Sie beide bezeichnen sich als Feministinnen. Was bedeutet das für Sie?
Stokowski: Für mich bedeutet es, Teil einer Bewegung zu sein, die sich dafür einsetzt, dass alle Menschen gleiche Rechte und Freiheiten haben, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Aussehen und Körper.
Das ist die schön klingende Definition von Feminismus, die in der Praxis dann aber selten zum tragen kommt. Denn beispielsweise gesteht sie ja Männern nicht einmal das Recht zu überhaupt eine Diskriminerung anführen zu können, weil eine solche kategorisch ausgeschlossen isut.
Schwarzer: Ich sehe das ähnlich. Gleiche Chancen und Rechte und Pflichten unabhängig vom Geschlecht. Natürlich spielen da auch andere Machtverhältnisse hinein: Wir sind nie nur Frau, sondern auch Deutsche oder Nicht-Deutsche, privilegiert oder nicht privilegiert, weiß oder schwarz. Aber das Fundament, auf dem alle anderen Machtverhältnisse aufbauen, ist das zwischen den Geschlechtern.
Schwarzer lässt etwas Intersektionalismus einfließen, wäre interessant, was sie damit erreichen will. Stokowski etwas den Wind aus den Segeln nehmen?
Frau Schwarzer, Sie haben noch gegen den Abtreibungsparagraphen 218 gekämpft und für das Recht von Frauen zu arbeiten. In ‚Untenrum frei‘ stellt Margarete Stokowski fest, dass die Unterschiede zwischen Frauen und Männern kleiner geworden sind, damit weniger sichtbar und vielleicht auch schwieriger zu bekämpfen. Welche Ziele hat der Feminismus in Deutschland heute, wenn es keine rechtlichen Ungleichheiten mehr gibt?
Schwarzer: In den ersten Jahren der Revolte hätte meine Generation sich nicht erträumen lassen, dass wir da ankommen, wo wir jetzt sind. Wir haben unvorstellbar viel erreicht. Das ist ein Fortschritt. Gleichzeitig ist aber die brachiale Unterdrückung sichtbarer. Bis 1976 konnte zum Beispiel der Ehemann zum Chef seiner Frau gehen und sagen, hiermit kündige ich ihre Stelle, die macht ihren Haushalt nicht ordentlich. Heute gibt es innere Fesseln, die schwerer zu erkennen sind als die äußeren.
Konnte er meines Wissen nach nicht. Aber spielt ja auch keine Rolle mehr. Die „inneren Fesseln“ sind auch ein klassisches feministisches Bild, man könnte auch von „internalisierten Sexismus“ sprechen, wenn man es etwas anders formulieren will. Es ist letztendlich nur die Feststellung, dass die Menschen gleiche Rechte haben, aber sich trotzdem relativ stereotyp verhalten, in freieren Gesellschaften stereotyper als in konservativen. Was mit einer evolutionären Herleitung der Unterschiede im Schnitt ja auch gut zu erklären ist. Aber das wäre ja keine Unterdrückung. Also muss doch irgendwas die Frauen dazu zwingen so zu handeln.
Früher durften Männer ihren Ehefrauen verbieten zu arbeiten. Heute gehen Frauen freiwillig in Teilzeit oder ziehen sich aus der Arbeitswelt zurück, wenn sie Kinder bekommen.
Stokowski: Wenn wir von Freiwilligkeit reden, lenken wir davon ab, dass es nach wie vor Machtstrukturen gibt. Wir alle möchten weiter an das Bild der selbstbewussten emanzipierten Frau glauben. Und dann merken wir, die Gesellschaft ist darauf ausgerichtet, Ungleichheit zu erhalten – Frauen treffen immer wieder dieselben Entscheidungen und stehen immer wieder vor denselben Hürden. Wenn wir diese Entscheidungen einfach nur als freiwillig ansehen, ist es schwieriger, über die politische Dimension zu reden. Stattdessen heißt es, das ist doch der freie Wille, und wir können Frauen nicht zwingen, sich die Hälfte der Macht zu nehmen.
