Leitgedanken des „Feministischen Netzwerkes“

Gerade wurde mit den üblichen vielen Beteiligten ein „feministisches Netzwerk“ gegründet, welches zum einen wohl einfach der Vernetzung dienen soll, zum anderen aber wohl für die Organisation von Aktionen zum „Frauenstreik“ am 8.März 2017 genutzt werden soll.

femnetz

Femnetz

Auf der Seite wurden auch „Leitgedanken“ veröffentlicht, die in dem feministischen Netzwerk gelten sollen:

Leitgedanken
Wir sind überzeugt: Frauenrechte sind Menschenrechte und Menschenrechte sind Frauenrechte. Wir kämpfen also für eine Gesellschaft, in der alle Menschen – egal, welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welcher Beruf, welches Einkommen, welche Herkunft, welche Religion, welche Fähigkeiten oder sexuelle Orientierung sie haben – ohne strukturelle Hindernisse frei, sicher und selbstbestimmt leben und für ihre (Wahl-)Familien sorgen können.

Klingt ja wunderbar. Aber mit dem Hinweis auf „strukturelle Hindernisse“ sind aus deren Sicht natürlich Probleme von Männern aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen, denn struktruelle Hindernisse können nur die haben, die keine Macht haben, in der Kategorie Geschlecht also die Frauen. Allenfalls können eben schwarze Männer als Schwarze oder schwule Männer als Homosexuelle betroffen sein.

GEWALT BEENDEN

Alle Menschen haben ein Recht auf ein erfülltes und unversehrtes Leben. Wir setzen uns gegen jegliche Form von Gewalt gegen uns und unsere Körper ein. Es ist die Verantwortung der gesamten Gesellschaft, Frauen* und alle Menschen zu schützen, die besonders von Gewalt betroffen sind. Wir stellen uns gegen Polizeigewalt und Racial Profiling. Wir alle sind verpflichtet, gegen sexistisches, rassistisches, antisemitisches, antiromaistisches, behindertenfeindliches, antimuslimisches, klassistisches, bi-, trans-, inter- und homofeindliches Denken und Handeln in familiären und privaten Beziehungen, in der Gesellschaft und im Justizsystem vorzugehen. Die daraus resultierende Gewalt nehmen wir nicht hin.

Auch hier wird wohl nach deren Vorstellung häusliche Gewalt von Frauen eher kein Thema sein.

REPRODUKTIVE RECHTE
Wir kämpfen für sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung. Wir akzeptieren keine Rückschritte oder Einschränkungen bei qualitativer hochwertiger reproduktiver Gesundheitsversorgung, beim Zugang zu Verhütungsmitteln, bei HIV/AIDS-Prävention und -Versorgung oder bei medizinisch korrekter Sexualerziehung. Das bedeutet den Zugang zu legalen, stigmatisierungsfreien und vor allem sicheren Schwangerschaftsabbrüchen, die rezeptfreie Pille danach und die Bereitstellung von Verhütungsmitteln für alle Menschen, unabhängig von der Größe ihres Geldbeutels, egal wo sie wohnen, herkommen oder welchen Bildungsstand sie haben.

„Bereitstellung von Verhüttungsmitteln für alle Menschen unabhängig von der Größe ihres Geldbeutels“ heißt Pille auf Rezept und freie Kondome für alle? Oder was ist damit gemeint?

CAREARBEIT
Alle Menschen müssen genügend Zeit, Freiräume und finanzielle Möglichkeiten haben, um im Bedarfsfall für Kinder, Angehörige oder Freund*innen zu sorgen. Gleichzeitig darf niemand aufgrund von familiären, geschlechtsbezogenen oder sozialen Zuschreibungen genötigt werden, Care-Arbeit für andere zu übernehmen. Care-Arbeit so zu organisieren, dass die Freiheit, Selbstbestimmung und Würde aller Beteiligten jederzeit gewahrt bleibt, ist unsere gemeinsame Verantwortung. Care-Berufe leisten verantwortungsvolle Arbeit und dürfen weder prekär noch schlecht bezahlt sein.

Auch ein sehr interessanter, aber vollkommen unbestimmter Absatz. Alle sollen die finanziellen Möglichkeiten haben für ihre Kinder, Angehörige und Freunde zu sorgen? Wie soll so etwas laufen? Allenfalls wäre das ja bei dem bedingungslosen Grundeinkommen umsetzbar.

Interessant ist, dass niemand gezwungen werden darf, Care Arbeit zu übernehmen. Ich vermute mal Unterhaltszwang wäre aber durchaus nach wie vor okay. Was sie damit konkret sagen wollen ist mir auch schleierhaft: Es gibt nirgendwo einen „Zwang zur Carearbeit“

RECHTE VON LSBTQIA
Die Rechte von LSBTQIA (Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen, Queers, Inter- und Asexuellen) sind unumstößliche Menschenrechte. Es ist unsere Aufgabe, diese Rechte und die damit verbundenen Gesetze sowie die tatsächliche gesellschaftliche Akzeptanz sexueller Vielfalt weiter zu stärken, auszubauen und zu verteidigen. Die Einzigen, die Macht über unsere Körper haben sollten, sind wir selbst. Wir wollen selbst entscheiden, wer wir sind, frei von Geschlechternormen, gesellschaftlichen Zwängen, Erwartungen und Stereotypen.

„Frei sein von Geschlechternormen, gesellschaftlichen Zwängen, Erwartungen und Stereotypen“ ist ein schöner Ansatz, aber im Kontakt mit anderen Leuten wird man immer andere Meinungen aushalten müssen. Auch hier wird nicht gesagt, was eigentlich die konkrete Umsetzung sein soll und wann sie das als erfüllt ansehen.

ARBEITNEHMER*INNENRECHTE
Wir wollen ein Wirtschaftssystem, das durch Transparenz, Verbindlichkeit, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit getragen wird. Für gleichwertige Arbeit muss gleicher Lohn bezahlt werden. Wir setzen uns ein für eine flächendeckende, qualitativ hochwertige und bezahlbare Kinderbetreuung, Krankenversicherungen für alle Menschen und ein gesundes Arbeitsumfeld. Um für angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen kämpfen zu können, brauchen alle Arbeitnehmer*innen das Recht auf Selbstorganisation. Niemand darf wegen des ausgeübten Berufs stigmatisiert werden. Die soziale Absicherung von Menschen darf nicht allein von Erwerbsarbeit abhängen. Alle Menschen, auch die ohne Erwerbsarbeitsplatz, haben ein Recht auf materielles Auskommen in Würde und auf gesellschaftliche Teilhabe.

Auch vollkommen unbestimmt. Klar, der Gender Pay Gap muss auch drin sein, sonst wäre es ja kein Feminismus. Ich wüsste aber auch nicht, welche Arbeitnehmerinnen kein Recht auf Selbstorganisation hätten? Und was wäre ein „Materielles Auskommen in Würde ohne Erwerbsarbeitsplatz“? Auch wieder das Grundeinkommen oder höhere Sozialhilfe?

BÜRGER*INNENRECHTE
Wir wollen, dass alle Menschen, die hier leben und geboren sind, Bürger*innenrechte innehaben, einschließlich des Rechts zu wählen. Alle Menschen sollen ohne Angst vor Diskriminierung und Verfolgung leben, das Recht auf Meinungsfreiheit haben und auf den Schutz des Staates vertrauen können. Sie sollen das Recht haben, einen Glauben auszuüben oder nicht. Das alles unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter, wen man liebt, ob mit oder ohne Behinderung. Es ist an der Zeit, vollständige Gleichstellung in Deutschland zu verwirklichen sowie Antidiskriminierung und Gendermainstreaming überall gesetzlich zu verankern und umzusetzen.

