Tag: 29. August 2017
„Der Heiratsmarkt bezahlt Frauen besser als der Arbeitsmarkt“
In der Zeit wird Frau Allmendinger interviewt. Hier ein paar Anmerkungen:
ZEITmagazin ONLINE: Frau Allmendinger, sind Frauen bessere Menschen?
Jutta Allmendinger: Nein.
ZEITmagazin ONLINE: Frauen wählen sozialliberaler, trennen eher Müll, verüben weniger Gewaltverbrechen. Man könnte glauben, dass eine Welt der Frauen eine bessere wäre.
Allmendinger: Mir ist eine Welt der Frauen zu viel des Wenns. Man weiß ja nicht, wie sich Frauen verhalten würden, wenn sie die gleichen Machtpositionen hätten wie Männer. Insofern kann man nicht extrapolieren, wie die Welt wäre, wenn Frauen an der Macht wären. Wir sind so weit davon entfernt, dass ich mir das nicht vorstellen kann.
Eine recht banale Einsicht: man kann sich nicht die Hände schmutzig machen, wenn man die dreckigen Jobs nicht ausübt. Wie eine Welt aussieht, in der Frauen an der Macht sind, werden wir wahrscheinlich nie erfahren.
Allmendinger: Quotenfrau klingt wirklich schrecklich. Wie eine Belohnung für Leistungsschwache. Dabei machen sich viele Frauen nicht klar, dass auch Männer quotiert sind. Wenn 70 Prozent der börsennotierten und mitbestimmten Großunternehmen eine Zielgröße von null Prozent Frauen im Vorstand festlegen, haben wir ja Quotenmänner.
Nein, haben wir nicht. Es kann schlicht eine Leistungsauswahl sein.
ZEITmagazin ONLINE: Wie müsste sich der Arbeitsmarkt für Frauen verändern?
Allmendinger: Das beginnt bei den Arbeitszeiten. Unsere Studien zeigen, dass Frauen mit einer niedrigen Teilzeit auf Dauer unzufrieden sind. Sie wollen durchaus mehr arbeiten. Gleichermaßen können und wollen Frauen nicht über ihren gesamten Lebensverlauf hinweg auf eine Stundenzahl festgelegt werden. Das müssten Arbeitgeber stärker berücksichtigen. Im Leben von Frauen – und hoffentlich auch bald von Männern – sind bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammenzudenken. Und damit meine ich mehr als Job und Kinder. Damit meine ich die Pflege von Älteren, Nachbarschaften, Freundschaften, Ehrenamt und so weiter. Männerleben dagegen sind zurzeit noch viel enger an die Erwerbsarbeit gebunden.
Das ist ja schön und gut, aber das ändert ja auch nichts an Bezahlung etc. Der Arbeitgeber schaut erst einmal nur darauf, was ihm ein Arbeitnehmer bringt, nicht was er sonst noch für andere macht. Selbst wenn er „das zusammendenkt“, was soll dann daraus folgen?
Und natürlich steht es auch jedem frei, nicht auf eine Stundenzahl festgelegt zu werden. Aber dann lohnt er sich evtl weniger als ein Arbeitnehmer, der sich festlegen lässt.
Allmendinger: Das hat die Vermächtnisstudie gezeigt. 60 Prozent der Menschen und sogar fast 70 Prozent der Frauen haben gesagt: Sie würden auch erwerbstätig sein, wenn sie das Geld nicht bräuchten. Menschen sind social beings. Sie wollen auch Anerkennung. Sie sind neugierig. Frauen fordern heute diese Vielgestaltigkeit deutlich stärker ein. Insofern haben Sie vielleicht recht, dass Frauen die Welt verändern würden. Aber das können sie nur, wenn sie nicht länger gezwungen sind, Karrieren in den vorgegebenen Strukturen zu machen. Frauen wollen nicht das Leben der Männer annehmen, mit den entsprechenden Arbeitszeiten und fehlender Flexibilität. Das finde ich sympathisch.
Nur wollen sie dann eben auch nicht die Nachteile dessen tragen, dass sie das nicht annehmen. Nämlich etwa das Männer eher befördert werden etc.
