Wieder einmal ein sehr merkwürdiger Artikel bei Pinkstinks. Eine Feministin, Mithu Sanyal, schreibt über ihren Sohn:
Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als meine Gynäkologin mir verriet, dass ich einen Jungen bekommen würde. Weil es echt schwierig war, bis auf die Toilette zu kommen, bevor ich in Tränen ausbrach. Und zwar nicht vor Freude. Mein erster Gedanke war: Dann hat sich das ja gar nicht gelohnt. Der zweite: Wie schnell kann ich nach der Geburt wieder schwanger werden? Meine Mutter tröstete mich:
„Die hat sich bestimmt geirrt.“
Was für Gedanken! Welch merkwürdiges Verhältnis gegenüber Männern muss man haben, um so etwas zu denken? Und eine Mutter, die meint einen deswegen trösten zu müssen….
Seitdem habe ich bei jedem neuen Baby in meinem Umfeld die mitleidigen Blicke bemerkt, wenn es ein Junge war. Und das stolze, überlegene Lächeln der Mädchenmütter. Wie in einem viktorianischen Roman. Nur halt umgekehrt.
Was muss man dafür für ein Umfeld haben? Wenn man je einen Beweis für eine sehr radikale feministische Szene bräuchte: Dieser Text wäre einer.
Dort waren es die weiblichen Babys, die als waste-of-space im Uterus angesehen wurden. Und die Baby-boys, die die braven Ehefrauen und Mütter mit dem befriedigenden Gefühl erfüllten, eine Leistung vollbracht zu haben. Und erst die Väter. Deshalb versuchen die Töchter in diesen Romanen so häufig, Söhne zu sein, um auch zu den erwünschten Kindern zu gehören. Und deswegen haben sich Feministinnen genau gegen diesen boy bias gewehrt und gesagt: Wir wollen Mädchen!
Das wäre eine etwas verharmlosende Beschreibung nach dem obigen. Sie scheinen ja nicht nur etwas lieber Mädchen zu wollen oder zu wollen, dass man sich auf Mädchen freut. Sondern sie scheinen ein echtes Problem mit einem männlichen Baby zu haben. So starke Probleme, dass man weinen muss, wenn man hört, dass man einen Jungen bekommt.
Es geht weiter
Das Problem ist nur, ich bin eine Feministin. Und ich habe einen Sohn.
Als er auf die Welt kam, schickten mir Freundinnen Artikel: Wie kann ich verhindern, meinen Sohn als Macho zu erziehen. (Als könnten wir mit Erziehung auch nur halb so viel bewirken wie die Gesellschaft um uns herum, aber das ist ein anderes Thema.) Als er auf die Welt kam, schaute ich ihn mit einer Mischung aus Faszination und Befremden an, dieses fremde Wesen mit einem noch fremderen Geschlecht, und wusste nicht, wie ich Anteile von mir selbst in ihm wiedererkennen sollte. Als er auf die Welt kam, war ich sicher, dass er der Gewinner in der Geschlechterlotterie sein würde, und entsprechend unvorbereitet auf die Reaktion der Umwelt auf männliche Babys.
Mir scheint, dass sie damals dann noch eine radikalere Feministin war und in einem sehr radikalen Umfeld. Aber in der Tat ist ein männliches Baby für radikale Feministinnen ein Problem oder ein Projekt: Er ist ja das Böse und ihn zu fördern heißt ihm seine Privilegien gewähren. Man kann es allenfalls sportlich sehen: Schaffe ich es ihm das Böse, die Privlegierung, zu nehmen und ihn zu einem „guten Mann“ zu machen? Allerdings kann das ja kaum gelingen, tatsächlich wegen der Biologie, aber in feministischer Vorstellung auch, weil er ja durch die Gesellschaft privilegiert ist.
Inzwischen weiß ich, dass Eltern mit ihren Söhnen von der ersten Sekunde an weniger sprechen und wenn sie es tun, benutzen sie eine weniger metaphernreiche Sprache. Ich weiß, dass männliche Kinder weniger in den Arm genommen werden und insgesamt weniger Zärtlichkeit erhalten als weibliche Kinder. Töchter werden dafür mehr in ihrer Autonomie und Bewegungsfähigkeit eingeschränkt und sie erhalten erschreckend viel positives Feedback für jedes Zögern und Zurückweichen: Oh, du hast Angst? Ach, dann lass das lieber. Komm zu Mama/Papa/Omi. Sei vorsichtig. Mach dich nicht schmutzig. Sei nett.
Sie weißt also auf gewisse Nachteile hin (die vermutlich eher daraus entstehen, dass die Eltern merken, worauf ihre Kinder besser reagieren bzw. ob sie ängstlicher sind etc).
