„Die grössere intellektuelle Kraft und das stärkere Erfindungsvermögen beim Manne ist wahrscheinlich eine Folge natürlicher Zuchtwahl“

Nachdem das „Google Manifesto“ eines Harvard-Absolventen, der dann bei Google arbeitete, bereits viel Aufsehen erregte, ist es an der Zeit auf ein ebenfalls sehr skandalträchtiges Manifest zu verweisen, welches bereits für einiges Aufsehen sorgte:

Die stärksten und lebenskräftigsten Männer, – diejenigen, welche am besten ihre Familien verteidigen und für dieselben jagen konnten, welche mit den besten Waffen versehen waren und das grösste Besitztum hatten, wie z. B. eine grössere Zahl von Hunden oder anderen Tieren, – werden beim [348] Aufziehen einer durchschnittlich grösseren Anzahl von Nachkommen mehr Erfolg gehabt haben als die schwächeren, ärmeren und niederen Glieder der nämlichen Stämme. Es lässt sich auch daran nicht zweifeln, dass solche Männer allgemein im Stande gewesen sein werden, sich die anziehenderen Frauen zu wählen. Heutigen Tages erreichen es die Häuptlinge nahezu jeden Stammes auf der Erde, mehr als eine Frau zu erlangen. Bis ganz neuerdings war, wie ich von Mr. Mantell höre, beinahe jedes Mädchen auf Neuseeland, welches hübsch war oder hübsch zu werden versprach, irgend einem Häuptling „tapu“. Bei den Kaffern haben, wie Mr. C. Hamilton anführt,[17] „die Häuptlinge allgemein die Auswahl aus den Frauen in einem Umkreise von vielen Meilen und sind äusserst bedacht darauf, ihre Privilegien fest zu halten oder zu bestätigen“. Wir haben gesehen, dass jede Rasse ihren eigenen Geschmack für Schönheit hat, und wir wissen, dass es für den Menschen natürlich ist, jeden characteristischen Punkt bei seinen domesticirten Thieren, bei seiner Kleidung, seinen Ornamenten und bei seiner persönlichen Erscheinung zu bewundern, sobald sie auch nur ein wenig über den mittleren Maassstab hinaus geführt sind. Wenn nun die verschiedenen vorstehenden Sätze zugegeben werden, und ich kann nicht sehen, dass sie zweifelhaft wären, so würde es ein unerklärlicher Umstand sein, wenn die Auswahl der anziehenderen Frauen durch die kraftvolleren Männer eines jeden Stammes, welche im Mittel eine grössere Zahl von Kindern aufziehen würden, nicht nach dem Verlaufe vieler Generationen in einem gewissen Grade den Character des Stammes modificirt haben würde.

Wenn bei unseren domesticirten Thieren eine fremde Rasse in ein neues Land eingeführt wird, oder wenn eine eingeborene Rasse lange Zeit und sorgfältig entweder zum Nutzen oder zur Zierde beachtet wird, so findet man nach mehreren Generationen, dass sie, sobald nur die Mittel zur Vergleichung existiren, einen grösseren oder geringeren Betrag an Veränderung erlitten hat. Dies ist eine Folge der während einer langen Reihe von Generationen fortgeübten unbewussten Zuchtwahl, d. h. der Erhaltung der am meisten gebilligten Individuen, ohne irgend einen Wunsch oder eine Erwartung eines derartigen Resultates von Seiten des Züchters. Wenn ferner zwei sorgfältige Züchter während vieler Jahre Thiere einer und der nämlichen Familie züchten und [349] sie nicht miteinander oder mit einem gemeinsamen Maasstabe vergleichen, so finden sie nach einer Zeit, dass die Thiere zur Ueberraschung ihrer eigenen Besitzer in einem unbedeutenden Grade verschieden geworden sind.[18] Ein jeder Züchter hat, wie von Nathusius es gut ausdrückt, den Character seines eigenen Geistes, seinen eigenen Geschmack und sein Urtheil seinen Thieren aufgedrückt. Welche Ursache könnte man nun anführen, warum ähnliche Resultate nicht der lange fortgesetzten Auswahl der am meisten bewunderten Frauen durch diejenigen Männer eines jeden Stammes folgen sollten, welche im Stande waren, eine grössere Zahl von Kindern bis zur Reife zu erziehen? Dies würde unbewusste Zuchtwahl sein, denn es würde eine Wirkung hervorgebracht werden unabhängig von irgend einem Wunsche oder einer Erwartung von Seiten der Männer, welche gewisse Frauen anderen vorziehen.

