Die Jury sieht es als erwiesen an, dass Weinstein 2006 der ehemaligen Produktionsassistentin Miriam „Mimi“ Haleyi in seiner Wohnung in Soho Oralverkehr aufzwang. Außerdem wird er wegen Vergewaltigung der früheren Schauspielerin Jessica Mann schuldig gesprochen, dieser Übergriff ereignete sich 2013 in einem Hotel in Manhattan. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Anklage zwei Vergewaltigungsstraftatbestände aufgeführt, die Jury entscheidet sich für den minder schweren. Weinstein drohen nun mindestens fünf und höchstens 25 Jahre Haft.
Weinsteins Anwälte wollen den Schuldspruch nicht akzeptieren. Arthur Aidala kündigt kurz nach dem Urteil an: „Es ist so sicher wie die Tatsache, dass ich ein glatzköpfiger Mann bin, dass wir in Berufung gehen werden.“ Sein Mandant sei überzeugt, dass sämtliche seiner sexuellen Beziehungen einvernehmlich gewesen seien. „Er hat immer wieder gesagt: ‚Ich bin unschuldig, ich bin unschuldig'“, beschrieb Aidala dem Portal New York Daily News Weinsteins Reaktion auf den Schuldspruch.
Noch am Freitag hatten die Geschworenen signalisiert, dass sie bei den beiden schwerwiegendsten Anklagepunkten uneins sind: Bei „predatory sexual assault“, einem nur schwer ins Deutsche übersetzbaren Straftatbestand, geht es nicht um einzelne Übergriffe, sondern um ein kriminelles Verhaltensmuster gegenüber Frauen. Am Ende lautet das Urteil hier: nicht schuldig. Dennoch ist der Prozess ein Erfolg für die New Yorker Staatsanwaltschaft. Denn das, was für die Öffentlichkeit längst klar schien, musste sie vor der Strafkammer des New York State Supreme Court erst einmal beweisen: Dass Harvey Weinstein nicht nur schuldig erscheint, sondern es auch im juristischen Sinne ist.
Also ein Schuldspruch im „minder schweren Fall“. Mal sehen, welche Haftstrafe dabei rauskommt und was die Berufung ergibt.
Frauen sind genauso übergriffig, gewalttätig und gemein wie Männer. Nur ganz anders und meistens gut versteckt. Bisher hat kaum jemand hingeschaut, und das sollten wir dringend ändern. Denn wenn wir immer nur die Männer als „Schweine“ hinstellen und uns Frauen als Opfer von Sexismus, männlicher Macht und Gewalttätigkeit definieren, haben wir keine Chance, auf Augenhöhe zu kommen.
Die zwei verschiedenen Ansätze
Betonung der Opferrolle mit Appell an den anderen die Welt für einen besser zu machen, weil es ungerecht ist
Ablehnung der Opferrolle, damit man als jemand gesehen wird, den man nicht unterschätzen darf und der sich nicht einfach als Opfer unterbuttern lässt.
Ja, Männer können sehr gemein sein, und wir leben immer noch in patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen, in denen Männer mehr Geld für die gleichen Jobs verdienen. Das wurde bereits vielfach diskutiert und angeprangert. Zu Recht. Doch Frauen tragen auf ihre Weise dazu bei, dass genau diese Machtstrukturen beibehalten werden.
Der Machtstrukturansatz ist eben nicht so einfach abzulegen. Aber immerhin ein differenzierteres Bild, in dem die Frauen aktive Spieler sind, wenn auch teilweise auf anderen Ebenen bzw in anderen Bereichen.
Nach wie vor heiraten Frauen bevorzugt gut verdienende Männer und kümmern sich dann nicht mehr um ein eigenes, besseres Gehalt, sondern gehen in Teilzeit, sobald Kinder da sind. Das ist nicht nur ein strukturelles Problem.
Auswertungen in Dating-Portalen zeigen: Männer halten vor allem nach hübschen Frauen Ausschau, Frauen suchen reiche Männer. Der „Versorger“ hat auch in der heutigen Zeit noch lange nicht ausgedient.
In der Tat und das dieses Schema nicht so einfach wegfällt ist auch innerhalb der Evolution gut zu erklären: Wie kann es einfach wegfallen, wenn es fest in unserer DNA und den daraus entstehenden Gehirnen gespeichert ist, weil es Jahrmillionen lang ein gutes Auswahlkriterium war um Gene in die nächste Generation zu bringen?
Wenn man in die kleinsten gesellschaftlichen Einheiten schaut, die Familien und Beziehungen, sind es meistens die Frauen, die die Macht haben. Die Frau hat „die Hosen an“, sagt man umgangssprachlich. Und diese Macht wird von Frauen leider auch missbraucht, gar nicht mal so selten. Doch kaum jemand spricht darüber. Es gibt kein #MeToo von Ehemännern.
In vielen Beziehungen haben die Frauen die Hosen an, weil sie bestimmte Sachen ernster nehmen, eher sauer sind, das länger anhält und sich in Aktionen wie Schweigen, Ignorieren etc ausdrückt.
„Ha“ wird da eine Feministin sagen „das ist ja keine Macht, wenn Männer sich ärgern, dann schlagen sie ihre Frauen oder bringen sie sogar um“.
Dagegen wäre zu sagen, dass das eben in den wenigsten Beziehungen passiert, während die „weiblichen Bestrafungen“ akzeptierter sind und eher erwartet wird, dass er sie wieder in bessere Laune bringt als das sie kritisiert wird.
Weibliche Gemeinheit findet eher auf der psychischen Ebene statt, Frauen manipulieren, dramatisieren, heulen, halten Liebe und Sex zurück und schwingen die Emotionskeule. Dass das für Männer genauso verletzend sein kann wie umgekehrt ein anzüglicher Spruch, ist aber bisher kaum thematisiert worden.
Das passt zu dem davor gesagten.
Frauen stellen sich durch das wiederholte Reproduzieren der Opferrolle moralisch über die Männer, und deshalb ist es so schwer, weibliche Gemeinheit zu thematisieren. Ich arbeite seit vielen Jahren mit Frauen, Männern und Paaren als Coach im Bereich von Persönlichkeitsentwicklung, Beziehungen und Sexualität und kann nur sagen: Letztlich haben alle Menschen eine sehr gemeine Seite in sich, und Frieden wird erst kommen, wenn wir uns alle dieser Seite stellen und sie in den Griff kriegen.
Natürlich sind beide Geschlechter zu Gemeinheiten in der Lage und haben ihre eigenen Mittel und Wege dafür. Die einseitige Sicht darauf, dass lediglich Männlichkeit „toxisch“ ist und noch schlimmer, dass Männer insgesamt dafür haften diese besser zu machen, wird dem nicht gerecht.
Wenn wir schon über Gleichberechtigung reden, dann bitte richtig! Sexismus passiert auch in die andere Richtung. Jeder kennt Beziehungen, in denen die Frau sich in verachtendem Tonfall über ihren Mann äußert, sich über ihn beschwert, an ihm herumnörgelt und über ihn herzieht – selbst wenn er danebensteht. Der Mann, der neben seiner Frau als Trottel dasteht, wird belächelt, aber niemand würde auf die Idee kommen, der Frau zu sagen, dass sie ganz schön gemein ist und dass den Mann das verletzt. Noch nicht mal er selber. Das tut er höchstens Jahre später, wenn er in eine Therapie geht oder sich irgendwann mit seiner Scheidung beschäftigen muss.