Auch sehr schön: „ich würde ja leider gerne an die selbstbewußte emanzipierte Frau glauben, aber es gibt sie leider nicht“. Wenn man mal eine richtig schlechte Meinung über Frauen hören möchte, dann fragt man nach wie vor am besten eine Feministin. Was auch vergessen wird zu fragen: Warum soll es so interessant sein die Hälfte der Macht zu nehmen? und natürlich: Können nur Angehörige einer Gruppe für diese Macht ausüben? Aber das sind im Feminismus nicht gern gesehene Fragen.
Schwarzer: Das mindestens 4000 Jahre währende Patriarchat lässt sich nicht in 40 Jahren aus den Angeln heben. Was man Frauen früher aufgezwungen hat, machen sie heute scheinbar freiwillig. Der gesellschaftliche Druck ist immer noch groß, ein bestimmtes Ideal zu erfüllen. Das läuft subtil ab, der Zwang ist weniger sichtbar. Die Schlacht spielt sich dabei wieder auf unserem Körper ab. Ich habe eine ähnliche Rückwärtsbewegung schon einmal Mitte der 70er Jahre erlebt. Da hat man auch innerhalb der Frauenbewegung von einer sogenannten „neuen Weiblichkeit“ oder der „neuen Mütterlichkeit“ geredet. Das war aber in Wahrheit die alte.
Wie kommen die nur auf „mindestens 4000 Jahre“. Weit eher sind es viele Millionen Jahre. Hier noch einmal ein Zeitstrahl:
vor ca. 4 Milliarden Jahren: Erste Lebewesen
vor ca. 2,5 Milliarden Jahren: Mehrzellige Lebewesen
vor ca. 600 Millionen Jahren: Erste geschlechtliche Fortpflanzung
vor ca. 545 Millionen Jahren: wirbellose Tiere
vor ca. 495 Millionen Jahren: Erste Wirbeltiere
vor ca. 440 Millionen Jahren: Erste Panzerfische
vor ca. 417 Millionen Jahren: Fische verbreiten sich, Erste Amphibien
vor ca. 350 Millionen Jahren: Reptilien und Dinosaurier, flugfähig Insekten
vor ca. 250 Millionen Jahren: primitive Säugetiere
vor ca. 140 Millionene Jahre: die großen Dinosaurier
vor ca. 120 Millionene Jahre: kleinere Säugetiere
vor ca. 65 Millionen Jahren: Aussterben der Dinosaurier
vor ca. 65 Millionen Jahren: erste Primaten
vor ca. 20 Millionen Jahren: Menschenartige
vor. ca. 10 Millionen JahrenTrennung Abtrennung der Gorillas
vor. ca. 6 Millionen JahrenTrennung Menschen – Schimpansen
vor ca. 3,9 Millionen Jahren: Erste Funde Australopithecus
vor ca. 2,8 Millionen Jahren: Erste Funde Homo habilis
vor ca. 2,5 Millionen Jahren: Erste Werkzeuge
vor ca. 1,9 Millionen Jahren: Erste Funde Homo rudolfensis
vor ca. 1,8 Millionen Jahren: Erste Funde Homo erectus
vor ca. 600,000 Jahren: Erste Funde Homo heidelbergensis
vor ca. 300,000 Jahren: Erste Funde Homo sapiens
vor ca. 300,000 Jahren: Erster Neanderthaler
vor 12.000 Jahren: Sesshaftigkeit und Landwirtschaft
vor etwa 7000 Jahren: Kupferzeit
vor etwa 5000 Jahren: Bronzezeit
vor etwa 3000 Jahren: Eisenzeit
vor ca. 300 Jahren: Erste Dampfmaschine
Bereits die Primaten dürften häufig „patriarchal“ gelebt haben. Und es ist natürlich eine Unerhörtheit, dass Frauen so leben wollen, wie sie leben wollen. Merken die denn gar nicht, wie sie unterdrückt werden? Schrecklich diese Frauen.
Gesellschaftliche Bilder von Weiblichkeit oder Männlichkeit prägen schon von Kindheit an. Heute gibt es unterschiedliches Lego für Mädchen und für Jungs, es gibt pinke und „normale“ Überraschungseier. Drängt unsere Konsumwelt Kinder stärker als früher in bestimmte Rollen?
Schwarzer: Das ist längst eine eigene Millionen-Industrie, die es vor ein paar Jahrzehnten noch gar nicht gab.
