Sprechverbote in der queeren Szene

Ein Text im Tagesspiegel hat für Diskussion gesorgt. Dabei geht es um „Sprechverbote in der queeren Szene“:

Ich habe durchaus Lust an der Auseinandersetzung. Kritik und Aufklärung sind für einen gesellschaftlichen Fortschritt notwendig. Es wird oft gesagt, man würde zu viel diskutieren und zu wenig Praxis machen. Man sollte aber nicht mit dem Denken aufhören. Wichtig ist aktuell, die Gleichzeitigkeit von relativer Liberalisierung und Feindseligkeit zu sehen. Inhaltlich müssen Debatten in eine Richtung weisen, deren Maßstab, ob etwas richtig oder falsch ist, die Freiheit aller meint.Allerdings läuft in der queeren Szene derzeit etwas falsch. Es gibt inzwischen eine Form von queerem Aktivismus, der das Diskutieren, das Auseinandersetzen abwehrt. Diese Form des Aktivismus hat sich zu einer Politik der Verbote und Bußen entwickelt – zu einer autoritären Variante von Queer.

Ich finde es immer etwas Schade, dass in den vielen Artikeln, die es schon zum Autoritären und Diktatorischen in der linken Szene gibt quasi nie der Anteil innerhalb der Theorien, die genau das begünstigen, diskutiert wird. Es kommt häufig so rüber als hätte sich da leider innerhalb einer Szene etwas schlechtes entwickelt, was aber mit der eigentlichen Szene gar nichts zu tun hat.

Das neue Feindbild sind die Homosexuellen

Eigentlich scheint in dem Begriff „Queer“ das utopische Glück auf, dass die sexuell Anderen ohne Angst verschieden sein können. Queer transportiert eine Geschichte emanzipatorischen Kämpfens, es ist ein reizvoller Begriff, der zum Hinterfragen der  heterosexuellen Normalität ebenso aufruft wie zur selbstbewussten Entgegnung der Perversen und Anderen.Doch in der Form von Aktivismus, die ich kritisiere, ist davon nicht viel übrig geblieben. Queer gilt hier als identitätskritischer Begriff. Das geht so weit, dass Menschen, die sich als Schwule und Lesben sehen, als reaktionär abgelehnt werden: Ihre Identitäten seien zu einengend, und sie seien zu etabliert, heißt es dann. Aus dieser Idee heraus wurden die queeren Begriffe „Homonormativität“ und „Homonationalismus“ geschaffen: Nicht mehr der heterosexuelle Wahnsinn wird  angegangen – das neue Feindbild sind die Homosexuellen.Der Kreuzberger CSD wetterte entsprechend gegen „schwule Manager“, die „von oben umarmt“ mit Staat und Großkonzernen kuscheln würden. Eine klassische Verschwörungstheorie – mit queerem Anstrich. Das Abendland wurde hier als „schwul-christlich“ bezeichnet, was schlicht zynisch ist.

Die linken Theorien stellen im wesentlichen darauf ab, dass derjenige, der die meisten Benachteiligungen aufzuweisen hat, dass Sagen hat. Und sie stellen darauf ab, dass man Punkte gewinnt, wenn man andere auf ihre Privilegien hinweist. Damit sind sie prädestiniert für ein „Race to the Bottom“, also ein sich gegenseitiges in den Abgrund ziehen, bei dem derjenige (vermeintlich gewinnt), der sich selbst als Opfer darstellt und den anderen als Privilegiert.
Weil es in einem solchen Rennen auch immer um Aufmerksamkeit und Virtue Signalling geht ist es sogar effektiver, einen aus der eigenen Gruppe anzugreifen, denn
  • man darf eh nicht mit den Schmuddelkindern spielen, also sich wirklich auf Diskussionen mit „Auswärtigen“ einlassen, weil das diesen nur Raum geben würde
  • bei den eigenen Leuten kann man die eigenen Regeln für sich nutzen, nach denen der Privilegierte nicht widersprechen darf, so dass gewinnen einfach ist: widerspricht er nicht, hat man zu recht auf seine Privilegien hingewiesen, widerspricht er doch erkennt er seine Privilegien nicht an ist er ein Verräter an den Gruppentheorien und der Verdienst, ihn entdeckt zu haben ist um so größer. Zudem erhöht die Nähe zueinander das Potential für Konflikt, so dass auch die Aufmerksamkeit größer ist als bei dem abstrakten Patriarchat.
Insofern ist es aus der Theorie heraus leicht verständlich, dass „die Revolution ihre Kinder frisst“ und man einen „Nicht gut genug Aktivismus“ etabliert.

