Normativitäten II

Billy Coen schrieb in einem Kommentar:

Für mich ist es auch interessant, wie es den Ideologen gelungen ist, im öffentlichen Diskurs rationale Wahrnehmungen durch puren Moralismus zu verdrängen.

Kein Naturwissenschaftler würde sich in Pauschalaussagen versteigern. Kein Biologe würde jemals sagen, dass diese oder jene Norm den einzig möglichen Zustand darstelle. Zum einen wären solche Aussagen immer leicht widerlegbar und außerdem würden diese leicht widerlegbaren Aussagen auch noch das Fundament der Evolutionstheorie in Frage stellen, denn Evolution funktioniert nur über das Zustandekommen seltener Normabweichungen, die in noch weit selteneren Fällen zu Selektionsvorteilen führen.

Dennoch muss sich Naturwissenschaft natürlich an Normfaktoren orientieren, letztlich ist dies auch die Grundlage des biologischen Lebens. Ohne grundlegende Normen wäre eine zweigeschlechtliche Fortpflanzung schlicht unmöglich.

In der Tat liebt die Biologie die Vielfalt. Dies zeigt sich schon in dem Umstand, dass zwei verschiedene Wesen ihre Gene zusammenwerfen um einen neuen zu machen. Hier ist gerade die Unterschiedlichkeit der Vorteil, da sich Schädlinge mit kürzeren Lebenszyklen sonst leicht evolutionär  auf die Abwehrmechanismen einstellen können (sog Red Queen Race). Aber natürlich braucht es Gemeinsamkeiten, da sonst eine Fortpflanzung unmöglich wird und natürlich gibt es auch immer Häufungen, weil ein einheitlicher Selektionsdruck entsteht und bestimmte Strategien oder Merkmale sich in diesen als die üblicherweise besten erweisen. Daneben bestehen „Nischenstrategien“, die evtl Schwachstellen ausnutzen oder in bestimmten Situationen vorteilhaft sind.

Logischerweise werden Normen anhand von signifikanten, quantitativen Verhältnissen definiert. Somit ist quantitativ beim Menschen die Heterosexualität die Norm. Und eine Übereinstimmung zwischen körperlichen und neuronalen Geschlechtsausprägungen ist in noch weit stärkerem Maße eine Norm. Das Gegenteil davon ist mit 0,02 % am Bevölkerungsanteil eine in jeder Betrachtung äußerst selten auftretende Anomalie.

Die Einheitlichkeit wird auch dadurch weiter gefördert, dass wie Menschen mit bestimmten Eigenschaften in einem Geschlecht attraktiver finden. Wir sind insofern auch in einer durch unsere biologisch abgespeicherten Attraktivitätsmerkmale hervorgerufenen Zuchtwahl. Schwer einem Geschlecht zuzuordnen zu sein ist dabei ein erheblicher Nachteil. Eben weil man zum einen die Attraktivitätsmerkmale nicht bedient, die gerade typisch für das Geschlecht ist und dies meist auch mit einer verminderten Fruchtbarkeit einhergeht und früher mit geringeren Chancen sich in der Konkurrenz innerhalb des eigenen Geschlechts durchzusetzen. Die Geschlechter stabilisieren sich insoweit zum einen selbst, zum anderen auch das jeweilige andere Geschlecht. Auch dies erhöht die Häufungen und macht Abweichungen „teurer“.

Diese Aussage ist eine rein auf Verhältnissen aufbauende, absolut wertungsfreie Feststellung.

Es ist aber inzwischen fast nicht mehr möglich, eine Aussage in dieser Form öffentlich zu machen, ohne dafür der Gefahr sozialer Vernichtung ausgesetzt zu sein. Und das nur, weil Ideologen Weltmeister darin sind, jede Aussage zu verdrehen. In diesem Falle, indem sie einfach eine quantitative in eine qualitative Aussage umdeuten. Wer also Intersexualität auf Basis von statistischen Verhältnissen und naturwissenschaftlicher Praxis als Anomalie bezeichnet, dem wird umgehend vorgeworfen, er würde die davon betroffenen Menschen als rundweg anormal bezeichnen.