In der Tat wird das eher totgeschwiegen, zumindest gegenüber der jeweiligen Frau, auch wenn unter einander dann vielleicht wieder darüber geredet wird, aber auch da kann es durchaus sein, dass man eher anführt, dass er sich da ganz schön was gefallen lässt und mal was dagegen machen sollte.
Männer und Gefühle – ein schwieriges Thema, das von Frauen auch ausgenutzt wird. Weiblicher Sexismus findet nicht in Form von platten Witzen, anzüglichen Bemerkungen oder plumpen Berührungen statt. Weiblicher Sexismus richtet sich gegen die eigenen Partner und (Ehe-)Männer und erwischt sie dort, wo sie sich verletzlich zeigen – zum Beispiel im Bett. Typische Sätze wie „Ist doch nicht schlimm, wenn du keinen hochkriegst“ sind für Männer Giftspritzen.
Weiblicher Sexismus richtet sich genau so gegen Männer, die nicht ihre Partner sind, eben in dem auch dort klischeehafte Forderungen angelegt werden oder klischeehafte Schwächen angeführt werden.
Weibliche Gemeinheiten sind oft unbewusst. Sie können aber auch ganz gezielt eingesetzt werden – zum Beispiel in Form von Sex- und Liebesentzug. Noch viel schlimmer wird es, wenn Frauen den gemeinsamen Kindern vermitteln, dass ihr Papa ein Idiot, Arsch, Schlappschwanz usw. sei. Burn-out bei Männern hat nicht nur mit beruflichem Stress zu tun.
Sehr toxisch, in der Tat.
Es geht mir nicht darum, jetzt den Frauen den alleinigen Schwarzen Peter zuzuschieben. Sondern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Frauen auf ihre Weise genauso zum Geschlechterkampf beitragen wie die Männer, und dass sie genauso zum Frieden beitragen könnten. Wir müssen es alle hinkriegen, wieder mehr neugierig aufeinander zu werden unsere Herzen zu öffnen, anstatt die jeweils anderen zu verurteilen und ihnen die Schuld zuzuschieben. Wenn Männer und Frauen es schaffen, mehr Verständnis für den jeweils anderen Standpunkt aufzubringen, können wir eine richtig gute Zeit miteinander haben!
In der Tat wäre es eine gute neue Perspektive von einseitigen Schuldzuweisungen wegzukommen. Aber diese sind eben sehr bequem für eine sehr einfache Weltsicht.
„Look sexy. Look hot. Don’t be so provactive. You’re asking for it. (…) You look like you’ve let yourself go. Don’t be too fat. Don’t be too thin.“
Sätze, die Frauen auf der ganzen Welt mitunter tagtäglich hören. Diese und so viele andere Sätze, die Anforderungen der Gesellschaft, die an uns, uns Frauen, gerichtet werden. Vorgetragen von der Schauspielerin und Politikerin Cynthia Nixon in einem Video des Girls.Girls.Girls Magazine, welches sich derzeit auf den sozialen Plattformen verbreitet.
Gezeigt werden Bilder, die all diese Anforderungen, Vorstellungen oder gar Wünsche an Frauen veranschaulichen. Alles in einem rasanten Tempo mit einem heftigen Beat, der sich durch die mahnende Stimme von Nixon in das Gehör und Gehirn der Zuschauerinnen und Zuschauern hämmert.
„Save yourself. Be pure. Don’t be a whore. Don’t sleep around. Men don’t like sluts. Don’t be prude. Don’t be uptight.“
Power: Weil ich glaube, dass es ein Fehler ist, Menschen auf der Grundlage dessen, was sie zu wissen glauben, zu verurteilen. Es ist viel nützlicher, mit Menschen über ihre Beweggründe und seine eigenen zu sprechen. Wir kommen dadurch verschiedenen Positionen viel näher, die wir verstehen können. Und ich denke, es ist möglich, die Meinung eines Menschen zu verändern. Es ist nicht sinnvoll, Menschen zu ächten und zu sagen, diese Person hat Ansichten, die so unerträglich sind, dass ich nicht mit ihr sprechen kann. So etwas treibt die Menschen noch weiter auseinander. Sie fühlen sich dadurch noch mehr entfremdet und isoliert von dem, was wir sozialen Austausch nennen.
Einen Dialog zu eröffnen ist auch aus meiner Sicht häufig sehr konstruktiv. Und das auch mit sehr extremen Personen.
Ein Beispiel, welches mir da einfällt, ist zB Daryl Davis, ein Schwarzer, der sich mit KKK-Mitgliedern angefreundet hat und nach seinen Angaben 200 davon überzeugt hat, dass sie ihre Roben an den Nagel hängen.
Das wäre aus meiner Sicht ein ganz extremes Beispiel, aber es zeigt, dass es sinnvoll sein kann miteinander zu reden, Argumente auszutauschen und den anderen merken zu lassen, dass da auf der anderen Seite ein Mensch ist.
Das war und ist ja durchaus einer der Vorteile dieses Blogs, dass hier teilweise Leute mit sehr unterschiedlichen Ansichten zusammen kommen, die dennoch diskutieren. Sicherlich sind inzwischen nicht mehr so viele Feministinnen hier, die die Diskussion suchen, wie zu den besten Zeiten, aber es treffen dennoch immer noch ganz unterschiedliche Positionen aufeinander.
Smarzoch: Es gibt auch diese seltsame Tendenz online, jeden innerhalb kürzester Zeit einen Nazi oder Faschisten zu nennen, der konservative oder rechtsgerichtete politische Ansichten vertritt. Und ich spreche jetzt nicht einmal von rechtsradikalen Positionen. Was ist problematisch an diesem – wie Sie es sagen – gedankenlosen Gebrauch von Worten?
Power: Wenn Sie jemanden fragt, was die schlimmste Bezeichnung für jemanden anderen ist, dann wird wahrscheinlich dieses Wort sein: Nazi. In den meisten Fällen wird es also eher losgelöst vom historischen Nazitum verwendet. Wenn sich die Leute gegenseitig Faschisten nennen, dann beziehen sie sich nicht wirklich auf die Doktrin Mussolinis oder auf die korporatistische Politik Nazi-Deutschlands. Verstehen Sie, was ich meine? Es gibt eigentlich überhaupt keinen historischen Bezug. Sie sagen einfach: ‚Ich mag dich nicht.‘ Das ist extrem gefährlich, weil es das Spezifische an autoritären und mörderischen Regimen untergräbt. Es ist eine zu beiläufige Verwendung dieses Begriffs. Vielleicht befinden wir uns jetzt tatsächlich in der Postmoderne, weil es eine Art Zusammenbruch von Bedeutungen gibt – Begriffe werden sehr frei verwendet. Aber es kommt wirklich auf die Definition bestimmter Wörter an. Das Internet ermöglicht es, Wörter von ihrer eigentlichen Bedeutung loszulösen. Online sehen sich die Menschen nicht. Sie haben nicht wirklich Zugriff auf eine materielle Realität und können daher alles über sich behaupten. Das hat eine gnostische, religiöse Dimension. Menschen trennen sich völlig von ihrem Körper, auch in Bezug auf Fragen der Identität. Wir leben wirklich in einem Regime von Identitäten, in dem das, was die Menschen sagen, wichtiger ist als das, wie sie sich verhalten.
