Ein interessante Studie nimmt an, dass Krieg dazu geführt hat, dass das Y-Chromosom keine sehr große Vielfalt hat.
Aus der Studie:
In human populations, changes in genetic variation are driven not only by genetic processes, but can also arise from cultural or social changes. An abrupt population bottleneck specific to human males has been inferred across several Old World (Africa, Europe, Asia) populations 5000–7000 BP. Here, bringing together anthropological theory, recent population genomic studies and mathematical models, we propose a sociocultural hypothesis, involving the formation of patrilineal kin groups and intergroup competition among these groups. Our analysis shows that this sociocultural hypothesis can explain the inference of a population bottleneck. We also show that our hypothesis is consistent with current findings from the archaeogenetics of Old World Eurasia, and is important for conceptions of cultural and social evolution in prehistory.
Aus einer Besprechung der Studie:
„Instead of ’survival of the fittest‘ in a biological sense, the accumulation of wealth and power may have increased the reproductive success of a limited number of ’socially fit‘ males and their sons,“ computational biologist Melissa Wilson Sayresof Arizona State University explained at the time.
Tian Chen Zeng, a sociologist at Stanford, has now built on this hypothesis. He and colleagues point out that, within a clan, women could have married into new clans, while men stayed with their own clans their entire lives. This would mean that, within the clan, Y chromosome variation is limited.
However, it doesn’t explain why there was so little variation between different clans. However, if skirmishes wiped out entire clans, that could have wiped out many male lineages – diminishing Y chromosome variance.
Computer modelling have verified the plausibility of this scenario. Simulations showed that wars between patrilineal clans, where women moved around but men stayed in their own clans, had a drastic effect on Y chromosome diversity over time.
Also ein Modell, bei dem Männer Kriege führen, die Frauen als „Beute“ mitnehmen und dann an die mit Status etc verteilen. Ähnliches kennt man beispielsweise aus den Sagen um den trojanischen Krieg, aber auch sonst waren Frauen in vielen früheren Kriegen Beute, die dann an die mächtigeren verteilt worden sind, die so ihre Gene verteilen konnten.
Male-specific Y (MSY) chromosome phylogeny from next-generation sequencing data, and associated demographic reconstruction. a MSY phylogeny based on 456 samples and 35,700 SNPs. Major haplogroups are labelled. The orange box highlights recent expansions identified in several haplogroups, and the yellow box highlights more ancient expansion of deep-rooting lineages. b MSY Bayesian Skyline Plots (of effective population size against time), with different world regions indicated by colours as shown in the key. Reprinted from Batini and Jobling78 with permission from Mark A. Jobling and Springer Science+Business Media
Natürlich belegen Simulationen nicht, dass es so war, aber die Daten sind dennoch interessant.
Zum Verständnis wichtig ist auch die historische Kontextualisierung:
»Indeed, unilineal descent groups are highly efficient at mobilizing for collective action, including intergroup competition. Thus, the patrilineal corporate kin group may have become more prevalent due to its utility in competition and in guaranteeing access to vital resources after the intensification of environmental exploitation during the Neolithic transition. On the other hand, the development of political complexity in chiefdoms and states tends to reduce the prominence of corporate kin groups. They may not entirely disappear, but their relevance as units of mobilization in intergroup competition must be reduced if sustained increases in social scale were to be achieved. Increased market involvement under state peace also tends to catalyse the eventual breakup of descent groups in cultures with long histories of state rule.« (S. 8)
Mit anderen Worten: im Zuge der neolithischen Bevölkerungsverdichtung (das betrifft in der entsprechenden Zeitspanne vor allem den Vorderen Orient) kommt es zunächst zu einer Epoche kriegerischer Konflikte von primär über Verwandtschaft (mit unilinearer, hier patrilinearer, Deszendenz) organisierten Sozialverbänden, schließlich aber zur Ausbildung von Häuptlingstümern und Staaten, die ein Gewaltmonopol etablieren, wodurch die Epoche der Konflikte beendet bzw. stark eingeschränkt wird.
»Long histories of state rule« passt sehr gut auf die altägyptische Kultur, in der die Rolle des Staates (in Gestalt des Pharao) für die Herstellung sozialer Ordnung explizit im Begriff der Ma’at zum Ausdruck kommt. In Mesopotamien war der Konfliktlevel aufgrund der rivalisierenden Stadtstaaten höher.
