„75% der systemrelevanten Berufe werden von Frauen ausgeübt“

In der Diskussion zu dem Artikel von Hensel entstand auch eine Diskussion darüber, ob es richtig ist, dass 75% der systemrelevanten Berufe von Frauen ausgeübt werden.

Kibo schreibt dazu:

Der heute bei Arne verlinkte Publico-Artikel kommt zu ähnlichen Schlussfolgerungen,wie rano64 sie aufgestellt hat:

Dazu beruft sie sich auf eine Untersuchung des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die einen Frauenanteil von 75 Prozent in den krisenrelevanten Berufen behauptet. Allerdings widmet sich die Studie vor allem der Gehaltsstruktur bestimmter Berufsgruppen. Die DIW-Forscher stellen nebenbei die 75-Prozent-Behauptung auf, allerdings, ohne darzulegen, wie sie darauf kommen. Die Zahlen aus der Arbeitswelt lassen von dieser Behauptung nicht viel übrig.

Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes beträgt der Männeranteil an Beschäftigten in der Landwirtschaft 76,8 Prozent, an der Lebensmittelherstellung 69,8, an der Getränkeherstellung 85,5, an Jobs im Bereich Güterumschlag und Post 73, bei Fahrzeugführern im Straßenverkehr 94,2, im Schienenverkehr 95,9, in Schutz- und Sicherheitsberufen 72,2, in der Energietechnik 96 und in der Müllentsorgung fast 100 Prozent. In den Draegerwerken, die Beatmungsgeräte herstellen, von denen zur Zeit das Überleben vieler Menschen abhängt, arbeiten zu 71,5 Prozent Männer. Dafür stellen weibliche Mitarbeiter im Lebensmittelverkauf mit 86,1 Prozent die übergroße Mehrheit, in medizinischen Gesundheitsberufen (82,4 Prozent) und in der Altenpflege (83,7 Prozent), also in nicht nur krisenrelevanten, sondern auch sehr großen Bereichen der Wirtschaft.

Crumar schreibt darauf:

Die DIW Studie arbeitet mit Prozenten und nicht mit absoluten Zahlen – mit keiner einzigen.
Die Berufsgruppen sind nach eigenem Gusto zusammengestellt und zusammengefasst.
Sie haben z.B. „Pharmazeutische Berufe“, die es so gar nicht gibt.
Sie haben „Verwaltungsberufe“, die nach ihren Angaben 32% der „systemrelevanten Berufe“ ausmachen – mir ist nicht klar, wie sich diese zusammen setzen und sie weisen es auch nicht aus.

Dann arbeiten sie mit dem Klassiker des Betrugs, den man nur erkennt, wenn man weiß, dass es keine „deutschen“ Brutto-Stundenlöhne gibt, sondern diese nach Ost und West unterschiedlich sind.
Der durchschnittliche Brutto-Stundenlohn in D ist 19,33 Euro, aber in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) nur 14,99 Euro. D.h. um so höher der prozentuale Anteil von Ost-Frauen in einer bestimmten Berufsgruppe, desto niedriger der Durchschnittsverdienst von „Frau“, desto höher ist in Frauenberufen der „gender pay gap“.

Kibo dazu:

@crumar

Sie haben „Verwaltungsberufe“, die nach ihren Angaben 32% der „systemrelevanten Berufe“ ausmachen – mir ist nicht klar, wie sich diese zusammen setzen und sie weisen es auch nicht aus.

In einer Fussnote deuten die Autorinnen an, was sie als Ausgangsbasis für ihre Betrachtng genommen haben:

Die vorliegende Analyse bezieht sich auf die zuerst veröffentlichte Liste der Berliner Senatsverwaltung, Stand 12. März 2020

Das müsste dann folgende Liste sein:

– Arzt- und Praxishilfe
– Medizinisches Laboratorium
– Gesundh.,Krankenpfl., Rettungsd.Geburtsh.
– Human- und Zahnmedizin
– Pharmazie
– Altenpflege
– Verkauf von Lebensmitteln
– Verkauf drog.apotheken.Waren, Medizinbed.
– BVG
– Polizei
– Feuerwehr
– Energietechnik
– Land-, Tier-, Forstwirtschaftsberufe

In einer weiteren Fußnote schreiben sie:

Die Einteilung in die jeweiligen Berufsgruppen erfolgt anhand der 3-Steller-Ebene der Klassifikation der Berufe (KldB 2010)

So sind beispielsweise alle human-und zahnmedizinischen Berufe in einer gemeinsamen Berufsgruppe enthalten und die Berufsgruppe der Verwaltungsberufe umfasst neben betriebsnotwendigem Personal in öffentlichen Einrichtungen und Behörden auch andere Verwaltungsberufe. Zudem lassen sich einige der als systemrelevant ausgewiesenen Berufe wie beispielsweise Krisenstabspersonal und Personal der kritischen Infrastruktur und Grundversorgung nicht eindeutig innerhalb der KldB 2010 zuweisen, sodass die hier vorgenommene Auswahl systemrelevanter Berufsgruppen möglicherweise nicht alle betroffenen Personen abbildet.