In der Tat kann man im Internet alles sein und es kann leicht dazu kommen, den anderen nicht mehr als Mensch zu sehen, sondern nur als Buchstaben, als Position, weil eben die Emotionen in Text weniger übertragen werden als in einem direkten Gespräch. Das kann auch vorteile bringen, eben weil es Emotionen herausnehmen kann und man sich auf Inhalte konzentrieren kann. Aber es erleichtert eben auch jemanden nur als Vertreter eine Position, als Stellvertreter einer Gruppe zu sehen.
Smarzoch: Damit geht auch die Tendenz einher, online Grenzen zu überschreiten, indem man unverschämte und provozierende Dinge sagt. Ich muss da zum Beispiel an die Hashtag-Kampagne „Men Are Trash“ denken, Männer sind Müll. Wie nützlich ist so etwas für die Etablierung eines Dialogs zwischen Männern, die gern dazulernen möchten und Frauen, die daran interessiert sind, dass Männer sich verändern?
Finde ich sehr interessant, dass das hier endlich mal kritisch aufgegriffen und nachgefragt wird.
Power: Auf der einen Seite würde ich sagen, wenn man Redefreiheit oder freie Meinungsäußerung ernst nimmt, wird sie auch Dinge beinhalten, die unangenehm, beleidigend oder beunruhigend sind. Es gibt keine Gruppe, die man nicht kritisieren oder über die man nicht lachen darf. Wenn wir anfangen zu sagen, dass man über bestimmte Gruppen nicht lachen darf, befinden wir uns auf gefährlichem Gebiet, weil wir Hierarchien und Privilegien aufbauen. „Über diese Gruppe darf gelacht werden, aber nicht über die andere…“
Das ist auch eines der Probleme in den intersektionalen Theorien: Sie sind zu fanatisch, nehmen die Hierarchien zu wichtig, sehen jeden Witz als Mikroaggression, die die große Unterdrückung stabilisiert.
Auf der anderen Seite sind aber weiße Männer zu einer massiven Zielscheibe geworden. Das zeigt der Hashtag, den Sie erwähnt haben. Es gab auch noch einen anderen, der viel ernster war, nämlich „Kill All Men“, „töte alle Männer“. Das ist in gewisser Weise natürlich ein Witz, weil er nicht der tatsächlichen Gewalt in der realen Welt entspricht. Frauen neigen nicht sehr oft dazu, Männer zu töten – es ist vielmehr umgekehrt. Es ist schon seltsam: Man muss die Möglichkeit verteidigen, diese aggressiven und unangenehmen Statements äußern zu dürfen. Und doch braucht man Zeit, um eine vernünftige Diskussion über gute und schlechte Maskulinität zu führen. „Das Medium ist die Botschaft“, sagte Marshall McLuhan. Ein Medium wie Twitter ist aber sehr schnelllebig. Es ermöglicht nicht wirklich diese Art von tiefgehender Untersuchung eines komplizierten Themas zum Beispiel darüber, wie sich Männer verhalten sollten. Was bedeutet es, ein „guter Mann“ zu sein? Es gibt viele gute Männer. Wir haben also eine Art Problem mit der Zerstreuung. Diese großen Themen werden mit einer gewissen Schnelligkeit behandelt, dabei gehen sie viel tiefer.
Die Verkürzung von Diskussionen auf Schlagworte, die irgendwie ein Scherz und nicht ernst gemeint sind, gleichzeitig aber sehr aggressiv angeführt werden und damit wieder Ernsthaftigkeit und Abwertung transportieren, die eigentlich eine Diskussion unmöglich machen ist in der Tat ein Problem.
Wichtig wäre es aus meiner Sicht in der Tat das ganze zu Individualisieren und von der Gruppenschuld zu lösen. Statt „was müssen Männer machen, damit die Männlichkeit aller Männer nicht mehr toxisch ist“, was letztendlich eine nicht lösbare Aufgabe in der Form, wie es angefragt und vertreten wird, ist müsste man dazu kommen, was der Einzelne machen kann, damit sein Verhalten an sich „Gut“ ist. Also eine Loslösung von der „Erbschuld“ des Mannseins. Erst dann kann ein fairer Dialog stattfinden.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren. Mit dieser Begründung hat der Zweite Senat mit Urteil vom heutigen Tage entschieden, dass das in § 217 des Strafgesetzbuchs (StGB) normierte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gegen das Grundgesetz verstößt und nichtig ist, weil es die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert. Hieraus folgt nicht, dass es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen untersagt ist, die Suizidhilfe zu regulieren. Er muss dabei aber sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt.
Sachverhalt:
217 StGB (Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) bedroht denjenigen mit Strafe, der in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt. Hiergegen wenden sich unter anderem Vereine mit Sitz in Deutschland und in der Schweiz, die Suizidhilfe anbieten, schwer erkrankte Personen, die ihr Leben mit Hilfe eines solchen Vereins beenden möchten, in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung tätige Ärzte sowie im Bereich suizidbezogener Beratung tätige Rechtsanwälte.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) von zur Selbsttötung entschlossenen Menschen in seiner Ausprägung als Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das gilt auch dann, wenn die Regelung in enger Auslegung ausschließlich die von Wiederholungsabsicht getragene Förderung einer Selbsttötung als Akt eigenhändiger Beendigung des eigenen Lebens erfasst.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.
a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet das Recht, selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden.
aa) Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde und der Freiheit sind grundlegende Prinzipien der Verfassungsordnung, die den Menschen als eine zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähige Person begreift. Von der Vorstellung ausgehend, dass der Mensch in Freiheit sich selbst bestimmt und entfaltet, umfasst die Garantie der Menschenwürde insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität. Die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht hiernach darin, dass er stets als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt. Dieser Gedanke autonomer Selbstbestimmung wird in den Gewährleistungsgehalten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts näher konkretisiert. Es sichert die Grundbedingungen dafür, dass der Einzelne seine Identität und Individualität selbstbestimmt finden, entwickeln und wahren kann.
Die selbstbestimmte Wahrung der eigenen Persönlichkeit setzt voraus, dass der Mensch über sich nach eigenen Maßstäben verfügen kann und nicht in Lebensformen gedrängt wird, die in unauflösbarem Widerspruch zum eigenen Selbstbild und Selbstverständnis stehen. Die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, ist von existentieller Bedeutung für die Persönlichkeit eines Menschen. Welchen Sinn der Einzelne in seinem Leben sieht und ob und aus welchen Gründen er sich vorstellen kann, sein Leben selbst zu beenden, unterliegt höchstpersönlichen Vorstellungen und Überzeugungen. Der Entschluss zur Selbsttötung betrifft Grundfragen menschlichen Daseins und berührt wie keine andere Entscheidung Identität und Individualität des Menschen. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst deshalb nicht nur das Recht, nach freiem Willen lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen. Es erstreckt sich auch auf die Entscheidung des Einzelnen, sein Leben eigenhändig zu beenden.
bb) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Es besteht in jeder Phase menschlicher Existenz. Eine Einengung des Schutzbereichs auf bestimmte Ursachen und Motive liefe auf eine Bewertung der Beweggründe des zur Selbsttötung Entschlossenen und auf eine inhaltliche Vorbestimmung hinaus, die dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes fremd ist. Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, entzieht sich einer Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit. Sie bedarf keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung, sondern ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.
cc) Das Recht, sich selbst zu töten, kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass sich der Suizident seiner Würde begibt, weil er mit seinem Leben zugleich die Voraussetzung seiner Selbstbestimmung aufgibt. Die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben ist vielmehr unmittelbarer Ausdruck der der Menschenwürde innewohnenden Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung; sie ist, wenngleich letzter, Ausdruck von Würde.
b) Das Recht, sich selbst zu töten, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Das Grundgesetz gewährleistet die Entfaltung der Persönlichkeit im Austausch mit Dritten, die ihrerseits in Freiheit handeln. Ist die Wahrnehmung eines Grundrechts von der Einbeziehung Dritter abhängig und hängt die freie Persönlichkeitsentfaltung an der Mitwirkung eines anderen, schützt das Grundrecht auch davor, dass es nicht durch ein Verbot gegenüber Dritten, im Rahmen ihrer Freiheit Unterstützung anzubieten, beschränkt wird.