Wenn man die patrilinearen Verbände auf den Begriff des »Patriarchats« bezieht, wird auch klar, dass sich eine entsprechende Entwicklung aus ihrer sozialen Funktion herleitet, nämlich den eigenen Verwandtschaftsverband in einer verschärften Konkurrenzsituation zu bewahren, nicht aus irgend einer vulgärpsychologisch modellierten »Männlichkeit« als solcher, und dass solche Verhältnisse auch in frühgeschichtlicher Zeit offenbar wieder tendenziell zurückgebaut werden konnten. Und wie man sieht, besteht das »männliche Privileg« vor allem darin, sich zugunsten der eigenen Sippe im Krieg zu opfern.
„Mit anderen Worten: im Zuge der neolithischen Bevölkerungsverdichtung (das betrifft in der entsprechenden Zeitspanne vor allem den Vorderen Orient) kommt es zunächst zu einer Epoche kriegerischer Konflikte von primär über Verwandtschaft“
Es ist nicht nur die reine Verdichtung. Durch den Ackerbau wurden auch schlicht ressourcen frei, die Spezialisierung ermöglichten. Früher musste jeder irgendwie jäger und Sammler sein, damit er leben konnte. Aber mit dem Ackerbau und der Viehzucht konnte man Vorräte anlegen, effektiver produzieren etc. Man konnte Hierarchien aufbauen, die weit umfangreicher waren als vorher und man konnte sich auch Berufssoldaten leisten (was ja auch nur eine Form der Spezialisierung ist) und diese Ausbildung und mit guten Waffen/rüstungen ausstatten. Eroberte Länder haben dann die macht noch wesentlich ausgebaut, weil man eben weitaus eher ein Heer hatte als vorher, damit eine lokale Macht errichten konnte.
@Christian:
»Verdichtung« bezog sich nur auf das wachsende Konfliktpotential, nicht auf die neolithische Revolution insgesamt.
Die Stichworte »Hierarchien« und »Berufssoldaten« verweisen schon auf das Zeitalter der frühen Staaten, das die Kriege der patrilinearen Clans beendet. Berufssoldaten zumal sind eine späte Entwicklung, das Alte Ägypten nutzte sicher und das frühe (sumerische) Mesopotamien wahrscheinlich Wehrpflichtarmeen.
„Die Stichworte »Hierarchien« und »Berufssoldaten« verweisen schon auf das Zeitalter der frühen Staaten, das die Kriege der patrilinearen Clans beendet. Berufssoldaten zumal sind eine späte Entwicklung, das Alte Ägypten nutzte sicher und das frühe (sumerische) Mesopotamien wahrscheinlich Wehrpflichtarmeen.“
Du hast sicherlich recht, dass da ein großer Teil der Spezialisierung später eintrat, aber selbst mit einer kleinen freistellbaren Truppe geschulter Soldaten kann man schon einiges machen. Und mehr Spezialisierung kann auch einiges bringen, schon an besseren Waffen. Und natürlich der große Vorteil, dass es überhaupt etwas zu plündern gab: Eine Viehherde oder einen Kornspeicher bzw eine Stadt zu stehlen oder zu erobern lohnt sich, bei Jägern und Sammlern ist nicht wirklich etwas zu holen
@Christian:
»Du hast sicherlich recht, dass da ein großer Teil der Spezialisierung später eintrat, aber selbst mit einer kleinen freistellbaren Truppe geschulter Soldaten kann man schon einiges machen. Und mehr Spezialisierung kann auch einiges bringen, schon an besseren Waffen.«
Das sind halt unverbindliche Spekulationen. Entweder findet man dazu weitere Simulationen, die mögliche Mechanismen erhellen, oder man schaut, was die Quellen denn konkret hergeben. Ersteres ist immer noch selten (obwohl in meinen Augen angesichts des heutigen Stands der Informatik und Computertechnologie überfällig und wünschenswert), letzteres oft mühsam, weil man tief in der Spezialliteratur wühlen muss. Letztlich muss beides zusammenfinden.