Aber natürlich findet man die gleichen Geschlechterrollen auch in Völkern ohne pinke Überraschungseier. Schon Kinder im Kindergarten spielen häufig lieber mit dem eigenen Geschlecht, weil es gleicher ist und sich der Spielstil besser vereinbaren lässt. Mädchen mit einem erhöhten pränatalen Testosteronspiegel hingegen spielen lieber mit Jungs, pinke Überraschungseier hin oder her.
Stokowski: Bei Kinderspielzeug und Kinderkleidung ist es extrem. Aber das gibt es auch für Erwachsene. Der Drogeriemarkt DM hat jetzt ein Männerregal, damit Männer nicht aus Versehen Waschmittel kaufen, sondern nur Männercreme. Das macht im Kapitalismus natürlich Sinn, weil man Produkte in zwei Varianten herstellen kann.
Oder es erleichtert die Entscheidung beim Kaufen, weil Leute gerne in einer bestimmten Identität leben, in der sie das Gefühl haben, dass ein Produkt genau zu ihnen passt. Eigentlich erstaunlich, dass eine Ideologie, die so stark auf Identitäten setzt das nicht anerkennt.
Schwarzer: Und die für Frauen sind oft teurer, oder?
Stokowski: Häufig. Natürlich kann man sagen, dass Frauen freiwillig rosa Rasierklingen kaufen und selbst entscheiden, in Teilzeit zu gehen. Aber die Frage ist, was mit denen passiert, die von der aufgestellten Norm abweichen. Was ist, wenn eine Frau sofort nach der Geburt des Kindes wieder anfängt zu arbeiten? Sie wird beleidigt oder muss sich anhören, dass sie eine schlechte Mutter ist. Man kann schon von freiwilligen Entscheidungen sprechen, aber solange abweichendes Verhalten bestraft wird, ist es mit der Freiheit nicht weit her.
Ein großer Teil der Beleidigungen werden dabei von Frauen im Wege der intrasexuellen Konkurrenz kommen. Man kann das natürlich reduzieren, wenn man erhebliche Privilegien der Frauen abbaut: Wenn die Familienversicherung der Frau nur bis zu einem Jahr nach der Geburt eine Krankenversicherung geben würde, dann würde recht schnell viele Frauen wieder anfangen müssen zu arbeiten. Oder wenn wie in der DDR der Unterhalt stark eingeschränkt wird. Aber dann legt man sich natürlich auch mit Frauen an, die diese Privilegien gerne verteidigen.
Wie kann Feminismus gegen solche Marketing- und Erziehungsmechanismen ankommen?
Schwarzer: Aufklären und ermutigen abzuweichen. Meine Großmutter war Schneiderin, ich habe mich mein Leben lang für Mode interessiert. Aber ich habe mich nie einzwängen lassen. Ich muss mich nicht jeden Morgen schminken und auf Schuhen gehen, in denen ich nicht laufen kann.
Ein alter Fehler in der Geschlechterdebatte; „Weil mich bestimmte typischerweise für Frauen interessante Sachen nicht interessieren können und sollten auch alle anderen Frauen lernen, dass sie diese Sachen nicht interessieren“
Andere Frauen würden dann gar kein Verständnis dafür haben, dass sie auf Schminke und hohe Schuhe verzichten sollen (wobei hohe Schuhe in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ja selten getragen werden).
Stokowski: Wir müssen die Leute ermutigen, nicht jeden Scheiß mitzumachen. Gleichzeitig ist es gerade bei den Kindersachen eine extreme Klassen- und Geldfrage. Die billigen Sachen sind häufig viel stärker gegendert als die teuren. In einem Bio-Öko-Fairtrade-Kinderladen ist alles bunt, bei Kik oder anderen Textil-Discountern sind Sachen für Mädchen und Jungen klar unterteilt. Manche Leute haben gar nicht die Wahl, genderneutrale, nicht rollenkonforme Sachen zu kaufen. Die, die es sich leisten können, das zu vermeiden, sagen dann auch noch, naja, die Leute, die das kaufen, sind ein bisschen dumm und unemanzipiert und stecken ihre Mädchen in rosa Sachen.
Oder auf der billigeren Einkommensseite verkaufen sich solche Sachen einfach nicht so gut, weil man realere Sorgen hat und Gender Ideologien ein Elitendiskurs sind.