Alle, die hier leben sollen alle Bürgerrechte haben? Also sobald einer hier herzieht soll er voll wählen können, auch ohne Staatbürgerschaft?

Ein Staat in denen radikale Feministinnen „Antidiskriminierung und Gendermainstreaming“ überall umsetzen wäre interessant, es würde sich wahrscheinlich auch eher mit Meinungsfreiheit und Glaubensfreiheit beißen. Der Feminismus und die „Vollständige Gleichstellung“. Aber diskriminerungsfrei. Ich vermute sie sind unfähig den Widerspruch zu verstehen.

RECHTE VON MENSCHEN MIT BEHINDERUNG
Wir streiten dafür, dass wir unsere Gesellschaft gemeinsam und inklusiv voranbringen. Wir kämpfen für gesellschaftliche Teilhabe für alle, für Gleichberechtigung, Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung, Barrierefreiheit und selbstverständliche Inklusion im Alltag und in politischen Entscheidungen. Wir stehen für eine Gesellschaft ein, in der menschliche Vielfalt als Stärke verstanden wird.

RECHTE VON EINWANDER*INNEN
Das Ein- und Auswandern von Menschen gehört zu Deutschland und hat uns geprägt und vorangebracht. In einem Europa der offenen Grenzen und einer globalisierten Welt, wo verschiedene Krisen, Umweltzerstörung und Kriege Menschen zur Flucht zwingen, gehören freiwillige Migration und erzwungene Flucht zu unserer Lebensrealität. Wir glauben, dass das Recht auf Asyl unangefochten gelten muss, dass Migration eine Wahlentscheidung und keine Notwendigkeit sein sollte. Jeder Mensch soll willkommen sein, egal welcher Herkunft oder Religion. Kein Mensch ist illegal.

Was sie wohl unter einem „unangefochtenen Recht auf Asyl“ verstehen? Immerhin haben die wenigsten Flüchtlinge ja tatsächlich einen Asylgrund im Sinne der heutigen Regelungen

UMWELTSCHUTZ
Jeder Mensch hat das Recht auf sauberes (Trink-)Wasser und saubere Luft. Wir müssen unsere Umwelt und unser Klima schützen und dafür sorgen, dass unsere natürlichen Ressourcen nicht für ökonomische Profitmaximierung ausgebeutet werden. Sie müssen geschützt werden, insbesondere in Hinblick auf knappe Ressourcen, gerechte Verteilung, öffentliche Sicherheit und unsere Gesundheit. Diese Welt ist für uns alle da, wir müssen sorgsam mit ihr umgehen.

Okay, da haben anscheinend die Grünen noch mal was dazu beigetragen

Ich finde es alles sehr unverbindlich und nichtssagend.

108 Gedanken zu “Leitgedanken des „Feministischen Netzwerkes“

  1. Es ist die Verantwortung der gesamten Gesellschaft, Frauen* und alle Menschen zu schützen, die besonders von Gewalt betroffen sind.

    Also alle Menschen die besonders von Gewalt betroffen sind schützen … und Frauen?

    Gewalt von Männern richtet sich meistens gegen Männer.
    Gewalt von Frauen richtet sich meistens gegen Männer.

    Irgendwie habe ich aber den Verdeacht das durch dieses „besonders“ Männer nicht mit gemeint sind.

    Der Humanist würde wohl sagen:

    Es ist die Verantwortung der gesamten Gesellschaft, alle Menschen zu schützen, die von Gewalt betroffen sind.

    Aber das sind ja keine Humanisten. Es sind Feministinnen für gilt:

    Frauenrechte sind Menschenrechte und Menschenrechte sind Frauenrechte.

    und Männerrechte sind

  2. Wer sind denn die Beteiligten? Die schnelle Googlerecherche ergab nur Antje Schrupp. Vermutlich sind die „Netzfeministinnen“ dabei, die von Welle 3, also A. Schwarzer nicht?

    • Julia Schramm, Jasna Strick, Anne Wizorek, und Anke Domscheit-Berg sind dabei, also alle, die sich eine gewisse Bekanntheit erworben haben. Aber auch die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl. Also ist das so etwas wie die offizielle Position der Grünen, oder jedenfalls unterstützungsfähig. Sehr gruselig.

      • Ein Grund mehr, diese Partei nicht zu wählen. Von der Linken sind nur wenige dabei und keine Spitzenpolitiker. Meine BT-Wahlentscheidung bleibt also offen 😊

    • Und Unterzeichnerin Tina Groll hat nicht mit „Zeit-Mitarbeiterin“ unterschrieben, wird aber doch vermutlich dafür sorgen, dass die ZEIT über das Netzwerk berichten wird.

    • Ich finde so ein Bündnis gar nicht schlecht. So sieht man auf einen Blick die feministischen Strukturen und kann geäußerte Positionen einzelner Feministinnen besser einordnen.

  3. Eine Gesellschaft nach diesen Leitbildern wäre selbst Stalin zu repressiv. Das ist nicht mehr komisch sondern nur noch angsteinflößend.

  4. Ich muss immer wieder über diese Streikidee schmunzeln.

    Die Idee wenn Feministinnen die Arbeit niederlegen und den Geschlechtsverkehr verweigern, Männer erkennen würden wie sinnvoll feministische Forderungen seien, ist so ballaballa, das man sich fragt für wie doof die eigentlich Männer halten….

  5. Selten so eine dumpfbackige Propaganda gelesen. Da kann selbst die AFD noch von lernen.

    „Frauenrechte sind Menschenrechte …“

    Keineswegs. Frauenrechte an Aufsichtsratsplätzen oder einigen 10.000 Arbeitsplätzen für „Gleichstellungs“beauftragte haben, gelten nicht als Menschenrechte und werden auch nicht in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erwähnt.

    Sie widersprechen ganz im Gegenteil unmittelbar Artikel 1 (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit):

    Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. …

    Daß die feministische Elite noch mehr Frauenrechte (im Sinne von Rechten, die nur Frauen haben) haben will, ist altbekannt und im Rahmen der Meinungsfreiheit ihr gutes Recht.
    Aber dann bitte nicht den eigenen Egozentrismus hinter angeblichen Menschenrechten verstecken.

    „Wir frei von … gesellschaftlichen Zwängen [sein]“

    Gute Idee. Ich würde genre frei von Gendersternen, Hakenkreuzen, Parteiabzeichen und anderem Psychoterror sein. Diese Text ist dermaßen vollgepfropft mit sprachlichen Gesinnungsterror, daß selbst Binnen -I be gone :: Add-ons für Firefox noch gefühlt ein Drittel übrig läßt.

    Aber man muß den Text ja nicht lesen. 😉

  6. Auch hier wird die Abtreibung thematisiert. Solche Artikel häufen sich den letzten zwei Monaten. Vielleicht meinen die Betreiber, auf diese Weise, die letzten, noch schlafenden Unterstützer mobilisieren zu können. Vielleicht aber bereiten sie sich auch vor, weil sie merken, daß der Ruf nach den reproduktiven Rechten der Männer immer lauter und genauso schwer abzuwenden sein wird, die der Ruf der Väter nach ihren Rechten.

    • Ich finde die Abtreibungsdiskussion immer sehr makaber. Abtreibung wird als Gut voraussgesetzt und mir konnte bisher keiner erklären warum. Abtreibung bleibt für mich Mord.

  7. Last not least wiederholt sich, was in einer Diskussion zwischen MITM und Mark E. Smith

    https://man-tau.com/2017/02/24/warum-gleichstellung-kein-auftrag-des-grundgesetzes-ist/#comment-9317

    bereits nicht geklärt wurde:

    „ohne strukturelle Hindernisse frei, sicher und selbstbestimmt leben“

    Offenbar besteht die Vorstellung, daß angeblich existierende, strukturelle Hindernisse kausale Kräfte hätte, die man nicht einfach ignorieren und übergehen kann. Diese in meinen Augen absurde Vorstellung scheint unter Soziologen verbreitet zu sein. Das müßte man mal systematisch auseinandernehmen.

