Brüste oder Hintern?

Wo ich gerade schon Twitterfragen aufgreife: Hier noch eine ganz wesentliche, auch passend zu der ganzen Religiosität um Ostern:

 

„Sind die Jungs die neuen Verlierer?“ (in der Schule)

Ein interessanter Artikel im Spiegel bringt folgendes:

  • Mädchen haben tatsächlich im Schnitt bessere Schulnoten. Das Land Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat für das Jahr 2007 eine Geschlechterstatistik zu den Abiturnoten erstellt: Demnach hatten 40 Prozent der Jungen eine Abiturnote, die schlechter als 3,0 war – aber nur 33,4 Prozent der Mädchen. Auch andere Untersuchungen belegen den Vorsprung der Mädchen. Nur: Neu ist das keineswegs. Bereits in den Siebzigerjahren fiel dem Erziehungswissenschaftler Karlheinz Ingenkamp der Notenvorsprung der Mädchen auf. In Großbritannien stieß eine Untersuchungskommission sogar schon hundert Jahre zuvor auf das gleiche Phänomen.
  • Interessant ist eher, dass der Rückstand der Jungen so lange nicht weiter problematisiert wurde. Das mag damit zusammenhängen, dass Jungen zwar schon lange die schlechteren Noten hatten, am Ende aber doch häufiger die höheren Schulabschlüsse erzielten. In den Fünfzigerjahren ging nur jedes dritte Abiturzeugnis in der Bundesrepublik an eine junge Frau. Warum sollte man die Tochter in den Nachkriegsjahren auch aufs Gymnasium schicken, wenn ihr doch ein Leben als Hausfrau und Mutter vorherbestimmt zu sein schien? Dieses Geschlechterklischee gilt glücklicherweise nicht mehr. Die Folge: Seit den Neunzigerjahren ist mehr als die Hälfte der Abiturienten weiblich

Also ein Problem, welche in der Anzahl der Abschlüsse untergegangen ist.

Damit ist nun auch die Frage ins Bewusstsein gerückt: Warum tun sich Jungen in der Schule schwer? Einiges scheint auf biologische Ursachen hinzudeuten. So kommen zum Beispiel mehr Jungen als Mädchen mit einer – mehr oder weniger starken – geistigen Behinderung zur Welt und scheitern daher auch häufiger in der Schule. Forscher machen dafür Defekte auf dem X-Chromosom verantwortlich. Frauen haben zwei dieser Chromosomen und können solche Defekte deshalb eher kompensieren.

Mädchen sind in ihrer Entwicklung außerdem schneller als Jungen, lernen oft früher das Lesen und kommen früher in die Pubertät. Es gibt aber auch Untersuchungen, die Entwicklungsvorteile zugunsten der Jungen ausmachen, etwa beim mathematischen Denken. (Einen kurzen Abriss dazu finden Sie hier in einem Aufsatz der Bildungsforscherin Margrit Stamm.)

In der Tat sollte man sich davor hüten hier das Äquivalent zum Gender Pay Gap im Maskulismus aufzubauen: Ein schlechtere Note muss noch nicht eine Diskriminierung belegen-

Es mag also durchaus Unterschiede geben, die angeboren sind. Wer aber alles auf die Biologie schieben will, macht es sich zu einfach. Internationale Vergleichsstudien zeigen, dass die Geschlechtergefälle höchst verschieden ausfallen können – also Kultur, Erziehung und das Bildungssystem ebenfalls einen gewichtigen Einfluss haben müssen. In Israel verfehlten im Pisa-Test zwölf Prozent mehr Jungen als Mädchen grundlegende Kompetenzniveaus. In Shanghai dagegen war der Geschlechterunterschied minimal. (Die Pisa-Auswertung zur Geschlechtergerechtigkeit finden Sie hier.)

Auch das könnte natürlich an biologischen Unterschieden liegen, aber auch an anderen Faktoren.

Auch Männer geben Jungen die schlechteren Zensuren

Manche sehen den Grund für den Nachteil der Jungen in einer „feminisierten Schule“. Auf den ersten Blick mag das einleuchten: Die Schule ist heute ein Frauenarbeitsplatz: Rund 71 Prozent der Lehrkräfte in Deutschland waren im Jahr 2013 weiblich, an den Grundschulen waren es sogar 90 Prozent.

Wären mehr männliche Lehrer also die Lösung? Wohl kaum, meint der Bildungsforscher Marcel Helbig, der verschiedene Studien zum Thema ausgewertet hat. Jungen haben demnach keine besseren Noten, nur weil sie von männlichen Lehrern unterrichtet werden – auch Männer geben Jungen die schlechteren Zensuren.

Woran liegt es dann? Die Haupterklärung seien Rollenbilder der Jungen und ihr Verhalten im Unterricht, schreibt Helbig. Ähnlich argumentieren auch die Pisa-Forscher in ihrer Studie und führen zum Beleg verschiedene Kennwerte an:

  • Mädchen strengen sich mehr an: In Deutschland verbringen 15-jährige Mädchen im Durchschnitt 5,5 Stunden pro Woche mit Hausaufgaben. Die Jungen investierten nach eigenen Angaben nur 3,8 Stunden.
  • Lesen bildet, aber Jungen meiden es: 72,5 Prozent der befragten Mädchen in Deutschland gaben an, dass sie zum Vergnügen lesen – aber nur 45,1 Prozent der Jungen.
  • Jungen schätzen den Wert der Schule geringer ein als Mädchen: 93,7 Prozent der Mädchen in Deutschland lehnen die Aussage ab, die Schule sei Zeitverschwendung. Unter den Jungen weisen nur 85 Prozent diesen Satz zurück.

Sich für die Schule anzustrengen, vermuten die Forscher, gilt in Jungen-Cliquen häufiger als uncool. Erfolg in der Schule hat man oder eben nicht – sich darum zu bemühen, passt offenbar nicht zum häufig vorherrschenden Männlichkeitsideal. Ein richtiger Junge soll Lehrer eher infrage stellen, statt ihren Anweisungen zu folgen. Unter Mädchen scheint die Vorstellung dagegen weitaus akzeptierter zu sein, dass gute Noten auch mit Mühe und Arbeit zu tun haben.

Das wären ja in der Tat auch deutliche Unterschiede.