§ 217 StGB greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Sterbewilliger ein, auch wenn diese nicht unmittelbare Adressaten der Norm sind. Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen, wenn sie in ihrer Zielsetzung und Wirkung einem normativen und direkten Eingriff gleichkommen, und müssen dann von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung entfaltet eine objektiv die Freiheit zum Suizid einschränkende Wirkung. Es macht es dem Einzelnen faktisch weitgehend unmöglich, Suizidhilfe zu erhalten. Diese Einschränkung individueller Freiheit ist von der Zweckrichtung des Verbots bewusst umfasst und begründet einen Eingriff auch gegenüber suizidwilligen Personen. Angesichts der existentiellen Bedeutung, die der Selbstbestimmung über das eigene Leben für die personale Identität, Individualität und Integrität zukommt, wiegt der Eingriff besonders schwer.
Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen. Diesem genügt ein grundrechtseinschränkendes Gesetz nur, wenn es legitime Zwecke verfolgt, geeignet und erforderlich ist, diese zu erreichen, und die von ihm ausgehenden Einschränkungen hierzu in angemessenem Verhältnis stehen.
a) Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung einen legitimen Zweck.
aa) Die Regelung dient dazu, die Selbstbestimmung des Einzelnen über sein Leben und hierdurch das Leben als solches zu schützen.
Mit diesen Zielen des Autonomie- und des Lebensschutzes dient das Verbot des § 217 StGB der Erfüllung einer in der Verfassung begründeten staatlichen Schutzpflicht und damit einem legitimen Zweck. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichten den Staat, die Autonomie des Einzelnen bei der Entscheidung über die Beendigung seines Lebens und hierdurch das Leben als solches zu schützen. In Wahrnehmung dieser Schutzpflicht ist der Gesetzgeber nicht nur berechtigt, konkret drohenden Gefahren für die persönliche Autonomie von Seiten Dritter entgegenzuwirken. Er verfolgt auch insoweit ein legitimes Anliegen, als er verhindern will, dass sich der assistierte Suizid in der Gesellschaft als normale Form der Lebensbeendigung durchsetzt. Er darf einer Entwicklung entgegensteuern, welche die Entstehung sozialer Pressionen befördert, sich unter bestimmten Bedingungen, etwa aus Nützlichkeitserwägungen, das Leben zu nehmen.
bb) Die Annahme des Gesetzgebers, das Angebot geschäftsmäßiger Suizidhilfe berge Gefahren für die Selbstbestimmung, beruht auf einer von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden Grundlage.
(1) Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die langfristigen Auswirkungen der Zulassung geschäftsmäßiger Suizidhilfe existieren nicht. Bei dieser Sachlage reicht es aus, wenn sich der Gesetzgeber an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert hat.
(2) Danach hält die Gefahrenprognose des Gesetzgebers einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand.
Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung hat sich die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die bisherige Praxis geschäftsmäßiger Suizidhilfe in Deutschland nicht geeignet war, die Willens- und damit die Selbstbestimmungsfreiheit in jedem Fall zu wahren, jedenfalls als vertretbar erwiesen. Die Prüfung, ob ein Suizidwunsch auf einen freien Willen zurückgeht, erfolgte oftmals auf der Grundlage nicht näher nachvollziehbarer Plausibilitätsgesichtspunkte; insbesondere wurde von Sterbehilfeorganisationen bei Vorliegen körperlicher oder psychischer Erkrankungen auch ohne Kenntnis der medizinischen Unterlagen des Sterbewilligen und ohne Sicherstellung einer fachärztlichen Untersuchung, Beratung und Aufklärung Suizidhilfe geleistet. Die Annahme des Gesetzgebers, dass bei einer Einbeziehung geschäftsmäßig handelnder Suizidhelfer Leistungen im Vordergrund stehen, die der Durchführung des Suizids dienen, und deshalb die freie Willensbildung und die Entscheidungsfindung nicht hinreichend sichergestellt sind, ist hiernach plausibel.
Auch die Einschätzung des Gesetzgebers, dass geschäftsmäßige Suizidhilfe zu einer „gesellschaftlichen Normalisierung“ der Suizidhilfe führen und sich der assistierte Suizid als normale Form der Lebensbeendigung insbesondere für alte und kranke Menschen etablieren könne, die geeignet sei, autonomiegefährdende soziale Pressionen auszuüben, ist nachvollziehbar. In Ländern mit liberalen Regelungen zur Suizid- und Sterbehilfe ist ein stetiger Anstieg assistierter Selbsttötungen und von Tötungen auf Verlangen zu verzeichnen. Dieser Anstieg ist für sich genommen zwar kein Nachweis für eine gesellschaftliche Normalisierung und autonomiegefährdenden sozialen Druck. Er kann auch mit einer größeren Akzeptanz der Sterbe- und Suizidhilfe in der Gesellschaft, der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts oder dem gewachsenen Bewusstsein erklärt werden, dass der eigene Tod nicht mehr als unbeeinflussbares Schicksal hingenommen werden muss. Gleichwohl durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass von einem unregulierten Angebot geschäftsmäßiger Suizidhilfe Gefahren für die Selbstbestimmung ausgehen können. Dies gilt – angesichts des steigenden Kostendrucks in den Pflege- und Gesundheitssystemen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Versorgungslücken in der Medizin und der Pflege geeignet sind, Ängste vor dem Verlust der Selbstbestimmung hervorzurufen und dadurch Suizidentschlüsse zu fördern. Auch die einem Suizid häufig zugrundeliegende Motivationslage stützt die Einschätzung des Gesetzgebers. Häufiges Motiv für einen assistierten Suizid ist ausweislich von Untersuchungen im In- und Ausland der Wunsch, Angehörigen oder Dritten nicht zur Last zu fallen.
b) Die Regelung des § 217 StGB stellt als Strafnorm grundsätzlich auch ein geeignetes Instrument des Rechtsgüterschutzes dar, weil das strafbewehrte Verbot gefahrträchtiger Handlungsweisen den erstrebten Rechtsgüterschutz zumindest fördern kann.
c) Ob die Regelung erforderlich ist, um die legitimen Schutzanliegen des Gesetzgebers zu erreichen, kann offenbleiben. Die von der Vorschrift ausgehende Einschränkung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben ist jedenfalls nicht angemessen.
aa) Angemessen ist eine Freiheitseinschränkung nur dann, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht. Hierbei müssen die Interessen des Gemeinwohls desto gewichtiger sein, je empfindlicher der Einzelne in seiner Freiheit beeinträchtigt wird. Andererseits wird der Gemeinschaftsschutz desto dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können. Dabei unterliegt die Entscheidung des Gesetzgebers einer hohen Kontrolldichte, wenn schwere Grundrechtseingriffe in Frage stehen. Die existentielle Bedeutung, die der Selbstbestimmung speziell für die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität im Umgang mit dem eigenen Leben zukommt, legt dem Gesetzgeber daher strenge Bindungen bei der normativen Ausgestaltung eines Schutzkonzepts im Zusammenhang mit der Suizidhilfe auf.
bb) Mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung hat der Gesetzgeber diese Bindungen überschritten.