    Denn in Wahrheit ist der Zusammenhang umgekehrt: Wenn etwas in kausalen Relationen auftreten kann, dann existiert es. Und alle kausalen Relationen sind in der Natur vorkommende und von der Natur hervorgebrachte Relationen. Kausalität kann daher für Soziologen niemals ein Thema sein.

    • Ich halte das Gerede von strukturellem XY (Rassismus, Sexismus usw.) auch für bloße Mystifizierung, ähnlich wie das Gerede von „Machtverhältnissen“. Letzten Endes wird da immer nur die Existenz von Phänomenen behauptet, die sich nicht empirisch nachweisen lassen.

      • @El Mocho:

        »Letzten Endes wird da immer nur die Existenz von Phänomenen behauptet, die sich nicht empirisch nachweisen lassen.«

        Dass sich bestimmte Strukturen nicht empirisch nachweisen lassen, rechtfertigt aber nicht die Folgerung, dass das Konzept sozialer Strukturen unsinnig ist. Denn selbstverständlich gibt es »strukturellen Sexismus«: das ist derjenige, der von den Feministinnen selbst ausgeübt sind, weil sie sich entgegen ihrer Selbstwahrnehmung in einer privilegierten Position der öffentlichen Diskursherrschaft befinden.

        • @El_Mocho:

          »Fragt sich nur, wie man die sinnvollen von den unsinnigen Strukturen unterscheidet.«

          Indem man sich die jeweilige Argumentation im Detail anschaut. Also im Prinzip nicht anders wie beim Zerpflücken des Gender-Pay-Gap-Mythos.

        • @Elmar:

          »Klär uns doch einfach mal bei „Geschlechterallerlei“ über dieses Konzept auf.«

          Für in Länge habe ich gerade zu wenig Zeit. In Kürze kann ich es auch hier sagen: »Struktur« im Sinne der Soziologie sind alle sozialen Phänomene, die sich als wiederkehrend bestimmen lassen. Wenn ich zu unterschiedlichen Zeiten eine Einkommensverteilung messe und Ähnlichkeiten feststelle, dann habe ich es mit einer Einkommensstruktur zu tun. Wenn ich (z.B. in den 1950er Jahren) feststelle, dass manche amerikanische Staaten rassendiskriminierende Gesetze haben und andere nicht, und wenn ich feststelle, dass diese Gesetze auch umgesetzt und ihre Einhaltung erzwungen werden, dann kann ich in den USA als Ganzen eine Struktur von Rassendiskriminierung identifizieren.

          Der Begriff ist in etwa gleichbedeutend mit »empirisch bestimmbare Ordnung von Merkmalsverteilungen«.

          Der Begriff wäre auch völlig unproblematisch, wenn er von den SJW-Ideologen nicht als Weasel-Wording missbraucht würde. Die reden nämlich von »Struktur«, wenn sie merken, dass sie eigentlich gar nicht präzise argumentieren können. Weil soziale Strukturen nicht tangibel sind, nennen sie es auch dann Struktur, wenn sie argumentativ ins Leere greifen.

        • @djad

          „Der Begriff ist in etwa gleichbedeutend mit »empirisch bestimmbare Ordnung von Merkmalsverteilungen«.“

          Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur – was hat das mit einer zeitlich angeordneten Wechselwirkung zu tun, dessen impact man in jedem Fall über sich ergehen lassen muß?

      • „Letzten Endes wird da immer nur die Existenz von Phänomenen behauptet, die sich nicht empirisch nachweisen lassen.“

        Zahlen lassen sich empirisch nicht nachweisen. Zahlen existieren demnach nicht und sind auch vollkommen überflüssig. Wer braucht die schon? 🙂

        • Zahlen sind logische Konstrukte – was auch kein Problem ist. Sie existieren nicht im selben Sinne wie bürgerliche Gegenstände z.B. Stühle oder Kaffetassen.

          Soziale Strukturen können auch existieren – als Postulate von Theorien. Man braucht diese Theorien nur anzugeben oder zu beschreiben.

        • „Zahlen sind logische Konstrukte – was auch kein Problem ist. Sie existieren nicht im selben Sinne wie bürgerliche Gegenstände z.B. Stühle oder Kaffetassen.“

          Genau. Sie existieren als Konstrukte, nicht als naturwissenschaftlich messbare Phänomene.

    • @Elmar:

      »Und alle kausalen Relationen sind in der Natur vorkommende und von der Natur hervorgebrachte Relationen. Kausalität kann daher für Soziologen niemals ein Thema sein.«

      Hier denkst Du meines Erachtens zu kurz:

      (1) Der Mensch ist Teil der Natur. Daher spricht nichts grundsätzlich dagegen, dass Relationen, an denen Menschen beteiligt sind, kausale Relationen sind.

      (2) Der Strukturrealismus, auf den Du hier mutmaßlich Bezug nimmst, grenzt keine Ebene der Wirklichkeit aus seinem Modell aus, daher sind a priori auch soziale Relationen (der Gegenstand der Soziologie) darin inbegriffen.

      (3) Soziologisch relevante Begriffe wie »Motivation«, »Entscheidung«, »Handlung«, »Macht«, »Herrschaft« und andere, die für die Modellierung sozialer Beziehungen eine Rolle spielen, fordern ein Konzept von Ursache und Wirkung – »keine Wirkung ohne Ursache« gilt selbstverständlich auch für die Soziologie.

      (4) Die Problematik eines soziologischen im Verhältnis zu einem naturwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff ist dem Problem der Verhältnisses von Gehirn und Geist analog. Dieselben Gründe, die gegen eine Reduktion von »Geist« auf »Gehirn« sprechen, sprechen auch gegen eine Reduktion sozialer Kausalität auf physikalische Kausalität.

      (5) Ein vollständiger Kausalitätsbegriff (also auch ein vollständiger Begriff kausaler Strukturen) darf die soziale Kausalität nicht ausschließen, sondern muss sie im Gegenteil einschließen. Denn:

      (6) Der Umstand, dass wir (aufgrund des ungeklärten Verhältnisses von neuronalen und mentalen Prozessen) soziale aus physikalischer Kausalität nicht befriedigend ableiten können, rechtfertigt nicht, den Kausalitätsbegriff a priori einzuschränken. Das wäre gleichbedeutend damit, sich den Annahmen des Reduktionismus zu unterwerfen, der alles für irreal erklärt, was er nicht erklären kann.

