Radikale Feministin: „Ich komme manchmal nicht oder nur schwer mit dem Backlash zurecht“

In einem Kurs, in dem es um Migration geht werden viele Texte gelesen. Am Ende soll eine Top 3 der besten Autoren zu dem Thema und aus diesen dann der beste Autor gewählt werden. Sehr zum Ärger der Missy-Magazin-Autorin wird zum interessantesten Autoren ein weißer Mann gewählt.

Ihr Reaktion:

Naturgemäß meldete ich mich: In einem Kurs, wo viel über Transkulturalität, Essenzialismus, postkoloniale Studien und dergleichen gesprochen wurde – also in einem durchaus informierten, sensibilisierten und auch akademischen Umfeld – könne die Ironie nicht entgehen, dass vor den vielen, vielen Frauen, die wir gelesen hatten, ausgerechnet der Mann „den Sieg“ davontrage? Sicherlich könnten wir uns in diesem Fall darauf einigen, zu einem gerechteren Ergebnis zu kommen?

Das finde ich ein gutes Beispiel dafür, wie dort gedacht wird: Die Auswahl muss ungerecht sein, weil ein Mensch aus einer bestimmten Gruppe den Sieg davon getragen hat. Wahrscheinlich hätte man nach ihrem Denken noch einen Malus mit Privilegienpunkten abrechnen müssen, damit die Bewertung besser wird.

Die anderen Kursteilnehmer finden das überraschenderweise nicht richtig:

Auf einen Schlag verwandelte sich der gesamte Raum – dreißig, vielleicht vierzig Leute – in alle feministischen Diskussionen und gesellschaftlichen Diskurse gleichzeitig. Da wurden Begriffe, Konzepte, Meinungen, aber auch Vorurteile und Anmaßungen durch die Luft geworfen, dass es nur so stürmte. Dies wäre alles nicht prinzipiell schlecht gewesen, wenn die Wortmeldungen nicht ausschließlich an mich – die feministische Spaßverderberin – gegangen wären. Plötzlich ergriffen auch die wenigen Männer im Raum, die sonst immer still gewesen waren, lautstark das Wort. Einer drohte, wegen meinen „diskriminierenden“ Kommentaren den Raum zu verlassen. Persönliche Angriffe gegen mich folgten; ich selbst schaffte es daraufhin nicht mehr, so sachlich, ruhig und verständnisvoll beziehungsweise verständlich zu argumentieren, wie ich es von mir erwartete.

Sie bekommt Kritik, dabei hat sie aus ihrer Meinung natürlich recht: Es kommt nicht auf die abstrakte Qualität des Textes an, sondern diese muss eben erst durch einen Filter neu bewertet werden. Ich kann mir vorstellen, wie sie darauf reagiert hat, dass Männer ihr da „Diskriminierung“ vorhalten (die ja gar nicht möglich ist gegen Männer) und es auch noch wagen ihr zu widersprechen (anscheinend zusammen mit einer Vielzahl von Frauen).

Ich versuchte mehrmals, mich aus dem immer gehässiger werdenden Tumult zurückzuziehen. Auch verspürte ich den fast unüberwindbaren Drang, den Raum einfach zu verlassen. Ich nahm mir während diesem analogen Shitstorm fäusteballend vor, erst zu Hause in Tränen auszubrechen.

Die Unfähigkeit im radikalen Feminismus Gegenmeinungen auszuhalten ist ja auch weithin bekannt. Sie sieht es nicht als Herausforderung, sondern als Zumutung, dass man ihr widerspricht.

Es ist ein Phänomen, das mir oft begegnet: Melde ich mich in Diskussionen mit einem feministischen Standpunkt, komme ich manchmal nicht oder nur schwer mit dem Backlash zurecht, der darauf folgt. Das ist kein Zufall: Im Patriarchat ist solch (Gruppen-)Redeverhalten ein Tool, Dissident*innen zum Schweigen zu bringen. (Damit im Kopf ist es natürlich noch schwieriger zu entscheiden, ob eins die unangenehme Situation verlässt oder nicht.)

