Gerade gab es eine interessante Meldung zu einer Frau im Vorstand einer Aktiengesellschaft, Delia Lachance, die aus dem Vorstand aussteigen muss, weil sie eine Elternzeit von 6 Monaten wahrnehmen möchte:
Zu ihrer Person:
Delia Lachance ist Gründerin von Westwing und Chief Creative Officer. Anfang März hat sie ihren Mutterschutz und die sechsmonatige Elternzeit begonnen. Lachance musste deswegen ihr Amt als Vorstandsmitglied niederlegen. In einer Meldung, die auch auf der Seite von Westwing zu lesen ist, steht: „Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sehen für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften aktuell nicht die Möglichkeit vor, Mutterschutz sowie Elternzeit in Anspruch zu nehmen.“ Lachance sei deswegen „wie rechtlich erforderlich von ihrem Amt als Vorstandsmitglied zurückgetreten“. Ein Gründerszene-Artikel, der diese Änderung bei Westwing thematisierte, löste nach einem Instagram-Post der Gründerin eine kontroverse Debatte aus – auch darüber, warum eine Vorständin ihr Mandat überhaupt niederlegen muss, wenn sie eine Babypause macht.
Aus dem gleichen Artikel dazu aus rechtlicher Sicht:
Das deutsche Mutterschutzgesetz gilt für alle Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen – damit aber ausdrücklich nicht für Frauen in der Geschäftsführung“, erklärt Christian Vetter, Leiter der Fachgruppe Arbeitsrecht beim Bundesverband der Personalmanager (BPM). „Geschäftsführerinnen oder weibliche Vorstandsmitglieder können deshalb während der Schwangerschaft abberufen werden.
Theoretisch kann ein Unternehmen seine Geschäftsführerin sogar am Tag der Entbindung auf Dienstreise schicken.“ Den betroffenen Frauen bliebe oftmals nur die Möglichkeit, sich krankschreiben zu lassen oder Urlaub zu nehmen.
Im Sinne des Erfinders ist das nicht: „Sinn und Zweck des Gesetzes ist es, schwangere Frauen im Berufsleben generell vor Diskriminierung zu schützen“, sagt Matthias Jacobs, Professor für Arbeitsrecht an der Bucerius Law School in Hamburg. „Deshalb wäre es durchaus vertretbar, den Arbeitnehmerbegriff europarechtskonform auszulegen und Geschäftsführerinnen und weibliche Vorstandsmitglieder mit in das Gesetz einzubeziehen.“
Zudem aus der Wikipedia zum Vorstand:
Die Leitung einer Aktiengesellschaft hat der Vorstand nach § 76 Abs. 1 AktG, der sich im Regelfall aus mehreren Personen zusammensetzt. Er ist nicht weisungsgebunden, wird aber in der grundsätzlichen Ausrichtung seiner Arbeit durch den Aufsichtsrat kontrolliert. Wenn es mehrere Vorstandsmitglieder gibt, wird häufig einer vom Aufsichtsrat zum Vorstandsvorsitzenden, seltener auch zum Sprecher des Vorstandes ernannt, oder der Vorstand wählt einen Vorstandssprecher.
Die Mitglieder des Vorstandes werden vom Aufsichtsrat auf die Dauer von höchstens fünf Jahren bestellt (§ 84 Abs. 1 AktG). Eine erneute Bestellung ist zulässig. Ein Mitglied des Vorstandes kann vom Aufsichtsrat bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen werden (§ 84 Abs. 3 AktG). In einem Anstellungsvertrag (Dienstvertrag) zwischen der Aktiengesellschaft, die dabei durch den Aufsichtsrat vertreten wird (§ 112 Abs. 1 AktG) und dem Vorstandsmitglied werden die gegenseitigen Rechte und Pflichten, insbesondere die Bezüge während und nach der Beendigung seiner Amtszeit, geregelt.
Der Vorstand beruft die ordentliche und die außerordentliche Hauptversammlung ein. Er vertritt die AG nach außen (gerichtlich und außergerichtlich), ihm obliegt die Gesamtgeschäftsführungsbefugnis und die Gesamtvertretungsmacht (z. B. Buchführung, Jahresabschluss).
Jedes Vorstandsmitglied haftet der Gesellschaft gemäß § 93 AktG persönlich, d. h. mit seinem persönlichen Vermögen, für Schäden, die der Gesellschaft aufgrund einer schuldhaften Pflichtverletzung (z. B. Verletzung der Sorgfaltspflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters) entstehen.
Die Aktiengesellschaft ist eine Kapitalgesellschaft mit einer theoretisch nicht überschaubaren, da relativ anonymen Menge von Gesellschaftern, den Aktionären. Im Gegensatz zur GmbH, bei der aus der Gesellschafterliste jederzeit ersichtlich ist, wer Gesellschafter der GmbH ist und bei der der Gesellschafterkreis üblicherweise den Geschäftsführer selbst überwacht und ihm Anweisungen geben kann, ist dies gerade bei der Aktiengesellschaft nicht so einfach. Es liegt daher ein wesentlich größerer Einfluss bei dem eigentlichen Vorstand, der (üblicherweise) wesentlich unabhängiger ist.