Die AfD agitiert gegen „Gender-Wahn“, eine Gruppe von Schriftstellern und Prominenten hat gerade in einem offenen Brief das „Gender-Sprech“, also geschlechtergerechte Sprache, kritisiert. Ist das das letzte Aufbäumen des Patriarchats? Oder hat sich der moderne Feminismus verrannt und zur Sprachpolizei gemacht?
Stokowski:Ich fürchte, es ist nicht das letzte Aufbäumen. Ich kenne aber keine Feministin, die sagt, wir müssen uns auf eine Variante festlegen. Es gibt Binnen-I, Sternchen, Unterstrich, manche wechseln sich ab und sprechen mal von Lehrerinnen und mal von Lehrern, andere erfinden neue Formen wie die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch.
Natürlich ist es nicht das letzte Aufbäumen, denn wenn das Patriarchat tot wäre, dann wäre der Feminismus arbeitslos. Und auch die Gender Sprache interessiert außerhalb der Bubble keine Sau.
Schwarzer: Die Gegner stürzen sich natürlich auf Dinge, wo der Mann und die Frau von nebenan sagen: ‚Sind die denn verrückt geworden? Man kann es aber auch übertreiben.‘ In Wahrheit gibt es auch in feministischen Kreisen sehr unterschiedliche Weisen, mit Sprache umzugehen. Wir sollten uns davor hüten, eine bestimmte Sprache vorzuschreiben. Es stimmt zwar: Sprache ist der Stoff, in dem wir fühlen und denken. In den 70er Jahren mussten wir Feministinnen erstmal dafür sensibilisieren, dass es oft nur die männliche Form gibt und die Frau in der Sprache gar nicht vorkommt. Als Journalistin weiß ich aber auch, dass Sprache lebendig ist und man sie sprechen können muss. Einen Unterstrich oder ein Sternchen im Wort kann ich nicht sprechen. Das verhunzt die Sprache.
Schwarzer hier mit dem realistischeren Ansatz, aber das war ja auch zu erwarten.
Frau Stokowski, Sie verwenden das Sternchen in Ihren Texten.
Die Aussprache ist in der tat eine der unpraktischsten Seiten dieser „Sonderzeichen“. Niemand möchte Pausen in seinen Worten haben. Aber es geht ja auch gar nicht um Praktikabilität. Es soll gerade stören und „sichtbarmachen“. Es ist eben auch eine Form des Virtue Signalling sich immer kompliziertere Varianten zu überlegen, die noch mehr Hingabe zeigen.
Kommen wir zu dem Thema, das Sie beide am meisten trennt: Frau Schwarzer, Sie haben den politischen Islam neulich als „Faschismus des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Was meinen Sie damit?
Schwarzer: Eines möchte ich zum hundertsten Mal klarstellen: Es geht mir nicht um den Islam, den Glauben, ich rede ausschließlich über den politisierten Islam, den Islamismus, der 1979 mit Khomeini im Iran begonnen hat. Das ist keine Religion, sondern eine Ideologie, die von Anfang an die Trennung der Geschlechter im Fokus hatte. Im Iran wurde gerade eine Anwältin zu 148 Peitschenhieben und 38 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie es gewagt hat, Frauen zu verteidigen, die gegen den Kopftuchzwang protestieren und für Rechte der Frauen. Es ist das offene Grauen.
Kann man eigentlich schwer etwas gegen sagen. Wie könnte man nicht dagegen sein?
Frau Stokowski, nicht nur Alice Schwarzer, auch Politikerinnen wie Julia Klöckner und Malu Dreyer haben die Einwanderung von Männern aus patriarchal geprägten Gesellschaften problematisiert. Ist der politische Islam eine Gefahr für die Emanzipation in Deutschland?
Stokowski: Wir sollten uns nicht nur darauf konzentrieren, patriarchale Strukturen bei denen zu sehen, die nicht urdeutsch und christlich sind. Natürlich sehe ich als Feministin vieles kritisch, Zwangsverschleierung, Zwangsverheiratung, fehlende Hilfe für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Ich glaube nur, dass der Feminismus nicht auch noch bei der Stimmungsmache gegen Musliminnen und Muslime mitmachen sollte. Die gibt es ohnehin schon genug. Wir sollten nicht so tun, als sei es das eigentliche Problem, dass durch geflüchtete Menschen frauenfeindliche Ideologien nach Deutschland kommen. Damit tut man den Nazis leider einen sehr großen Gefallen.