      • Ich finde, Norbert Elias hat die Unterschiede zwischen Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft in seinem Artikel „Wissenschaft oder Wissenschaften?
        Beitrag zu einer Diskussion mit wirklichkeitsblinden Philosophen_“ sehr gut auf den Punkt gebracht, wenn er schreibt:

        „Der springende Punkt ist, daß bei
        der Mehrzahl der physikalisch-chemischen Wissenschaften
        Methoden der Forschung erfolgreich sein
        können, die darauf ausgerichtet sind, die Eigenschaften
        zusammengesetzter Einheiten aus denen
        ihrer isoliert untersuchten Teileinheiten herzuleiten
        und zu erklären3. Sie können also, wie man
        sagt, rein analytisch Vorgehen. Je höher man auf
        der evolutionären Stufenleiter der Gegenstandsbereiche
        emporsteigt, um so weniger wird es möglich,
        das Funktionieren und Verhalten jeweils hö­
        her organisierter Einheiten zureichend aus den
        Eigenschaften ihrer isoliert untersuchten Teileinheiten
        zu erklären, um so mehr finden sich Wissenschaftler
        vor die Aufgabe gestellt, sie auch aus der
        Organisation der Teileinheiten zu erklären, also
        aus der Konfiguration, die diese miteinander bilden,
        aus der Art, wie sie funktionsteilig aufeinander
        abgestimmt und voneinander abhängig sind.
        Ich könnte hinzufügen: um so weniger wird es
        möglich, ihre Prozeßabläufe, ihre Strukturen und
        Funktionsweisen allein durch Messungen isolierter
        Teilaspekte zu bestimmen, um so mehr finden es
        Forscher nötig, sie darüber hinaus auch durch Synthesemodelle
        symbolisch zu repräsentieren, also
        etwa durch Prozeßmodelle, Modelle ihrer funktionsteiligen
        Struktur oder, im Falle der Menschen,
        auch durch Figurationsmodelle.
        Die Unzulänglichkeit der klassischen, ausschließ­
        lich auf die Entdeckung von Gesetzen abgestellten
        Physik hat sich nicht nur in anderen Wissenschaftsbereichen,
        sondern auch im Bereich der physikalischen
        Wissenschaften selbst nun schon seit langem
        gezeigt. Gewiß, im Bereich der Physik hat man es
        immer mit zusammengesetzten Einheiten sehr lokkerer
        Struktur zu tun, so daß fast überall die durch
        Messung bestimmten Gesetzmäßigkeiten von Teileinheiten
        zur Bestimmung des Verhaltens von zusammengesetzten
        Einheiten, die sie miteinander
        bilden, genügen. Aber es hat sich selbst im Rahmen
        der physikalischen Wissenschaften herausgestellt,
        daß die symbolische Darstellung von wiederkehrenden
        Zusammenhängen in der Form von
        zeit- und raumlosen Gesetzen als Zentralinstanz
        der Theoriebildung, als Instrument der symbolischen
        Synthese durchaus nicht in allen Zweigen
        der physikalischen Forschung genügt. Selbst in der
        Physik treten in einzelnen Zweigen, vor allem im
        Bereiche der physikalischen Kosmologie, neben
        die Gesetze auch drei- oder vierdimensionale Konfigurations-
        und Prozeßmodelle als zentrale Reprä­
        sentanten der theoretischen Synthese. Das anschaulichste
        Beispiel dafür sind Modelle des Universums,
        denen wissenschaftstheoretisch eine ganz
        besondere Bedeutung zukommt, weil zu ihrer
        Konstruktion und Überprüfung zwar ganz gewiß
        Messungen von Teilereignissen und theoretische
        Synthesen in der Form von Gesetzen, wie etwa die
        Hubble-Konstante, ganz unentbehrlich sind, während
        zugleich auch die Frage zur Diskussion steht,
        ob die Struktur des Universums nicht zu den Voraussetzungen für das gehört, was man gern als
        Geltung von allgemeinen Gesetzen bezeichnet.“

        Klicke, um auf zfsoz-1985-0403.pdf zuzugreifen

        • der physikalischen Wissenschaften herausgestellt,
          daß die symbolische Darstellung von wiederkehrenden
          Zusammenhängen in der Form von
          zeit- und raumlosen Gesetzen als Zentralinstanz
          der Theoriebildung

          Zeit- und raumlose Gesetze? Welche?

          Zeit und Raum bilden ein Kontinuum und keine einziges physikalisches Gesetz würde ohne sie irgend einen Sinn ergeben.

      • @EvoChris

        „dass Relationen, an denen Menschen beteiligt sind, kausale Relationen sind.“

        Diese Position war zu erwarten: Wer wie du der Meinung ist, daß sich evolutionäre Strategien bis in die Wünsche und Gedanken verlängern lassen, der muß hier wiedersprechen. Daher schlug ich ja vor, das mal zu untersuchen.

        „Soziologisch relevante Begriffe wie »Motivation«, »Entscheidung«, »Handlung«, »Macht«, »Herrschaft« und andere, die für die Modellierung sozialer Beziehungen eine Rolle spielen, fordern ein Konzept von Ursache und Wirkung“

        Das ist einfach nur eine Behauptung, die einen Determinismus voraussetzt. Aber es ist schön zu sehen, daß du deinem Reduktionismus, zu dem du dich ja inzwischen ausdrücklich bekannt hast, nun einen expliziten Determinismus hinzufügst – was auch konsisten ist.

        Uiii … „soziale Kausalität“ …. mystisch, dunkel, sexy, geheimnisvoll … klingt nach Dan Brown.

        „Der Umstand, dass wir soziale aus physikalischer Kausalität nicht befriedigend ableiten können, rechtfertigt nicht, den Kausalitätsbegriff a priori einzuschränken. “

        Wirklich? Dann leg doch einfach mal so eine Ableitung vor. Mal sehen, was dabei herauskommt.

        • „dass Relationen, an denen Menschen beteiligt sind, kausale Relationen sind.“

          Diese Position war zu erwarten: Wer wie du der Meinung ist, daß sich evolutionäre Strategien bis in die Wünsche und Gedanken verlängern lassen,

          Vom Prinzip ausgehend „Keine Aktion ohne Reaktion“ sind auch menschliche Reaktionen kausale Reaktionen. Aber nicht alle menschlichen Reaktionen können bis auf ihren Ursprung zurück verfolgt werden. Wahrscheinlich ist allein der Aufbau des Gehirns zu komplex um nur simple Aktion-Reaktion hinter unseren Aktionen zu vermuten.

          M.E. sind nur die durch „artificial intelligence“ und ihren Nachfiolgern gemachten Versuche dazu in der Lage komplexe Zusammenhänge nachzubilden. Unser Verständnis von einfachen Aktion-Reaktionsvorgängen ist dabei m.E. hilflos überfordert. Wir beobachten uns quasi selbst bei dem was wir tun und interpretieren irgendwelche simplen Aktion-Reaktionsmuster hinein, obschon die Hirnforschung uns sagt, dass wir keinesfalls immer verstehen wieso wir etwas tun oder nicht tun.

          Einserseits sind wir nicht viel komplexer als Affen, anderseits ist unser gesellschaftliches Geflecht so überaus chaotisch und unvorhersehbar, dass fast alle Zukunftsprognosen bisher daneben lagen. Auf der einen Seite der tumbe Homo Sapiens, auf der anderen Seite das unvorhersehbarste Phänomen dieser Erde.

      • Sorry djadmoros, ich hatte eine Reaktion von EvoChris erwartet. Der Teil mit dem Reduktionismus/Determinismus betrifft dich also gar nicht – mein Lesefehler.

        Der Rest ist natürlich korrekt.

        Verdammt, ich sollte nur eine Sache zur Zeit tun …. 😦

      • @djad

        „Daher spricht nichts grundsätzlich dagegen, dass Relationen, an denen Menschen beteiligt sind, kausale Relationen sind.“

        Als biochemische und physikalische Organismen sind sie natürlich Teil der kausalen Relationen. Ansonsten ist der Kausalbegriff aber philosophischen Ursprungs, mehrdeutig und konnte bisher nur in den Naturwissenschaften brauchbar spezifiziert werden:

        https://jungsundmaedchen.wordpress.com/2016/03/10/was-ist-wenn-prognosen-keine-erklarungen-sind/

        Ich hatte zwar bereits gezeigt, daß Antiindividualismus und die Annahme kausaler Wirksamkeit bei intentionalen Zuständen keinen Widerspruch bilden:

        https://jungsundmaedchen.wordpress.com/2016/05/15/kausalitat-und-typidentitat-intentionaler-zustande/

        aber die kausale Geschlossenheit der physikalischen Welt gilt eigentlich schon lange als akzeptierte Tatsache.

