Im Cicero schreibt Ionna Orleanu über das Erfordernis einer weiblicheren Welt.
Die Einleitung:
Die Welt steht unter den Fittichen des „Männlichen“, ihr fehlt es an Empathie und Emotion, schreibt unsere Gastautorin Ioana Orleanu. Wir brauchen aber keinen alles klein hauenden Feminismus, sondern ein Gegenmodell. Ein Plädoyer für feminine Klugheit
Die Fittiche des Männlichen sind anscheinend schlecht und dagegen braucht man immerhin keinen Feminismus, sondern eine feminine Klugheit.
Dass Frauen das männliche Element, über das sie in höchst persönlicher Ausprägung verfügen, in vollem Umfang entfalten können, ist der große Vorzug unserer Zeit und unserer Gesellschaft. Und ihre Leistungen strafen alle Jahrhunderte Lügen, die behaupteten, sie wären dafür zu schwach. Andererseits steht diese Gesellschaft ganz und gar unter den Fittichen dessen, was Lou Andreas-Salomè als männlich beschrieb.
Durchsetzungsvermögen, Unternehmergeist, extreme Spezialisierung, vernünftelnde Emotionslosigkeit bis hin zum Autismus, ständiges Tätigsein: das wird von allen, überall, gefordert und das wird von allen, brav, geleistet. Unser ganzes Dasein, unser Schaffen, unser Wollen wurzelt und schöpft aus diesen männlichen „Tugenden“. Irgendwie geistert durch uns alle jener Traum vom Tellerwäscher zum Millionär. Also strampeln wir uns ab, Männlein wie Weiblein, zu Tode hetzende Teilchen in einem unbarmherzig zermalmenden Räderwerk. Freilich verzieht kaum einer die Miene. Niemand will sich irgendeine Blöße geben, wir sind ja alle taff, unempfindlich, stark – und wollen es sein.
Es gibt viele Artikel dieser Art und auch im Feminismus kommt es immer wieder vor: Alle Anforderungen, die typischerweise für eine Karriere erforderlich sind und noch etwas Emotionslosigkeit werden im negativen Sinne zum männlichen erklärt. Dabei sind es meist schlicht Anfoderungen, die im Wettbewerb zu einem guten Abschneiden führen. Es ist ja gerade eine der Vorteile unserer auf Arbeitsteilung ausgelegten Gesellschaft, dass wir uns spezialisieren, weil in einer komplexen Welt niemand mehr alles oder auch nur ein größeres Fachgebiet vollständig überblicken kann, sondern in vielen Bereichen eine Spezialisierung schlicht erforderlich ist. Und natürlich auch Durchsetzungsvermögen und nicht Emotionslosigkeit, aber Sachlichkeit, Sachbezogenheit, Problemlösungsorientierung etc.
Es ist nicht zu bestreiten: Die männliche Art zu sein stellt unser Lebensideal dar. Deshalb haftet dem Sanften, Empfindsamen, Schwachen etwas Anrüchiges an. Deshalb hat alles, auch die Literaturkritik, ein Faible für das Trocken-Prosaische. Deshalb werden selbst unschuldigste Ausdrücke wie „Das Herz geht auf“ sofort als kitschig taxiert. Das Herz hat zu zubleiben. Denn wir sind cool. Nicht warm. Nicht rührselig. Nicht – Weiber!
Auch das ist so eine typisch einseitige Betrachtung: Es mag für Karrieredinge ideal sein, aber natürlich spielen im Leben auch viele andere „Arten“ eine Rolle, im persönlichen Umgang etc. Und natürlich hat man es auch gerne, wenn jemanden zur richtigen Zeit „das Herz aufgeht“. Mir geht gerade regelmäßig das Herz auf, wenn Fräulein Schmidt etwas neues macht oder sich einfach des Lebens freut. Und das hat nichts mit männlich oder weiblich zu tun.
Freilich ist diese Art des Seins höchst erfolgreich, ja, eigentlich setzt sie ihren Totalitarismus des Erfolgs seit ungefähr einer Milliarde Jahren durch, als (oh, ja, man sollte wahrlich seinen Ursprung kennen) „die ersten Mikroorganismen“ lernten, „sich gegenseitig zu fressen“. Mit uns, Menschentierchen, droht sie jedoch den Karren höchst erfolgreich gegen die Wand zu fahren.