»Und natürlich der große Vorteil, dass es überhaupt etwas zu plündern gab: Eine Viehherde oder einen Kornspeicher bzw eine Stadt zu stehlen oder zu erobern lohnt sich, bei Jägern und Sammlern ist nicht wirklich etwas zu holen«
Über den Stand der Jäger und Sammler sind wir zu diesem Zeitpunkt im Vorderen Orient bereits hinaus. Allerdings entstehen Kriege nicht erst, wenn es etwas zu plündern gibt, sondern bereits in der Auseinandersetzung um Territorien, also um Lebensräume, die Clans zugeordnet werden können. Auch und gerade wenn ein agrarisches und/oder weidewirtschaftliches Surplus durch Bevölkerungswachstum aufgezehrt wird, hängt der Verwandtschaftsverband vom Territorium ab. Nicht nur Überflußbedingungen, sondern auch Knappheitsbedingungen können somit Kriegsursachen sein, und in bezug auf Territorien auch als Nullsummenspiel.
@djad
Was mich verwundert ist, wie wenig solche Simulationen tatsächlich auftretende natürliche Verhältnisse in Betracht ziehen, die auch nachweisbar wären.
Ich hatte bereits geschrieben, dass es im Atlantikum einen Kälteeinbruch gegeben hat, der die Umweltbedingungen wahrscheinlich drastisch verändert hat.
In Folge m.E. die Klassiker: Hungersnot, verlassen des alten Territoriums, Suche nach Nahrungsmitteln, Rivalität und Kampf mit Bewohnern noch ertragreicher Territorien oder neuer.
Dann: Gerade die Gegend um die heutige Türkei, Griechenland sind Gegenden, in denen häufig Erdbeben vorkamen.
Nachgewiesen sind weiterhin Effekte eines Klimawandels mit langen Dürreperioden.
Noch nicht einmal ins Kalkül gezogen ist der Auftritt von Krankheiten oder Seuchen.
Man braucht nur ein oder zwei dieser dieser Naturkatastrophen miteinander zu verbinden und ganze Zivilisationen verschwinden.
Insofern hätte man eine tatsächliche *Ursache* für kriegerische Konflikte, die wiederum erklären, warum sich eine bestimmte Organisationsform einer Gesellschaft durchgesetzt hat.
Aber davon angesehen verblüfft mich immer, es wird eine „stabile Gesellschaft“ in die Vergangenheit transferiert, die m.E. nicht existierte.
@crumar:
Laut Wikipedia ist die englische Bezeichnung für das Atlantikum »Holocene Thermal Maximum«, also eher das Gegenteil eines Kälteeinbruchs. Aber das scheint auch regional unterschiedlich gewesen zu sein, oder der Kälteeinbruch ist eben das, was auf das Maximum folgte.
Ich hatte jetzt auch nicht den Eindruck, dass im konkreten Fall eine stabile Gesellschaft an den Anfang gestellt wird – es sei denn im Sinne einer methodischen Idealisierung. Die neolithische Revolution ist ja eher ein wenig stabiler Vorgang.
Aber wie gesagt: diese konkrete Simulation testet eine Hypothese zu einem einzelnen Mechanismus. In der Realität dürften sich eine ganze Reihe von Mechanismen überlagern, sicher auch Effekte von Klimawandel oder Seuchenepisoden. Ich habe schon lange den Eindruck, dass man in Bezug auf soziale Prozesse sehr viel mehr und auch komplexere Computersimulation einsetzen könnte, um Modelle zu testen, und recht wahrscheinlich müsste man die Simulation unterschiedlicher Mechanismen auch verkoppeln.
Ich habe leider den Eindruck, dass Soziologen außerhalb von überformalisierten Theorien wie z. B. der Rational Choice oder der modernen Ökonomie vor dem Gebrauch von Simulationen zurückschrecken, nicht zuletzt, weil sie sich das gar nicht erst zutrauen.
„In der Realität dürften sich eine ganze Reihe von Mechanismen überlagern, sicher auch Effekte von Klimawandel oder Seuchenepisoden.“
Hinzu kommt, dass die Ausbildung eines staatlichen Gewaltmonopols einen starken Staat erfordert, weil sich sonst wieder einzelne Clans, die ihre Zugehörigkeit immer noch übers Blut definieren, wieder ihre „Rechte“ selbst holen.
In D wurde dieses Gewaltmonopol erst unter einem Karl (dem Großen, dem V?) durchgesetzt. Selbst in Osteuropa regeln eher Clans ihre Dissonanzen untereinander, als dass sie sich auf „den Staat“ verlassen.
Von den sog. Entwicklungsländern ganz zu schweigen.