Wir wollen einmal annehmen, dass die Glieder eines Stammes, bei welchem eine gewisse Form der Ehe im Gebrauche war, sich über einen nicht bewohnten Continent verbreiteten; sie werden sich bald in verschiedene Horden theilen, welche durch verschiedene Grenzen und noch wirksamer durch die unaufhörlich zwischen allen barbarischen Nationen eintretenden Kriege von einander getrennt werden. Die Horden werden auf diese Weise unbedeutend verschiedenen Lebensbedingungen und Gewohnheiten ausgesetzt werden und werden früher oder später dazu kommen, in einem geringen Grade von einander abzuweichen. Sobald dies einträte, würde jeder isolirte Stamm für sich selbst einen unbedeutend verschiedenen Maassstab der Schönheit sich bilden,[19] und dann würde unbewusste Zuchtwahl dadurch in Wirksamkeit treten, dass die kraftvolleren und leitenden Glieder der wilden Stämme gewisse Weiber anderen vorzögen. Hierdurch werden die Verschiedenheiten zwischen den Stämmen, die zuerst sehr unbedeutend waren, allmählich und unvermeidlich in einem immer grösseren und bedeutenderen Grade verschärft werden.

[350] Bei Thieren im Naturzustande sind viele Charactere, welche den Männchen eigen sind, wie Grösse, Stärke, specielle Waffen, Muth und Kampfsucht durch das Gesetz des Kampfes erlangt worden. Die halbmenschlichen Urerzeuger des Menschen werden, wie ihre Verwandten, die Quadrumanen, beinahe sicher in dieser Weise modificirt worden sein; und da Wilde noch immer um den Besitz ihrer Frauen kämpfen, so wird ein ähnlicher Process der Auswahl wahrscheinlich in einem grösseren oder geringeren Grade bis auf den heutigen Tag vor sich gegangen sein. Andere den Männchen der niederen Thiere eigene Charactere, wie glänzende Farben und verschiedene Ornamente, sind dadurch erlangt worden, dass die anziehenderen Männchen von den Weibchen vorgezogen worden sind. Es finden sich indessen ausnahmsweise Fälle, in denen die Männchen, statt ihrerseits gewählt worden zu sein, selbst der wählende Theil gewesen sind. Wir erkennen solche Fälle daran, dass die Weibchen in einem höheren Grade verziert worden sind als die Männchen, wobei ihre ornamentalen Charactere ausschliesslich oder hauptsächlich auf ihre weiblichen Nachkommen überliefert worden sind. Ein derartiger Fall ist aus der Ordnung, zu welcher der Mensch gehört, beschrieben worden, nämlich der Rhesus-Affe.

Der Mann ist an Körper und Geist kraftvoller als die Frau, und im wilden Zustande hält er dieselbe in einem viel unterwürfigeren Stande der Knechtschaft, als es das Männchen irgend eines anderen Thieres thut; es ist daher nicht überraschend, dass er das Vermögen der Wahl erlangt hat. Die Frauen sind sich überall des Werthes ihrer Schönheit bewusst, und wenn sie die Mittel haben, finden sie ein grösseres Entzücken daran, sich selbst mit allen Arten von Ornamenten zu schmücken, als es die Männer thun. Sie borgen Schmuckfedern männlicher Vögel, mit denen die Natur dieses Geschlecht zierte, um die Weibchen zu bezaubern. Da die Frauen seit langer Zeit ihrer Schönheit wegen gewählt worden sind, so ist es nicht überraschend, dass einige der an ihnen nach einander auftretenden Abänderungen ausschliesslich auf dasselbe Geschlecht überliefert worden sind, dass folglich auch die Frauen ihre Schönheit in einem etwas höheren Grade ihren weiblichen als ihren männlichen Nachkommen überliefert haben und daher, der allgemeinen Meinung nach, schöner geworden sind als die Männer. Die Frauen überliefern indess sicher die meisten ihrer Charactere, mit Einschluss der Schönheit, ihren Nachkommen beiderlei Geschlechts, so dass das beständige Vorziehen der anziehenderen Frauen [351] durch die Männer einer jeden Rasse je nach ihrem Maassstabe von Geschmack dahin geführt haben wird, alle Individuen beider Geschlechter, die zu der Rasse gehören, in einer und derselben Weise zu modificiren.

