Wie wir lernen und dabei auch falsch lernen können

Das Lernen von Menschen und Tieren erfolgt in vielen Fällen über ein Motivations- bzw Anreizsystem:

In den folgenden Jahren erstellten die Forscher mit Hilfe zahlreicher Tests eine detaillierte Karte des Belohnungssystems im Gehirn. Es besteht aus einer Reihe von Arealen und Nervenverbindungen. Hauptakteur im System ist der „Glücksbotenstoff“ Dopamin. Wissenschaftler sprechen daher auch vom mesocortikolimbischen dopaminergen Belohnungssystem.

Das Ganze funktioniert wie ein Schaltkreis: Ein Auslöser von außen, etwa der Anblick oder der Duft des leckeren Stückchens Schokotorte, lässt das limbische System reagieren. Es generiert einen Drang, den die Großhirnrinde als bewusstes Verlangen erfasst. Sie gibt dem Körper daraufhin die Anweisung, dieses Verlangen zu stillen.

Ist der erste Happen im Mund und später der Magen gefüllt, treten das Tegmentum und die Substantia nigra im ventralen Teil des Mittelhirns in Aktion. Die Neuronen projizieren zum Striatum und zum limbischen System, etwa zum Nucleus accumbens, in dem das Glücksgefühl entsteht, und zur Amygdala, die Erregung verarbeitet, also affekt– oder lustbetonte Empfindungen, und schütten dort Dopamin aus. Außerdem gelangt der Botenstoff in den Hippocampus. Hier fließen die Informationen verschiedener sensorischer Systeme zusammen, werden verarbeitet und an den Cortex zurückgesandt. Der Hippocampus ist daher wichtig für das Gedächtnis und das Lernen. So kommt es, dass ein Kleinkind, nachdem es das erste Mal Schokolade genascht hat, immer wieder nach einer süßen Leckerei verlangt. Bitteres oder Saures wird es dagegen meiden. Zuletzt gelangt das Dopamin auch in die Großhirnrinde.

Wir speichern also zu bestimmten Handlungen quasi eine gewisse „Lust“ oder „Belohnung“ mit ab in unserem Gedächtnis, beispielsweise eben nachdem wir gemerkt haben, dass Schokolade „gut“ schmeckt, was auch nur eine Übersetzung davon ist, dass unsere Geschmacksnerven Zucker und Fette erkennen.

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Lange Zeit gingen Wissenschaftler davon aus, dass die Ausschüttung des Dopamins den Lustgewinn verursachen würde. Tiere und Menschen würden demnach zu Handlungen angetrieben, weil Dopaminihnen ein Hochgefühl beschert, nach dem sie immer wieder verlangen.

Studien des Neurologen Kent Berridge von der University of Michigan brachten diese Theorie jedoch 1996 ins Wanken: Berridge zerstörte bei Laborratten Nervenverbindungen nahe dem lateralen Hypothalamus. Verbindungen zwischen dopaminergen Mittelhirnneuronen zum Striatum und zum Nucleus accumbenswurden dadurch unterbrochen, was zu einer verminderten Dopaminkonzentration in diesen Arealen führte.

Als Folge darauf hörten die Ratten auf zu fressen. Legte der Forscher ihnen aber einen Bissen auf die Zunge, reagierten sie wie normale Nager und verzehrten die Nahrung. Berridge folgert daraus, dass die Tiere die Nahrung zwar mögen, aber kein Verlangen mehr danach haben. Ihnen fehlt schlicht die Motivation, nach Futter zu suchen.

Tests mit gesunden Ratten verstärken diesen Eindruck noch: Wurden bei ihnen die dopaminergen Axonenim lateralen Hypothalamus gereizt, entwickelten die Tiere ein intensives Verlangen nach Futter, ohne dass dabei ihr Lustgewinn zunahm. Dieses Verhalten erinnert nicht von ungefähr an das Verhalten von Süchtigen: Zahlreiche Drogen wirken direkt oder indirekt auf die Ausschüttung von Dopamin ein. Darum beschäftigt sich auch die Suchtforschung intensiv mit den Mechanismen des mesocortikolimbischen Systems.

Anders als die Hirnforschung lange vermutete, ist für das Hochgefühl, wenn wir bekommen, wonach wir uns sehnen, nicht das Dopamin verantwortlich. Diese Rolle kommt den körpereigenen Opiaten zu, den Endorphinen, sowie anderen Botenstoffen wie dem Oxytocin.

Dopamin ist vielmehr der Neurotransmitter der Belohnungserwartung, wie auch das Stückchen Schokoladentorte auf dem Teller der Freundin beweist. Denn es ist nicht die leckere Speise selbst, die uns den Dopamin-​Kick verpasst. Vielmehr kurbelt der Anblick des genüsslich kauenden Gegenübers das Dopaminsystem an und generiert ein tiefes Verlangen. Gibt man diesem nach, reagiert das mesocortikolimbische System Es wird immer dann aktiv, wenn wir eine Belohnung erwarten. Es geht also nicht um die Freude des Essens selbst, sondern um die Antizipation dessen, was Freude bereiten könnte. Und vielleicht sollten Forscher deshalb diesen Teil des Belohnungssystems besser in „Motivationssystem“ umbenennen.

Auf gleiche Weise werden eine Vielzahl von Erinnerungen abgespeichert und es sind teilweise sehr einfache Vorgänge, die an die pawlowschen Hunde erinnern, die zunächst vor jedem Essen eine Glocke hörten und später bereits bei dem Klang der Glocke einen Speichelfluss zeigen.

Die Idee, dass der Mensch nur nach solchen simplen Mustern programmiert ist, ist heute nicht mehr sehr verbreitet, aber natürlich ist es nach wie vor ein Mechanismus, der in vielen Bereichen wirkt.

Natürlich ist dieses System auch sehr fehleranfällig und es können sich schnell falsche Zuordnungen von Informationen ergeben.

Ich habe gelesen, dass Fetische auf diese Weise entstehen können. Als Beispiel war der Jugendliche angegeben, der die in einem Kleiderschrank versteckten Pornohefte seines Vaters fand, dort „nutzte“ und den Geruch der Gummistiefel mit den positiven Erinnerungen an seinen Orgasmus verbunden hat.

Eine andere Falschanwendung wäre die Fehleinprogrammierung von Ängsten: Etwa jemand, der in einem Kaufhaus eine bedrohliche Situation erlebt hat und diese mit Kaufhäusern verbindet und daher jedesmal, wenn er eines betritt Stress spürt und dann eine Erleichterung, wenn nichts passiert ist. Faktisch mag hier alles sicher gewesen sein, aber wenn die passenden Gefühle eintreten, dann können sie sich evtl bei einigen schlicht aufgrund ihres Vorhandenseins verstärken und eine Feedbackschleife auslösen. Das kann sich dann beispielsweise verschärfen, etwa indem man Erleichterung verspürt, wenn man den Elektroshocker mitnimmt und sich bedroht fühlt, wenn er nicht da ist, sich dabei aber gleichzeitig eine immer stärkere Bedrohung einredet.

Auf diesem Weg können sich Phobien und Angststörungen entwickeln, die eigentlich keinen Sinn machen, aber dennoch sehr real sind.