Es ist immer wieder erstaunlich, dass die Aussage, dass Frauen weniger Gewicht auf Karriere legen Sexismus ist, die Aussage, dass Frauen sich aber nicht den „vorgegebenen Strukturen und entsprechenden Arbeitzeiten“ unterordnen wollen hingegen Emanzipation. Dabei bedeutet es im Endeffekt genau das Gleiche.
ZEITmagazin ONLINE: Welche Strukturen meinen Sie?
Allmendinger: Die Vorgabe eines Normallebensverlaufs: Vollzeit, 45 Jahre, keine Unterbrechung. All das, worauf der deutsche Sozialstaat baut. Hinzu kommen: Mitversicherung, Ehegattensplitting, jede Menge Anreize für Männer, im Haushalt nur zuzuarbeiten. Nicht zu vergessen geringere Löhne. Diese Strukturen sind knallhart. Sie beeinflussen Arbeitgeber und fördern Stereotypisierungen. Arbeitgeber sehen ihre weiblichen Nachwuchskräfte und denken: „Sobald die ein Kind kriegt, will sie keine Karriere mehr.“ Diese Bilder beeinflussen natürlich auch die Entscheidungen, die Frauen treffen. Wenn sich werdende Eltern zusammensetzen und fragen, wer beruflich eine Auszeit nimmt, dann ist es logisch, dass die Frau das macht. Sie hat die schlechtere Verhandlungsposition.
Das sie dann keine Karriere will, dass stimmt allerdings auch in den allermeisten Fällen. Wobei Karriere ja auch nicht einfach nur mehr Geld verdienen ist. Es ist auch häufig mehr Stress, mehr Verantwortung, mehr Arbeit mit nach Hause nehmen oder länger im Büro bleiben.
ZEITmagazin ONLINE: Aber viele Frauen wollen doch das erste Jahr zu Hause bleiben.
Allmendinger: Na und? Das erste Jahr ist nicht das Problem. Der Wiedereintritt ist es. Weil aus diesem einen Jahr noch zu oft Teilzeit wird – nur zehn Prozent der Mütter sind nach dem ersten Jahr wieder in Vollzeit tätig – und daraus eine dauerhafte Verantwortung der Frau für Haushalt und Familie erwächst. Wenn die Frau das erste Jahr unterbrechen würde und der Mann das zweite Jahr, sähe das ganz anders aus. Oder wenn beide zwei Jahre Teilzeit arbeiten würden. Die auf Frauen beschränkte Festschreibung der Arbeitszeiten durch das erste Kind hemmt die berufliche Entwicklung maßgeblich. Sie führt zu einem niedrigen Einkommen, zu flachen Karrieren, zum Gender Pay Gap, zu niedrigen Altersrenten und letztlich dazu, dass wir über Quoten reden.
Tatsächlich setzen Westdeutsche Frauen, wenn ich es richtig im Kopf habe, eher 8 Jahre aus. Und wollen häufig wohl auch gar nicht, dass der Mann aussetzt und das geteilt wird. Schon weil sie ihre Berufswahl darauf ausgerichtet haben und er seine auf Geld und Status.
Allmendinger: Lena Hipp, Professorin am WZB, hat untersucht, wie Arbeitgeber unterschiedlich lange Elternzeiten in der Berufsbiografie von Männern und Frauen bewerten. Konkret wurde die Wahrscheinlichkeit gemessen, mit der Bewerberinnen und Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden: auf der einen Seite Frauen und Männer, die jeweils zwei Monate Elternzeit genommen hatten, auf der anderen Seite Frauen und Männer nach zwölfmonatiger Auszeit. Außer der Elternzeit stimmten die Biografien überein. Das Ergebnis: Männer werden immer eingeladen – egal, wie lange sie raus waren.
ZEITmagazin ONLINE: Männer, die viel Elternzeit nehmen, werden also nicht bestraft?
Allmendinger: Richtig.
ZEITmagazin ONLINE: Und bei Frauen?