Grundsätzlich klingt es natürlich plausibel, von einem Eintritt des Krieges in die menschliche Evolution im Zusammenhang mit der Sesshaftwerdung auszugehen.
Aber die Europäer trafen im Zeitalter der Entdeckungen auch auf Länder im Raum Malaysia(?), wo sich reine Jäger/Sammler-Verbände seit Generationen kriegerisch bekämpften.
Elementar scheint auch mir von daher das Problem einer kritischen Bevölkerungsdichte zu sein, ab der einzelne Clans anderen nicht mehr beliebig ausweichen können/konnten.
@Carnofis:
»Hinzu kommt, dass die Ausbildung eines staatlichen Gewaltmonopols einen starken Staat erfordert, weil sich sonst wieder einzelne Clans, die ihre Zugehörigkeit immer noch übers Blut definieren, wieder ihre „Rechte“ selbst holen.«
Ja, sehr wichtige Ergänzung. Verwandtschaftliche Organisation verschwindet niemals vollständig. Weil Verwandschaftsverbände die primäre Gruppe sind, in die die Nachfolgegeneration sozialisiert wird und dementsprechend besondere Vertrauensbeziehungen ermöglicht (ein Äquivalent sind »Bruderschaften«, zu denen auch Honoratiorennetzwerke zählen), bieten sie immer dann eine »Rückfallösung«, wenn die staatlichen Strukturen schwach sind. Das zählt auch zur Definition der (jeder) Mafia: eine Mafia ist von gewöhnlichem organisierten Verbrechen dadurch unterschieden, dass sie auf lokaler Ebene staatliche Funktionen übernimmt, insbesondere Schutz (Schutzgelder werden genauso zwangsweise erhoben wie Steuern). Organisatorisch ist sie ein Klientelverband, in dessen Zentrum aber eine oder mehrere Familien stehen.
»… die Europäer trafen im Zeitalter der Entdeckungen auch auf Länder im Raum Malaysia(?), wo sich reine Jäger/Sammler-Verbände seit Generationen kriegerisch bekämpften.«
Im Hochland von Papua-Neuguinea bis ins 20. Jahrhundert – eine Fundgrube für Ethnologen. Allerdings führt diese Art von Krieg eher selten zur Auslöschung ganzer Clans. Für den genannten Flaschenhals bedurfte es schon ganz spezieller Umstände.
@djad
Ich meinte diese Passage hier:
„Wegen eines jetzt zumindest für die nördliche Hemisphäre allgemein anerkannten scharfen Kälterückfalls zw. 6.300 – 6.100 v. Chr. (in den Alpen Misox-Schwankung; engl. „8.2 ka cold-event“)[14] rechnen manche die Zeit davor noch zur vorangehenden Frühwärmezeit (Boreal), andere setzen ein „frühes“ Atlantikum an, und korrelieren dies mit der Firbas-Pollenzone VI. Generell setzen neuere Arbeiten z. B. an der LMU-München, des Geo-Forschungsinstituts Hannover, sowie des Institutes für Waldbau in Göttingen das Atlantikum jedoch – nach diesem Einschnitt – etwa 6.000 v. Chr. an.
Die Misox-Schwankung folgte zeitlich dem endgültigen Auseinanderbrechen des Laurentischen Eisschildes, welches einen gigantischen Schmelzwasserpuls aus dem Ojibway- und dem Agassizsee in Nordamerika auslöste.[15] Die Wassermassen bahnten sich ihren Weg über die Hudson Bay in den Nordatlantik.[16] Der enorme Süßwassereintrag in den Nordatlantik unterband weitgehend die Entstehung von absinkendem höhersalinarem Wasser (Dichteunterschiede), die in hohen Breiten normalerweise infolge des Ausfrierens von Meereis erfolgt. Aufgrund dieser Störung der thermohalinen Zirkulation kam der Wärmetransport in den Nordatlantik über den Golfstrom zum Erliegen. Nachdem die Frischwasserzufuhr nach dem Abschmelzen der Eismassen und dem Auslaufen des Binnensees aufgehört hatte, stellte sich durch erhöhten Salzgehalt die Tiefenwasserbildung der thermohalinen Zirkulation wieder ein.“
Das passt zeitlich eigentlich wie Arsch auf Eimer.
„Im Hochland von Papua-Neuguinea bis ins 20. Jahrhundert …“
Genau das war es!