(1) Der hohe verfassungsrechtliche Rang der Rechtsgüter Autonomie und Leben, die § 217 StGB schützen will, kann den Einsatz des Strafrechts zwar grundsätzlich legitimieren. Bei der staatlichen Aufgabe, ein geordnetes menschliches Zusammenleben durch Schutz der elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schaffen, zu sichern und durchzusetzen, kommt dem Strafrecht eine unverzichtbare Funktion zu. Im Einzelfall kann es die Schutzpflicht des Staates insbesondere gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, dass bereits die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt wird.
Der legitime Einsatz des Strafrechts zum Schutz der autonomen Entscheidung des Einzelnen über die Beendigung seines Lebens findet seine Grenze aber dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird. Die Straflosigkeit der Selbsttötung und der Hilfe dazu steht als Ausdruck der verfassungsrechtlich gebotenen Anerkennung individueller Selbstbestimmung nicht zur freien Disposition des Gesetzgebers. Der Verfassungsordnung des Grundgesetzes liegt ein Menschenbild zugrunde, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist. Dieses Menschenbild hat Ausgangspunkt jedes regulatorischen Ansatzes zu sein. Die staatliche Schutzpflicht zugunsten der Selbstbestimmung und des Lebens kann folgerichtig erst dort gegenüber dem Freiheitsrecht des Einzelnen den Vorrang erhalten, wo dieser Einflüssen ausgeliefert ist, die die Selbstbestimmung über das eigene Leben gefährden. Diesen Einflüssen darf die Rechtsordnung durch Vorsorge und durch Sicherungsinstrumente entgegentreten. Jenseits dessen ist die Entscheidung des Einzelnen, entsprechend seinem Verständnis von der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz dem Leben ein Ende zu setzen, hingegen als Akt autonomer Selbstbestimmung anzuerkennen.
Die Anerkennung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben versagt dem Gesetzgeber demnach nicht, allgemeine Suizidprävention zu betreiben und insbesondere krankheitsbedingten Selbsttötungswünschen durch Ausbau und Stärkung palliativmedizinischer Behandlungsangebote entgegenzuwirken. Er muss auch denjenigen Gefahren für die Autonomie und das Leben entgegentreten, die in den gegenwärtigen und absehbaren realen Lebensverhältnissen begründet liegen und eine Entscheidung des Einzelnen für die Selbsttötung und gegen das Leben beeinflussen können. Dieser sozialpolitischen Verpflichtung darf der Gesetzgeber sich aber nicht dadurch entziehen, dass er das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Selbstbestimmung außer Kraft setzt. Dem Einzelnen muss die Freiheit verbleiben, auf die Erhaltung des Lebens zielende Angebote auszuschlagen und eine seinem Verständnis von der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz entspringende Entscheidung, das eigene Leben mit Hilfe Dritter zu beenden, umzusetzen. Ein gegen die Autonomie gerichteter Lebensschutz widerspricht dem Selbstverständnis einer Gemeinschaft, in der die Würde des Menschen im Mittelpunkt der Werteordnung steht, und die sich damit zur Achtung und zum Schutz der freien menschlichen Persönlichkeit als oberstem Wert ihrer Verfassung verpflichtet.
(2) Diesen verfassungsrechtlich zwingend zu wahrenden Entfaltungsraum autonomer Selbstbestimmung verletzt das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Es führt im Gefüge mit der bei seiner Einführung vorgefundenen Gesetzeslage dazu, dass das Recht auf Selbsttötung in weiten Teilen faktisch entleert ist. Die Regelung des § 217 StGB ist zwar auf eine bestimmte – die geschäftsmäßige – Form der Förderung der Selbsttötung beschränkt. Auch der damit einhergehende Verlust an Autonomie ist aber jedenfalls so weit und so lange unverhältnismäßig, wie verbleibende Optionen nur eine theoretische, nicht aber die tatsächliche Aussicht auf Selbstbestimmung bieten.
(a) Die autonomiefeindliche Wirkung des § 217 StGB wird gerade dadurch intensiviert, dass dem Einzelnen in vielen Situationen jenseits geschäftsmäßiger Angebote der Suizidhilfe keine verlässlichen realen Möglichkeiten verbleiben, einen Entschluss zur Selbsttötung umzusetzen. Die nach § 217 StGB bei enger Auslegung straffrei verbleibende Suizidhilfe im Einzelfall verhilft der verfassungsrechtlich gebotenen Selbstbestimmung am Lebensende nicht hinreichend zur Durchsetzung. Die stillschweigende Annahme des Gesetzgebers, Möglichkeiten zur assistierten Selbsttötung seien außerhalb geschäftsmäßiger Angebote tatsächlich verfügbar, nimmt nicht die Einheit der Rechtsordnung in Bedacht. Schließt der Gesetzgeber bestimmte Formen der Freiheitsausübung unter Verweis auf fortbestehende Alternativen aus, so müssen die verbleibenden Handlungsoptionen zur Grundrechtsverwirklichung auch tatsächlich geeignet sein. Dies gilt im Besonderen für das Recht auf Selbsttötung. Hier ist bereits die individuelle Gewissheit identitätsstiftend, tatsächlich eigener Vorstellung entsprechend handeln zu können.
Dem wird der Verzicht auf ein umfassendes strafrechtliches Verbot der Suizidhilfe allein nicht gerecht. Ohne geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe ist der Einzelne maßgeblich auf die individuelle Bereitschaft eines Arztes angewiesen, an einer Selbsttötung zumindest durch Verschreibung der benötigten Wirkstoffe assistierend mitzuwirken. Von einer solchen individuellen ärztlichen Bereitschaft wird man bei realistischer Betrachtungsweise nur im Ausnahmefall ausgehen können. Ärzte zeigen bislang eine geringe Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten, und können hierzu auch nicht verpflichtet werden; aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben leitet sich kein Anspruch gegenüber Dritten auf Suizidhilfe ab. Zudem setzt das ärztliche Berufsrecht der Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten, weitere Grenzen. Die in den Berufsordnungen der meisten Landesärztekammern festgeschriebenen berufsrechtlichen Verbote ärztlicher Suizidhilfe unterstellen die Verwirklichung der Selbstbestimmung des Einzelnen nicht nur geografischen Zufälligkeiten, sondern wirken zumindest faktisch handlungsleitend. Der Zugang zu Möglichkeiten der assistierten Selbsttötung darf aber nicht davon abhängen, dass Ärzte sich bereit zeigen, ihr Handeln nicht am geschriebenen Recht auszurichten, sondern sich unter Berufung auf ihre eigene verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit eigenmächtig darüber hinwegsetzen. Solange diese Situation fortbesteht, schafft sie einen tatsächlichen Bedarf nach geschäftsmäßigen Angeboten der Suizidhilfe.