In der Tat hat man in diesen Theorien ein Problem damit, etwas als „Normal“ im Sinne „dem üblichen entsprechend“ zu sehen, eher wird das Gegenpaar „Normal-Krank“ oder „Normal-Falsch“ oder „normal-unerwünscht“ etc gebildet. Sicherlich ist die Bezeichnung „Normal“ auch nicht die glücklichste in Bezug auf Menschen, aber das Gegenteil nichts als „gewöhnlich“ anzusehen und  nichts als „Ausnahme“ findet noch weniger Rückhalt in der Realität.

Das ist ein absolut widerwärtiger semantischer Taschenspielertrick, auf den aber leider die Mehrheit der Menschen, die sich mit solchen Dingen in der Regel wenig bis gar nicht beschäftigen, intuitiv auf den Leim gehen, weil dieser Taschenspielertrick gezielt und absichtsvoll moralische Empfindungen und Affekte anspricht. Denn jemand, der Menschen als anormal bezeichnet, dessen Ziel kann ja gewiss nur sein, diese Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen, Euthanasie zu betreiben, Lager einzurichten, u. s. w.

Und das ist genau die Methode, wie es Ideologen gelungen ist, eine nüchterne, wissenschaftliche Betrachtung von derlei Dingen aus der Wahrnehmung zu verdrängen. Was qualitativ und moralisch normal ist, muss auch quantitativ normal sein. Und jeder der was anderes behauptet, will Menschen vernichten. Somit werden nachprüfbare Verhältnisse von Vorkommnissen bestimmter Normabweichungen zur Unkenntlichkeit relativiert, schlicht weil es sich moralisch verbietet über quantitative Normfaktoren überhaupt zu reden, weil es ja Menschen verletzen könnte und sowieso irgendwie Nazi ist, und so ist es auch leicht, zum einen, wie Crumar gut darlegt, Naturwissenschaftlern Pauschalaussagen zu unterstellen, die diese nie getroffen haben, um selbst dann unter dem Deckmantel der Moral mit abstrusen Pauschalisierungen teils geradezu marginal auftretender Anomalien Jahrhunderte naturwissenschaftlicher Erkenntnisse über den Haufen zu werfen und irgendwie alles einer sozialen Konstruktion innerhalb einer heteronormativen, patriarchalen Machtordnung zuzuschreiben.

Das ist derart verblödeter Kokolores, dagegen erscheinen die Dinge, die katholische Kleriker im Mittelalter verkündeten, noch geradezu wie intellektuelle Höhenflüge. Umso erschreckender, dass solche Spinner nicht für diesen Schwachsinn in angemessener Weise ausgelacht werden, sondern diesen auch noch in reichweitenstarken Medien ohne jede kritische Auseinandersetzung platziert bekommen und darüber auch Einfluss auf die Gesellschaft und Politik ausüben können.

„Was qualitativ und moralisch normal ist muss auch quantitativ normal sein“ ist eine interessante Aussage.

Der intersektionale Feminismus arbeitet ganz gerne damit Gegensatzpaare zu bilden, etwa „Trans/Cis“, die gleichberechtigt nebeneinander stehen sollen und dann eben auch so zu tun als wären beide gleich häufig, eben zB in dem eigene Toiletten vorgesehen werden, obwohl tatsächliche Transsexuelle zum einen sehr selten sind und zum anderen eh als ein bestimmtes Geschlecht durchgehen wollen und nicht als ein drittes.

Und es würde auch bei Frauen in Führungspositionen passen: Natürlich sind passend engagierte Frauen in Führungspositionen qualitativ und moralisch kein Problem, nur wollen eben weniger Frauen den Stress und die schlechte Work-Life-Balance die dafür erforderlich ist. Aber nach der obigen Formel müssen sie eben auch quantitativ gleich vertreten sein.
Ich bin mir noch nicht sicher, ob es auch sonst passt. Was sagt ihr?