Das ist eine sehr vorsichtige Antwort, die nur etwas an dem kratzt, was da häufig gemeint ist: Die deutsche Kultur ist selbstverständlich schlimmer und Weiße sowie so Satan. Und weil man das nicht deutlich genug macht kann der Vorwurf gegen islamistische Praktiken nur Rassismus sein, weswegen man diese generell nicht bringen darf.
Schade, dass es kein wirklich kritisches Interview gibt, wo so etwas mal direkt nachgefragt wird. Es wäre ja interessant, wenn man Stokowski mal direkt zu einer Stellungnahme auffordert, wie sie nun zu dem von Schwarzer beschriebenen steht, ohne ausweichen auf das Verhalten weißer.
Frau Schwarzer, stellen Sie Flüchtlinge unter Pauschalverdacht?
Schwarzer: Ich? Das ist einfach lachhaft! Im Gegenteil: Ich schaue genau hin. So hatten wir in der Emma im Herbst 2015 einen Vater auf dem Titel, die fünfjährige Tochter auf den Schultern, zwei Menschen auf der Flucht. Im Blatt finden Sie einen Forderungskatalog, was für die Frauen und Kinder in den Flüchtlingsunterkünften getan werden muss. Um die hat sich zu dem Zeitpunkt noch kein Schwein gekümmert. Aber mit den Flüchtlingen hat das Problem ja auch gar nicht angefangen.
Schwarzer führt eine Trennung von „normalen Flüchtlingen“ und „politischen Islam“ an. Da wird Stokowski wahrscheinlich nicht mitziehen wollen.
Womit denn?
Schwarzer: In Westeuropa gibt es seit mindestens 25 Jahren eine Agitation des politischen Islam, der Islamisten. Manche Imame geben den Eltern Geld, wenn sie ihre Töchter verschleiern. Den jungen Männern sagen sie, ihr braucht nichts zu lernen, weil ihr mehr wert seid als eure Frauen und die Ungläubigen und mal heilige Krieger werdet. Dieser Verhetzung haben wir im Westen nichts entgegengestellt. Wir haben die Mehrheit der Muslime in Europa, die aufgeklärt sind und Demokratie wollen, im Stich gelassen und dem Druck der radikalen Minderheit ausgeliefert. Und wir haben uns nicht nur in Deutschland den ungeheuren Luxus erlaubt, nicht genau zu unterscheiden: zwischen normalen Muslimen und islamistischen Ideologen und Hetzern. Und jetzt wundern wir uns, wenn die Rechte da aufsattelt. Für diese neue Art von Rassismus sind die Kräfte verantwortlich, die immerzu diesen Kulturrelativismus gepredigt haben, die gesagt haben: Das ist eine andere Religion, das sind andere Sitten, die sind eben so. Du gehörst dazu, Margarete. Es gäbe keine AfD, wenn Liberale und Linke nicht so versagt hätten.
Das ist erst einmal ein harter Vorwurf: Fast schon Verständnis für die AfD, weil der „islamistische Ideologen und Hetzer“ nicht hinreichend ausgegrenzt werden sondern zuviel Freiraum hatte.
Frau Stokowski, sind Sie mitschuldig am Aufstieg der AfD?
