Mittwochskommentare sind gute Kommentare
Tag: 29. August 2018
Wie erreicht man die Unzufriedenen? #Chemnitz
Gerade sind die Vorfälle in Chemnitz in den Medien.
Hier eine kurze Zusammenfassung:
In der Nacht zu Sonntag kam es laut Polizei am Rande des Chemnitzer Stadtfestes gegen 3.15 Uhr „zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen unterschiedlicher Nationalitäten“. Dabei wurden drei Männer im Alter von 33, 35 und 38 Jahren schwer verletzt. Der 35-Jährige erlag später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Die Polizei fasste zwei Männer, die vom Tatort geflüchtet waren. Spekulationen in den sozialen Netzwerken, wonach der Auseinandersetzung die sexuelle Belästigung einer Frau vorausgegangen sein soll, wies die Polizei am Sonntag zurück.
Das Amtsgericht Chemnitz hat Haftbefehle gegen einen Syrer und einen Iraker wegen gemeinschaftlichen Totschlags erlassen. Die beiden Männer sollen „ohne rechtfertigenden Grund“ mehrfach auf den 35 Jahre alten Mann eingestochen haben, teilte die Behörde mit. Die Ermittlungen zum Tatmotiv und Ablauf der Tat dauern an.
Bei dem Toten soll es sich um einen 35-jährigen Tischler aus Chemnitz mit kubanischen Wurzeln handeln.
Im folgenden rief dann wohl die AfD und weitere, wohl auch rechtsradikale Gruppen zu Demos auf. :
Dem Aufruf der AfD folgten zunächst nur rund 100 Menschen. Es blieb friedlich. Gegen 16.30 Uhr versammelten sich laut Polizei dann rund 800 Menschen am Karl-Marx-Monument. Wenig später setzte sich die Gruppe in Bewegung und zog „quer durch die Innenstadt“. Dabei kam es auch zu Flaschenwürfen in Richtung der Polizeibeamten. Auf Videos ist zu sehen, wie Migranten von Personen aus der Masse heraus attackiert werden. Zu hören sind Rufe wie „Wir sind das Volk“, aber auch rechte Parolen wie „Deutsch, sozial, national“. Aus Sicherheitsgründen war zuvor das Stadtfest abgebrochen worden.
In den sozialen Medien ging es dann hoch her:
Auf der einen Seite: „Messerimmigration verhindern“ oder „wir müssen uns wohl von noch Nicht-So-Lange-Hier-Lebenden abstechen lassen“.
Auf der anderen Steie „Nazis auf die Fresse hauen“, „mit Nazis redet man nicht“ und „wie viele Nazis hast du heute gehauen?“
Es soll Hetzjagden durch die Stadt gegeben haben, viele Journalisten beschrieben die Situation als äußerst beunruhigend und waren wohl später froh wieder ohne Schäden nach Hause gekommen zu sein. Insgesamt wurde das Bild einer Stadt außer Rand und Band, quasi im Bürgerkrieg, ein Aufmarsch der Nazis, gezeichnet.
Ich schrieb bei Twitter:
Und:
Das ist auch der Punkt, den ich wirklich interessant finde: Im Osten scheint die Stimmung teilweise sehr radikal zu sein, die AfD erzielt erstaunliche Ergebnisse und die anderen Parteien scheinen sich aber auch nicht wirklich um den Osten zu bemühen oder jedenfalls empfindet man es dort in großen Teilen so.
Gleichzeitig scheinen mir beide Seiten ein extremes Feindbild zu bedienen.
Das einen sind die „Gutmenschen“ und die „vergewaltigenden und mordenden Flüchtlinge, denen alles nachgeworfen wird“ bzw die Linksextremen, die auch nur auf Krawall aus sind und vor denen man das Land schützen muss
Und auf der anderen Seite Nazis, die man radikal bekämpfen muss und die jenseits von Gut und Böse sind und mit denen jedes Gespräch sinnlos ist, weil sie eben böse sind, ohne auch nur im geringsten irgendwie von etwas anderem als Hass getrieben zu werden.
Natürlich löst man keine Probleme, wenn die Extremen sich untereinander prügeln oder wenn man bei der anderen Seite schlicht das Böse sieht, was sich in bestimmten Personen manifestiert.
Mir scheinen die Grundlagen für die Stimmung im Osten, die das begünstigen, könnten diese hier sein:
- der Osten/gerade arme Leute fühlen sich vernachlässigt
- der Osten/gerade arme Leute haben das Gefühl, dass die Leute die Outgroup eher fördern als die Ingroup und vermissen Solidarität, die sie aus ihrer Sicht benötigen
- die Leute haben dann noch das Gefühl, dass die Bevorzugung der Outgroup Leute belohnt, die das nicht verdient haben, undankbar sind und nichts zurück geben, klassische Trittbrettfahrer eben, und das diese der Kritik entzogen werden und Verfehlungen klein geredet werden.
- Sie haben das Gefühl, dass diese im Gegenzug keine Demut oder Dankbarkeit zeigen, sondern die Ingroup sogar zum Feind erklärt haben (Ungläubige) und selbst keine Bemühungen vornehmen sich anzupassen (das aber im Gegenzug fordern)
- Sie haben das Gefühl, dass diese Unterstützung der Leute aus der Outgroup stark übertrieben wird (Neubauten zum Erstbezug, hohe Zahlungen)
- Sie haben das Gefühl, dass das den Leuten wichtiger ist, Virtue Signalling zu betreiben und dafür die In-Group zu „verraten“, weil Flüchtlinge da in der Hinsicht besser für geeignet sind als der Osten
- Flüchtlinge
Vor der Flüchtlingskrise hatten die Leute ähnliche Gefühle, nur gab es eben den Sündenbock Ausländer noch nicht. Deswegen haben die Leute eher Parteien wie erst die PDS und dann die Linke gewählt, die als Vertreter des kleinen Mannes und „Ostbezogen“ galten. Jetzt, mit den Flüchtlingen als Sündenbock, kann eine Identitätspolitik von Rechts auch gut Fuß fassen, indem sie den Leuten das Gefühl gibt, dass gerade für die „Anderen“ plötzlich Geld da ist, aber eben nicht für die „eigenen“.
