Lucas Schoppe zu der Wirkung von Identitätspolitik

Lucas schreibt einen wie immer lesenswerten Artikel über Christchurch, bei dem ich diesen Absatz herausgreifen möchte:

Ein zentraler Konflikt in der Ethik seit der Aufklärungszeit zeigt sich in der Frage, ob die Konsequenzen einer Handlung moralisch bewertet werden sollen oder eher die Intentionen dabei. Wir müssen uns hier gar nicht weiter darum kümmern, wie dieser Konflikt geklärt werden könnte, wichtig ist: Beide Positionen richten sich gegen eine ständische, voraufklärerische Moral.

Menschen werden so nämlich nach dem bewertet, was sie tun, was sie damit beabsichtigen oder was sie damit erreichen – nicht nach dem, was sie sind. Identitätspolitik, und das wird in ihrer Rechtsaußen-Variante besonders deutlich, fällt hinter diese aufklärerische Unterscheidung wieder zurück und bewertet Menschen zuerst und zuletzt danach, was sie sind, und das heißt hier immer: zu welcher Gruppe sie gehören.

Damit aber gibt es keine Möglichkeit, Konflikte zu klären oder Situationen dadurch zu moderieren, dass Menschen ihr Handeln anpassen. Konflikte lassen sich so nur lösen, indem die störenden Individuen und Gruppen verschwinden.

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Diese Identitätspolitik muss also in einer modernen Massengesellschaft beständig auf Feinde treffen – auf Positionen, die ihre eigene Position relativieren – auf Unterschiede und Durchmischungen – auf gegenseitige Spiegelungen und Rückspiegelungen. Daher macht es aus dieser Sicht auch gar keinen prinzipiellen Unterschied, ob diese Gesellschaft nun eine strikt-rigide oder eine offene Einwanderungspolitik betreibt. Der Feind ist nicht eine bestimmte Politik, sondern die moderne Demokratie selbst.

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Der New York Times Kolumnist David Brooks hat gerade aus einer Arbeit zitiert, nach der in den USA mittlerweile 42% der jeweiligen politischen Lager die Angehörigen des gegnerischen Lagers für „ganz und gar böse“ („downright evil“) halten und sogar jeweils 20% ihnen die Menschlichkeit absprechen. Das ist eine Gemengelage, die günstig ist für Terror und Massenmorde.

Wer die Logik des Terrors brechen möchte, der darf nicht in jedem politischen Gegner einen Feind und Unterstützer des Bösen sehen, sondern muss die Menschen auf allen Seiten stärken, die sich für zivile Strukturen einsetzen. Angesichts der eingangs zitierten Bereitschaft, ganz beliebige Menschen für die Morde verantwortlich zu machen, ist aber leider deutlich: Diejenigen, die an solchen zivilen Strukturen nicht interessiert sind, sind vielleicht nicht in der Mehrheit – sie sind aber deutlich lauter und offensiver.

Und damit ist die zerstörerische Wirkung von Identitätstheorien, von Links oder von Rechts, auch gut herausgearbeitet:

Sie muss jeweils verallgemeinern und darf das Individuum nicht betrachten. Denn um so mehr man den Einzelnen in den Blick nimmt um so mehr versagt die Identitätspolititk, weil wir letztendlich Menschen sind und damit sowohl heterogen als auch mit vielen Gemeinsamkeiten weit über die Gruppenzugehörigkeit hinaus sind.

Wer einer Gruppe schuld zuweisen will, der darf eben nicht hinterfragen, was der Einzelne aus der Gruppe falsch gemacht hat – #yesallmen ist insofern eine konsequente Haltung daraus.

Und selbst wenn einige Identitätstheorien eine „Ausstiegsklausel“ bieten, nach der man von der Gruppenschuld frei kommen kann wird diese üblicherweise quasi nicht umsetzbar sein – derjenige bleibt immer Bestandteil der Gruppe und damit von deren Schuld befleckt. Keine Feministin kann einem Mann beispielsweise sagen, wann er sich nichts mehr vorzuwerfen hat. Es wird immer vage bleiben, ein Mann kann seine Privilegierung noch nicht einmal als Obdachloser ablegen.

Die spaltende Kraft dahinter ist enorm – denn die Zuweisung einer „bösen Identität“ und einer „Opferidentität“ führt sowohl dazu, das die Opfer sich mehr als Opfer sehen (und keine anderen Gründe, deren Abstellung etwa die Lage verbessern würde akzeptieren) und die anderen mehr als Täter und das die „Bösen“ sich zu unrecht angegriffen fühlen und damit fast zwangsläufig ebenfalls ihre Gruppenidentität verstärken (ein Feind von außen war dafür schon immer hilfreich). Was wiederum dazu führt, dass es leichter ist Opfer zu sein („die geben das nicht zu, die machen nichts gegen ihre Privilegien, die greifen uns noch an“) und so weiter, was in einer Negativspirale die Gruppendifferenzen immer mehr verstärkt.