(b) Verbesserungen der palliativmedizinischen Patientenversorgung sind ebenso wenig geeignet, eine unverhältnismäßige Beschränkung der individuellen Selbstbestimmung auszugleichen. Sie mögen bestehende Defizite beseitigen und hierdurch geeignet sein, die Zahl darauf zurückzuführender Sterbewünsche todkranker Menschen zu reduzieren. Sie sind aber kein Korrektiv zur Beschränkung in freier Selbstbestimmung gefasster Selbsttötungsentschlüsse. Eine Pflicht zur Inanspruchnahme palliativmedizinischer Behandlung besteht nicht. Die Entscheidung für die Beendigung des eigenen Lebens umfasst zugleich die Entscheidung gegen bestehende Alternativen und ist auch insoweit als Akt autonomer Selbstbestimmung zu akzeptieren.
(c) Die staatliche Gemeinschaft darf den Einzelnen zudem nicht auf die Möglichkeit verweisen, im Ausland Angebote der Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Der Staat muss den erforderlichen Grundrechtsschutz gemäß Art. 1 Abs. 3 GG innerhalb der eigenen Rechtsordnung gewährleisten.
(3) Schließlich sind Aspekte des Schutzes Dritter nicht geeignet, die von § 217 StGB ausgehende Beschränkung individueller Selbstbestimmung zu rechtfertigen. Der Einzelne muss sich zwar diejenigen Schranken grundrechtlicher Freiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht. Allerdings muss dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleiben. Anliegen des Schutzes Dritter wie die Vermeidung von Nachahmungseffekten rechtfertigen nicht, dass der Einzelne die faktische Entleerung des Rechts auf Selbsttötung hinnehmen muss.
Diese Bewertung steht im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte formulierten konventionsrechtlichen Wertungen.
§ 217 StGB verletzt zudem Grundrechte von Personen und Vereinigungen, die Suizidhilfe leisten möchten. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verstößt aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht von selbstbestimmt zur Selbsttötung entschlossenen Personen gegen objektives Verfassungsrecht und ist infolgedessen auch gegenüber unmittelbaren Normadressaten nichtig. Der verfassungsrechtliche Schutz des durch § 217 StGB unter Strafe gestellten Handelns ergibt sich aus einer funktionalen Verschränkung der Grundrechte von Suizidhilfe leistenden Personen und Vereinigungen, insbesondere aus Art. 12 Abs. 1 GG oder subsidiär Art. 2 Abs. 1 GG, mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Die Entscheidung zur Selbsttötung ist in ihrer Umsetzung nicht nur in tatsächlicher Hinsicht davon abhängig, dass Dritte bereit sind, Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren, zu verschaffen oder zu vermitteln. Die Dritten müssen ihre Bereitschaft zur Suizidhilfe auch rechtlich umsetzen dürfen. Der Gewährleistung des Rechts auf Selbsttötung korrespondiert daher auch ein entsprechend weitreichender grundrechtlicher Schutz des Handelns von Suizidassistenten.
Mit der Androhung einer Freiheitsstrafe verletzt das Verbot des § 217 StGB Suizidhelfer, die als natürliche Personen unmittelbare Normadressaten sind, zudem in ihrem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG. Eine mögliche, an die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung geknüpfte Bußgeldbewehrung verletzt deutsche Sterbehilfevereine in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.
III. § 217 StGB ist wegen der festgestellten Verfassungsverstöße für nichtig zu erklären. Eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung ist nicht möglich, weil sie den Absichten des Gesetzgebers zuwiderliefe.
Daraus folgt nicht, dass der Gesetzgeber die Suizidhilfe nicht regulieren darf. Eine solche Regelung muss sich aber an der Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen ausrichten, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten. Zum Schutz der Selbstbestimmung über das eigene Leben steht dem Gesetzgeber in Bezug auf organisierte Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten offen. Sie reichen von prozeduralen Sicherungsmechanismen, etwa gesetzlich festgeschriebener Aufklärungs- und Wartepflichten, über Erlaubnisvorbehalte, die die Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangeboten sichern, bis zu Verboten besonders gefahrträchtiger Erscheinungsformen der Suizidhilfe. Diese können auch im Strafrecht verankert oder jedenfalls durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abgesichert werden. Das Recht auf Selbsttötung verbietet es aber, die Zulässigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung materiellen Kriterien zu unterwerfen, sie etwa vom Vorliegen einer unheilbaren Krankheit abhängig zu machen. Dennoch können je nach Lebenssituation unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillens gestellt werden. Allerdings muss dem Recht des Einzelnen, aufgrund freier Entscheidung mit Unterstützung Dritter aus dem Leben zu scheiden, auch faktisch hinreichender Raum zur Entfaltung und Umsetzung belassen werden. Das erfordert nicht nur eine konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker, sondern möglicherweise auch Anpassungen des Betäubungsmittelrechts. Dies schließt nicht aus, die im Bereich des Arzneimittel- und des Betäubungsmittelrechts verankerten Elemente des Verbraucher- und des Missbrauchsschutzes aufrechtzuerhalten und in ein Schutzkonzept zur Suizidhilfe einzubinden.
All dies lässt unberührt, dass es eine Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht geben darf.
Wenn Frauen mehr verdienen als ihre Partner, hadern sie oft mit ihrem Leben – das zeigen Daten aus der Wissenschaft. Was ist da los?
Wenn die Pharma-Managerin Manuela Hoffmann-Lücke jüngere Frauen für Führungspositionen coacht, dann stellt sie oft fest: „Es gibt eine Menge Frauen, die davon reden, gleichberechtigte Möglichkeiten haben zu wollen, die sie aber nicht wirklich annehmen. Das muss ich so brutal sagen.“ Die Frauen zögen sich zurück: „Erst wollen sie die Kinderbetreuung perfektionieren, später kümmern sie sich gern um sich selbst, mit Fitnessstudio und Nagelstudio.“
Man hat eben nur ein Leben und auch wenn man will, dass Frauen Karriere machen, will man nicht unbedingt diejenige sein, die dafür andere Sachen vernachlässigen muss um es dann wirklich umzusetzen.
Zudem gehört die Forderung nach „gleichberechtigten Möglichkeiten“ ja auch irgendwie dazu. Natürlich wird man ausgebremst und behindert!
Hoffmann-Lücke ist Deutschlandchefin des Pharmaunternehmens Vifor, Vorgesetzte von 200 Mitarbeitern – und ihr Mann hat die Kinder großgezogen. Für beide hat das immer gut funktioniert, auch wenn Hoffmann-Lücke sagt: „Ich komme aus einem Haushalt, wo meine Mutter zu Hause war. Am Anfang schwang auch bei mir mit, dass ich geguckt habe, ob der Mann mich ernähren kann – auch wenn klar war, dass ich das nicht brauche.“
Ihr Mann, Thomas Lücke, ist Lehrer. Er arbeitet, hat aber seine Stelle immer wieder aufgegeben, um der Frau nachzuziehen. Seine Rolle als erster Betreuer der Kinder hat er selbst immer akzeptiert. Doch er erzählt auch: „Ich habe viele Mütter getroffen, die zu Hause geblieben sind und ein strukturelles Problem dafür vorgeschoben haben: Der Mann verdient mehr. Ich habe das oft als Ausrede empfunden. Dahinter war das richtig gewollt, bei Männern wie bei Frauen.“
Natürlich kann es wichtig sein für ein Verhalten, welches nicht ins Bild der modernen Karrierefrau passt, eine gute Ausrede zu haben. Das ist sehr menschlich und passiert in vielen Bereichen, etwa umgekehrt vielleicht der Mann, der keine Lust hat Windeln zu wechseln und auf ein mit Zahnschmerzen leidendes Kind zuhause aufzupassen die Entschuldigung, dass er ja nun mal das Geld verdienen muss etc.
