Raushalten ist als feministischer Ally keine Option (Aktiv sein ist aber wahrscheinlich auch schnell falsch)

Beim Missy Magazin gibt es nach diesem dieses Artikels  einen weiteren interessanten Artikel, der mal wieder deutlich macht, dass es kein richtiges Verhalten gibt:

Vor Kurzem diskutierte ich mit mehreren Menschen – weiß, nicht-weiß, Frauen, Männer und solche, die sich als weder noch definieren – darüber, was „Linkssein“ heute bedeutet. Gemeinsam sprachen wir über feministische Themen und ob und wie es möglich ist, Allianzen zu bilden. Eine Aussage, die im Gespräch fiel, hatte mich stutzig gemacht, weil ich sie in abgewandelter Form schon öfters gehört oder erlebt habe. Als wir über nicht-weiße feministische Allianzen sprachen, antwortete ein weißer Mann, dass er dazu nichts sagen könne, weil es ihn ja nicht betreffe und er keinen Sprechraum einnehmen wolle.

Das ist eigentlich eine Antwort aus dem Lehrbuch: Er ist weiß und ein Mann, er läuft also Gefahr, dass er mansplaint oder meint, dass er mehr weiß als die eigentlich Betroffenen und diese nicht zu Wort kommen lässt, sondern wieder mal als weißer Mann meint, in einer solchen Debatte Raum einnehmen zu müssen.

Natürlich war es auch hier – obwohl so genau häufig gefordert im Feminismus – nicht gut genug:

Das klingt auf den ersten Blick respektvoll und auch ein bisschen reflektiert. Doch auf den zweiten Blick ist es der falsche Ansatz. Denn mein Kampf für ein besseres Leben und Gerechtigkeit betrifft ihn genauso sehr wie mich, egal ob Mann, Frau, weiß oder nicht-weiß. Nur weil er ein weißer Mann ist, heißt es nicht, dass er mit den Problemen, die ich aufgrund des mir von der Gesellschaft zugeschriebenen Geschlechts und meines nicht-weißen Daseins einnehme, nichts zu tun hat. Alle Diskriminierungserfahrungen, die ich aufgrund meiner Position in der Gesellschaft mache, erfahre ich ja erst in Abgrenzung zu seinen Privilegien, die dieser Position gegenüberstehen.

Sich aus solchen Themen wie dem Bilden von nicht-weißen Allianzen rauszuhalten, weil „Mann“ – im wahrsten Sinne des Wortes – nichts damit zu tun habe, ist ignorant, unsolidarisch und ziemlich bequem für ihn. Wenn man schon nichts dazu sagen möchte, um nicht-weißen Menschen in einer Diskussion den Raum zu lassen, dann kann man wenigstens erkennen, dass das Problem einer Woman of Color das Problem eines jeden Menschen in unserer globalisierten Gesellschaft ist.

Das hat er ja auch gar nicht bestritten, dass Thema sollte „nicht-weiße Allianzen“ sein. Sein Fehler war wahrscheinlich, dass er nicht hintenan ein Schuldbekenntnis und bedingungslose Unterstützung bekundet hat.

Er hat wahrscheinlich sein Mantra nicht hinreichend auswendig gelernt:

Ich entschuldige mich dafür, dass ich nicht verantwortungsvoller bin. Ich werde es besser machen. Ich werde mehr tun. Ich werde zuhören.

Aber wahrscheinlich ist auch das zu passiv. Oder zu leer. Er darf nichts wirkliches sagen, dass könnte ihm als Einnehmen von Sprechraum ausgelegt werden. Er darf auch nicht schweigen, dann ist er zu passiv.  „Damned if you do, damned if you don’t“ würde man im englischen sagen.

Leider habe ich diese Verhaltensweisen schon oft in der linken Szene erlebt. Wenn man selbst nicht betroffen ist, meidet man die Diskussion.

Eine andere  Autorin in einem anderen Artikel im Missy Magazin:

Es reicht nicht, sich „korrekt“ verhalten zu wollen, es geht auch darum zu sehen, was „inkorrektes“ Verhalten mit denen macht, die sich das jeden Tag geben müssen, die sich nicht aussuchen können, ob sie es jetzt unangebracht finden (zum Beispiel als Scheiß-Ausländer bezeichnet zu werden) oder nicht. Sprich: Einfach mal zuhören und Deutungshoheit an der Garderobe abgeben. Sich einzugestehen, dass man bestimmte Dinge im Leben nie erfahren wird, weil man schlicht und ergreifend anders aussieht und sozialisiert wurde, heißt manchmal auch einfach: Deine Realität ist nicht meine und wird nie meine sein. Oft passiert es aber leider doch, dass man sich, wenn man von seinen Erlebnissen und Erfahrungen erzählt, anhören muss: Das ist nicht so. Das hast du dir bestimmt nur eingebildet. Du übertreibst.

Natürlich: Verschiedene Leute innerhalb der feministischen Szene können verschiedene Ansichten dazu haben, wie Leute sich korrekt verhalten. Das an sich ist erst einmal nicht zu beanstanden. Aber es ist doch interessant die beiden Ansichten einmal so direkt nebeneinander zu stellen. Es ist schade, dass das im Missy Magazin nicht thematisiert wird. Aber ich vermute ein Artikel mit dem Inhalt „Stimmt, wir sollten mal ausdiskutieren, was wir eigentlich genau von „Allies“ fairerweise erwarten können“ wird es nicht geben.