Den Karren gegen die Wand fahren? Nie, zu keiner Zeit, ging es den Menschen besser. Die Säuglingssterblichkeit ist niedriger als jemals, der Lebensstandard der Leute ist besser als jemals, Leute hungern weniger als jemals. Der konstruktive Wettbewerb hat das Leben insgesamt besser gemacht.
In diesem Sinne muss man einer Sibylle Berg Recht geben, wenn sie dieses „weltumspannende männliche System“ anprangert. Leider bleibt auch sie auf halbem Wege stehen, weil sie mit keinem Wort das erwähnt, was dringend notwendig wäre: Diesem „ungebremsten maskulinen Schwachsinn“, bei dem wir alle mitmachen, ein Modell femininer Klugheit gegenüberzustellen.
Womit wir wieder bei Lou Andreas-Salomè, ihrem weiblichen Element und der unerwarteten Einsicht landen, dass sich gerade hier ihre Aktualität offenbart. Denn, ja, dieses Weibliche stellt das Gegengewicht dar, das dieser aus den Fugen geratenen männlichen Welt helfen könnte, wieder etwas ins Lot zu kommen. Wir dürften es nicht mehr so stiefmütterlich behandeln, wir müssten es aus seinem Aschenputteldasein befreien, aufwerten, zum Ideal erheben, damit wir alle weiblicher werden. Milder. Empathischer. Bescheidener. Kontemplierender. Harmonischer. Organischer. Schöner. Lyrischer. Ich könnte es auch ganz anders ausdrücken: Nicht neuen, unverschämt überbewerteten Frauenfußball neben dem alten, unverschämt überbewerteten Männerfußball braucht das Ländle, sondern: viel weniger Fußball.
Immerhin ein interessanter Ansatz. Aber nur weil sie Fußball nicht versteht bzw warum Leute ihn gerne schauen, bedeutet das nicht, dass er etwas schlechtes ist. Im Gegenteil, hier sind gerade oft Gefühle, hier ist ein gemeinsames Erleben. Ein Wettbewerb bei dem die meisten auch problemlos mit den Fans der anderen Mannschaft zurechtkommen und sich allenfalls einen spielerischen Wettbewerb leisten (auch wenn es Hooligans gibt sind die ja in der Minderzahl).
Eigentlich ist es schon erstaunlich, dass man in Zeiten, in denen alles nach neuen Ansätzen sucht, um den unversöhnlichen Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie zu lösen, nicht einsieht, dass das, wonach man sucht, das Feminine ist. Rücksichtslose Gier nach mehr und immer mehr, rücksichtsloses Verbrauchen, krebsartiges Wachsen, sinnentleertes Hetzen – diesem Grauen zu entkommen, wäre nur möglich, indem man einen „weiblichen Stempel auf die Dinge drückt“. Lou Andreas-Salomè empfahl das allen Frauen, die in jenem Existenzkampf zogen, „bei dem sie die Ellenbogen brauchen und … um sich hauen wie der Mann“. Wünschenswert wäre es jedoch, denke ich, dass wir es alle täten.
Da verwechselt sie aus meiner Sicht einiges. Frauen haben durchaus eine „Gier nach mehr“. Man schaue sich teure Mode an, die Guccitasche oder die Manolo Blahnik Schuhe sind nur ein Aspekt, aber auch Frauen wollen Konsum, wollen ein gutes Leben und sie wollen insbesondere Männer, die ihnen dies bieten können. Frauen drücken der Gesellschaft bereits ihren Stempel auf – indem sie Männer aussuchen, die in der Konkurrenz gut abschneiden. Nur weil ihr Interesse im Schnitt daran geringer ist sich selbst in den Wettbewerb zu stürzen sondern es lieber andere machen zu lassen bedeutet es nicht, dass sie den Wettbewerb nicht wollen.
Könnten wir das noch? Uns enthäuten, die Panzerschichten ablegen, wesentlich werden? Nun, vielleicht sollten wir als Zuspruch zwei als misogyn verschriene, aber im Grunde feminine Dichterdenker: den tanzenden Nietzsche und den rosenliebenden Benn bemühen: Du hättest – weiblich bleiben sollen, meine Seele, nicht männlich, nicht männlich.
Die Panzerschichten, welch merkwürdige Ansicht. Zumal es wieder eine Apex-Fallacy zu sein scheint: Die meisten Männer haben relativ normale Jobs, ohne dass sie da eine grauenhafte Konkurrenz leben, in der Konsum alles ist und rücksichtslose Gier waltet. Insofern bringt es nichts das eine als weiblich und das andere als männlich darzustellen.