Allmendinger: Das Ergebnis überrascht: Eine Frau, die zwölf Monate in Elternzeit war, hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, eingeladen zu werden, als eine Frau, die nur zwei Monate Auszeit genommen hat. Wir erklären das damit, dass Frauen mit kurzen Elternzeiten als „karrieregeil“ stereotypisiert und dementsprechend unsympathisch wahrgenommen werden. Arbeitgeber möchten keine auf ihr eigenes Ego getrimmte Frau als Mitarbeiterin. Das ist fatal und ein richtiges Dilemma: entweder unsympathisch oder unterbezahlt.
Die Erfahrung dürfte sein, dass der Mann, der zurückkommt dann auch eher fertig ist, während die Frauen häufig irgendwann in Teilzeit gehen. Und das die Frau, die nur zwei Monate aussetzt, eben häufig sich zu viel vornimmt, während der Mann eben eine Frau im Hintergrund hat.
ZEITmagazin ONLINE: Was muss sich verändern, damit wir dieses Mutterbild loswerden?
Allmendinger: Die Arbeitszeiten habe ich schon angesprochen: 32 Stunden für beide, im Schnitt über ein Erwerbsleben. So würden Erwerbsarbeitszeit und Familienzeit gerechter verteilt. Wir brauchen zusätzlich zum Mutterschutz einen Väterschutz. Das stärkt die Bindung des Vaters an das Kind und die gemeinsame Sache. Die Elternzeiten für Väter müssen erhöht werden, auf vier verpflichtende Monate. Wir brauchen ein anderes Steuersystem, das auf eine Individualbesteuerung ausgelegt ist und Kinder berücksichtigt, aber nicht die Ehe. Die nicht sozialversicherungspflichtigen Minijobs müssen weg. Wir brauchen das Recht auf befristete Teilzeit und Einkommenstransparenz – auch für Frauen in Betrieben mit weniger als 500 Beschäftigten. Frauen verhandeln nicht schlechter als Männer – sie wissen nur nicht, was gezahlt wird.
Vielleicht sollte man auch erst einmal den Vätern überhaupt das Sorgerecht geben, wenn die Eltern nicht verheiratet sind.
Und ansonsten wird das in vielen Fällen schlicht nicht machbar sein. Die Lehrerin kann natürlich unproblematisch eine Auszeit nehmen, der Ingenieur in einem kleinen Betrieb weitaus weniger. Sprich: Auch da wirken sich Lebensentscheidungen im Vorfeld erheblich aus.
ZEITmagazin ONLINE: Hat es nicht auch damit zu tun, dass Frauen weniger risikofreudig sind? Das hat eine Studie des IWF ergeben.
Allmendinger: Ich frage mich, ob Frauen unter gleichen Bedingungen immer noch weniger risikofreudig wären als Männer. Ist es wirklich ein Wesenszug oder Ergebnis der vergangenen Jahrhunderte, in denen sie Sorge zu tragen hatten für Kinder, Eltern, Familie?
Erst einmal keine Antwort. Aber Studien legen nahe, dass Testosteron die Bereitschaft erhöht ein Risiko einzugehen. Und das auch bei Frauen an sich. So hat sie die Frage offen gelassen.
ZEITmagazin ONLINE: Vielleicht ist auch Selbstbewusstsein vererbbar?
Allmendinger: Ja, wir kennen diese epigenetischen Prozesse. Deshalb tue ich mich auch so schwer mit Zuschreibungen und Vergleichen von männlichem und weiblichem Verhalten. Reine Frauenvölker aus der Geschichte zeigen, dass das, was wir unter männlich und weiblich verstehen, nicht angeboren, sondern erlernt ist. Das heißt: Wir können es ändern! Das heißt aber auch: Es dauert. Man braucht den Blick nach vorne und entschlossenere Politiken als die, die wir betreiben. Wir tun immer so, als könnten Frauen entscheiden, entscheiden, entscheiden. Frauen können so viel gar nicht entscheiden. Und wenn ich dann auch noch höre, dass sie risikoaverser sind – ihnen bleibt ja gar nichts anderes übrig!