        Rückzugsgefechte gibt es in dieser Frage meines Wissen nach nur beim Problem der sog. agent causality. Aber das ist eine eigene Sorte der Kausalität, nicht diejenige Kausalität aus der Physik.

    • @ Elmar

      „Offenbar besteht die Vorstellung, daß angeblich existierende, strukturelle Hindernisse kausale Kräfte hätte, die man nicht einfach ignorieren und übergehen kann.“

      Mark und Djadmoros haben Recht mit der Betonung des dialektischen Verhältnisses von Handlung und Struktur.
      Wenn man diesen Aspekt nicht berücksichtigt, landet man in einem „Psychologismus“, der genauso einseitig ist, wie ein „Biologismus“ oder „Soziologismus“.

      „Diese in meinen Augen absurde Vorstellung scheint unter Soziologen verbreitet zu sein.“

      Die Erforschung des Verhältnisses von Handlung und Struktur ist sogar eines der zentralen soziologischen Themen überhaupt. An diesem Thema lässt sich übrigens auch gut erkennen, worin sich die Soziologie von der Psychologie unterscheidet.

      „Das müßte man mal systematisch auseinandernehmen.“

      Dann hier mal ein passendes Zitat zum Thema, dass die soziologische Perspektive in dieser Hinsicht vielleicht ein bißchen verständlicher macht:

      „… eine Grundeinsicht, derentwegen diese Wissenschaftsdisziplin (die Soziologie) sich historisch konstituieren konnte, kann man nur zulasten eines erheblichen Realitätsverlusts hinterschreiten; nämlich die Einsicht, dass die Assoziierung von Menschen neue Qualitäten von Wirklichkeit im Unterschied zur rein individual-menschlichen Wirklichkeit schafft. Worin nun diese „neuen Qualitäten“ bestehen, darüber gibt es auch in der Soziologie viele theoretische Positionen und Auseinandersetzungen.

      Es gibt auch hier Vertreter eines „methodischen Individualismus“ (…). Aber (…) sie (stellen) einen grundsätzlich postulierbaren Wirklichkeitsbereich nicht in Frage. Durch Assoziation, so argumentieren sie, entstehen gegenüber dem Individuum „externe Effekte“, etwa wenn viele Individuen ein wirtschaftliches Gut nachfragen, entsteht ein „Markt“, der für den Einzelnachfrager dann wiederum eine „objektive“, eine „soziale“ Gegebenheit darstellt.

      Weitergehend – weitergehend im Sinne einer nicht mehr „methodisch-individualistischen“ Position ist das Grundpostulat eines der „Väter“ der Soziologie, nämlich das von Emile Durkheim. Dieser geht davon aus, dass es „soziale Tatbestände“ gibt, die gegenüber den individuellen Tatbeständen eine „Qualität sui generis“ (Qualität eigener Art) darstellen. Für die Analyse solcher sozialer Tatbestände bedarf es einer eigenen Wissenschaft, eben der Soziologie.

      Es bedarf ihrer, weil sie anders als die Psychologie (die es eben nur mit Individuen zu tun hat), einen durch die eigene Art der sozialen Tatbestände, geschaffenen weiteren Tatbestand sichtbar macht, den des „sozialen Zwangs“. Die sozialen Tatbestände üben auf das Individuum einen sozialen Zwang aus, indem sie sich ihm gegenüber verhalten „comme de choses“, wie Dinge. (…)

      Der individuelle Selbstmord eines bestimmten Menschen hat psychische Ursachen, deren Aufklärung in den Bereich der Psychologie fällt.
      Die Selbstmordrate, also die Zahl der Suizide pro 100.000 Einwohner, bildet jedoch einen sozialen Tatbestand im Sinne der genannten „Qualität sui generis“. Das heißt: dieser Tatbestand kann nicht nur als Summe seiner Teile angesehen werden.

      Denn es gibt auffällige Regelmäßigkeiten, die besondere Erklärungsmodi erfordern. So ist die Selbstmordrate in großen Städten über Jahrhunderte und Jahrzehnte um ein Vielfaches höher als „auf dem Land“; weltweit bringen sich Männer doppelt so häufig um wie Frauen, gleichzeitig gibt es weltweit doppelt so viele Selbstmordversuche von Frauen im Vergleich zu Männern. (…)
      Es gibt eine große Zahl weiterer sozialer Tatbestände, die nach soziologischen und nicht allein individual-psychologischen Erklärungen verlangen.
      Wie ist es etwa zu erklären, dass in Deutschland allgemein jede dritte Ehe geschieden wird, in großen Städten aber jede zweite?
      Hier geht es offenbar nicht nur um Individualpsychen.“

      (aus: Friedhelm Nyssen, Peter Jüngst (Hrsg.) – Kritik der Psychohistorie, Psychosozial-Verlag, 2003, S. 16 f.)

      • @Leszek

        „Wenn man diesen Aspekt nicht berücksichtigt, landet man in einem „Psychologismus“, der genauso einseitig ist, wie ein „Biologismus“ oder „Soziologismus“. “

        Ich versteh das Prinzip, kann deinen Standpunkt aber nicht teilen: Denn die Wechselwirkung zwischen Struktur, i.e. einer Verteilung und der Handlung einer Person läuft nicht über kausale Wechselwirkung – die in physikalischer Vorstellung immer durch direkten Teilchenaustausch (Nahwirkungsprinzip) vermittelt wird – sondern darüber, daß die Menschen diese Struktur verstehen (oder mißverstehen) und daher Meinungen herangezogen werden, um als Gründe für freiwillige und daher nicht kausal herbeigeführte Handlungen in Erklärungen zu fungieren.

        SO wird ein Schuh daraus. Die Vorstellung einer „teilchenvermittelnten Nahwirkung“ von einer Verteilung auf eine Person ist obskur – es sei denn, es ist etwas ganz anderes gemeint.

        „Die Erforschung des Verhältnisses von Handlung und Struktur ist sogar eines der zentralen soziologischen Themen überhaupt.“

        Damit habe ich kein Problem, solange du mir nicht erklären willst, daß du die Struktur auf dem Labortisch in einen Zustand hineinpräprierst, von dem aus sie kontrolliert mit der Handlung einer Person kausal wechselwirkt. Denn das würde ein Physiker machen.

        „An diesem Thema lässt sich übrigens auch gut erkennen, worin sich die Soziologie von der Psychologie unterscheidet.“

        Psychologie ist eine Naturwissenschaft, Soziologie eine Gesellschaftswissenschaft.

        „nämlich die Einsicht, dass die Assoziierung von Menschen neue Qualitäten von Wirklichkeit im Unterschied zur rein individual-menschlichen Wirklichkeit schafft.“

        Daß wirklich ist, was kausal ist, ist eine alte metaphysische These von Aristoteles. Heute sehen wir das so, daß nicht alles, was wirklich ist, auch kausal sein muß und wir nennen das den wissenschaftlichen Realismus: Wirklich ist, von dem unsere besten Theorien postulieren müssen, daß es wirklich sei, um überhaupt etwas erklären zu müssen. Der Begriff der Kausalität kommt hier nicht vor.

        „geschaffenen weiteren Tatbestand sichtbar macht, den des „sozialen Zwangs“.“

        Du mußt doch selbst merken, daß da eine Metapher, die die eigentlich bestehende Sprachlosigkeit und Verständnislosigkeit verdecken soll. Man kann solche Metaphern verwenden, aber man darf sie nicht wörtlich nehmen. Im Gegenteil, sie sind Herausforderungen an Soziologien sie dadurch abzustreifen, daß sie bessere Theorien vorlegen, die solche epistemischen Metaphern überflüssig machen.