Und auch hier ist die Denkweise ganz klassisch: Es kommt gar nicht mehr auf die Inhalte an, sie weiß ja, dass sie recht hat und aus ihrer Sicht wissen es wohl auch die anderen. Denen geht es aber um Machterhalt. Schade, dass sie da nichts zu den Frauen sagt, die sich ja anscheinend auch daran beteiligen. Vermutlich internalisierte Misyognie.

Ich bin durchaus der Meinung, dass Ungerechtigkeiten in jedem Fall, egal wie schwer oder leicht, angesprochen werden müssen und dass Dialog wichtig ist für feministische Bildung und Kampf. Doch dieser Fall von neulich hat mir vor Augen geführt, dass es manchmal einfach nicht „safe“ ist, sich zu äußern, und dass es manchmal dazu führt, dass die eigenen Nerven überstrapaziert und Energiereserven geleert werden.

Auch hier: Die typische Ansicht, dass derjenige, der Ungerechtigkeiten nicht anspricht, diesen eben Raum gibt und das man eben mit heiliger Empörung seine Meinung sagen muss. „Dialog“ ist dabei relativ. Tatsächlich sehen sich SJW wohl eher im Kampf gegen das Böse, den Drachen in seine Höhle zurückdrängend. Aber leider ist eben so ein Kampf nicht „Safe“, weil es leider immer noch Leute gibt, die nicht verstehen, dass die SJWs ihnen erklären, was sie falsch gemacht haben, und für sie dann in dem Dialog nur noch die Option besteht, zu gestehen und Buße zu tun. Und das sie das nicht machen ist eben unfair.

Ich werde mir nun jedenfalls Sätze und Strategien dafür zurechtlegen, wenn ich überfordert bin. Ich werde mich stärker nach Allies umsehen. Ich werde manchmal nichtssagend die Augen verdrehen, um dann in anderen Momenten die Kraft zu haben, umso demonstrativer zu slayen.

„Nichtssagend die Augen verdrehen“ dürfte die häufigste Reaktion sein, gefolgt in den passenden Medien vom blocken oder anderweitig aus der Diskussion ausschließen.

Es gilt neben der Hingabe für die politischen Ziele schließlich auch, auf sich selbst aufzupassen. Vielleicht ist doch nicht jeder Twitter-Fight und jeder Familienstreit ein sinnvoller Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt? Ein sehr kluger Genosse sagte einmal zu mir: „Nobody should die in just any random struggle. The point of life is that you pick the struggle the best you can.“

Und da stellt sie auch schön den erlösenden Ausweg dar aus einem Dilemma:

Die Aufgabe jedes SJWs ist sich über jede Ungerechtigkeit aufzuregen, weil er ihr sonst Raum gibt.

Die einzig zulässige Ausnahme ist, dass er anführen kann, dass die Ungerechtigkeiten so grauenhaft und sein Kampf dagegen schon so hart war, dass es nicht mehr zu ertragen ist.

Der „Self Care“-Gedanke erlaubt den Kampf nicht zu führen (bis man ausgeruht ist). Und deswegen ist es vielleicht auch wichtiger, dass Safe Spaces bestehen, dass es „Krankenlager“ gibt, in die man sich zurückziehen kann und in denen Videos von süßen Hundewelpen gezeigt werden. Safe Spaces sind die Plätze, in denen man sein anstrengendes Virtue Signalling sein lassen kann und in denen man nicht demonstrieren muss, wie hart man für die Sache kämpft. Schutzräume mit besonderen Maßnahmen zeigen, dass man zu verletzt ist, um zu kämpfen und stellen auch Virtue Signalling da. Self Care nötig zu haben zeigt wie ungerecht die Welt ist und signalisiert, dass man sich sorgt und auf solche Probleme achtet. Was es ideal macht in einer Welt, in der man nicht mehr dauernd kämpfen will, aber beständig Signalisieren muss.