Nils Pickert dazu, warum Männer Feministen werden sollten (Ich fand einige Argumente so dumm, dass ich einer Besprechung nicht widerstehen konnte, auch wenn ich schon ein paar Artikel dieser Art besprochen habe)
Sollten Männer dann überhaupt Anstrengungen unternehmen, um feministisch zu handeln? Offenbar gibt es ja kaum bis keine Pluspunkte zu sammeln. Frauen bleiben kritisch, Männer beschimpfen einen hier und da als Geschlechtsverräter, lila Pudel oder Beischlafbettler, und direkte Vorteile sind auch nicht in Sicht: Feminismus ist keine Sekte, die einem Zugang zu den elitären Kreisen Hollywoods verschaffen kann, und auch kein Geheimclub, bei dem jemand einen Riegel auf Augenhöhe beiseiteschiebt und Sie das Losungswort sagen müssen. Feminismus ist eine politische Idee und eine Ermächtigungsstrategie. Er kämpft für Gleichberechtigung statt für Gleichmacherei. Er stellt die Machtfrage, fordert Diskriminierungsfreiheit und streitet für diejenigen, die strukturell Benachteiligung erfahren.
Keine Sekte? Kann man auch gut das Gegenteil vertreten. Und natürlich kämpft der Feminismus nicht für Gleichberechtigung, sondern weit eher eine teilweise Gleichstellung, nämlich eben dort wo es Frauen Vorteile bringt. Und Gleichstellung ist eben auch eine Form der Gleichmacherei und ist häufig das Gegenteil von Gleichberechtigung.
Aber deswegen Feminist werden?
Wäre eine gute Wahl. Nicht nur mit Blick auf Ihre Mütter, Töchter, Schwestern, Partnerinnen und all die anderen Frauen in Ihrem Leben, sondern auch für Sie ganz persönlich. Zum einen, weil Sie dann nicht zu all den Ärschen gehören, die glauben, dass es in Ordnung ist, wenn ein Mann seine Frau schlägt. Laut einer aktuellen Studie der Vereinten Nationen findet das erschreckenderweise ein Drittel der Weltbevölkerung okay.
Was für ein geiles Argument. Nur Feministen sind dagegen, dass ein Mann eine Frau schlägt! Wer kein Feminist ist, der ist mindestens ein Befürworter davon, Frauen zu schlagen. Aber sonst sind wir keine Sekte, die das alleinige Seelenheil durch Beitritt verspricht!
Zum anderen, weil die Durchsetzung zentraler feministischer Forderungen dazu führen würde, dass man Ihnen nicht länger sagen würde, dass Sie gefälligst arbeiten gehen müssen, statt mehr als zwei Monate Elternzeit zu nehmen. Ihnen würde nicht länger die Männlichkeit abgesprochen, wenn Sie vor Schmerz winseln würden, wenn Sie nicht mehr leistungsfähig wären, psychische Probleme hätten oder Gewalt erfahren müssten. Sie würden nicht ständig dazu aufgefordert, über Ihre Grenzen zu gehen, sich zusammenzureißen und gefälligst nicht so rumzuheulen.
Das ist so etwa wie „wenn sie sich die Arme abhacken, dann tut ihnen die Schnittwunde am Finger nicht mehr weh“. Denn hier ist ja die vorgeschlagene Kur wesentlich schlimmer als das übel und dazu gibt es weitaus bessere Wege damit umzugehen.
Man muss etwa nicht die Welt einseitig in Gruppen einteilen, von denen die einen die Diskriminierer und die anderen die von diesen Diskriminierten sind und dann in einer Abwärtsspirale dieses Muster immer weiter übertreiben, bis alle Handlungen schlecht sind und man allgemeines negatives Verhalten vollständig auf eine die schlechte Gruppe transferieren muss („toxische Männlichkeit“). Man kann auch abseits dieser Theorien und abseits des Femimismus Männern zugestehen Schmerzen zu haben oder an ihre Grenzen zu kommen. Man kann auch dennoch noch einen Wert darin sehen, sich in bestimmten Situationen zusammenzureißen und eben durchzuhalten, als Mann oder als Frau, ohne es einseitig bei Männern zu verteufeln. Und man muss auch nicht rumheulen als großartige Eigenschaft darstellen, die alle Probleme löst.
Man kann sogar zugestehen, dass Männer im Schnitt anders und auch härter sind ohne das darin die Ursache alles Leides und keinerlei Vorteile gesehen werden können. Aber das würde ja differenziertes Denken erfordern, welches der Kult, die Sekte, nicht zulässt.
Mannsein könnte durch all die vielen tollen Eigenschaften definiert werden, über die Jungen und Männer schon heute verfügen, die aber leider immer noch viel zu oft schlechtgeredet und mit Scham beladen werden. Und würde nicht länger definiert durch absurde Abgrenzungen in Richtung Weiblichkeit: Sei kein Mädchen, sei nicht schwul! Andere Männer der Unmännlichkeit zu verdächtigen ist im Feminismus nicht möglich. Damit lässt sich die eigene Männlichkeit nicht länger aufwerten.
Mannsein ist bereits durch viele tolle Eigenschaften definiert und man muss diese nicht gegenüberstellen und in schlecht und gut einteilen, man kann auch einfach zugestehen, dass Menschen und damit auch Männer verschieden sind, verschiedenes wollen und damit in verschiedenen Bereichen gut abschneiden, ohne das man eine richtige Männlichkeit, die weich ist, vorzugeben.
Und klar können Männer im Feminismus der Unmännlichkeit verdächtigt werden. Es ist zB unter Femimistinnen ein beliebtes Mittel der Verhöhnung einem Mann, der Nachteile für Männer sieht etwas vorzuhalten wie „Oh, wirst du armer kleiner Mann unterdrückt von den bösen Frauen, die dich total fertig machen???“ oder ähnliches.