      • „Mark und Djadmoros haben Recht mit der Betonung des dialektischen Verhältnisses von Handlung und Struktur.“

        Ja. Die Summe der Handlungen konstituiert soziale Strukturen, und die Strukturen geben wiederum die Regeln für die individuellen Handlungen vor.

        „Wenn man diesen Aspekt nicht berücksichtigt, landet man in einem „Psychologismus“, der genauso einseitig ist, wie ein „Biologismus“ oder „Soziologismus“.“

        Korrekt. Aus dem gleichen Grund sollte man im Übrigen auch nicht nur einseitig Psychologie/Biologie/Soziologie-Bücher lesen.

        „Die Erforschung des Verhältnisses von Handlung und Struktur ist sogar eines der zentralen soziologischen Themen überhaupt.“

        Ich würde sogar behaupten: Das zentrale soziologische Thema.

        • @JCD

          „Die Summe der Handlungen konstituiert soziale Strukturen, und die Strukturen geben wiederum die Regeln für die individuellen Handlungen vor.“

          Und wo ist da die Kausalität? Soziale Regeln gehen deiner Aussage zufolge auf Verteilungen zurück. Damit sind sie entweder normativ oder epistemisch.

          Kausal ist da nix.

        • „Und wo ist da die Kausalität? Soziale Regeln gehen deiner Aussage zufolge auf Verteilungen zurück. Damit sind sie entweder normativ oder epistemisch. “

          Kausalität heißt hier: Ohne Struktur X hätte ich mich anders verhalten. Offensichtlich ist damit nicht Kausalität im physikalischen Sinne gemeint.

          „Mir ist immer noch nicht klar, wie „Strukturen“ (wo sind die? woraus bestehen sie? Wie wirken sie in der materiellen Realität?)
          sich auf das Handeln von Menschen auswirken sollen.“

          Menschen haben Erwartungen hinsichtlich des Handelns anderer und richten ihr eigenes Verhalten danach aus.

        • @JCD

          „Offensichtlich ist damit nicht Kausalität im physikalischen Sinne gemeint.“

          Ok, das geht und ist ein Fortschritt: soziale Kausalität ist ungleich physikalischer Kausalität

          Bleibt noch anzugeben, was wir unter soziale Kausalität verstehen wollen.

        • @JCD

          „Erwartungen verursachen Verhalten.“

          Es hilft uns nicht weiter, die soziale Kausalität durch den Begriff der Ursache zu erklären, denn das ist zirkulär.

          Außerdem: Man kann sich den Erwartungen anderer entziehen wie z.B. MGTOW. Die Erwartungen wirken nicht auf Personen, die einfach darauf scheissen. Soziale Ursachen haben daher kein kausales Potential – ganz offenbar.

        • „Außerdem: Man kann sich den Erwartungen anderer entziehen wie z.B. MGTOW. Die Erwartungen wirken nicht auf Personen, die einfach darauf scheissen. Soziale Ursachen haben daher kein kausales Potential – ganz offenbar.“

          Man kann auch auf´s Essen und Trinken verzichten. Sind deshalb Hunger und Durst nicht mehr kausal?

        • @JCD

          „Sind deshalb Hunger und Durst nicht mehr kausal?“

          Das Hungergefühl entsteht sicherlich als Folge einer Ursache. Aber für das Handeln ist das Hungergefühl nicht mehr kausal. Es ist lediglich eine Grund für eine Entscheidung, die man aber nicht treffen muß.

          Man könnte einwenden, daß der Zusammenhang zwischen einer Ursache und einer Wirkung nicht mehr deterministisch sein muß, sondern auch probabilistisch sein darf z.B. um Quantenphänomene mit zu erfassen. Doch dann hat man immer noch einen anderen Zusammenhang als z.B. zwischen dem Hungergefühl und der Handlung des Essen.

          Denn die Quantenphänomene gehören alle dem Bereich der Natur an, die Relation der physikalischen Verursachung überschreitet daher keine ontologischen Grenzen. Bei dem Hungergefühl und der Handlung ist das anders: Das Erlebnis des Hungergefühls hat keinen semantischen Inhalt, wir können es also reduktiv behandeln und auf zerebrale Strukturen zurückführen.

          Beachte, daß diese These nicht ausschließt, daß es eine Erkenntnis sein könnte, mit dem Hungergefühl bekannt zu sein, zu wissen, wie es ist, hungrig zu sein.

          Bei der Handlung ist das anders, sie gehört nicht dem Bereich der Natur an, sondern sie ist eine dreistellige, soziale Relation zwischen einer Person, die intentional auftritt, einer Gemeinschaft von Leuten, die dieser Person eine Sphäre der Verantwortung zuschreibt und gewissen Veränderungen, die nicht physikalisch sein müssen.

          Deine Kausalität zwischen dem Hungergefühl und der Handlung des Essens muß daher ontologische Grenzen überwinden. Das scheint mir unberwindlich zu sein.

        • @Elmar:

          »Deine Kausalität zwischen dem Hungergefühl und der Handlung des Essens muß daher ontologische Grenzen überwinden. Das scheint mir unberwindlich zu sein.«

          Das ist einerseits richtig, verortet aber die argumentative Bringschuld falsch. Das soziologische Problem besteht darin, tatsächliche Verhaltensweisen zu erklären. Wenn der Offizier auf dem Kasernenhof einen Befehl gibt und die Kompanie ihn ausführt, dann ist es aus soziologischer Sicht sinnlos, diesen Zusammenhang nicht als einen Kausalzusammenhang zu verstehen. Wenn ich als freiberuflicher Entwickler in einem Team arbeite und mein Teamleiter mir sagt, um welche Aufgabe ich mich als nächstes kümmern soll, dann werde ich dieser Aufforderung mit hinreichender Erwartbarkeit nachkommen, auch wenn ich mich im Prinzip weigern könnte – es wäre also ebenfalls sinnlos, die Aufforderung meines Teamleiters nicht als (mittelbaren) Kausalgrund meiner Handlung zu betrachten. Eine Hauptaufgabe der Soziologie ist es nun aber, diese hinreichende Erwartbarkeit bestimmter Handlungen durch die Zuordnung von Kausalursachen zu erklären, entsprechend der klassischen Definition von Weber: »Soziologie soll heißen eine Wissenschaft, welches soziales Handeln deutend verstehen und in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.«

          Nun lässt sich dieses soziologische Erklärungsproblem dem Geist/Gehirn-Problem ziemlich eng annähern: der methodologische Individualismus und Colemans Badewanne sagen zu Recht, dass ich die Entstehung und Reproduktion sozialer Strukturen nicht unabhängig von individuellem Handeln erklären kann, auch wenn sich nicht alle Handlungsfolgen auch Handlungsabsichten zuordnen lassen. Daraus folgt die Frage, wodurch individuelles Handeln bestimmt ist. Zum einen Teil durch Routinen, die »automatisch«, also ohne Hinzunahme von rationalen Kalkülen oder bewussten Wertorientierungen ablaufen, zum anderen Teil durch bewusste Entscheidungen aufgrund von ebensolchen Nutzenkalkülen und Wertorientierungen.

          Was nun setzt (a) eine Verhaltensroutine »in Bewegung«, was (b) eine bewusste entschiedene Handlung? Für (a) können tatsächlich biologische Dispositionen ursächlich sein (z.B. Fluchtreflexe), aber auch Sozialisation und bloße Gewohnheit. Ich kann es mir leicht machen und (a) biologischen Automatismen zuschreiben, aber damit verstricke ich mich bereits in einen cartesischen Leib-Seele-Dualismus, weil ich nur einen Teil des Menschen als Automaten modellieren kann und den anderen Teil dann als »res cogitans« modellieren muss. Dann bliebe mir auf der anderen Seite, für (b), nur noch eine Metaphysik der Dezision, die kausal unmotivierte Entscheidungen als Blitze aus dem leeren Himmel unterstellen muss. Denn auch wenn eine Entscheidung »anders« ausfallen kann: sobald sie getroffen wird, zieht sie Folgen nach sich – und wie erklären wir Folgen, wenn wir keine Kausalursachen zulassen wollen?