Da die Verpflichtung erst einmal nur für 5 Jahre besteht kann man erwarten, dass er in dieser Zeit dann eben auch seine Arbeit höchstpersönlich ausübt. Er ist noch mehr als der Geschäftsführer einer GmbH, dem die Gesellschafter Anweisungen geben können, dem Unternehmen verpflichtet. Eine persönliche Rücksicht ist in der Hinsicht auch wesentlich schwieriger, weil er eben abstrakte Interessen der Gesellschafter/Aktionäre vertritt, die selbst keinen direkten Einfluss auf den Verlauf abseits der Hauptversammlung haben.
Es verwundert wenig, dass damit dieser Posten wenig Platz für eine Elternzeit hat. Es wäre interessant, ob das irgendwo auf der Welt anders ist. Der Mutterschutz wäre in der Hinsicht ja durchaus nicht so problematisch, weil er im Endeffekt wie eine Krankheit zu behandeln ist.
Der Paragraph zur Abberufung ist im übrigen aus gutem Grund relativ flexibel gefasst:
§ 84
Bestellung und Abberufung des Vorstands
(1) 1Vorstandsmitglieder bestellt der Aufsichtsrat auf höchstens fünf Jahre. 2Eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit, jeweils für höchstens fünf Jahre, ist zulässig. 3Sie bedarf eines erneuten Aufsichtsratsbeschlusses, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefaßt werden kann. 4Nur bei einer Bestellung auf weniger als fünf Jahre kann eine Verlängerung der Amtszeit ohne neuen Aufsichtsratsbeschluß vorgesehen werden, sofern dadurch die gesamte Amtszeit nicht mehr als fünf Jahre beträgt. 5Dies gilt sinngemäß für den Anstellungsvertrag; er kann jedoch vorsehen, daß er für den Fall einer Verlängerung der Amtszeit bis zu deren Ablauf weitergilt.(2) Werden mehrere Personen zu Vorstandsmitgliedern bestellt, so kann der Aufsichtsrat ein Mitglied zum Vorsitzenden des Vorstands ernennen.
(3) 1Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. 2Ein solcher Grund ist namentlich grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung oder Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, es sei denn, daß das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist. 3Dies gilt auch für den vom ersten Aufsichtsrat bestellten Vorstand. 4Der Widerruf ist wirksam, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist. 5Für die Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag gelten die allgemeinen Vorschriften.
(4) Die Vorschriften des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 801-2, veröffentlichten bereinigten Fassung – Montan-Mitbestimmungsgesetz – über die besonderen Mehrheitserfordernisse für einen Aufsichtsratsbeschluß über die Bestellung eines Arbeitsdirektors oder den Widerruf seiner Bestellung bleiben unberührt.
Ein Amt, dass auf fünf Jahre vergeben wird ist eben nicht kompatibel mit einer Elternzeit.
Man würde wohl auch beispielsweise wenig Verständnis haben, wenn eine Bundeskanzlerin erklären würde, dass sie jetzt erst einmal eine Elternzeit nimmt. Ein Vorstand einer Aktiengesellschaft ist in der Hinsicht nichts anderes.
Natürlich könnte man anführen, dass ein Vorstand ja aus mehreren Personen bestehen kann und das die anderen Vorstandsmitglieder dann eben in der Zeit vertreten. Dann hätte man letztendlich aber jemanden im Vorstand, der keine Arbeit macht und nur pro Forma im Vorstand ist. Dazu ist aber gerade der Vorstand einer Aktiengesellschaft nicht da.
So wie ich es sehe ist es dem Aufsichtsrat natürlich ungenommen sie nicht abzuberufen. Sie hat dann eben nur die volle Haftung. Genauso könnte der Aufsichtsrat, wenn er von ihr überzeugt ist, sie nach der Elternzeit wieder in den Vorstand berufen.
Der Aufsichtsrat müsste sich aber so oder so auch vor den Aktionären verantworten, wenn er nicht handelt.
Der Fall ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel dafür, dass es an der Spitze rau zugeht und keineswegs alles nur Einstreichen der hohen Vorstandsbezüge ist. Man erwartet eben, dass der Vorstand einer AG für diese vollberuflich im Einsatz ist und diese letztendlich wie ein Selbständiger ein eigenes Unternehmen führt, in dem er selbst und ständig arbeitet.
Es gibt immer mal wieder – nach Fällen wie diesen – Kampagnen das zu ändern. Aber ich bezweifele, dass sie erfolgreich sein werden. Denn auch wenn Delia Lachanche für das konkrete Unternehmen sehr wertvoll ist wäre es in anderen Bereichen sicherlich ein Desaster. Wenn etwa der Vorstand von BMW oder BASF erklärt, dass er von seinem 5 Jahresvertrag als Vorstand 2 Jahre in Elternzeit verbringen wird um dann wieder an der gleichen Stelle tätig zu sein, weswegen man sich einen Ersatz für diese 2 Jahre besorgen müsse, vielleicht entscheide er sich sich auch nach den Ablauf dafür, dass er doch nicht zurückkommt oder in Teilzeit arbeitet, dann wäre das für den Aktienkurs sicherlich nicht sehr gut und lähmend für eine Unternehmensstrategie.