 Über Dreadlocks streiten, aber den alltäglichen Rassismus übersehen

Auf der anderen Seite herrschen sehr feste Vorstellungen von Identität in diesem queerem Aktivismus vor: Etwa in der Kritik an Privilegien. Da wird so getan, als gebe es die Unterdrückten und die Unterdrücker, die als Personen ganz klar auszumachen seien. Das ist bequem, aber falsch. Und die Zuteilungen sind ziemlich abstrus: Im Mittelpunkt dieser als „Antirassismus“ ausgegebenen Anstrengungen stehen dann Weiße, die Dreadlocks tragen, was als rassistische Gewalt verstanden wird. Über die Diskriminierung am Arbeitsplatz, die deutsche Abschiebepolitik oder die alltägliche rassistische Gewalt spricht da kaum mehr jemand und sie wird mit so einem Ansatz unweigerlich relativiert.

Auch hier scheint mir das eigentliche Problem nicht angesprochen zu werden. Es wird nur als ein Fehler angesehen, dass man die kleineren Probleme statt der größeren Probleme angeht.

Im Titel eines von mir herausgegebenen Buches bezeichne ich das Phänomen als „Beißreflexe“. Eigentlich ist das verharmlosend, weil ja ein bewusstes politisches Programm dahinter steht und es sich nicht um schiere Reflexe handelt. Mit Beißreflexen, so die Kritik von mir und zahlreichen Autor_innen, wird auf bestimmte Inhalte reagiert. Etwa wenn eine Kritik am Islam sofort als Rassismus abgekanzelt wird. Damit räumt man das Feld für die Rechten und ihren wirklichen Rassismus. Ein weiteres Beispiel dafür sind die Reaktionen auf das Buch „Beißreflexe“ selbst. Der Titel sei zu spitz und nehme queeren Aktivismus nicht ernst. Das kommt aber von Leuten, die das Buch nicht gelesen haben, was für mich schon eine Voraussetzung dafür ist, sich zu einem Buch zu äußern.Auf Kritik an solchen Praktiken wird scharf reagiert. Ein ganz aktuelles Beispiel: Kürzlich wollte Till Amelung, der in „Beißreflexe“ über den queeren Gewaltbegriff schreibt, das Buch im InterTrans-Referat an der Universität Marburg vorstellen. Ein queerer Aktivist intervenierte mit der Begründung, Till, das Buch und das Referat seien verletzend. Da sollen ziemlich aggressive Mittel angewendet und emotionaler Druck ausgeübt worden sein. Das ist typisch für diese Form von queerem Aktivismus. Es ging darum, die ungewünschte Kritik zu verbannen. Wen das kein Sprechverbot sein soll, was dann?

Mit „Beißreflex“ scheint gemeint zu sein, dass man bei einem kleineren Vorfall sofort zubeißt und dabei das größere Bild nicht wahrnimmt. Man sollte eben nach diesem Bild nicht zu schnell im Innenverhältnis zubeißen, sondern sich quasi taktisch zurückhalten.

Harsche Sprachregulierungen und Kritik nach Innen

Um es klar zu sagen: Hier geht es nicht um Sprechverbote für Faschos.

Dass könnte eben das Problem sein: In einer radikalen Ideologie verliert man schnell das Maß. Wer Sprechverbote gegen den Gegner verhängt, der versteht nicht, warum er diese nicht auch gegen die eigene Seite verhängen darf, wenn diese nach seiner Ansicht schädliches sagt. Es ist einer der Gründe, warum allgemeine Meinungsfreiheit und Redefreiheit ein so hohes Gut sind: Fängt man einmal mit Verboten an ist eine Ausweitung nur schwer zu kontrollieren.

Sondern für engagierte Lesben und Schwule, anderen queeren Aktivist_innen. Mir geht es nicht darum, dass alle alles sagen sollen, wie man es nun häufig als panische Reaktion vor vermeintlich zu viel Political Correctness hört. Wenn die darin geforderte Meinungsfreiheit bedeutet, dass alle nacheinander irgendetwas sagen sollen und jede Meinung neutral neben die andere gestellt wird, ist am Ende nichts gesagt. Das Dumme und Hasserfüllte wird dann genauso behandelt, wie das Fortschrittliche und Reflektierte. Es verändert sich nichts.