          Die philosophische Rede von Gründen statt Ursachen hilft hier nicht weiter, weil wir am Ende eine kausale Einwirkung von (menschlichen) Organismen auf eine reale soziale und physikalische Umgebung erklären müssen, wir uns also nicht sauber auf eine Seite der ontologischen Grenze beschränken können. Du ziehst Deine Einwände aus der analytischen Philosophie, deren Positionen in meinen Augen berechtigt sind. Sie sind aber trotzdem nicht geeignet, unser Problem zu lösen, denn es hilft nicht weiter, die sozialwissenschaftliche Ursachenzuschreibung als bloß »epistemisch« zu beschreiben, denn messbare Handlungsfolgen sind nicht nur epistemisch, und damit stehen wir wieder auf beiden Seiten der ontologischen Grenze.

          Mir ist klar, warum Dich vor einem Begriff der »sozialen Kausalität« gruselt, das erfolgt vom analytischen Standpunkt aus konsequent und mit guten Gründen. Es zeigt dennoch aber nicht die Ungültigkeit eines soziologischen Kausalitätsbegriffs an, sondern nur die Existenz einer vorerst unüberbrückbaren ontologischen Kluft, bei der es sich um dieselbe ontologische Kluft handelt wie in der geist/Gehirn-Debatte. Und in dieser Debatte ist es dieselbe analytische Perspektive, aufgrund derer Du Dich (wiederum zu Recht) weigerst, Geist auf Gehirn zu reduzieren. Ich weigere mich, einen sozialwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff auf einen naturwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff zu reduzieren – in derselben Weise, in der Du Dich weigerst, Mentales auf Biologisches zu reduzieren.

          Und die Analogie dazu, den sozialwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff für unzulässig zu erklären, besteht dementsprechend darin, den Begriff des Mentalen für unzulässig zu erklären. Du stehst das eine Mal auf dieser, das andere Mal auf jener Seite der ontologischen Grenze. Meiner Meinung nach ist Dein Standpunkt aus diesem Grund inkonsistent.

          • „Zum einen Teil durch Routinen, die »automatisch«, also ohne Hinzunahme von rationalen Kalkülen oder bewussten Wertorientierungen ablaufen, zum anderen Teil durch bewusste Entscheidungen aufgrund von ebensolchen Nutzenkalkülen und Wertorientierungen.“

            Was wäre denn, wenn die Nutzenkalkulationen und Wertorientierungen teilweise schlicht „biologisch manipuliert“ werden?
            Also zB evolutionär vorteilhafte Entscheidungen mit einem höheren Nutzen angesetzt werden und als wichtigere Werte erscheinen?

            Und wenn wir dann schwierigkeiten hätten uns entgegen der dann logisch erscheinenen Handlungen zu verhalten?

            Ein einfaches Beispiel wäre:

            Eine Süssigkeit zu essen kann logisch die falsche Entscheidung sein, weil es ein sehr kurzer genuss ist und dick macht. Aber unser Gehirn gewichtet es höher, ihm fallen diverse Gründe ein, warum wir es uns verdient haben, der Sirenengesang des Schokokeks erscheint weit aus stärker als er es verdient hätte und es ist auch nicht schlicht „hunger oder eine aus heutiger Sicht rationale Entscheidung.

        • Ließe sich diese soziale Kausalität nicht auch naturalistisch erklären? Die Befehle müssen gehört werden, um eine Handlung zu verursachen; es muss also sowohl auf Seiten des Befehlenden wie auf Seiten des Ausführenden die biologische Voraussetzung erfüllt werden. Außerdem muss Luft da sein, die den Schall transportiert, also auch physikalische Bedingungen müssen erfüllt sein.

          Ich denke so könnte man ohne die Annahme einer besonderen sozialen Kausalität auskommen.

        • @El Mocho:

          »Ließe sich diese soziale Kausalität nicht auch naturalistisch erklären?«

          Du benennst notwendige Bedingungen, fragst aber nicht nach hinreichenden Bedingungen. Befehle müssen nicht nur übertragen und gehört, sondern auch verstanden werden, und wenn wir nach den Bedingungen der Möglichkeit des Verstehens fragen, sind wir unsausweichlich wieder in der Geist/Gehirn-Debatte, weil es für »Verstehen« kein neurowissenschaftliches Modell gibt, wohl aber eine introspektiv zugängliche Intuition.

        • @ djadmoros

          „dass ich die Entstehung und Reproduktion sozialer Strukturen nicht unabhängig von individuellem Handeln erklären kann,“

          Die Entstehung eventuell nicht, aber die Reproduktion sicherlich. Wobei z.B. in einem Schwarm von Fischen es kaum dem einzelnen Fisch bewusst ist was er da macht, so wenig wie Menschen in Panik oder bei anderen inhumanen Tätigkeiten.

          Der Mensch besteht aus einer Vielzahl von Organismen und verschiedene Teilbereiche des „Geistes“ können durchaus unterschiedliche Signale aussenden. Wenn wir nicht einmal beim einzelnen Menschen die kausalen Zusammenhänge genau herausfinden können, wie könnten wir sie dann in Modelle einbinden? Verschiedene Teilbereiche der künstlichen Intelligenz können sehr wohl Verhaltensweisen von Gruppen nachbilden ohne die Kausalität des Individdums mit einzubeziehen. Gerade das macht das Ganze doch so spannend.

          Als wäre die Menschheit oder Teile davon übergeordnete Wesen die von einer für uns nicht erkennbaren Dynamik (Intelligenz, bzw. Dummheit) geleitet werden.

          • @yeph

            „Wenn wir nicht einmal beim einzelnen Menschen die kausalen Zusammenhänge genau herausfinden können, wie könnten wir sie dann in Modelle einbinden?“

            Letztendlich ist hier ein gängiges Verständnis von Kausalität einfach der Sache nicht dienlich, Es ist eben eine Disposition, keine Determiniertheit und keine Anweisung, sondern eine Entscheidung aus einer Gemengelage, deren einzelne Faktoren auch unter zuhilfenahme biologisch begründeter Denkvorgänge gewichtet werden.

        • @djad

          „dann ist es aus soziologischer Sicht sinnlos, diesen Zusammenhang nicht als einen Kausalzusammenhang zu verstehen. “

          Ganz im Gegenteil – es gibt überhaupt keinen Anlaß, von einer Handlungsursache zu reden, anstatt von einem Handlungsgrund. Der Befehl wirkte ebenso wenig kausal, wie Absicht des Offiziers, die Soldaten z.B. marschieren zu lassen allein schon ohne weiteres Zutun auf den Geist und die Intentionen der Soldaten wirken und sie sich bewegen lassen würde. Aber der Befehl ist ein guter Grund für den Soldaten sich zu sputen, denn die Norm hinter dem Befehl ist strikt und die Strafen sind empfindlich. Das macht den Befehl zu einem GUTEN Grund. Aber Ursachen sind weder gut noch schlecht, sie sind einfach nur da oder eben nicht.

          By the way: Der kausale Handlungsbegriff war in den 70igern und 80iger absolut Standard. Seid Ende der 90iger löst er sich in der Philosophie auf und wird dort heute nur noch vereinzelten Autoren vertreten, weil man gemerkt hat, daß das der falsche Deutungsrahmen ist – der übrigens auch vom Biologismus benutzt wird.