Beleidigungen beruhen eben gerne auf evolutionären Konzepten von Männlichkeit und Weiblichkeit weil das wirkt. Und Feministen nutzen das ebenso gerne.
Aber ginge das alles nicht auch mit einem anderen Konzept, das nicht ganz so frauenbewegt daherkommt? Natürlich steht es Männern frei, eine eigene emanzipatorische Bewegung auf den Weg zu bringen, Ziele zu formulieren und Forderungen zu erheben. Die Anliegen von Männern sind genauso wichtig und wertvoll wie die von Frauen, sie verdienen Beachtung. Nur gleicht die männliche Emanzipation einem ziemlich leeren Werkzeugkasten. Es ist einfach nicht genug drin, mit dem Sie sofort loslegen und an Ihren Problemen herumschrauben beziehungsweise Ihre Hoffnungen zum Fliegen bringen können.
Korrekter wäre es wohl zu sagen, dass die Anliegen von Männern, die in der Erfüllung der Verbesserungsvorschläge des Feminismus liegen, Beachtung finden und in soweit eng umgrenzt sind: Männer dürfen es als Anliegen haben ihre toxische Männlichkeit zu bekämpfen. Sie dürfen sich von dieser emanzipieren.
Aber gar den Gedanken entwickeln, dass Frauen nicht so unterdrückt sind wie der Feminismus meint oder das Männer in vielen Bereichen schlecht wegkommen, weil Frauen dort Vorteile haben, dass sind keine Konzepte, an denen rumgeschraubt werden soll
Die Instrumente des Feminismus liegen hingegen alle einsatzbereit da. Feministinnen wissen, dass Geschlecht auch sozial konstruiert wird. Sie wissen, dass ein und dieselbe Person mehrfach diskriminiert werden kann. Feminist zu sein bedeutet eben nicht, dass man seine eigenen Interessen als Mann aus dem Blick verliert und sich der Frau für die nächsten Jahrhunderte unterwirft. Sondern dass Mann sich in einer Gesellschaft, die die Rechte von Frauen und Minderheiten mit Füßen tritt, nicht nur aus Solidarität an die Seite der Betroffenen stellt, sondern auch jederzeit selbst der Nächste sein kann. Der Nächste, der diskriminiert wird – weil er eine Behinderung hat, weil sein Gehalt für kaum mehr als das Nötigste reicht oder er Menschen des gleichen Geschlechts begehrt. Weil er „aussieht wie ein Corona-Patient“, den Sabbat ehrt oder seine Freizeit gerne in Shishabars verbringt.
Man kann also nicht als Mann diskriminiert werden. Sondern eben nur auf den anderen Ebenen. Und man hat gefälligst nur diese wunderbaren „Instrumente“ zu nutzen, die genau das ergeben, auch wenn es eine Unmenge von Studien gibt, die nahelegen, dass die von feministischen Theorien angenommene soziale Konstruktion (das „auch“ ist ja eher ein Feigenblatt) schlicht so nicht bestehen.
Feminismus bietet ziemlich interessante Lösungsansätze für das Kernproblem unserer Gesellschaft, die, selbst wenn sie die menschliche Würde für unantastbar erklärt, ihr doch jeden Tag Gewalt antut. Ob nun an den Außengrenzen Europas, in einer Sishabar in Hanau oder im heimischen Wohnzimmer. Feminismus vermag darüber hinaus messerscharf zwischen Privileg und Freiheit zu unterscheiden, obwohl sich doch beides für uns nahezu identisch anfühlt. Aber es ist eben keine Freiheit, wenn Mann bei einem Bewerbungsgespräch nicht nach seiner Familienplanung gefragt oder beim Erklimmen der Karriereleiter nie mit der Frage konfrontiert wird, wie man denn seine Kinder zu betreuen gedenkt. Es ist nur ein Privileg. Ein Privileg, das Männern zugleich die Freiheit nimmt, als kompetenter Vater wahrgenommen zu werden, als gleichberechtigter Erziehungspartner, als Arbeitnehmer, der sich nicht ausschließlich für die Karriere zur Verfügung zu halten hat.
Auch hier kann man für mehr Rechte als Vater kämpfen, aber macht man es mit dem Feminismus, dann kämpft man nicht wirklich für Väterrechte, sondern hat schon genug sich selbst dafür zu geißeln, dass man ein Mann ist. Es ist schlicht unglaublich uneffektik.
Mit so einem Privileg mag Mann weit kommen, aber eben nicht bei sich an. Und der Preis dafür ist hoch. Mehr als dreimal so hoch war 2017 die Suizidrate von Männern gegenüber der von Frauen. Unter anderem auch deshalb, weil Männer sich weniger häufig Unterstützung und Beratung suchen, weil sie gewohnt sind, über die Grenzen der eigenen Belastbarkeit hinaus zu arbeiten und weil sie ihre Selbstmordversuche häufig so ausführen, dass jede Hilfe zu spät kommt. Weil genau diese Dinge als mannhaftes Verhalten gelten. Und nicht etwa Vorsorgeuntersuchungen, Vater-Kind-Kuren und vorsichtige Risikoabschätzung.
Also lassen Sie sich das mit dem Feminismus noch einmal durch den Kopf gehen. Davon bekommt Mann ihn nämlich freier.
Warum dann nicht einfach Vorsorgeuntersuchungen, Vater-Kind-Kuren und vorsichtige Risikoabschätzungen direkt fordern statt den Umweg über angebliche Privilegien zu gehen?