Meinungsfreiheit bedeutet auch nicht, dass man jede Meinung neutral neben die andere stellt. Man darf sie natürlich werten und auch dagegen argumentieren oder sie sogar kommentarlos und aus dem Bauch heraus für falsch halten. Es geht darum, dass man aus dieser eigenen Bewertung nicht herleitet, dass der andere sie nicht mehr sagen darf und das auch falsche und sogar schädliche Meinungen von diesen Rechten profitieren müssen.

Mir geht es darum, dass die Sprechverbote im queeren Aktivismus das Denken und die Auseinandersetzung verhindern, auch bei Beiträgen, die diskutabel sind. Der queere Aktivismus, den ich kritisiere, wendet sich mit der Autorität vor allem nach innen: Etwa mit harschen Sprachregulierungen. Da wird nicht mehr nach Intention und Inhalt gefragt, sondern danach, ob etwas „problematisch“ sei. Der wichtigste Maßstab ist in diesen Fällen, ob etwas verletzend oder gar „triggernd“ sei – und schon ist die Welt eine hochgefährliche Angelegenheit, vor der man sich in Sicherheit bringen muss. Die Gefahr wird überwertig. Man macht sich handlungsunfähig und fordert nur noch, dass bestimmte Menschen oder Aussagen verbannt werden sollen, damit man bloß keine Irritation ertragen muss. Damit wird auch jedes neugierige Nachfragen, jedes Wundern über die Welt zur Gewalt stilisiert und verhindert.

„Diskutabel“ ist schon ein Begriff, bei dem kaum eine Einigung erzielt werden kann und der daher in diesem Zusammenhang wenig taugt. Gerade dann nicht, wenn die eigene Theorie davon geprägt ist, dass es nur eine Wahrheit gibt und das jedes Abweichen davon Unterdrückung und Benachteiligung ist.

Es wird nicht mehr differenziert

Um nochmal auf Rassismus-Vorwürfe gegen Weiße zurückzukommen.  Es ist haarsträubende, was da teilweise als Rassismuskritik ausgegeben wird. Wenn etwa jemandem Rassismus vorgeworfen wird, weil sie Tattoos hat, Dreadlocks trägt oder Sushi isst –dann ist das  überzogen. Genauso wie bei Verkleidungen. Da wird nicht mehr differenziert zwischen Blackfacing und einem Ölscheichkostüm – so als seien Ölscheiche eine diskriminierte Minderheit! Gewonnen wird so für niemanden etwas, und um Gesellschaftskritik handelt es sich bei dieser Hervorhebung von Privilegien auch nicht. Ich will nicht, dass sich ein Heteromann schlechter fühlt, weil er heterosexuell ist – sondern ich will, dass ich nicht schlechter behandelt werde, weil ich schwul bin.Handelt es sich bei dieser autoritären Form des queeren Aktivismus womöglich nur um einige wenige Radikale, die man vielleicht besser ignorieren sollte? Es stimmt, dass es nicht viele sind.  Jedoch zeigt das überraschend große Interesse an dem Buch, wie viele Leute schon recht heftige Erfahrungen mit dieser Form von queerem Aktivismus gemacht haben: Ausschlüsse, Auftrittsverbote bis hin dazu, dass man wegen Anfeindungen die Stadt verlässt.

Da hat sich anscheinend der Autor mit feministischer bzw. intersektionaler Theorie noch nicht beschäftigt. Denn in diesen sind Privilegien und Unterdrückung sowie Mikroaggressionen gerade die wesentlichen Punkte. Durch die Grundsätze, dass die Welt nur gerecht werden kann, wenn eine Gruppe keine Privilegien mehr hat und das Privilegien und Unterdrückung eben in den kleinsten Eigenschaften und Handlungen zeigen, muss der Vorschlag da doch einfach mal ein Auge zuzudrücken und einfach nur dazu zu sorgen, dass eben Schwule nicht schlechter behandelt werden, grotesk erscheinen. Denn der einzige Weg wie Schwule nicht schlechter behandelt werden können, ist ja die Auflösung der strukturellen Benachteiligungen und dazu muss man gegen jede Kleinigkeit vorgehen, bis die Struktur nachgibt.

 Wo ist der Erkenntnisgewinn, wenn nur Betroffene sprechen dürfen?