Ich wusste nur noch die Ecke.
„Allerdings führt diese Art von Krieg eher selten zur Auslöschung ganzer Clans.“
Das ist richtig. Dennoch waren die Clans in einem von allen als extrem unbefriedigend empfundenen Konflikt gefangen und angeblich empfanden sie die befriedende Autorität der Europäer in dieser Sache regelrecht als befreiend.
Die Konflikte endeten oft nur in Verwundeten, gelegentlich einzelnen Toten (die dann wieder gerächt werden MUSSTEN). Aber ich kann mir vorstellen, wie stressig es sein muss, in einem Wald zu jagen, in dem man ständig von gegnerischen Kriegern aufgelauert und massakriert werden kann.
Man nimmt übrigens an, dass im Reich des genannten Karls Strafen für selbst banale Taten deshalb so drakonisch waren, weil die Zentralmacht sich erst eine Autorität bei den Untertanen verschaffen musste.
Als die Macht gesichert war, konnten die Strafen auch langsam differenziert und abgeschwächt werden.
@djad
Interessehalber habe ich noch weiter gegoogelt und fand diesen Artikel:
„Vor rund 7.600 Jahren wurden das Entstehen bäuerlicher Siedlungen in Südosteuropa und damit der zivilisatorische Fortschritt plötzlich deutlich verzögert. Verantwortlich ist wahrscheinlich ein sprunghafter Meeresspiegelanstieg in der nördlichen Ägäis. Seine Spuren konnten Forscher des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, der Goethe-Universität und der University of Toronto jetzt in Kalkalgen nachweisen. Bereits 800 Jahre zuvor war in der Region ein rasanter Meeresspiegelanstieg aufgetreten. Das Ereignis gibt einen Ausblick auf die ökonomischen und sozialen Konsequenzen eines künftigen klimawandelbedingten Meeresspiegelanstiegs, so die Forscher in „Scientific Reports“.
Ausgehend vom Vorderen Orient vollzog sich in der Jungsteinzeit einer der bedeutendsten zivilisatorischen Umbrüche der Menschheitsgeschichte: der Übergang von einer Kultur der Jäger und Sammler hin zum Ackerbau und sesshafter Lebensweise. Im Zuge dieser Neolithischen Revolution begann sich die bäuerliche Lebensweise auch nach Südosteuropa auszubreiten. Wie Ausgrabungen zeigen, entstanden jedoch vor 7.600 Jahren plötzlich deutlich weniger Siedlungen. Frankfurter Forscher haben jetzt eine der mutmaßlichen Ursachen gefunden.
Prof. Dr. Jens Herrle: „Der Meeresspiegel muss in den an Südosteuropa angrenzenden Gebieten vor circa 7.600 Jahren sprunghaft angestiegen sein. In der nördlichen Ägais, dem Marmara-Meer und dem Schwarzen Meer stieg er um mehr als einen Meter. Ufergebiete und etwaige Siedlungsräume wurden damit überschwemmt.“
Die in der Studie dokumentierte große Überflutung an den Randgebieten des nordöstlichen Mittelmeeres vor 7.600 Jahren ist bereits der zweite Einbruch in der Neolithischen Revolution. Schon achthundert Jahre zuvor, vor circa 8.400 Jahren, war sie durch einen Meeresspiegelanstieg und die darauffolgenden klimatischen Umbrüche gedrosselt worden. Durch den erneuten Anstieg wurde der Übergang zum Ackerbau wahrscheinlich noch weiter verzögert.“
Ursache identisch mit dem Artikel in der Wiki:
„Ein schnelles Absinken des Salzgehalts, wie ihn die Kalkalgen vor 8.400 Jahren und erneut vor 7.600 Jahren belegen, kann nur dadurch erklärt werden, dass mehr salzarmes Oberflächenwasser als zuvor aus dem Schwarzen Meer in die nördliche Ägäis geflossen ist. Voraussetzung dafür wäre ein rapider globaler Meeresspiegelanstieg, der einen Anstieg des Oberflächenwasserabflusses in diese Richtung zur Folge gehabt hätte. Grund dafür könnte der Agassizsee in Nordamerika sein. Dieser prähistorische Schmelzwassersee war durch Eis eingeschlossen, bis ein Dammbruch gewaltige Wassermengen ins Meer abfließen und den Meeresspiegel weltweit steigen ließ“, erklärt Herrle abschließend.“
Zum Agassisee (Wiki):
„Die heute vorhandenen Reste des ehemaligen Sees – von denen der Winnipegsee der größte ist (gefolgt vom Winnipegosis- und vom Manitobasee sowie dem Lake of the Woods) – dominieren die Geographie Manitobas. Während seiner Entstehung vor ca. 11.700 Jahren bedeckte er einen Großteil Manitobas, Saskatchewan, den Westen Ontarios, sowie den Norden Minnesotas und North Dakotas. In seiner größten Ausdehnung erstreckte er sich über eine Fläche von etwa 440.000 km2 und war damit größer als jedes heutige Binnengewässer einschließlich des Kaspischen Meeres.