 

Eine Frau mit bildungsbürgerlichem Hintergrund beispielsweise – unabhängig davon ob sie weiß oder nicht-weiß ist – redet gerne über Sexismus, aber wenn es um Klasse geht, wird geschwiegen, weil man dann auf einmal die privilegierte Buhfrau ist. „I see you nice white ladies at the next #Black Lives Matter march, right?“ stand auf dem Schild des Schauspielers Amir Talai, das er bei einem Women’s March im Januar vergangenen Jahr hochhielt und das das Problem des Kreisens um die eigenen Betroffenheit thematisiert.

Es ist eben immer Nicht gut genug. Das ist wirklich der große Vorteil des intersektionalen Feminismus: Man kann immer noch etwas mehr Virtue Signalling betreiben. Kommen sie alle auf den Black Lives Matter March, dann muss man eben ein Schild hoch halten „Ich hoffe euren nächsten Protest gestaltet ihr so, dass auch stark behinderte Personen einfach daran teilnehmen können oder?“ oder eben eine andere Form der Steigerung.

Statt des Rückzugs fordere ich aber Einmischung und Solidarität. Es ist ja nicht ein bestimmtes identitäres Merkmal, das einen dazu legitimiert, sich einzumischen oder nicht. Was ist das denn auch für ein Ausgangspunkt? Schauen dann alle auf ihre Hautfarbe, bevor sie sich für eine bestimmte Sache einsetzen? Ich muss nicht erst Schwarz sein, um mich gegen Rassismus und für die Rechte von Schwarzen Menschen starkzumachen. Und ich muss mich auch nicht vor einem Gespräch über Rassismus oder Sexismus drücken, weil ich Angst habe, meine Privilegien sehen dabei nicht gut aus. Gleichzeitig bedeutet das nicht, dass ich als privilegierte Person weniger privilegierten Menschen den Raum wegnehmen sollte, sondern überlegen kann, wie ich mich dafür einsetze, dass Menschen, denen sonst wenig Gehör gegeben wird, welches geschaffen wird. Wer sich aber einfach raushält, nimmt zwar keinen Raum ein, hilft aber auch nicht anderen dabei, Raum zu verteidigen.

Passivität ist natürlich Stärkung des Gegners und kann niemals gut genug sein. Aber keinen Raum einnehmen dabei.

Während ich mir als Women of Color beispielsweise die Frage stelle, wie ich meine Überlebenschancen in einer Welt vergrößern kann

Auch wunderbar: Ihre Überlebenschancen. Weniger Dramatik wäre natürlich auch nicht gegangen.

…, die strukturell Frauen diskriminiert, kann sich eine männliche Person fragen, wie er mich dabei unterstützen kann, beispielsweise indem er sich auch die Füße am Internationalen Frauenkampftag im langen Demozug abfriert. Ich gehe auch nicht ständig auf feministische Demos, weil es nicht nur jene Themen sind, die mich als Person ausmachen oder mit denen ich mich 24/7 beschäftige. Beispielsweise finde ich genmanipuliertes Essen ziemlich ekelig, gegen TTIP zu protestieren kommt für mich daher genauso infrage.

Auch interessant: Er erklärt zu dem Thema „Nichtweiße Allianzen“, dass er dazu nichts sagen kann. Sie kritisiert das und schlägt vor, er solle dann wenigsten auf Demos für den „Frauenkampftag“ gehen. Hätte er also dann in die Runde werfen sollen: „Ich kann leider nichts dazu beitragen, möchte aber meine Unterstützung zeigen, indem ich demnächst auf eine Demo für Frauen gehe“? Wäre ja auch interessant, wenn dann jeder „Ally“ erst einmal der Reihe nach erklärt, welche „Ersatzprojekt“ er gerade fördert-

Mir ist klar, dass man nicht alles im Blick haben kann. Mir geht es auch nicht darum, dass alle über alles Bescheid wissen müssen, sondern für mich ist es eine Frage der Haltung, die ich gegenüber Themen und Dingen habe. Wenn es einen Satz aus meiner Kindheit gibt, an den ich mich ziemlich gut erinnere, dann ist es derjenige, den ich auf den Schultern meiner Großmutter auf Demos mitschrie: „Hoch die internationale Solidarität.“ Ich wusste früher zwar gar nicht, was das bedeutet, aber mir wird immer bewusster, wie wichtig diese vier Wörter sind. Sie können aber auch genauso problematisch sein, beispielsweise wenn der schwarze Block der Autonomen bei einer Kurd*innen-Demo aus Solidarität ganz vorne mit marschiert, jedoch mit ihrer kompletten körperlichen Vermummung und antistaatlichen Attitüde die Kriminalisierung der Kurd*innen nur noch weiter vorantreibt. Aber diesem Thema gebührt ein eigenes Kapitel.

„Seid wir Kinder und brüllt einfach Formeln, die euch andere Vorgeben und die ihr nicht versteht“?

Aber natürlich gleich der Zusatz, dass auch das wieder falsch sein kann, wie dann das Antifa-Beispiel zeigt.

Feministischer Ally sein ist eben ein Minenfeld. Alles ist gleichzeitig falsch und richtig.