[…]
Sich zu entscheiden, ob man in dieser Welt lieber ein Junge oder ein Mädchen werden möchte, ist wie die Entscheidung zwischen Armen und Beinen. Spoiler: Wir brauchen beides, Wärme und Zärtlichkeit sowie Stärke und Zuversicht. Darüber, wie schwierig es ist, ohne Beine – sprich als Mädchen – aufzuwachsen, haben andere und klügere Menschen bereits eine Menge gedacht, gesagt und geschrieben. Welche Herausforderungen das Leben ohne Arme – also als Junge – mit sich bringt, wurde so viel weniger untersucht, dass es den meisten Jungen selbst nicht auffällt. Arme? Was sind Arme?
Ich denke sie will darstellen, dass sie über das Kind einiges gelernt hat, dass sie gemerkt hat, dass auch die Jungs Nachteile haben. Dass sie den Männerhass ihres feministischen Umfeldes überwunden hat. Es wäre dann in Teilen ein antifeministischer Text.
[…]
Ich hatte mich zuerst dagegen entschieden, diesen Text I will always love my male child zu nennen, weil die Übersetzung davon ist: Ich werde mein Kind immer lieben, obwohl er ein Junge ist. Und das ist ein wenig so wie zu sagen: Ich liebe ihn, obwohl er ein Mensch ist. Oder obwohl er er ist. Natürlich ist er noch mehr als nur sein Geschlecht, aber er hat und ist eben auch sein Geschlecht. Deshalb wäre es passender zu sagen: Ich liebe ihn, weil er ein Junge ist. Nicht nur, aber eben auch deshalb.
Sie hat also anscheinend das Lagerdenken ihrer feministischen Umgebung zumindest etwas überwunden und sieht ihn als Individuum und nicht nur als Vertreter der Gruppe Mann.
Und sie kann anscheinend jetzt auch etwas schönes an seinem Junge sein sehen.
Aus irgendeinem Grund – wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem Mädchen pinke Empathiespielsachen wie Prinzessin Lillifee und Jungen schlammfarbenes Actionspielzeug wie Plastikpistolenaufgedrängt bekommen – war ich davon ausgegangen, dass ein Junge grundlegend verschieden von einem Mädchen, ergo von mir sein würde. Dass wir keine weiteren Gemeinsamkeiten haben würden – außer der Hälfte unserer DNA – und nur in einer komplizierten Form von Morsecode kommunizieren könnten. Und hier lag ein winziges Wesen mit Regenwurmarmen und Beinchen und war einfach es selbst. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen männlichen Menschen nicht zuerst als Mann oder Junge wahrnahm. Seitdem haben sich die Kategorien Männlich und Weiblich mehr und mehr aufgelöst. Ich liebe meine Tochter nicht nur, aber auch, weil sie ein Mädchen ist und ich deshalb mit ihr bestimmte Mädchendinge machen kann wie die neuesten veganen Superfoods auszuprobieren.
Das ist ja ein altes Problem aller Identitätstheorien: Wenn man nette Vertreter der eigentlichen „Antigruppe“, der Sündenbockgruppe, kennenlernt, dann sieht man in ihnen das Individuum. Einige denken es sich dann zurecht, dass diese die rare Ausnahme sind und sie ruhig weiter hassen können. Andere erkennen, dass die Theorien nicht stimmen können.
Aber ich weiß, dass das nicht an ihren Genitalien oder Chromosomen oder Hormonen oder woran auch immer wir inzwischen Geschlecht festmachen liegt, sondern an der Welt, in der wir uns bewegen und die Frauen erklärt, dass sie gefälligst auf ihre Figur zu achten haben und das am besten durch Ernährung tun.
Aber auch wenn ich Geschlecht immer weniger beschreiben kann – was ist wirklich weiblich, was wirklich männlich, was wirklich trans? – hat es einen immensen Einfluss auf uns. Weil wir an jeder Ecke danach beurteilt und behandelt werden. Deshalb ist es so wichtig, unsere Vorstellung von Geschlechtern zu erweitern, so dass Jungen auch schön sein dürfen und Mädchen auch mutig. Und deshalb möchte ich diesen Text doch I will always love my male child nennen. Denn ich glaube, das ist es, was Jungen und Männern in unserer Gesellschaft am meisten fehlt:
Ein versöhnliches Ende. Aber ein Text, der Leuten wie Nadine Lantzsch von der Mädchenmannschaft nicht gefallen würde.
Bei kleineren Kindern ist es natürlich auch noch besser aufrechtzuerhalten. Interessanter wird es, wenn die Pubertät einsetzt und sich das geschlechtliche Verhalten immer mehr zeigt. Das kann dann bei radikalen Feministinnen zu ernsten Problemen führen. Ich hoffe hier geht es gut