(…)
Klimatologen nehmen an, dass ein Hauptausbruch des Sees in die Großen Seen, den sich anschließenden Sankt-Lorenz-Strom und den Atlantik vor etwa 13.000 Jahren durch die großen Mengen an Süßwasser den Golfstrom unterbrach und für eine etwa ein Jahrtausend andauernde Abkühlung der Erde sorgte, die als die Jüngere Tundrenzeit bezeichnet wird.
Die letzte größere Veränderung des Abflusses fand vor ca. 8400 Jahren statt, als der Agassizsee in die Hudson Bay abfloss. Auch diese hatte erhebliche klimatologische Folgen und ist auch in der Vegetationsentwicklung Europas gut hundert Jahre lang nachweisbar (Misox-Schwankung).“
Zum Vergleich: der Bodensee erstreckt sich über 536 km², das Kaspische Meer über 386.500 km².
Interessant wäre, ob dabei auch ein oder mehrere Tsunamis ausgelöst worden sind.
http://geohorizon.de/2018/03/23/rasanter-meeresspiegelanstieg-verzoegerte-uebergang-zum-ackerbau-in-suedosteuropa/
Zur Misox-Schwankung (Wiki):
„Die Klimaschwankung, ausgelöst durch eine Unterbrechung der thermohalinen Zirkulation des Nordatlantikstroms, der nördlichen Verlängerung des Golfstroms, hatte Auswirkungen bis in den Vorderen Orient. In Mesopotamien waren Dürren und die Wandlung zu einem semiariden Klima die Folge.“
Hach, als ob ich es geahnt hätte! 🙂
„Die klimatischen Auswirkungen der Misox-Schwankung sind in der Vegetationsentwicklung Europas gut hundert Jahre lang nachweisbar. Die Wiedererwärmung erfolgte nach weniger als 100 Jahren ähnlich schnell wie die Abkühlung, nachdem sich die Strömungsverhältnisse im Nordatlantik wieder stabilisiert hatten.“
Und zu nachhaltigen Effekten:
„Der ursprüngliche Schmelzwasserpuls führte zu einem Meeresspiegelanstieg von 0,5 bis 4 Meter. Allein anhand von Abschätzungen des Volumens der beiden Seen Ojibway und Agassiz sowie der Größenordnung des zerfallenden Eisschildes werden Werte von 0,4 bis 1,2 Metern erzielt. Meeresspiegeldaten aus heutigen Deltaregionen beinhalten jedoch ein Signal für einen rapiden Anstieg von 2 bis 4 Metern, das jenes für den generellen, postpleistozänen Meeresspiegelanstieg überlagert. Das Schmelzwassersignal erreichte wegen isostatischer Effekte der sich deplazierenden Schmelzwassermassen seine volle Stärke erst weit entfernt vom Ursprungsort (Hudson Bay). So werden beispielsweise im Mississippidelta nur rund 20 %, in Nordwesteuropa 70 % und in Asien 105 % des globalen Durchschnittswertes erzielt.“
Man beachte die regionalen Unterschiede.
„Die Abkühlung während der Misox-Schwankung war vorübergehend, der durch den Schmelzwasserpuls bewirkte Meeresspiegelanstieg war jedoch dauerhafter Natur.“
Das muss für Siedlungen in Küstennähe verheerend gewesen sein.
„Ich habe leider den Eindruck, dass Soziologen außerhalb von überformalisierten Theorien…vor dem Gebrauch von Simulationen zurückschrecken, nicht zuletzt, weil sie sich das gar nicht erst zutrauen.“
Tun sie nicht, die Settings und Ergebnisse werden nur halt – naheliegenderweise – nicht öffentlich rumposaunt.
