese unter dem Titel: „Selbsthilfe für erwachsene Jungfrauen“ erschien 2008 im Spiegel.
Arne Hoffmann – der bekannteste Männerrechtler in Deutschland – hatte schon 2006 das Buch „Unberührt“ geschrieben, auf das sich der Artikel auch bezieht.
Über diese „Absolute Beginners“ existiert übrigens ein Eintrag in der (englischsprachigen) „Incel-Wiki“.

Die für mich zunehmend ärgerlicher werdende Angewohnheit, Thesen und Diskussionen aus den USA 1:1 abzuschreiben, machen aus einem Amokläufer in den USA laut Autorin einen „Ur-Incel“, um diesen wiederum mit dem „Anschlag von Halle“ in Verbindung zu bringen.

Wenn denn die Thesen der Autorin zutreffen würden, warum hat sich dies nicht zuerst in Deutschland gezeigt, wo die Bewegung früher im Internet existierte und früher öffentlich wahrgenommen worden ist?
Es wird wohl mit anderen gesellschaftlichen Umständen zu tun haben, leider lesen wir von diesen nichts im Artikel.

Die ursprünglich weitaus „emphatischere“ Rezeption in Deutschland der AB hat m.E. mit dem Umstand zu tun, den ein „Brigitte“-Artikel hervorhebt: „Ungeküsst: Das Leben der Ewig-Singles
Sie sind über 30, ungeküsst, sie hatten noch nie Sex, obwohl sie sich das wünschen – doch gleichzeitig ist der Sex ihre größte Angst. Zwei Frauen (!!!) erzählen.“
https://www.brigitte.de/liebe/singles/absolute-beginners–ungekuesst–das-leben-der-ewig-singles-10172232.html

Nur die realitätsferne Reduktion auf eine „weltumspannende Gemeinschaft von Männern“ macht aber eine Dämonisierung und den Entzug von Empathie möglich.

Wie groß das zugrunde liegende gesellschaftliche Problem (in den USA) ist, steht – erstaunlicherweise – auf der Startseite (!!!) der Incel-Wiki: „Among American millennials, 15-30% are incels, roughly 51% do not have a steady partner, roughly 30% are often or always lonely, and roughly 22% have no friends.“
Wobei „Millenial“ alle Personen umfasst, die zwischen 1981 und 1996 geboren sind.

Die Definition von Incel: „The Donnelly Study defined incels as adults who fail to find a sexual partner for six months or more without choosing so.“

In der „Atlantic“ 2018 zu lesen: „People now in their early 20s are two and a half times as likely to be abstinent as Gen Xers were at that age; 15 percent report having had no sex since they reached adulthood.“ All das wurde unter dem Oberbegriff „sex recession“ zusammengefasst.
https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2018/12/the-sex-recession/573949/

Weiter aus dem Jahr 2019: „The portion of Americans 18 to 29 reporting no sex in the past year (!!!) more than doubled between 2008 and 2018, to 23 percent.“
https://www.sciencealert.com/the-percentage-of-americans-not-having-sex-has-reached-a-record-high

Dies setze sich jedoch so zusammen: 18% der jungen Frauen in diesem Altersspektrum, aber 28% der jungen Männer hatten im letzten Jahr (!!!) keinen Sex.
Per Definition demnach Incel.

Ihre Lebensumstände äußern sich bei Incel laut Umfragen auf den eigenen sites so:
„- 78% report always suffering from extreme sadness, anxiety, and stress.
– 82% have considered suicide.
– 62% have considered surgery to improve their looks.
– 77% report being a healthy weight or underweight (only 23% report being overweight, which is far less than the general western population average).
– 57% report receiving a medical diagnosis labeling them as non-neurotypical or having a physical disability that impairs their normal daily functions.“

Menschen, denen zu 57% medizinisch bescheinigt wird, an einer „körperlichen Behinderung zu leiden, die ihre normalen täglichen Funktionen beeinträchtigt“ sind tatsächlich keine „Chads“.
Auffällig ist, solche materiellen Gründe für mangelnde (sexuelle) Attraktivität von Männern werden außen vor oder nicht gelten gelassen.
Zu Elliot Rodger schreibt die Autorin: „Die selbstempfundene und gegenseitig bestätigte Hässlichkeit ist objektiv oft nicht nachvollziehbar.“ Hingegen: „Er war ein äußerst hübscher junger Mann, daran kann es also nicht gelegen haben. Ein Paradoxon, das auf viele Incels zutrifft.“

Das Paradoxon ist vielmehr, empfindet sich eine junge Frau als hässlich, würde niemand auf die Idee kommen, ihre Empfindung zu negieren – weil sie schließlich objektiv nicht nachvollziehbar ist PUNKT
Niemand würde ihr sagen, sie habe es sich in ihrer „Opferrolle bequem gemacht“ und überhaupt, Frauen „maßschneidern (…) sich eine Welterklärung zurecht, die ihre eigene Situation als unausweichlich zementiert und sie von jeglicher Eigenverantwortung freispricht“.
Die durchgesetzt feministische Sichtweise ist nämlich: Mangelndes Selbstvertrauen hat bei jungen Frauen immer gesellschaftliche Ursachen. Wenn es sich um Männer handelt, ist hingegen das Defizit im Individuum selbst zu verorten und an diesem ist er selber schuld.
Und ja, das ist eine kultivierte Doppelmoral und sie ist zudem sexistisch.

Zur Lesart des „Manifests“ von Rodger zwei Hinweise: 1. Elliot Rodger war asiatischer Abstammung. Man lese seine fraglos rassistischen Äußerungen bitte noch einmal unter diesem Vorzeichen.
2. Die ersten beiden Opfer seines Amoklaufs waren a. asiatische b. Männer.
Man lese bitte noch einmal 1. und frage sich dann, warum der unterstellte primäre Frauenhass sich zuerst gegen zwei Männer richtete.“

Meine 2 Cent zu diesem grauenhaften Artikel.
tldr hat 2018 auf youtube ein gutes Video über Incel veröffentlicht: „Social Isolation and Involuntary Celibacy“
https://www.youtube.com/watch?v=5J93U-iokyw

Leider hat sich „Forever Alone“ komplett aus Youtube zurückgezogen und seine Channels gelöscht. Er hatte ein sehr gutes Antwortvideo verfasst auf den selten blöden Beitrag von Sargon of Akkad.