Um es klar zu sagen, sie haben hier massiv manipuliert. mMn kann man mit den Prozentzahlen schon rechnen, aber wenn ich die Zahlen aus der Abbildung 4 nehme und damit rechne komme ich selbst mir ihrer manipulierten Liste nur auf 56% Frauenanteil! Bei Bedarf stelle ich die Zahlen gern zur Verfügung. Ein Frauenanteil von 75% ist völlig utopisch.

Für mich bleibt die 75% wie rano64 schon sagte eine „durch nichts belegte bzw. frei erfundene Zahl“

Crumar dazu:

  • Wie funktioniert der Fake in der Studie „Systemrelevant und dennoch kaum anerkannt: Das Lohn- und Prestigeniveau unverzichtbarer Berufe in Zeiten von Corona“ von Josefine Koebe, Claire Samtleben, Annekatrin Schenker, Aline Zucco des DIW Berlin?

    Zunächst wird in der Fußnote eingeräumt, es gibt gar keine bundeseinheitliche Liste.
    Laut ihrer eigenen Aussage haben sie die Berliner Liste verwendet, weil sie als erste da war – nicht weil sie zutreffend oder umfassend ist.

    1. In der gleichen Fußnote (3, S. 2) eine Bemerkung, die nachfolgend relevant ist: „Die Einteilung in die jeweiligen Berufsgruppen erfolgt anhand der 3-Steller-Ebene der Klassifikation der Berufe (KldB 2010). Diese wurde von der Bundesagentur für Arbeit und dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mitentwickelt und ermöglicht eine hohe Vergleichbarkeit über verschiedene Datenquellen hinweg.“

    Nur nutzen sie entgegen ihrer Behauptung nicht die „3-Steller-Ebene“, sondern verfahren hochgradig manipulativ nach eigenem Gusto. D.h. die Gruppierung erfolgt nicht konsistent, sondern so, wie es in das ideologische, nämlich feministische Schema passt.

    2. Wie ich bereits schrieb, die Gruppe „Pharmazeutische Berufe“ gibt es in der Klassifikation der Berufe (KldB) überhaupt nicht.
    Sondern nur Berufe in der Pharmazie.
    Diese haben aber einen 4er Schlüssel (8188) und keinen 3er.
    Die Ebene der 3 Stellen, also die Obergruppe, heißt „Pharmazie“ und deren Schlüssel ist 818.

    Durch „Pharmazeutische Berufe“ kann dafür gesorgt werden, dass ein Frauenanteil von 80% in der Leitung von Apotheken und deren überdurchschnittliche Vergütung einfach verschwindet.
    Konkret verschwinden dadurch folgende Berufsgruppen:
    8180 Apotheker/innen, Pharmazeuten/Pharmazeutinnen
    8181 Fachärzte/-ärztinnen in der Pharmakologie
    8182 Berufe in der pharmazeutisch-technischen Assistenz
    8189 Führungskräfte – Pharmazie

    Durch diese Manipulation wird Durchschnittsgehalt der Berufsgruppe nach unten „korrigiert“ und das ist der Zweck der Maßnahme/Manipulation.

    3. Der KldB Schlüssel für die Gruppe „Fahrzeugführer/innen im Straßenverkehr“ hat einen 5er Schlüssel, abermals keinen 3er.
    Der 3er Schlüssel hingegen heißt „Fahrzeugführung im Straßenverkehr“ – arg auffällig, dass diese geschlechterneutrale Formulierung der Klassifikation nicht verwendet wird.
    Diese Berufsgruppe ist in der Studie natürlich in weiblicher Form (Fahrzeugführerinnen) geschrieben – wenn schon gegen die Realität argumentiert, dann aber richtig!

    Das sagt die Klassifikation der Berufe über die zugehörigen Berufe Fahrzeugführer/innen im Straßenverkehr:
    „Zugeordnete Berufe (Beispiele):
    – Auslieferungsfahrer/in (nicht Verkaufsfahrer/in)
    – Botenfahrer/in
    – Fahrradkurier/in
    – Rettungswagenfahrer/in

    Nicht einzubeziehende Berufe:
    – Berufskraftfahrer/in – Güterverkehr (52122)
    – Testfahrer/in (27312)“

    Jedenfalls ist durch diese Manipulation der „Trucker“ verschwunden und wird in der Studie nicht berücksichtigt. Da in dieser Berufsgruppe der Männeranteil hoch und die Bezahlung niedrig ist, werden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der Männeranteil der „systemrelevanten Berufe“ sinkt proportional und bei der Gruppe „Mann“ wird das Lohnniveau erhöht.