@crumar:
Vielen Dank für die Ausführungen! Das Thema »Klimaschwankungen« finde ich hoch spannend, und ich würde schon auch davon ausgehen, dass das auf die Entwicklung im Neolithikum einen Einfluss gehabt haben muss, zumal die Epoche ja per definitionem eine der intensivierten Nutzung der Pflanzen- und Tierwelt ist. Und nebenbei erklärt das auch alle möglichen regionalen Flutsagen.
Neben dem Krieg als mögliche Ursache für die geringe Y Variation muß man sich nur das Gesamtergebnis der Reproduktionsrate anschauen:
„Neuere Forschungen mit Hilfe der DNA-Analyse haben diese Frage vor etwa zwei Jahren beantwortet. Die heutige Bevölkerung stammt aus doppelt so vielen Frauen wie Männern ab.
Ich denke, dass dieser Unterschied die am meisten unterschätzte Tatsache über das Geschlecht ist. Um einen solchen Unterschied zu erzielen, musste man in der gesamten Geschichte der Menschheit so etwas wie 80% der Frauen, aber nur 40% der Männer sich reproduziert haben.“ https://uepsilonniks.wordpress.com/2018/05/19/professor-baumeister-gibt-es-irgendwas-gutes-an-maennern/
Als Beispiel kann Dschingis Khan dienen, der etwa 1000 Frauen geschwängert haben soll und dessen Y Chromosom heute bei Millionen Männern vorkommt, wogegen die meisten seiner jungen Krieger früh starben ohne ihr Y Chromosom zu vererben.
@Jochen:
Die dem Aufsatz zugrundeliegende Simulation testet einen ausgewählten Mechanismus auf Plausibilität. Sie stellt weder einen direkten Beleg dieses Mechanismus dar, noch schließt sie aus, dass es zusätzliche Faktoren gibt. Wie die Autoren im Abschnitt »Discussion« im Hinblick auf andere Einschränkungen selbst sagen, ist der Realismus eines solchen Modells unvermeidlicherweise begrenzt. Wer komplexere Simulationen als diese ersinnt und durchführt, könnte wahrscheinlich selbst ein »Paper« dazu publizieren.
@Jochen
Das ist eine bizarre Spekulation.
Wir wissen lediglich, dass sie sich *nicht erfolgreich* reproduziert haben.
Wenn du fünf Kinder hast und alle sterben, dann hast du dich reproduziert, aber keine Nachkommen gezeugt, die Nachkommen zeugen.
„Ich denke, dass dieser Unterschied die am meisten unterschätzte Tatsache über das Geschlecht ist. Um einen solchen Unterschied zu erzielen, musste man in der gesamten Geschichte der Menschheit so etwas wie 80% der Frauen, aber nur 40% der Männer sich reproduziert haben.“ “
Der Krieg führt ja schnell zu diesem Ergebnis. Die Männer und söhne werden getötet, die Frauen und Töchter versklavt. Sie haben dann neue Kinder mit den Siegern. Deren Y-Chromosom lebt weiter.
http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/4_mose/31/
Gut, da war man übervorsichtig, dass auch wirklich kein männlicher Nachwuchs auf dem Weg sein kann. Aber das schien ja auch nicht die Regel zu sein
Könnte es nicht sein, dass sich mit dem Aufkommen von Agrargesellschaften auch eine Hierarchie von wenigen Männern etablierte die über einen weit überproportionalen Anteil allen Wohlstands verfügte und die Frauen sich nur mit diesen wenigen Alphas paarten?
Zumindest die Kriege in den letzten Jahrhunderten löschten immer nur einen relativ kleinen Teil der Männer aus* und wenn doch mal viel mehr Männer betroffen waren dann weil die Kriege so mörderisch waren, dass Frauen ganz simpel verhungerten.
*Ausnahme: Tripel-Allianz-Krieg (https://de.wikipedia.org/wiki/Tripel-Allianz-Krieg#Opferzahlen_in_Paraguay)
@Bill:
»Könnte es nicht sein, dass sich mit dem Aufkommen von Agrargesellschaften auch eine Hierarchie von wenigen Männern etablierte die über einen weit überproportionalen Anteil allen Wohlstands verfügte und die Frauen sich nur mit diesen wenigen Alphas paarten?«
Als generelles Muster lässt sich das m. E. nicht belegen, primitive Haushalte weisen üblicherweise schon aus Gründen des ökonomischen Selbsterhalts eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auf, in der beide »Stellen«, für Mann und Frau, besetzt werden.