Hinzu kommt, dass der im queeren Aktivismus sehr beliebte Betroffenheitsansatz einen ziemlich großen Einfluss auf LGBT-Institutionen, Vereine und Schulaufklärungsprojekte hat. Das hört sich auch erst mal toll an: Jetzt sprechen die, die betroffen sind – und zwar nur die. Allerdings bringt das weder besonderen Erkenntnisgewinn noch ist das eine gute Politik.Um mich nicht falsch zu verstehen: Natürlich sollen sich Leute, die Feindseligkeit erfahren, dazu auch öffentlich Gehör verschaffen! Wenn man aber vom Inhalt des Gesagten absieht und nur noch darauf achtet, welche Hautfarbe oder sexuelle Orientierung die Sprecherin hat – dann ist man mit so einem Ansatz keinen Deut besser als die Rechten. Was ich als Schwuler zu Schwulenfeindlichkeit zu sagen habe, muss schließlich nicht zwingend richtiger sein als das, was ein Heterosexueller dazu zu sagen hat. Und ich bin froh um jeden Hetero, der sich gegen Schwulenfeindlichkeit einsetzt. Aktueller queerer Aktivismus legt sehr viel Wert auf Sensibilität und Verletzlichkeit. Eine Verletzung aber unvermittelt in eine Politik zu überführen, führt genau zu dieser falschen Form von Betroffenheitspolitik, die nicht mehr nach dem Inhalt fragt, sondern die Verletzung selbst fast schon adelt. Man sollte die Verletzungen und auch die Verrücktheiten ernst nehmen als das, was sie sind – und das heißt zugleich, dass man sie hinterfragen können muss.

Blasphemie! Ketzerei! In der radikalen Szene wurden spätestens hier die Federn herausgesucht und das Teer über das Feuer gehängt. Denn der Glaubenssatz, dass nur die Benachteiligten den Umfang der Privilegien erkennen können und die Benachteiligungen aufzeigen können ist ja ebenso elementar. Er dient in der Tat dazu ein Sprechverbot zu errichten, welches eben lange Zeit zur Immunisierung gegen Kritik genutzt wurde. Man konnte von oben herab verkünden und der andere musste es akzeptieren oder sah sich neuer Kritik ausgesetzt. Und man konnte Männern etc schlicht den Mund verbieten. Dieses Element befreit die Theorie von jedem Rechtfertigungszwang. Niemals werden sie dieses wunderbare Werkzeug aus der Hand geben.

Sind es wenige? ich würde sagen es sind die, die die Theorie ernst nehmen, die genau das vorgibt?

Die Community ist eine Fantasie

Eine ganz falsche Lesart meiner Texte ist aber, dass ich einfordern würde, man solle sich in die „queere Einheitsfront“ einreihen und zugunsten der Community keine Kritik äußern. Ich sage das Gegenteil: Die Community ist eine Fantasie. „Community“ würde einfordern, sich tatsächlich ein Stück weit gleich machen zu lassen. Gegen das Gleichmachen verwehre ich mich aber genauso, wie gegen einen autoritären queeren Aktivismus.Ein Weg, über Diskriminierung unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transleuten zu sprechen, ist, dass man sich selbst und das Gegenüber als Anderen akzeptieren lernt. Das heißt zugleich respektvolle Begegnung und kritische Reflexion. Man muss den Menschen zutrauen, dass sie aus ihrer grundlegenden Fähigkeit zur Empathie auch einen besseren Umgang miteinander hinbekommen könnten. Da helfen einem autoritär durchgesetzte Sprach-, Verhaltens- und Kleidungsgebote nicht weiter, sondern verhindern, dass sich Leute mit Offenheit, Spannung und Neugier begegnen.

„Kritische Reflexion“ in einer vollkommen ideologischen Szene, dessen Glaubensbekenntnis ist, dass jede kleinste Benachteiligung schädlich ist (wenn sie gegen eine als nichtprivilegiert anzusehende Gruppe erfolgt) und unbedingt angeprangert werden muss.
Das ist etwa so, wie bei einem Mitglied der spanischen Inquisition zu erwarten, es werde ein paar Sachen mit dem Ketzer ausdiskutieren und dabei seine Position auch kritisch reflektieren.

Es ist eine nette Idee, aber da derjenige selbst riskiert, auf der Streckbank oder dem Scheiterhaufen zu landen, wenn er „kritisch reflektiert“ ist es nicht sehr praktikabel.

Zu guter Letzt noch ein paar Tweet zu dem Thema: