Stevie Schmiedel von Pinkstinks über Frauen, die sich in Fantasiewelten flüchten und das schreckliche Patriarchat

Pinkstinks hat mal wieder einen wunderbaren Text dazu geschrieben, wie schwer es Frauen haben:

Ich habe neuerdings ganz viel Verständnis und Liebe für Frauen, die Feminismus „nicht brauchen“. Warum? Dafür muss ich etwas ausholen und von meiner Ärztin erzählen. Bei der heulte ich neulich rum, dass mich die rund-um-die-Uhr-und-Wochenend-Arbeit bei Pinkstinks nach sechs Jahren ganz schön schlaucht.

Auch ein Klassiker: Ich arbeite so hart für unsere Sache, dass ich darüber krank werde.

Aber auch in anderer Hinsicht interessant: Sie arbeitet rund um die Uhr, um erfolgreich zu sein. Guckt man sich die Statistiken von Männern und Frauen an, dann findet man das im Schnitt wesentlich häufiger bei Männern. Die deswegen auch mehr verdienen als die Frauen. Sie könnte insofern den Gender Pay Gap eigentlich am eigenen Beispiel gut nachvollziehen, denn sie sieht ja, wie viel Zeit ein solches Projekt in Anspruch nehmen kann-

Anstatt, wie ich gehofft hatte, mich auf Kur zu schicken, schaute sie mich einfach nur schräg an: „Wissen Sie, Sie müssen nur ihre Einstellung ändern.“ „Ach ja?“, erwiderte ich gespannt. „Ja, Sie müssen es mehr wie der Dalai Lama machen. Der arbeitet auch rund um die Uhr, schläft nur fünf Stunden und ist topfit. Sie müssen die Arbeit annehmen, bejahen! Der Lama kämpft auch gegen Feinde, aber er ist gutmütig und entspannt dabei!“

Da raubt ihr die Ärztin einfach ihre schöne Opferrolle und erkennt es gar nicht an, wie hart sie gegen das Patriarchat kämpft, sondern fordert noch, dass ihr das Spass macht. So etwas aber auch.

Als ich, noch immer unter Schock, später Ariane davon erzählte, machte sie ihr von mir so geliebtes „Die-hat-wohl-nicht-alle!“-Gesicht. „Aber der Dalai Lama ist doch nicht 24/7 auf Social Media. Er führt keine Protestkampagnen sondern sein Job ist es, Liebe zu versprühen und zu meditieren. Die Diskriminierung von Frauen im tibetischen Buddhismus und seine eigene Privilegierung darin ist auch nicht wirklich sein Hauptthema. Er hört auch nicht alle paar Minuten, dass er dringend mal vernünftig durchgevögelt werden sollte. Ist jetzt die Botschaft, dass du jedem „Du F*tze!“-Kommentator mit Liebe begegnest und erleuchtet lächelst?

Richtig, was ist ein Tibetaufstand, bei dem 80.000 Tibetaner und seine Leibwache hingerichtet wurde und er über den Himalaya fliehen musste und das Leben im Exil verbringt schon dagegen als Feministin 24/7 auf Social Media zu sein?  Zweifellos hatte Dr. Stevie Meriel Schmiedel das schwierigere Leben.

Das kann ich schon deshalb nicht, weil es mich noch immer sauwütend macht, dass eine Horde Männer auf Facebook sofort meine und anderer Frauen Sexualität angreifen, wenn sie sich über unsere Forderungen aufregen. Egal, ob wir gegen §219a agieren oder in der deutschen Sprache sichtbar sein wollen, immer heißt es, wir hätten nicht genug Sex, wären zu hässlich und bekämen eh keinen ab.

ja, das sind die einzigen Vorwürfe die dort kommen. Nicht etwa inhaltliche Kritik, dass sie eine neue Prüderie betreiben wollen oder Sprache künstlich umwandeln wollen, von oben herab.

(Anderswo heißt es dann wieder, wir wären zu hübsch um zu protestieren, aber das kennt ihr ja.) Jedes Mal der Hieb unter die Gürtellinie, die Gewaltandrohung statt der Diskussion auf Niveau.

Ja, es ist immer die andere Seite die Diskussionen vermeidet. Stevie selbst würde natürlich sofort sachliche Kommentare freischalten oder andersweitig sachlich zu allen Themen diskutieren.

Anders verhält es sich mit den Gegen-Argumenten von Frauen. „Ich will für meine Leistung gefördert werden, nicht, weil ich Frau bin!“ kommentieren sie bei uns auf Facebook zur Quotendebatte, oder „Ich fühle mich mitgemeint! Ich brauche keine Extra-Endung, die mich als Frau ausweist!“ zum generischen Maskulinum.

Frauen wird da immerhin zugestanden, das sie Gegenargumente bringen. Dabei sind sicherlich auch Frauen mitunter der Meinung, dass man bei Pinkstinks etwas verbittert ist und guter Sex da wichtig sein könnte.

Wie wird sie jetzt auf diese inhaltliche Kritik eingehen? Das sind ja tatsächliche Erwiderungen von Frauen, die die Sache anders sehen als sie. Da wird sie sicherlich mit sachlichen Argumenten erwidern:

Diesen Widerstand können wir sehr gut verstehen. Es ist verständlich, dass manche Frauen fest die Augen zudrücken und eine Make-Believe-Welt erbauen möchten, in der sie „Macher“ sind und in der es alle werden können. Vielleicht hat die eine oder andere auch tatsächlich nie Diskriminierung erlebt – das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ihre Tochter oder Nachbarin eher sexuelle Belästigung und Gewalt, Essstörungen, ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, Diskriminierung am Arbeitsplatz und Altersarmut (habe ich etwas vergessen?) erleben wird als ihr Sohn oder Nachbar.

Sehr schön. Gleich erst einmal den Frauen einfach ihre Erfahrungen absprechen und sie als Augen verschließen bewerten:Noch einmal ihr wesentliches Argument:

Es ist verständlich, dass manche Frauen fest die Augen zudrücken und eine Make-Believe-Welt erbauen möchten, in der sie „Macher“ sind und in der es alle werden können.

Frauen müssen eben unterdrückt sein. Und wenn sie das nicht eingestehen, dann kann das nur daran liegen, dass ihre Unterdrückung so schrecklich ist, dass sie sie nicht ertragen können und in eine Fantasiewelt flüchten. So wie der Dalai Lama geflüchtet ist, vor den Chinesen ins Exil. Oder um es mit einer noch schlimmeren Lage: So wie Frau Schmiedel in eine Kur fliehen wollte, vor der 24/7 Social Media Welt.

„Ich wünschte, ich müsste meinem Sohn nie den Holocaust erklären“, sagte eine jüdische Freundin einmal. Die konnte gut meine Angst verstehen, meine Töchter gegen historischen und aktuellen Sexismus stark machen zu wollen, ihnen aber damit gleichzeitig ein Stück Grundvertrauen in die Welt nehmen zu müssen.

Es passt, dass Frau Schmiedel nun noch einen Holocaust-Vergleich nachschiebt. Es muss ihr die einzige vergleichbare Welt sein, mit der das Schicksal der Frauen zu vergleichen ist.
Es wäre interessant, wann sie den unten am Text angeführten Zusatz hinzugefügt hat, ob nach Hinweis oder ob sie das selbst bemerkt hat. Ich kopiere ihn mal hierhin:

*Der Holocaust und die Gefühle einer jüdischen Mutter sind nicht vergleichbar. Ich ziehe hier keinen Vergleich sondern sage, dass diese Freundin – wahrscheinlich aus Gründen – die erste Jungsmutter in meinem Umfeld war, die meine Sorge um die Mädchen verstand.

Unter einen so schlechten Vergleich unten ein kleines PS zu schreiben macht es nicht wirklich besser. Schon gar nicht, wenn man dann anmerkt, dass nur jemand, dessen Volk so etwas schreckliches erlebt hat, die Sorge um ihre Mädchen nachvollziehen kann.

Tatsächlich machen es diese Ausführungen eher noch anmaßender: Warum sollte es dann nicht jede andere Frau nachvollziehen können oder erkennt nur Frau Schmiedel als einzige das Ausmaß dessen, was Mädchen gerade passiert? Leben alle außer Frau Schmiedel in einer Traumwelt?

Sie gehören zum zweiten Geschlecht, nicht zum ersten. Und das ist einfach ungerecht.*

Nein, gehören sie nicht. Und es ist schlimm, wenn ihre Mutter ihnen das einreden will.

Ich wollte es auch ganz lange fest glauben: Wenn ich mich nur als „Macher“ (maskuline Form!) definiere, werde ich auch „einer“. Dann muss man die deutsche Sprache nicht verändern und ich muss mich nicht überall als Frau ausweisen oder ausgewiesen fühlen, wo ich mit dem Frausein eh meine Probleme habe. Ich finde mich im gesellschaftlichen und medialen Frauenbild unserer Welt nicht wieder und es nervt, zu einer Gruppe zugeordnet zu sein, für deren Gleichberechtigung man immer wieder kämpfen muss.

Dass sie eine Frau ist, die mit dem Frausein Probleme hat, dass kann an vielen Punkten liegen, beispielsweise ihrer eigenen Biologie, aber auch daran, dass sie sich beständig einredet, damit zweite Klasse zu sein.

Wenn ich aber meinen Kindern erkläre, dass meine Mutter eine Unterschrift von meinem Vater brauchte, um arbeiten zu gehen, ist da eine ohnmächtige Wut. Genauso, wenn ich erzähle, dass sich vor hundert Jahren tausende von Frauen in Gefahr brachten, um ihr Wahlrecht zu erstreiten.

Das allgemeine Wahlrecht für Männer ist auch noch nicht so viel älter, und es gab da auch so einiges, was Männer damals machen mussten, aber Frauen nicht:

Alter Männer Frauen verteilung

Alter Männer Frauen verteilung

Die „Ausdünnungen“ auf der linken Seite lagen daran, dass  man Männer gar nicht gefragt hat, ob sie einen bestimmten Dienst antreten wollen, sondern sie Zwangseingezogen wurden und dort gestorben sind aber eben auch den Horror einer Front in einem modernen Krieg mit Schützengräben und Giftgas und Maschinengewehren und eisiger Kälte erlebt haben.

Dass noch heute männliche Führungsetagen Frauen fernhalten oder Frauen sehr viel mehr sexualisierte Gewalt erleben als Männer.

Dafür erleben Männer insgesamt wesentlich mehr Gewalt (aber vermutlich aus ihrer Sicht eben nur durch Männer, also uninteressant), erleiden mehr Verletzungen bei der Arbeit und bringen sich weitaus häufiger um:

altersverteilung suizid

altersverteilung suizid

Und tatsächlich halten sich viele Frauen selbst sehr viel mehr von Führungspositionen fern als Männer, schlicht weil sie andere Vorstellungen davon haben, wie schön es ist, so viel arbeiten zu müssen und ihnen der dadurch gewonnene Status weniger bedeutet. Eigentlich sollte es Frau Schmiedel nachvollziehen können, denn sie empfindet es ja ebenso als Tortur.

 

Hinter Wut steht aber immer Trauer: Warum ist das denn so? Warum macht das keiner weg? Warum müssen wir noch immer so hart kämpfen? Warum hat bei unserer Geburt keine gute Fee den Zauberstab über uns geschwungen und uns auf die Seite der Macht gehoben? Warum konnten nicht mal unsere Eltern das bewirken – und oft: Warum haben selbst die den Status Quo nicht hinterfragt? Warum müssen wir das jetzt selber machen?

Weil ihr gegen etwas ankämpft, was es so gar nicht gibt. Dazu gibt es sehr gute Studien und Forschung, aber die tut ihr eben leichtsinnig ab. Du kämpfst für etwas, was den meisten Frauen vollkommen egal ist.

Und wer kennt sie nicht: Die Trauer, nicht richtig zu sein und sich täglich gegen ein Bild stark zu machen, dass uns medial präsentiert wird. Haben wir im Haushalt alles im Griff? Sind wir hübsch genug? Sollten wir uns im Job mehr durchsetzen, haben wir alle Tipps aus der Cosmopolitan bedacht?

Ja, ein Leben ist nicht immer ganz einfach. Auch nicht für Männer. Siehe die Anzahl der Suizide. Das liegt aber nicht schlicht daran, dass einer den anderen unterdrückt, sondern an Mechanismen wie intrasexueller Konkurrenz etc. Frauen machen sich einen Teil des Drucks schlicht untereinander. Und der Tipp der Ärztin einfach mal etwas runter zu schalten und die Arbeit nicht so emotional zu sehen, war in der Hinsicht kein schlechter

Dazwischen immer wieder Wut, dass wir uns von der Erziehung zum folgsamen Mädchen in unserer Kultur und der intrinsischen Angst, die damit verbunden ist, immer nur stückweise lösen können und uns die früh eingeprägten Schuldgefühle immer wieder überrollen.

Was für ein Bild auf sich selbst und ihr Geschlecht. Sie muss Frauen wirklich hassen. Diese unterwürfigen auf den Haushalt bezogenen Mitstücke, die gar nicht erkennen, in welcher Fantasiewelt sie sind und wie sie unterdrückt werden. Und dann der Hass auf sich selbst: Wie sie selbst ab und so ist, obwohl sie doch gar nicht so sein will. So ungefähr stelle ich mir einen verdeckten Homosexuellen vor, der streng christlich erzogen wurde und sich ab und an dabei erwischt, wie er Männern hinterherschaut oder in einem Saunahaus mit Männern schläft und sich dann selbst widerlich findet.

Dahinter die Trauer der Erschöpfung, gegen dieses Bild und diese Matrix kämpfen zu müssen. Gestern war der WDR für eine Kindersendung bei uns. Wir schauten uns gemeinsam einen Berg von Kinderprodukten an: Auf jedem einzelnen (ob Kinderbuch, Badeschaum oder Puzzle) schaute das Mädchen (ob Cartoon, Legofigur oder echtes Kind) mit devotem Augenaufschlag den Betrachtenden an, während dem Jungen (meist Pirat) es schietegal war, ob ihn jemand anschaut (und bewertet): Mit Säbel oder Fernrohr bestückt schaute er in die Ferne und plante grinsend seinen nächsten Schritt, ganz für sich selbst.

Auf jedem einzelnen Sieht sie einen devoten Augenaufschlag des Kindes und einen planenden Jungen?

Ich habe mal etwas gesucht:

Mir stellt sich wirklich die Frage, wie eine Legofigur mit einem devoten Augenaufschlag aussieht, oder ein Kind. Ich habe nichts gefunden, was in die Richtung geht. Kennt jemand ein Beispiel?

Es kann ganz schön Angst machen, sich das Patriarchat genau anzuschauen. Das ist eine Riesenmacht, der wir mit ein paar größeren und kleineren Organisationen und Initiativen noch immer gegenüber stehen wie David gegen Goliath – von dem eigenen, täglichen Kampf ganz zu schweigen.

Es macht mir eher Angst, zu sehen, was sie da als Patriarchat so sieht. Sie scheint eher vollkommen besessen von der Idee zu sein, dass alle Frauen unterdrückt werden und wähnt sich in einem ewigen Kampf gegen Riesen, die aber eher Windmühlen sind. Kein Wunder, dass es nicht voran geht.

Da kann man schon mal erschöpft und traurig sein, sich einsam und verlassen fühlen und das alles nicht wahrhaben wollen. Wenn ich etwas von meiner Ärztin gelernt habe, dann mich von den „Ich brauche keinen Feminismus, und Pinkstinks schon gar nicht!“- Kommentaren nicht ärgern zu lassen, sondern Mitgefühl zu haben. Da man trotzdem in einer Affengeschwindigkeit Kommentare löschen, Kampagnen schieben und Gewaltandrohungen weg atmen muss, mache ich im März eine Woche Urlaub. Um danach wieder zu kehren und mit sehr viel „Ja, ich liebe diese Arbeit!“ und euch allen zusammen kleine und große Schritte weiterzugehen hin zu einer Welt, in der mir meine Ärztin nicht mehr einen Mann als Campaigner-Vorbild vorsetzt. Oder ich keine Wut (und Trauer) mehr haben muss, wenn sie es tut.

Schlimm, wenn man den Dalai Lama als Vorbild für Ausgelassenheit vorgesetzt ist, das ist doch ein Mann! Eine schwere Beleidigung. Unglaublich so etwas.