Wenn es zur Bildung von Häuptlingstümern und Staaten kommt, ist die Einheit der hierarchischen Schichtung immer die Lineage, also eine familiale Zelle mit mehr oder weniger Verwandtschaftsanhang. Es werden also niemals einfach Männer über Frauen geschichtet (das könnte den Femis so passen).
Was es natürlich immer wieder gegeben hat ist »Haremsbildung«, also der »Erwerb« zusätzlicher Frauen durch den führenden Mann der führenden Lineage (»Häuptling« oder Monarch). Diese Frauen werden aber damit zugleich dem führenden Haushalt angegliedert.
Zumindest die Kriege in den letzten Jahrhunderten löschten immer nur einen relativ kleinen Teil der Männer aus
Erstens sind militärische Vernichtungsschlachten historisch eher selten, zweitens wird üblicherweise nicht die gesamte männliche Bevölkerung zur Heeresfolge eingezogen, und drittens kommt es häufig zu einer sozialen Differenzierung zwischen Kriegern und Bauern, sodass hier von vornherein nur ein Teil der männlichen Bevölkerung für den Kriegsdienst herangezogen wird. Erst das Modell der »levée en masse« der Französischen Revolution eröffnet dann wieder eine Epoche der Massenheere mit allgemeiner Wehrpflicht.
„Erstens sind militärische Vernichtungsschlachten historisch eher selten“
Aber es war durchaus üblich, die gegnerischen Zivilbevölkerung bei einem Sieg zu töten, zu versklaven und zu verhindern, dass sie sich in Zukunft rächen können, was eben gerade durch ein Töten der Männer erreicht wird. Ich hatte hier ja schon eine Bibelstelle dazu zitiert
naja, ob die Bibel da so ein toller Beleg ist?
Ein Teil der Bevölkerung wurde nach einem Sieg sicher aus der effektiven Population entfernt. Aber so extrem und so extrem ungleich? Da müssen auch die Frauen mitgespielt haben. Und zwar auch bei den Siegern.
@bill
Ja, die genaue Praxis damals müsste man sicher anders erforschen als durch eine Bibelstelle. Aber schau dir den trojanischen Krieg an. Oder die Kriege der Römer: Sklaven machen war dort eine wichtige Einnahmequelle.
Natürlich konnte es sich auch lohnen eine Stadt zu kontrollieren und Steuern oder Abgaben zu erhalten, aber das setzt natürlich eine Besatzungsmacht, ein Verwaltungswesen etc voraus.
Es scheint jedenfalls nicht ungewöhnlich gewesen zu sein, dass man zumindest die Männer tötet, denn sonst wäre es auch in Texten wie der Bibel sicherlich anders beschrieben worden
Und ob die Frauen zumindest der höheren Anführer viel mitzureden hatten, wenn er sich eine Sklavin zusätzlich hält wäre interessant.
In den Schilderungen um Troja scheint es nichts ungewöhnliches gewesen zu sein, dass man sich aus der Beute bedient.
ich denke auch in der Sklaverei in Amerika werden viele Sex mit Sklavinnen gehabt haben. Es ist ja einfach zu verlockend
„Es scheint jedenfalls nicht ungewöhnlich gewesen zu sein, dass man zumindest die Männer tötet, denn sonst wäre es auch in Texten wie der Bibel sicherlich anders beschrieben worden“
Auch wenn ich Dir in der Sache beipflichte, so widersprech ich Dir in dem Schluss, dass ein Ereignis „nicht ungewöhnlich“ gewesen sein muss, weil es in der Bibel stand.
Soweit wir in der Historie zurückblicken können, scheint der Vordere Orient eine Brustätte religiöser Fanatiker aller Couleur gewesen zu sein. Das Alte Testament ist ein Stückweit als eine historisierende Verhaltensanweisung der dortigen Gläubigen zu verstehen. Man kann also diese Geschichte gottbefohlener Massaker durchaus auch als religiöse Aufforderung an das eigene Volk verstehen, so zu handeln, ohne dass diese Gewohnheiten auf andere Kulturen durchschlugen, oder gar dort eine Tradition hatten.
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