Stokowski: Nee. Die Liste aus der Emma mit den Forderungen für geflüchtete Frauen ist doch ein gutes Beispiel. Es gibt sexualisierte Gewalt in Flüchtlingsunterkünften, aber in der Debatte hört man eben nicht die Forderung nach mehr Plätzen in Frauenhäusern oder speziellen Beratungsangebote für muslimische Mädchen und Frauen. Viele konzentrieren sich darauf, gegen die Männer zu sprechen und nicht für die Frauen. Man hört dann nur: Die haben eine komische Kultur, die wollen wir hier nicht haben. Für mich heißt das: Das Thema wird rassistisch instrumentalisiert
„Viele konzentrieren sich darauf gegen die Männer zu sprechen und nicht für die Frauen“. Von einer intersektionalen Feministin. Hätte ja schon fast was lustiges, wenn es nicht so bizarr wäre. Aber auch eine Nichtantwort. Sie schließt eben schlicht auf die rassistische Instrumentalisierung, sie gibt keine Wertung zum „politischen Islamismus“ ab
Schwarzer: Liebe Margarete, da wird leider überdeutlich, dass Du Emma nicht liest. Du weißt aber trotzdem genau, was drin steht. Realität ist, dass all die Forderungen, die du jetzt erhebst, bei uns schon sehr lange Thema sind. Du gehörst ja auch zu den Frauen, die Emma Anfang 2016 dafür angegriffen haben, dass wir nach der Silvesternacht in Köln die Wahrheit über die Übergriffe am Hauptbahnhof geschrieben haben. Von den 2000 Männern waren die meisten Algerier und Marokkaner, viele Illegale, 690 Frauen haben Anzeige erstattet wegen sexueller Gewalt. Das haben wir geschrieben – und es schallte uns der Ruf „Rassismus“ entgegen. Und da antworte ich Ihnen, nein Dir – siehst Du, kaum sind wir so kontrovers, falle ich ins Sie, wir sind eben zwischen Du und Sie – ich antworte: Ich finde es rassistisch, zweierlei Maß einzuführen und zu sagen, das sind Algerier, aber wir dürfen das nicht sagen, sonst wird es missbraucht. Damit nehmen wir diese jungen Männer nicht ernst. Denn die müssen die Tausende von Kilometern, die sie zu Fuß zurückgelegt haben, auch noch mal im Kopf zurücklegen, wie Kamel Daoud gesagt hat. Sie kommen schließlich aus Ländern, in denen Gewalt gegen Frauen und Kinder eine Selbstverständlichkeit ist und Frauen rechtlose Unmündige sind.
Also eine Prägung durch eine bestimmte Kultur, die Frauenrechte geringer schätzt als moderne Länder. Darüber kann man reden. Aber natürlich nicht mit intersektionalen Feministinnen. Denn dort darf das schlicht nicht sein. Dort ist die schlimmste denkbare Kultur der Weiße Mann. „PoC-Kulturen“ dürfen kein rückständigeres Bild haben ohne dass das jemals begründet werden muss.
Intersektionale Feministinnen sehen echt nicht wie sehr ihre eigenen Theorien genau darauf aufbauen. „Not all Men“ wäre ja genau das, ebenso wie der Ansatz, dass Männer dafür verantwortlich sind, eine „toxische Männlichkeit“ abzubauen oder für eine Belästigungsrate von 0,0000 zu sorgen.
Linken Feministinnen wird sehr häufig vorgeworfen, sie würden muslimischen Männern alles durchgehen lassen und andere schon für ein Anlächeln verurteilen. Das ist der Versuch so zu tun, als gäbe es in Deutschland keine Probleme von weißen deutschen Männern, die übergriffig wären.
Auch hier noch einmal: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Wenn weiße Männer übergriffig wären, dann müsste man dennoch erst einmal anführen, dass muslimische Männer es auch sind und es wäre zu untersuchen, welche Gruppe es mehr ist.
Schwarzer: Es geht nicht um Einzelne, es geht um Strukturen. Du hörst einfach nicht zu! Die Realität interessiert dich nicht.
In der Tat interessiert sie die Realität nicht. Aber schön, dass Schwarzer ihr Strukturen vorwirft. Schön substanzlos. Aber schlechte Strukturen bei PoCs gehen eben nicht.
Wir würden gerne noch einmal das Thema wechseln.
Gerade wenn es spannend wird. Warum eigentlich? Sie sind ja noch lange nicht zum Kernkonflikt vorgedrungen.
Auf die erste Kanzlerin der Bundesrepublik folgt wahrscheinlich die zweite Kanzlerin. Angela Merkel hat sich immer geweigert, sich als Feministin zu bezeichnen. Annegret Kramp-Karrenbauer hält das anders – ein Fortschritt?