Warum sollte das was mit epigenetischen Prozessen zu tun haben? Es können schlicht die normalen Gene sein, die sich auf die Persönlichkeit auswirken. Selbstbewußtsein und Testosteron wiederum stehen wohl auch in Verbindung.
Und was sollen „reine Frauenvölker“ sein? Die Amazonen? Da hat sie wohl zuviel Sagen gelesen.
Allmendinger: Die Differenzannahmen loszuwerden, darin liegt auch eine Chance. Denn natürlich müssen wir auch Männer dazu ermutigen, in Beschäftigungsverhältnisse zu gehen, die traditionell weiblich geprägt sind. Und dazu, mehr Hausarbeit und Pflegearbeit zu verrichten.
Was bieten wir ihnen denn dafür, was wäre der Vorteil? Werden Frauen das auch akzeptieren, oder werden sie klassische Männer attraktiver finden.
ZEITmagazin ONLINE: Es gibt Untersuchungen, die zeigen allerdings, dass Frauen die Gleichberechtigung im Haushalt gar nicht wollen.
Allmendinger: Ich frage mich, was solche Erhebungen sollen. Nehmen wir mal eine Frau, die 40 ist und seit 15 Jahren in Teilzeit arbeitet. Sie hat einen bestimmten Bereich im Leben, den sie als den ihrigen kennzeichnet und aus dem sie Anerkennung zieht. Wieso sollte sie diesen aufgeben wollen? Ich finde solche Fragen schwierig.
Auch wieder eine Nichtantwort. Wenn sie aus diesem Anerkennung zieht und ihr Leben schön ist, warum sollten das dann nicht auch andere Frauen wollen?
ZEITmagazin ONLINE: Weil die Fragen die Rahmenbedingungen nicht berücksichtigen?
Allmendinger: Ja, die Frau hätte dann einen Halbtagsjob und zu Hause nach wie vor viel Arbeit. Ändern wir die Frage ein wenig: „Würden Sie lieber ausschließlich Hausarbeit machen wollen, wenn die Alternative ein erfüllender Job in niedriger Vollzeit und hohem Einkommen bei gleichzeitig guter Versorgung Ihrer Kinder ist?“ Schon bekommen Sie andere Antworten. Fatal ist, wenn falsch gestellte Fragen zu Schlussfolgerungen führen wie: Frauen wollen den Haushalt machen. Um dann noch sagen zu können: Wir gehen nur auf die Wünsche der Frauen ein. Ich finde, das ist schlechte Sozialforschung und schlechte Politik, sorry.
Das ist ja auch eine Frage: Wollen sie nur Hausarbeit oder einen
- erfüllenden: welcher Job ist schon immer erfüllend?
- niedrige Arbeitzeit und hohes Einkommen: Auch sehr häufig und eher utopisch
- gute Versorgung der Kinder
Also die Frage: Wollen sie eine perfekte Utopie, die nicht zur Verfügung steht oder langweilige Hausarbeit? Merkwürdigerweise verbessern sich da die Werte.
Aber das sagt ja wenig aus.
Allmendinger: Mit der eben formulierten Einschränkung. Was und wie wird gefragt? Von welchen Rahmenbedingungen sprechen wir? In unseren Daten sehe ich diese Entwicklung jedenfalls nicht. Mit der Brigitte-Studie konnten wir sowohl 2009 als auch 2013 zeigen: Der Wunsch, nach vorne zu gehen, ist bei jungen Frauen da. Leider hat sich aber bisher kaum etwas an den Strukturen geändert. Der Heiratsmarkt bezahlt Frauen nach wie vor besser als der Arbeitsmarkt. Wenn der Mann sterben würde, bekäme die Frau mehr Geld durch eine Witwenrente als durch die eigene Altersrente. Da denkt sich manch eine vielleicht: Dann kann ich ja gleich Hausfrau werden!
Das immerhin ist etwas interessantes, was auch selten zugestanden wird: Was folgt für sie daraus? Sollte man dann den Heiratsmarkt verschlechtern, damit der Arbeitsmarkt attraktiver wird? Da sehe ich keine Forderungen ihrerseits.
Sollte man die Väterrolle ensprechend stärken? Da sehe ich auch wenig, was sie fordert.