„Warum wir Mehrdeutigkeit nicht aushalten“ (In Bezug auf das Geschlecht)

Nils Pickert von Pinkstinks schildert zwei Vorfälle, bei denen sein Sohn aufgrund seiner langen Haare vermutlich anders behandelt wurde als Mädchen:

Einmal zögert der Friseur erst als der Junge einen Kurzhaarschnitt will, weil er ihn wohl für ein Mädchen hält. Als er hört, dass er ein Junge ist, lässt er aber alle Bedenken fallen.

Zudem hat die Lehrerin angeführt, dass dem Jungen die Haare häufig ins Gesicht fallen und ihn in der Schule beim Arbeiten stören. Sie meint, dass er ein Zopfgummi braucht. Es wird nachgefragt, ob sie das den Eltern der Mädchen, die ihr Haar offen tragen, auch geraten haben. Die Lehrerin verneint.

Es wird dann ausgeführt, dass gerade bei Kindern eine Eindeutigkeit verlangt wird in der Zuordnung. Bei Erwachsenen sei das einfacher, etwa habe der Friseur auch lange Haare gehabt, aber eben eine tiefe Stimme, einen Bart und Muskeln, deswegen sei er direkt als Mann identifizierbar. Bei Kindern habe man diese Merkmale nicht und das führe zu einer Mehrdeutigkeit, die für viele nicht zu ertragen sei.

Er schreibt:

Aber warum ist Mehrdeutigkeit so schwer auszuhalten? Warum frustriert es uns, wenn unser Kind für ein Mädchen gehalten wird, obwohl es ein Junge ist – und andersherum? Vielleicht haben Sie das, beispielsweise auf Spielplätzen, schon erlebt, vielleicht auch mit dem eigenen Kind? Die meisten Eltern berichtigen geschlechtsspezifische Ansprachen, die sie für falsch halten. „Ihre Tochter hat ja tolle lange Locken“ wird zumeist umgehend korrigiert: „Es ist ein Junge.“ Warum ist das nötig? Was würde passieren, wenn wir es nicht tun? Wir könnten ja auch einfach abwarten, bis das Kind selbst fähig und willens ist, das richtigzustellen.

Die eigentlich naheliegenste Antwort ist wenig überraschend: Es wird korrigiert, weil das Kind nicht mehrdeutig ist, sondern ein Geschlecht hat. Es ist eben ein Junge. Das ist keine sonderlich strittige Sache für die allermeisten. Und angesichts der Seltenheit von Transsexuellen oder Intersexuellen ist die Wahrscheinlichkeit äußerst niedrig daneben zu liegen, ohne das man das erkennt.

Sprich: Er macht ein Problem auf, weil er gerne eine Mehrdeutigkeit hätte und eine Pflicht zur Zurückhaltung sieht, die andere nicht sehen.

Wird ja auch an einem anderen Beispiel deutlich:

Jemand: „Eure Julia hat ja tolle lange Locken“

Eltern: „Sie heißt Sabine“

Warum können wir es da nicht bei der Mehrdeutigkeit belassen? Vielleicht wäre sie ja lieber eine Julia, ein Name mit vielen schönen Assoziationen, und keine Sabine. Vielleicht wäre sie sogar lieber eine Chantal. Wer weiß das schon?
Aber niemand ist verwundert, dass die Eltern da keine Mehrdeutigkeit wollen, bis das Kind selbst in der Lage ist das richtig zu stellen.

Aber irgendwie scheint die Verwechslung des Geschlechts der Kinder eine Beleidigung der Eltern darzustellen. So als wäre mit ihrem Nachwuchs irgendetwas falsch. Als hätten sie es versäumt, ihren Eindeutigkeitspflichten nachzukommen. Auch an dieser Stelle überbewerten wir die Geschlechtszuordnung. Das hat nichts Verspieltes, nichts von Ausprobieren oder Entdecken. Wenn sie groß sind, sollen unsere Kinder werden können, was sie wollen, aber jetzt, hier und heute, in diesem Sandkasten wird dem Opa da drüben klargemacht, welches Geschlecht das Kind hat. Nachher denkt der noch was Falsches. Mit geradezu verbissener Ernsthaftigkeit teilen wir die Welt in zwei Geschlechter ein.

Die Welt hat ja beim Menschen auch nur zwei Geschlechter. Und noch einige, aber überaus seltene Vermischungen von diesen zwei Geschlechtern.

Warum sollte man gerade in diesem Bereich anders verfahren als etwa bei allen anderen Punkten, wo man es wohl genau so korrigieren würde? Nils behauptet eine Alleinstellung, die aus meiner Sicht nicht besteht. Name, Herkunft, Staatsangehörigkeit, Augenfarbe, Größe, Alter, ich denke in all diesen Bereichen würde eine Richtigstellung erfolgen.

Etwa:

Jemand: „Oh, sie läuft aber schon toll für eine 1 Jährige

Eltern: „Sie ist 18 Monate alt“

Auch hier möchte sie vielleicht später jünger sein als sie dann ist, warum lassen wir da keine Mehrdeutigkeit zu?

Es ist eigentlich um so absurder, wenn man bedenkt, dass in den feministischen Identitätstheorien in vielen Bereichen gerade Mehrdeutigkeit abgelehnt wird.

Wer einen „Enby“ als Mann bezeichnet, der wird keine freundliche Mehrdeutigkeit erfahren, sondern eine Beschwerde über eine Falschgenderung.