Stokowski: Ich glaube, Annegret Kramp-Karrenbauer ist kein Fortschritt für den Feminismus. Also wirklich nicht. Ich habe im Moment das eigenartige Gefühl, dass ich traurig sein werde, wenn Angela Merkel weg ist. Frau Kramp-Karrenbauer ist homofeindlich und sehr polemisch gegen alles, was Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellt. Es bringt dem Feminismus nichts, wenn eine Frau an eine obere Position kommt und dann weiter frauen- oder minderheitenfeindliche Positionen vertritt.
Auch ein großartiger Satz dem man mal in die Quotendebatte werfen sollte.
Schwarzer: In Relation zu Frau Merkel ist Frau Kramp-Karrenbauer allgemeinpolitisch eindeutig konservativer. Aber aus feministischer Perspektive gesehen ist sie eindeutig feministischer. Das hat was mit ihrem West-Lebenslauf zu tun.
Stokowski: Woran machen Sie das fest?
Schwarzer: An konkreten Aussagen in meinem Interview in der aktuellen Emma. Aber auch daran, wie sie selber lebt, zum Beispiel, dass ihr Mann Hausmann war. Aber ich finde grundsätzlich interessant, in welchem Maße der Begriff Feminismus in Deutschland im Verschiss ist. Deutschland, das Land der sogenannten Rabenmütter, ist innerhalb der westlichen Welt ja auch in Sachen Pay Gap Schlusslicht.
Wäre mal eine interessante Frage: Wer von den beiden ist feministischer? Und reicht dafür ihr Leben aus oder müsste sie auch feministische Ideen vertreten?
Ist es nicht ein bisschen cool geworden, sich zum Feminismus zu bekennen? Es gibt sogar entsprechende T-Shirts.
Schwarzer: Ja, das ist zurzeit Modetrend. Aber was steckt hinter dem Label? Ehrlich gesagt interessiert mich schon lange nicht mehr, ob eine Frau sich als Feministin bezeichnet. Entscheidend ist nicht, was sie sagt, sondern was sie tut. Und da sind eben manchmal Nicht-Feministinnen in Wahrheit feministischer als vorgebliche Feministinnen, die krass antifeministisch sind.
Der alte Krieg im Feminismus: Beide werfen sich gegenseitig vor, dass sie keine Feministinnen sind, weil es nur den einen richtigen Feminismus gibt.
Wäre interessant, wenn die Zeitung da mal mehr nachgefragt hätte: Welche vorgeblichen Feministinnen oder feministischen Positionen sind für sie antifeministisch?
Dann kommen wir zu den Taten. Wenn Sie am Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung mitschrieben könnten – was würden Sie reinschreiben?
Stokowski: Abtreibung raus aus dem Strafgesetzbuch, eine bessere Schulung von Menschen, die in Beratungsstellen, Gerichten oder bei der Polizei mit Opfern sexualisierter Gewalt arbeiten. Die Position von Alleinerziehenden stärken, die Möglichkeit zur Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit verbessern, das Ehegattensplitting abschaffen. Und ich würde einen besseren Umgang mit Hate Speech und anderen Formen von Gewalt im Internet durchsetzen. Die trifft häufig Frauen und die Strafverfolgungsbehörden tun sich immer noch sehr schwer damit.
Interessanterweise keine Forderung dabei, die Frauen irgendwie mehr in Führungspositionen bringt. Und etwas vage: Wie will sie die Position von Alleinerziehenden stärken? Und HateSpeechSchutz verbessern ist immer eine Sache, die Feministinnen sich überlegen sollten: Sie produzieren selbst eine Menge davon.
Schwarzer: Das ist doch schön, Margarete. Zu guter Letzt haben wir ein Happy End zu vermelden. Ich schließe mich uneingeschränkt diesen Forderungen an. Ich möchte nur eines hinzufügen: Wir brauchen dringend gesetzliche Maßnahmen zum Schutz vor Altersarmut. Auf die rasen gerade die Töchter der Frauenbewegung mit 180 Sachen zu, weil sie die Lüge geglaubt haben, sie hätten die Wahl und könnten alles: auch Teilzeit arbeiten oder aus dem Beruf aussteigen. Da kommt ein Drama auf Millionen Frauen zu.
Auch hier wenig aufregendes. Insgesamt eine Diskussion die an der Oberfläche kratzt und nie wirklich in die Tiefe geht. Bei der viel ausgewichen wird und wenig gesagt wird.