Was die andere Form geschlechtlicher Zuchtwahl betrifft (welche bei den niederen Thieren bei weitem die häufigste ist), nämlich wo das Weibchen der auswählende Theil ist und nur diejenigen Männchen annimmt, welche sie am meisten anregen oder entzücken, so haben wir Grund zu glauben, dass sie früher auf die Urerzeuger des Menschen gewirkt hat. Der Mann verdankt aller Wahrscheinlichkeit nach seinen Bart und vielleicht einige andere Charactere der Vererbung von einem alten Urerzeuger, welcher seine Zierathen in dieser Weise erlangte. Es kann aber diese Form von Zuchtwahl gelegentlich auch während späterer Zeiten gewirkt haben; denn bei völlig barbarischen Stämmen sind die Frauen mehr in der Lage, ihre Liebhaber zu wählen, zu verwerfen und zu versuchen, oder später ihre Ehemänner zu wechseln, als sich hätte erwarten lassen. Da dies ein Punkt von einiger Bedeutung ist, will ich die Belege, die ich zu sammeln im Stande gewesen bin, im Detail mittheilen.

Hearne beschreibt, wie eine Frau in einem der Stämme des arctischen America wiederholt ihrem Ehemanne davonlief und sich mit dem geliebten Manne verband; und bei den Charruas von Südamerica ist, wie Azara anführt, die Fähigkeit der Scheidung vollkommen frei. Wenn bei den Abiponen ein Mann ein Weib sich wählt, so handelt er mit den Eltern um den Preis. Aber „es kommt häufig vor, dass das Mädchen durch alles Das, was zwischen den Eltern und dem Bräutigam abgemacht worden ist, einen Strich zieht und hartnäckig auch nur die Erwähnung der Heirath verweigert“. Sie läuft häufig davon, verbirgt sich und verspottet damit den Bräutigam. Capitain Musters, welcher unter den Patagoniern lebte, sagt, dass ihre Ehen immer durch Neigung begründet werden; „wenn die Eltern eine Partie gegen den Willen der Tochter abmachen, so verweigert sie dieselbe und wird niemals gezwungen, nachzugeben“. Im Feuerlande erhält ein junger Mann zuerst die Zustimmung der Eltern dadurch, dass er ihnen irgend einen Dienst erweist, und dann versucht er das Mädchen fortzuführen; „will sie aber nicht, so verbirgt sie sich in den Wäldern, bis ihr Bewunderer von Herzen ermüdet ist, nach ihr zu lugen, und die Verfolgung aufgibt; dies kommt aber selten vor“. Auf den [352] Fiji-Inseln ergreift der Mann die Frau, welche er sich zum Weibe wünscht, mit factischer oder vorgegebener Gewalt; aber „wenn sie die Heimstätte ihres Entführers erreicht, so läuft sie, wenn sie die Verbindung nicht billigen sollte, zu irgend einem, der sie schützen kann. Ist sie indessen zufriedengestellt, so ist die Sache sofort abgemacht“. Bei den Kalmucken besteht ein regelmässiger Wettlauf zwischen der Braut und dem Bräutigam, wobei die erstere einen gehörigen Vorsprung hat; und Clarke „erhielt die Versicherung, es käme kein Fall vor, dass ein Mädchen gefangen würde, wenn sie nicht für den Verfolger etwas eingenommen wäre“. So besteht auch bei den wilden Stämmen des malayischen Archipels ein ähnlicher Wettlauf, und nach Mr. Bourien’s Beschreibung scheint es, wie Sir J. Lubbock bemerkt, dass „der Preis des Wettlaufs nicht für den schnellsten und der des Kampfes nicht für den stärksten, sondern für den jungen Mann bestimmt ist, welcher das Glück hatte, der bestimmten Braut zu gefallen“. Ein ähnlicher Gebrauch, mit gleichem Ausgang, herrscht auch bei den Koraks des nordöstlichen Asiens.