Da täuscht sich das Ehepaar nicht. Zwar gibt es Partnerschaften wie die der Hoffmann-Lückes, die kein Problem damit haben, wenn die Frau mehr verdient als der Mann. Doch es gibt auch eine größere Gruppe von Frauen, die als Hauptverdiener unglücklicher werden. So zeigen es Daten, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für die F.A.S. ermittelt hat.
Die Zahlen stammen aus dem Sozio-ökonomischen Panel, Deutschlands größter Langzeitstudie zu den Lebensbedingungen im Land. Jährlich werden rund 30.000 Deutsche nach allen möglichen Aspekten ihres Lebens ausgefragt. Unter anderem werden die Befragten gebeten anzugeben, wie zufrieden sie mit ihrer Arbeit, ihrem Einkommen, dem Familienleben oder mit ihrem Leben insgesamt sind – und zwar auf einer Skala von 0 bis 10.
Dabei stellt sich heraus: Männer sind mit ihrem Leben am zufriedensten, wenn sie der Hauptverdiener sind und ihre Frau vielleicht noch etwas dazuverdient. Soweit ist das keine Überraschung. Als Zuverdienerin bewerten allerdings auch die Frauen ihr Leben am besten. Am unglücklichsten sind beide, wenn das Einkommen größtenteils von der Frau stammt – was bei rund einem Viertel der Paare der Fall ist. Die Männer nehmen das sehr schwer, vielen Frauen gefällt die Situation allerdings ebenfalls nicht. Auf der Zehn-Punkte-Skala bewerten alle Hauptverdienerinnen zusammen ihr Leben durchschnittlich fast 0,3 Punkte schlechter als Frauen, die weniger verdienen als ihr Partner oder gleich viel. Das entspricht ungefähr dem Zufriedenheits-Unterschied zwischen Deutschland und Polen. Zwar sind Hauptverdienerinnen mit ihrer Arbeit und mit ihrem persönlichen Einkommen oft zufrieden, doch offenbar zahlen viele privat einen Preis, der ihnen zu hoch ist. „Anscheinend gibt es große Bevölkerungsgruppen, in denen Frauen mit dem Familienleben unzufriedener werden, wenn sie mehr verdienen – anders als die Männer“, sagt David Richter, Psychologe am DIW.
Wäre interessant da tiefer rein zu gehen. Das Status und Geld eine Rolle in der weiblichen Partnerwahl spielen bzw dazu führen, dass der Mann als attraktiver wahrgenommen wird, war ja schon häufiger Thema hier, hier etwa.
Mit 40 Jahren sollte man am höchsten Punkt seiner Karriere angekommen sein, heißt es oft. Nun ja, mit 42 bin ich ausgestiegen. Das Phänomen nennt sich, wie die FAZ schreibt, Opting Out: Frauen zwischen 40 und 50 schmeißen hin, geben ihre eigentlich gutlaufende Karriere auf und, aus Sicht der Personalverantwortlichen der Unternehmen, verschwinden einfach von der Bildfläche. Frauen, die erfolgreich sind und niemandem mehr etwas beweisen müssen, steigen aus.
Im Feminismus wäre die Antwort, was zu dem „Opting out“ führt, simpel: Sexismus und Diskriminierung.
Was ist da los?
Warum gehen sie gerade dann, wenn sie in Ruhe die Früchte ihrer Arbeit ernten könnten?
In meinem Fall habe ich irgendwann festgestellt, dass ich da, wo ich gelandet war (im Management einer Versicherung), gar nicht hingehöre. Mein Alltag machte mir keinen Spaß mehr. Es war nie mein Ziel gewesen, den ganzen Tag unbequeme Business-Outfits zu tragen, in klimatisierten Räumen herumzusitzen und von Meeting zu Meeting zu rennen. Soviel zu den äußeren Bedingungen. Viel schwerer wogen die Strukturen, die Hierarchien, in denen ich mich täglich bewegen musste, der ständige Kampf, mit neuen Ideen überhaupt gehört zu werden. Und am schwersten wog das Gefühl, eine Maske tragen zu müssen, nicht ich selbst sein zu dürfen.
Natürlich gibt es Männer, denen das genau so geht. Aber es sind wahrscheinlich weniger als Frauen (von den wenigen Personen, die überhaupt bereit sind so viel Zeit ihres Lebens in einen Job zu stecken). Für Frauen fallen eben viele der Vorteile weg, die Männer evtl mitnehmen, wenn sie einen solche Position besetzen: Sie steigen sowohl in der intrasexuellen Konkurrenz eher höher und nehmen in der intersexuellen Selektion einen höheren Platz ein als ohne diese Position.
Wenn man die Business Outfits, die wichtigen Meetings, den Platz in der Hierarchie und den ständigen Kampf um diesen als Pfauenschwanz sieht, dann ist klar, warum die „Hennen“ (hier also die Frauen) sich weit eher als die Männer fragen, warum sie so ein schweres Ding mit sich herumtragen sollen während dies den Männern weit eher einleuchtet.
Natürlich gab es auch Dinge in meinem Job, die mir Spaß machten: mein Team, der kreative Part der Arbeit, die Interaktion mit Kunden, Dienstleistern, Wettbewerbern, Journalisten. Ich hatte sehr viel Freiheit und Flexibilität, konnte eigene Projekte umsetzen. Aber trotzdem: Die Balance stimmte nicht. Das war nicht das Leben, das ich mir vorgestellt hatte. Ich wollte weniger Stress und mehr Erfüllung, weniger Routine und mehr intellektuelle Stimulation, weniger Bohei und mehr Wirksamkeit. Ich wollte ein authentischeres und entspannteres Leben, in dem alles zusammenpasst.
„Ich wollte nicht dauernd diese schweren Federn mit mir herumtragen, die mir eigentlich nichts bringen“. Wäre eine sehr verständliche Aussage eines weiblichen Pfaus.
Das Bild stimmt natürlich nicht ganz, weil menschliche Frauen auch Status aufbauen und Geld natürlich für beide Geschlechter interessant ist. Aber der Zusatznutzen ist eben für Männer in gewisser Weise höher. Für sie lohnt es sich ein solches Signalling auch über den Betrag hinaus, mit dem sie sich ein bequemes, entspanntes Leben machen können.
Offensichtlich bin ich mit diesem Gefühl nicht allein. Am Ziel oder kurz vor dem Ziel stellen viele Frauen fest, dass der berufliche Erfolg ihnen nicht das bietet, was sie sich erhofft haben. Oder dass sie dafür Dinge tun müssen, die sie nicht tun wollen. Man zahlt einen Preis für Macht und Geld – und nicht jede Frau will das. Das ist legitim, denn im Gegensatz zu unseren Vorfahrinnen haben wir die freie Wahl, ob wir in dem (von Männern für Männer designten) Businesstheater mitspielen wollen.
„Man zahlt einen Preis für Macht und Geld“ – das wäre mal eine Erkenntnis, die im Gender Pay Gap leider eine viel zu kleine Rolle spielt.
Dort scheint Geld schlicht das Maß aller Dinge zu sein – Der Artikel gibt weit eher wieder, dass es nicht der einzige Faktor ist sondern viele weitere Faktoren dazukommen.
