Many Shades of Gender – Ein FAQ zu den Gender Studies: Werden Jungs in der Schule benachteiligt? (2)

Paula-Irene Villa, Genderprofessorin, hat ein FAQ zu Mythen über die Gender Studies erstellt. Ich wollte sie nach und nach hier besprechen:

Heute:

Werden Jungs in der Schule benachteiligt?

Diesen Eindruck kann man bisweilen haben, wenn man bedenkt und sieht, wie sehr Mädchen und Frauen tatsächlich seit der sogenannten Bildungsexpansion in Westdeutschland der 1960er und 1970er Jahre im Bereich Bildung aufgeholt haben. Junge Frauen machen inzwischen mindestens 50% der Abiturient_innen aus, und sie machen im Schnitt so gute Abiturabschlüsse wie junge Männern. Allerdings: von der Bildungsexpansion haben auch Jungs und junge Männer profitiert. Das heißt, beide Geschlechter stehen typischerweise schulisch besser da als vor Jahrzehnten – “je jünger Frauen und Männer sind und damit je kürzer ihre Schulzeit zurückliegt, desto niedriger ist der Anteil der Personen mit einem Hauptschulabschluss. Gleichzeitig erreicht ein immer größerer Anteil der Schüler die Fachhochschul- oder Hochschulreife”, so zusammenfassend das Demographie-Portal des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (https://www.demografie-portal.de/SharedDocs/Informieren/DE/ZahlenFakten/Schulabschluss_Alter_Geschlecht.html).

Danach scheint ja alles – nunmehr endlich für die Mädchen – einigermaßen gerecht zu laufen.

 

Ein genauerer Blick zeigt dabei – wie üblich – jedoch ein komplexeres und nuancierteres Bild. Junge Frauen machen einerseits gegenwärtig pro Kohorte im Schnitt einen leicht höheren Anteil der Abiturient_innen aus.  Jungs haben andererseits, dies zeigen neuere Studien, bereits in der Grundschule häufiger Probleme als Mädchen: sie wiederholen häufiger die Klasse oder erhalten weniger häufig die Empfehlung zum Gymnasium. Manche Studien sehen sogar eine Diskriminierung dahingehend, dass gleiche Leistungen bei Jungen im Vergleich zu den Mädchen etwas schlechter bewertet werden (https://www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Schwach_im_Abschluss/Bildung_online_gesamt_final.pdf). Es gibt, so lässt sich empirisch begründet vermuten, tatsächlich einen strukturellen bias – ein eingebautes Vorurteil – im Schulsystem Deutschlands, das gewisse Fähigkeiten, gewisses Verhalten und gewisse Interessen stärker belohnt als andere

Es wird also hier sogar ein struktureller Bias zugestanden, in dem gewisse Vortiele und gewisses Verhalten stärker belohnt werden.

und dies deckt sich mit geschlechtlichen Stereotypen: Mädchen gelten tendenziell als brav, ordentlich, leseinteressiert, konzentriert, ruhig, diszipliniert – Jungen als laut, raumgreifend, unkonzentriert, wild, schlampig usw. Schulen belohnen daher Mädchen. Aber eben auch nur die, die ‘mädchenhaft’ sind. Mädchen und Jungen also, die diesen Klischees nicht entsprechen, haben es beide schwerer.

Alles liegt also nur an den Stereotypen und man darf vermuten, was kommt. Eigentlich sind die Mädchen benachteiligt bzw die Jungs diskriminieren sich als Teil der Gruppe Männer hier ja selbst, weil Männer die Macht haben.

 

Studien weisen allerdings insgesamt darauf hin, dass für Deutschland nach wie vor gilt, dass Schichtzugehörigkeit und Bildungsgrad der Eltern die maßgeblichen Variablen für schulische Erfolge sind (zu diesen Themen im Interview der Forscher S. Sievert https://www.spektrum.de/news/warum-jungen-in-der-schule-auf-der-strecke-bleiben/1353755 ; ausführlicher auch hier bei Solga 2009 https://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_171.pdf). Sie überlagern Geschlecht

Man wünscht sich ja immer solche Diskussionen mal mit denen zum Gender Pay Gap parallel zu führen. Denn Schichtzugehörigkeit dürfte auch da zu niedrigeren Einkommen führen und Geschlecht überlagern. Ich vermute das würde die Feministinnen auch nicht überzeugen.

– was aber nicht bedeutet, dass Geschlecht keine Rolle spiele. Verdichtet hieße das: der Sohn von gut verdienenden Akademiker_innen-Eltern in einer reichen Stadt hat weitaus bessere Chancen in der Bildungslaufbahn als die Tochter prekär beschäftigter Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss auf dem Land. Migration und Region spielen hierbei ebenfalls eine Rolle, aber wiederum keine pauschale: Die Tochter schweizer-südafrikanischer Eltern, die im höheren Management einer Pharmafirma arbeiten und die selbst auf ein bilinguales Gymnasium geht, der wird es – statistisch gesehen – bildungsbezogen eher besser gehen als dem Sohn bulgarischer Tagelöhner, die semilegal auf dem Bau arbeiten. Menschen sind immer durch die gleichzeitige Zugehörigkeit zu mehreren Gruppen und Differenzen sozial positioniert. An solchen Beispielen zeigt sich die Intersektionalität von sozialen Positionen

Da würde tatsächlich die Intersektionalität an ihre Grenzen stoßen oder sie müsste hier einen Systembruch vornehmen: Denn Geschlecht darf ja nur dann benachteiligend sein, wenn es Frauen betrifft.

Aber das zeigt eben auch gut, wie man Probleme zerreden kann: Es ist in der Sprache der Feministinnen eine Form des Whataboutism:

  • Jungs mögen ja leichte Nachteile haben, aber die haben Mädchen auch, wenn sie sich nicht wie Mädchen benehmen.
  • überhaupt haben Schüler aus ganz anderen Gründen Probleme, also sind die Probleme von Jungs ja allenfalls welche unter vielen.

Diese Klischee-Figuren zeigen: Bildungsverläufe sind maßgeblich von Variablen wie Geschlecht, Region, Migrationshintergrund, Schichtzugehörigkeit geprägt – wie genau und was dies bedeutet, dies ist komplex. Die Gender Studies befassen sich auch mit diesen Fragen und tragen so zum Verständnis dieser Zusammenhänge bei.

Das ist eine Nullantwort.  Den wie man sieht tragen sie ja eben gerade nicht dazu bei, sie kann die Frage letztendlich nicht beantworten, sondern verrent sich in Ausflüchten. Wahrscheinlich klang ihr „Jungs haben nur Probleme, weil das Patriarchat die Geschlechterrollen so ausformt, dass Jungs laut und störrend sind, Feminismus würde helfen auch diese Geschlechterrollen zu beseitigen und diese toxische Männlichkeit abzustellen“ bei Jungs zu hart.

Zum Weiterlesen:

Insgesamt also ein sehr ausweichender Artikel. Was sagt ihr?