    4. Hingegen umfassen die von ihnen zusammengefassten „Arzt- und Praxishilfen“ nach Schlüssel 811 folgende Berufsgruppen:
    8110 Medizinische Fachangestellte (ohne Spezialisierung)
    8111 Zahnmedizinische Fachangestellte
    8112 Podologen/Podologinnen
    8113 Orthoptisten/Orthoptistinnen
    8114 Tiermedizinische Fachangestellte
    8118 Medizinische Fachangestellte (sonstige spezifische Tätigkeitsangabe)

    Es ist utopisch anzunehmen, alle diese Berufsgruppen wären gleichermaßen „systemrelevant“.
    Hier ging es offensichtlich darum, die Beschäftigtenzahlen für „Frau“ künstlich nach oben zu treiben.
    Das gleiche Spiel mit Schlüssel 831 „Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege“ – Manipulation der Beschäftigtenzahlen im Sinne „Frau“ nach oben.

    5. Auch die von ihnen angeführten „Reinigungsberufe“ haben keine 3er Schlüssel, sondern nach KldB einen 2er; der 3er Schlüssel heißt einfach nur „Reinigung“.
    Das kann ganz ordinäre Schlamperei sein, es wirft aber die Frage auf, welche darunter gefassten Berufe von ihnen herangezogen worden sind.
    Denn nach ihrer Studie haben „Reinigungsberufe“ einen Anteil von satten 14% an denen aller „systemrelevanten Berufe“!
    Hier alle nach dem 4er (!!!) Schlüssel aufgelisteten Berufe:
    5410 Berufe in der Reinigung (ohne Spezialisierung)
    5411 Berufe in der Gebäudereinigung
    5412 Berufe in der Glas- und Fensterreinigung
    5413 Berufe in der Textilreinigung
    5414 Berufe in der Maschinen- und Anlagenreinigung
    5415 Berufe in der Fahrzeugreinigung
    5418 Berufe in der Reinigung (sonstige spezifische Tätigkeitsangabe)
    5419 Aufsichtskräfte – Reinigung

    Ich möchte niemandem in der Glas- und Fensterreinigung zu nahe treten, aber unter „systemrelevant“ stelle ich mir dann doch andere Berufe vor.
    Zum Zweck der Manipulation siehe die vorhergehenden Punkte.

    6. Noch einmal auf die größte Gruppe der „systemrelevanten Berufe“ – die in der Studie unter „Verwaltungsberufe“ zusammengefasst wird und nach dieser einen Anteil von 32% hat – einzugehen, kann ich mir hier sparen, denn das aufgezeigte manipulative Muster wird identisch sein.

    Zusammengefasst ist die Studie manipuliert worden, um zwei „Ergebnisse“ aufzuzeigen, die so formuliert werden:
    a. „Der Frauenanteil in den systemrelevanten Berufsgruppen insgesamt liegt bei knapp 75 Prozent.“ S. 5
    b. „Nicht nur sind also knapp drei Viertel der in systemrelevanten Berufen tätigen ArbeitnehmerInnen
    Frauen, sondern darüber hinaus werden diese (…) deutlich schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen.“ (S. 6)
    Die Ergebnisse in Anführungszeichen, weil diese der eigentliche Zweck der Fake-Studie sind und natürlich ganz am Anfang standen. Politisches Ziel ist die „finanzielle Aufwertung“ von Berufen, in denen besonders Frauen tätig sind und für dieses Vorhaben ist jede wissenschaftliche Fälschung, jede Manipulation, jede Täuschung der Öffentlichkeit selbstredend vertretbar.

    Diese feministische Fake-Studie ist wissenschaftlich ein weiterer Fall für das Altpapier/die Löschtaste, interessant nur als Beispiel, wie politische Propaganda funktioniert und wie fake konkret fabriziert wird.

     

 

Natürlich hängt letztendlich alles an der Definition von „Systemrelevant“. In einem komplexen System wie dem unseren ist tatsächlich sehr viel systemrelevant im weiteren Sinne. Ein gutes Gesundheitssystem kann letztendlich auch nur in einer starken Wirtschaft existieren.

„Systemrelevant“ bedeutet ja auch nur „innerhalb der Coronakrisenquarantäne zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig, auch wenn ansonsten alles, was ein hohes Ansteckungsrisiko in sich trägt, nicht stattfinden darf“.  Es ist nicht damit zu verwechseln, was außerhalb einer Quarantäne eigentlich entbehrlich ist oder damit, dass andere Tätigkeiten nicht gebraucht werden und nicht wichtig sind.