Schon 1995 berichtete das Fortune Magazine über die Midlife Crisis von Top-Managerinnen: Ob Burnout, Langeweile oder eine wachsende Abneigung gegen den „Corporate Bullshit“ –Frauen in den besten Jahren verließen schon damals in großer Zahl ihre hochdotierten Jobs auf der Suche nach mehr Erfüllung.
Man könnte auch sagen: Sie kamen, sahen und gingen wieder. Auch wenn Männer ähnliche Erfahrungen machen, ebenfalls eine Midlife Crisis bekommen können und sich umorientieren, so scheinen Frauen sich eher bewusst zu sein, was nicht auf ihrem Grabstein stehen wird: „Ich habe alles für die Firma gegeben.“
Es läuft natürlich mal wieder darauf hinaus, dass Frauen da eigentlich die schlauere Wahl treffen – was ja durchaus nicht falsch ist.
Ich hatte hier schon mal einen klassischen Weg vieler Diskussionen mit Feministinnen dargelegt:
1. Frauen werden benachteiligt durch die männliche Gesellschaft bzw das Patriarchat bzw die Männer bzw die hegemoniale Männlichkeit, die sich alle Macht sichert
2. Frauen sind benachteiligt aufgrund der Erziehung und daran ist auch das Patriarchat schuld und sie müssen daher Hilfen bekommen
3. Der Weibliche Weg ist besser für die Gesellschaft und muss daher nach vorne gebracht werden
Das wäre eine klassische Argumentation nach Nr. 3, gleichzeitig ist es vollkommen verpönt aus dieser Sicht solche Argumentationen unter Nr. 1 zu bringen, etwa in Diskussionen über den Gender Pay Gap.
Wohlgemerkt geht es nicht ums Aufgeben oder um einen Rückzug aus dem Arbeitsleben, wie eine von Fortune in Auftrag gegebene Umfrage unter 300 Managerinnen zwischen 35 und 49 Jahren ergab. Nur eine geringe Anzahl wählt ein Leben als Hausfrau. Viele nehmen eine Kurskorrektur vor in Richtung altruistischer Jobs und einer besseren Work-Life-Balance. Ein hoher Anteil macht sich selbstständig. Aber auch ein neues Studium oder ein Sabbatical sind häufig gewählte Wendepunkte. Dies gilt übrigens für Mütter und kinderlose Frauen gleichermaßen.
Sie ziehen sich aus den besonders stressigen Jobs zurück auf die Jobs, die eine bessere Balance von Arbeit und Privatleben erlauben, wo man zwar noch sehr gut verdient, aber damit eben auch noch sehr gut leben kann.
Eben weil der Status und das Hochstehen in der Hierarchie sich nicht in gleicher Weise lohnt.
Nachdem Frauen sich in die Arbeitswelt gekämpft haben, kämpfen sie sich jetzt wieder heraus – bzw. definieren Arbeit und Erfolg neu. Es muss nicht das eine Ziel geben, dem alles untergeordnet wird. Frauen haben gern mehrere Eisen im Feuer. Neben der Familie sind das u. a. Freunde, Bildung, Ehrenamt und Hobbys.
Sowohl weiter gefasste Vorstellungen vom Leben als auch eine gründliche Unzufriedenheit im Job sind also die Treiber für den Exodus hochqualifizierter Frauen in der Mitte des Lebens. Doch was wollen Frauen? Was suchen sie in der Arbeit?
Das sind dann aber eben Positionen, die eben keine „Gesellschaftliche Macht“ bringen und damit zeigt sich aus Sicht von Feministinnen eben nicht eine Befreiung, sondern für Sexismus und Diskriminierung.
Sylvia Ann Hewlett und Melinda Marshall vom Center for Talent Innovation beschreiben in ihrer Studie „Women want five things“, was hochqualifizierten Frauen zwischen 35 und 50 bei der Arbeit wichtig ist:
Entfaltung: Frauen entfalten sich, wenn sie etwas bewirken können und Einfluss haben, wenn sie sich selbst verwirklichen können. Voraussetzungen für Entfaltung sind Gesundheit und Wohlbefinden, Freiheit und Autonomie. Mit einem echten Maß an Kontrolle können Frauen konkurrierende Anforderungen managen – und zwar so, dass ihr physisches Wohlbefinden erhalten wird, sie ihre Energie aufladen und ihre emotionalen und spirituellen Bedürfnisse erfüllen können.
Exzellenz: Frauen suchen die intellektuelle Herausforderung, um daran zu wachsen, sich zu verbessern und Expertin auf einem Gebiet zu werden. Dafür ist eine wertschätzende Umgebung wichtig. Deshalb brauchen Frauen Anerkennung.
Sinn: Frauen finden Arbeit bedeutsam, wenn sie Erwartungen übertreffen können – ihre eigenen und die ihrer Familie oder Community. Es ist ihnen wichtig, ehrgeizige Ziele zu erreichen und eine langfristige Wirkung mit ihrer Arbeit zu erzielen.
Frauen finden Arbeit besonders sinnvoll, wenn sie hilft, die Gesellschaft auf Gebieten voranzubringen, die ihnen wichtig sind, z. B. Gesundheit und Bildung, soziale Gerechtigkeit, Umwelt.
Förderung: Frauen suchen Mentoren, die an sie glauben und ihnen helfen, die nächste große Chance zu ergreifen. Doch sie helfen auch selbst, indem sie talentierte jüngere Kolleginnen und Kollegen fördern.
Finanzielle Sicherheit: Frauen wollen gut verdienen, finanziell unabhängig sein und ihre Familie unterstützen.
Das findet sich auch in anderen Studien: Eine angenehme Arbeitsatmosphäre, Zusammenarbeit und Anerkennung, an etwas emotioanl positiv besetzten und deswegen wichtigen Arbeiten. Arbeiten unter gleiche, aber nicht mit Stress und in einem Kampf um die Spitze, sondern eher in einer Umgebung, in der sich alle Wohlfühlen etc.
Überraschenderweise zeigt die Studie ebenfalls, dass hochqualifizierte Männer im Alter von 35 bis 50 die gleichen fünf Dinge wollen. Frauen legen lediglich mehr Wert darauf. Im Unterschied zu Frauen sind Männer sich aber der Bedeutung von Macht stärker bewusst und verfolgen sie hartnäckiger. Frauen hingegen starten ihre Karriere machthungrig, verlieren aber mit den Jahren den Appetit. Die Forscherinnen schlussfolgern: Frauen verstehen nicht, dass Macht ihnen das gibt, was sie wollen.
Diese Schlussfolgerung der Forscherinnen verstört mich. Wieder einmal liegt das Defizit bei den Frauen, wieder einmal sollen sie endlich lernen, in männlich geprägten Strukturen zu funktionieren.
Meine Wahrnehmung ist eine andere: Frauen verändern gerade die Arbeitswelt. Sie finden Möglichkeiten jenseits der konventionellen Karriere, um das zu bekommen, was sie wollen. Und ebnen damit den Weg für Männer, es ihnen gleich zu tun
Oder: Männer und Frauen haben eben verschiedene Prioritäten und Männer finden Macht etc interessanter. Siehe Pfauenschwanz. Frauen ebnen insofern nicht den Weg, sie haben andere Interessen (eine Abweichung im Schnitt, die sich gerade in der Spitze auswirkt)