Letztendlich könnte dies auch einer der Fälle sein, bei denen mehr Rechte in dem Bereich sich schädlich für Frauen auswirken. Denn dann wird die Einstellung einer Frau in dem Bereich eben noch risikoreicher.
Interessant ist auch ein Instagram Beitrag von Frau Lachance zu einem Artikel:
Der Artikel, um den es geht, stellt sie als durchaus wichtige Person für das Unternehmen dar und fragt sich wie es ohne sie gehen wird, kündigt aber auch an, dass sie ja weiter für das Unternehmen auf sozialen Medien aktiv sein wird.
Ich habe den Text oben mal durch Deepl gejagt:
Schämen Sie sich @gruenderszene, dass Sie mich und meine Firma niedermachen, weil ich in Mutterschaftsurlaub gegangen bin. 🤮 Sie wissen nichts über meine Arbeit oder die Umstände meines Vertrags oder meines Urlaubs und Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, etwas sorgfältiger zu recherchieren – aber dann hätte diese Schuldzuweisung offensichtlich keine Grundlage. Dieser Artikel wurde von einer Frau veröffentlicht, die ironischerweise kürzlich an einem rein weiblichen Esstisch saß, den ich zur Förderung der #Schwesternschaft 😞 veranstaltete. Es wäre einfach gewesen, mich einfach anzurufen oder mir eine E-Mail zu schicken, um die Fakten zu klären, aber Objektivität war offensichtlich nicht der Zweck dieses Artikels.
Wenn ich hochschwanger bin, ist die Veröffentlichung von etw. auf diese Art und Weise einfach widerlich bis zur Untergrenze.
Normalerweise reagiere ich nicht auf solchen Müll, weil genau diese Art von Aufmerksamkeit von den Medien gewünscht wird, aber das ist einfach eine Grenzüberschreitung. Ich habe in den letzten Wochen hier über Instagram geschwiegen, weil ich super damit beschäftigt war, meinen Urlaub mit unserem Team bis ins Detail vorzubereiten, mein schwangeres Selbst bis zur letzten Minute auf die Probe gestellt habe und jetzt komme ich hier wieder darauf, dass ich nur das hübsche Gesicht von Westwing bin, das eigentlich nicht funktioniert, außer beim Fotografieren. Können wir einfach aufhören, Menschen nach ihrem Aussehen zu beurteilen? Ich bin nicht dumm oder faul oder ein schlechter Unternehmer, weil ich mich um Schönheit und Mode kümmere. Können wir auch endlich damit aufhören, kreative Arbeit als weniger wertvoll zu betrachten als das Durchgehen von Zahlen? Hier werden so viele schreckliche Stereotypen gefeiert, dass mir bei der Lektüre dieser Zeilen buchstäblich die Tränen kommen. Neben vielen verdrehten Tatsachen bezüglich meiner Vergütung hat es noch nicht einmal die Nachforschungen gegeben, um diese Tatsache zu verstehen:
Ich musste aus dem Westwing-Vorstand aussteigen, weil das Gesetz für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften in Deutschland immer noch archaisch ist, wenn es um den Mutterschaftsurlaub geht. Es gibt keine Möglichkeit, einen Mutterschaftsurlaub in einem Ausmaß zu nehmen, dass ich mich haftbar machen würde, wenn ich am Tag meiner Geburt eine wichtige Sitzung versäumen würde (ja, Sie haben das richtig gelesen). Das ist die frustrierende Realität und zeigt, dass wir noch einen langen Weg gehen müssen, um Frauen gleiche Karrierechancen zu geben. Vielleicht sollten Sie über @gruenderszene sprechen und nicht die Gelegenheit nutzen, mich und mein Team sechs Wochen vor meinem Geburtstermin zu verprügeln.
Ihre Darstellung, dass sie da bereits haftbar wäre, wenn sie am Tag der Geburt eine wichtige Sitzung versäumt, halte ich für übertrieben. Ein Vorstandsmitglied kann natürlich auch krank sein und die Haftung ist meines Wissens verschuldensabhängig. Und als Kreativer Direktor sollte das Haftungsrisiko auch vergleichsweise gering sein. Aber interessant, dass sie so auf den Artikel reagiert, der ja zu einem nicht geringen Teil ihre Wichtigkeit betont und darstellt, dass sie wohl nach wie vor einen recht gut dotierten Beschäftigungsvertrag für PR-Leistungen abgeschlossen hat, der ihr erlaubt der Haftung zu entgehen und in Elternzeit zu gehen.
Sie führt an, dass sie mehr weibliche Solidarität erwartet hat und auf ihr Äußeres reduziert wird.
Interessant wäre wie ein vergleichbarer Artikel über einen Mann ausgefallen wäre, der sich nach der Geburt seines Kindes entschließt 6 Monate in Elternzeit zu gehen. Ich vermute deutlich kritischer.