Wenden wir uns zu Africa. Die Kaffern kaufen ihre Frauen, und Mädchen werden von ihren Vätern heftig geschlagen, wenn sie einen auserwählten Ehegatten nicht annehmen wollen; doch geht es aus vielen von Mr. Shooter mitgetheilten Thatsachen offenbar hervor, dass sie ziemliche Freiheit der Wahl haben. So hat man erfahren, dass sehr hässliche, wenngleich reiche Männer es nicht erlangt haben, Frauen zu bekommen. Ehe die Mädchen ihre Einstimmung zur Verlobung aussprechen, veranlassen sie den Mann, sich gehörig zu präsentiren, zuerst von vorn und dann von hinten, und „seine Gangart zu zeigen“. Es ist bekannt geworden, dass sie sich einem Manne versprochen haben und doch nicht selten mit einem begünstigten Liebhaber davon gelaufen sind. So sagt auch Mr. Leslie, welcher die Kaffern sehr genau kannte: „es ist ein Irrthum, sich vorzustellen, dass ein Vater seine Tochter in derselben Weise und mit derselben Machtvollkommenheit verkaufe, mit welcher er über eine Kuh disponirt“. Bei den so niedrig stehenden Buschmänninnen von Südafrica „muss der Liebhaber, wenn ein Mädchen zur Mannbarkeit herangewachsen ist, ohne verlobt zu sein, was indessen nicht häufig vorkommt, seine Zustimmung ebensowohl wie die der Eltern erlangen“.[20][353] Mr. Winwood Reade stellte meinetwegen Nachforschungen in Bezug auf die Neger von West-Africa an, und theilt mir nun mit, dass „die Frauen wenigstens unter den intelligenteren heidnischen Stämmen keine Schwierigkeiten haben, diejenigen Männer zu bekommen, welche sie wünschen, obschon es für unweiblich angesehen wird, einen Mann aufzufordern, sie zu heirathen. Sie sind vollständig fähig, sich zu verlieben, und sind auch zarter, leidenschaftlicher und treuer Anhänglichkeit fähig“. Noch weitere Beispiele könnten angeführt werden.

Wir sehen hieraus, dass bei Wilden die Frauen in keinem so vollständig unterwürfigen Zustande in Bezug auf das Heirathen sich finden, als häufig vermuthet worden ist. Sie können die Männer, welche sie vorziehen, verführen und können zuweilen diejenigen, welche sie nicht leiden mögen, entweder vor oder nach der Heirath verwerfen. Eine Vorliebe seitens der Frauen, welche in irgend einer Richtung stetig wirkt, wird schliesslich den Character des Stammes afficiren, denn die Weiber werden allgemein nicht bloss die hübscheren Männer je nach ihrem Maassstabe von Geschmack, sondern diejenigen wählen, welche zu derselben Zeit am besten im Stande sind, sie zu vertheidigen und zu unterhalten. Derartige gut begabte Paare werden im Allgemeinen eine grössere Anzahl von Nachkommen aufziehen als die weniger begünstigten. Dasselbe Resultat wird offenbar in einer noch schärfer ausgesprochenen Weise eintreten, wenn auf beiden Seiten eine Auswahl stattfindet, d. h. wenn die anziehenderen und zu derselben Zeit auch kraftvolleren Männer die anziehenderen Weiber vorziehen und umgekehrt auch wieder von diesen vorgezogen werden. Und diese doppelte Form von Auswahl scheint factisch bei der Menschheit, besonders während der früheren Perioden unserer langen Geschichte, eingetreten zu sein.

(…)

Wir können schliessen, dass die bedeutendere Grösse, Kraft, der grössere Muth und die stärkere Kampflust und Energie des Mannes im Vergleiche mit der Frau während der Urzeiten erlangt und später hauptsächlich durch die Kämpfe rivalisirender [361] Männchen um den Besitz der Weibchen vergrössert worden sind. Die grössere intellectuelle Kraft und das stärkere Erfindungsvermögen beim Manne ist wahrscheinlich eine Folge natürlicher Zuchtwahl in Verbindung mit den vererbten Wirkungen der Gewohnheit; denn die fähigsten Männer werden beim Vertheidigen und bei dem Sorgen für sich selbst, für ihre Weiber und ihre Nachkommen den besten Erfolg gehabt haben. Soweit es die äusserst verwickelte Natur des Gegenstandes uns gestattet zu urtheilen, scheint es, als hätten unsere männlichen affenähnlichen Urerzeuger ihre Bärte als Zierathen erlangt, um das andere Geschlecht zu bezaubern oder zu reizen, und sie dann nur ihren männlichen Nachkommen überliefert. Die Weibchen wurden allem Anscheine nach zuerst in gleicher Weise zur geschlechtlichen Zierde der Haardecke entkleidet; sie überlieferten aber diesen Character beinahe gleichmässig beiden Geschlechtern. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Weibchen auch in anderen Beziehungen zu demselben Zwecke und durch dieselben Mittel modificirt wurden, so dass die Frauen angenehmere Stimmen erhalten haben und schöner geworden sind als die Männer.

Aus Darwin, Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl II/Zwanzigstes Capitel