Diese Sorgen müsste man in irgendeiner Form ansprechen, wenn man die Bürger abholen will. Man müsste evtl das Gefühl vermitteln, dass auch für sie etwas getan wird und das die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt überschritten hat etc.
Oskar Lafontaine schreibt auf Facebook
Alarm: SPD und AfD bei 17 Prozent!
Das Emnid Institut hat für SPD und AfD zum ersten Mal einen Gleichstand, eine Wählerzustimmung von 17 Prozent gemessen. Jetzt reden viele wieder darüber, woran das liegt. Die Antworten, die gegeben werden, sind in der Regel falsch. Auch die naheliegende Antwort, die Zuwanderung vieler Menschen sei die wichtigste Ursache für den Aufstieg der rechten Demagogen. Daran ist allerdings richtig, dass Arbeitnehmer und Arbeitslose nur den Kopf schütteln, wenn auch Politiker, die sich zur Linken zählen, die aus der Zuwanderung resultierende Lohn- und Mietkonkurrenz einfach leugnen.
Die Hauptursache des Aufstiegs der AfD ist aber der von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen zur verantwortende Sozialabbau der letzten Jahre. Unsichere Arbeitsplätze, niedrige Löhne, sinkende Renten und Kürzungen bei den sozialen Leistungen haben zu einer latenten Wut der Millionen geführt, die davon betroffen sind. Nach einer Untersuchung des DIW haben 40 Prozent der Deutschen heute weniger Einkommen als in den 90er Jahren. Diese Verlierer der neoliberalen Politik haben schon nicht verstanden, warum für die Rettung der Banken von einem Tag auf den anderen mehrere Hundert Milliarden zur Verfügung standen, während man ihnen eine bescheidene Erhöhung der sozialen Leistungen, der Renten und der Löhne, mit dem Argument, das Geld sei nicht da, verwehrte. Als die vielen Flüchtlinge kamen, verstärkten sich Enttäuschung und Zorn auf die etablierten Parteien, weil sofort Milliarden bereitgestellt wurden, um die Flüchtlinge zu versorgen und mit der Integration zu beginnen, während immer noch kein Geld da war, um das tägliche Leben der Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen, der Arbeitslosen und der Rentner zu verbessern.
Die eigentliche Ursache des Aufstiegs der AfD ist also die Agenda 2010 mit dem Sozialabbau, der Lohndrückerei und den Rentenkürzungen. Solange die SPD das nicht begreift und sich einbildet, bescheidene Korrekturen, wie die Einführung eines Mindestlohns, der zu millionenfacher Altersarmut führt, würden die abgewanderten Wähler zufrieden stellen, ist ihr Niedergang unaufhaltsam.
Wer nicht hören will muss fühlen, sagt das Sprichwort. Auf ihre ehemaligen Wählerinnen und Wähler hört die SPD schon lange nicht mehr.
Das scheint sich zumindest in Teilen mit dem zu decken, was ich oben schrieb.
Allgemein scheint ja der klassische Arbeiter, der Arme, für die Politiker immer uninteressanter zu werden. Er ist ja auch in Deutschland meist ein „weißer Mann“, was in der linken Politik eine Gruppe ist, bei der der Einsatz für diese keine besonderen Punkte gibt.
Letztendlich wird sich die Politik aber diesen Gruppen wieder zuwenden müssen, wenn sie nicht schlicht Anteile an andere Parteien verlieren will, die das dann aufgreifen.
Auch Sigmar Gabriel scheint etwas in die Richtung machen zu wollen. Aus einem Artikel:
Die Unterscheidung zwischen mehr und weniger sinnvollen Ausgaben sollte auch in der Flüchtlingskrise gemacht werden. Doch nun droht sie ausgerechnet durch die Sozialdemokraten verwischt zu werden: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel fordert ein „Solidaritätsprojekt“ für die deutsche Bevölkerung, zu dem unter anderem die Einführung der Mindestrente gehören soll. Andernfalls drohe der Eindruck: „Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts.“
Der Artikel dann weiter:
Der von Gabriel vermittelte Eindruck ist falsch. Geld, das für Flüchtlinge ausgegeben wird, kommt durchaus auch anderen Teilen der Gesellschaft zugute.
Es wird von Migranten in die Läden getragen und belebt so den Konsum. Es wird in den Bau von Unterkünften gesteckt und nützt so heimischen Betrieben. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds kann das Wachstum durch die zusätzlichen Staatsausgaben schon im kommenden Jahr um 0,3 Prozent höher ausfallen (Lesen Sie mehr dazu im aktuellen SPIEGEL). Auch von längerfristigen Investitionen profitieren Einheimische – etwa, wenn nach vielen Jahren des staatlichen Rückzugs jetzt wieder mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau gesteckt wird.
Natürlich würde das Geld genauso den Konsum beleben, wenn es nicht an Flüchtlinge ausgezahlt wird, sondern an Ostdeutsche. Insofern scheint mir dieser Einwand wenig sinnvoll zu sein. Und es wird Geld in den sozialen Wohnungsbau gesteckt, der Markt für Wohnungen ist aber gleichzeitig erheblich belastet, weil ja für die Flüchtlinge auch Wohnungen benötigt werden. Es dürfte er das Gefühl verstärken, dass man jetzt, wo es anderen zugute kommt, eben Geld ausgegeben wird.