          Such mal nach Edmund Runggaldier und vor allem Ralf Stöcker, die hierzu sehr gründlich argumentiert haben. Leider ist auch diese Diskussion 20 Jahre alt, aber das scheint für die Rezeption anderer Wissenschaft der normale delay zu sein.

          Das alles habe ich selbst natürlich auch schon mal dargelegt und zwar hier:

          https://jungsundmaedchen.wordpress.com/2016/01/27/was-ist-analytischer-humanismus/

          „es wäre also ebenfalls sinnlos, die Aufforderung meines Teamleiters nicht als (mittelbaren) Kausalgrund meiner Handlung zu betrachten.“

          Ich kann die Sinnlosigkeit jeder Alternative gar nicht einsehen. Woher kommt die?

          „Eine Hauptaufgabe der Soziologie ist es nun aber, diese hinreichende Erwartbarkeit bestimmter Handlungen durch die Zuordnung von Kausalursachen zu erklären“

          Dann würde ich mich beeilen, über diese Hauptaufgabe noch mal gründlich nachzudenken. Ehrlich – ihr belastet die Soziologie nur unnötig, ihr könnt alles ohne den Kausalitätsbegriff haben.

          „der methodologische Individualismus und Colemans Badewanne sagen zu Recht, dass ich die Entstehung und Reproduktion sozialer Strukturen nicht unabhängig von individuellem Handeln erklären kann,“

          Ich würde das nicht methodologischen Individualismus nennen – aber … gut … ist nur ne Kleinigkeit.

          „auch wenn sich nicht alle Handlungsfolgen auch Handlungsabsichten zuordnen lassen.“

          Solange es unabsichtliches Handeln gibt, ist das trivial.

          „Daraus folgt die Frage, wodurch individuelles Handeln bestimmt ist. Zum einen Teil durch Routinen, die »automatisch«, also ohne Hinzunahme von rationalen Kalkülen oder bewussten Wertorientierungen ablaufen, zum anderen Teil durch bewusste Entscheidungen aufgrund von ebensolchen Nutzenkalkülen und Wertorientierungen.“

          ok … weiter ….

          „Dann bliebe mir auf der anderen Seite, für (b), nur noch eine Metaphysik der Dezision, die kausal unmotivierte Entscheidungen als Blitze aus dem leeren Himmel unterstellen muss.“

          Mir ist völlig rätselhaft, woher du diese Dichotomie nimmst. Warum ist nicht-reduktiver Physikalismus für dich keine Option?

          „und wie erklären wir Folgen, wenn wir keine Kausalursachen zulassen wollen?“

          Sehr einfach: Durch Normen und nicht-kausale Erklärungen. Ich gebe dir Beispiele:

          Den Befehl eines Offiziers gibt es nur aufgrund einer Menge von Normen.

          Das Gehenlassen eines Kuchenteiges durch Nichtstun des Bäckers gibt es nur aufgrund einer mentale Erklärung, die uns sagt, daß wir dem Bäcker die Absicht zuschreiben dürfen, den Teig gehen zu lassen.

          Die Einleitung der Wende eines Wüstenkrieges durch Vergiften eines bestimmten Brunnen gibt es nur aufgrund einer historischen Erklärung, welche die Meinungen der Generäle über die strategischen Folgen dieser Tatsache als Grund für ihr Handeln anführt – obwohl die mit dem vergifteten Wasser natürlich gar nicht in Berührung gekommen sind, so daß keine Kausalkette vorliegt.

          Die Straftat eines Elternteils, daß sich am Strand betrunken hat, so daß es nicht mitbekam, daß sein Kind ertrank gibt es nur, weil es ein Gesetz gibt, welches das festlegt und das ist sicher nicht die Quelle von Wirkungen.

          Noch mehr Beispiele?

          „weil wir am Ende eine kausale Einwirkung von (menschlichen) Organismen auf eine reale soziale und physikalische Umgebung erklären müssen, wir uns also nicht sauber auf eine Seite der ontologischen Grenze beschränken können.“

          Oh doch … das geht: Denn wir erklären die Handlung ja nicht z.B. in Termen von Muskelkontraktion und Beschleunigungen z.B. von Fingerkuppen, sondern wir erklären sie als Handlungsfolgen und damit im Paradigma der intentionalen Erklärung.

          „die sozialwissenschaftliche Ursachenzuschreibung als bloß »epistemisch« zu beschreiben, denn messbare Handlungsfolgen sind nicht nur epistemisch, und damit stehen wir wieder auf beiden Seiten der ontologischen Grenze.“

          Daß man eine Sache auf zwei Weisen beschreiben kann, so daß man sie in der einen messen und in der anderen erklären kann, ist in meinen Augen kein Problem. Mach mir mal am Beispiel klar, was ich übersehe.

          „sondern nur die Existenz einer vorerst unüberbrückbaren ontologischen Kluft“

          Wie gesagt: Ich halte „soziologische Kausalität“ nicht für einen Widerspruch in sich. Aber eine Theorie, die im Sinne des wissenschaftlichen Realismus glaubhaft macht, das es sowas gibt, sehe ich auch nicht.

          „bei der es sich um dieselbe ontologische Kluft handelt wie in der geist/Gehirn-Debatte.“

          Neee, das ist noch nicht raus, nicht so schnell.

          „Ich weigere mich, einen sozialwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff auf einen naturwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff zu reduzieren“

          Da bin ich mit dir einer Meinung siehe meine Diskussion mit JC Denton: „WENN es soziale Kausalität gibt, DANN ist sie keine physikalische.“ Mein Punkt ist: Du kannst vom begrifflichen Standpunkt „soziale Kausalität“ definieren – hast es aber nicht getan – und du kannst sagen, daß es es „soziale Kausalität“ gibt, wenn du eine unverzichtbare Theorie vorschlägst, deren Erklärungen auf das Existenzpostulat der sozialen Kausalität nicht verzichten können. Aber letzteres ist auch nicht geschehen.

          „in derselben Weise, in der Du Dich weigerst, Mentales auf Biologisches zu reduzieren.“

          Wirklich – das ist nicht dieselbe Weise.

          „Und die Analogie dazu, den sozialwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff für unzulässig zu erklären, besteht dementsprechend darin, den Begriff des Mentalen für unzulässig zu erklären.“

          Das sind wirklich zwei getrennte Probleme.

          „Meiner Meinung nach ist Dein Standpunkt aus diesem Grund inkonsistent.“

          Ich versteh das Argument, aber es ist meiner Ansicht nach falsch. Was wollen wir zuerst klären?

        • „Aber für das Handeln ist das Hungergefühl nicht mehr kausal. Es ist lediglich eine Grund für eine Entscheidung“

          „Grund für eine Entscheidung“ hört sich für mich nach Kausalität an. „Ich esse, weil ich Hunger habe“ ist hier lediglich die Kurzform von „Ich esse, weil ich mich entschieden habe zu essen, weil mein Hungergefühl mich zum Essen animiert“. Sollte ich aber trotz meines Hungergefühls auf´s Essen verzichten, dann nur auf Grund einer anderen Kausalbeziehung, die wiederum auch im sozialen Bereich liegen kann (z. B. Hungerstreik aus Protest). Es ist jedenfalls unsinnig, den Kausalitätsbegriff dermaßen auf strikt naturwissenschaftliche Zusammenhänge zu verengen, so dass er nicht mehr auf menschliches Handeln angewendet werden kann.

          „Was wäre denn, wenn die Nutzenkalkulationen und Wertorientierungen teilweise schlicht „biologisch manipuliert“ werden?
          Also zB evolutionär vorteilhafte Entscheidungen mit einem höheren Nutzen angesetzt werden und als wichtigere Werte erscheinen?“

          Was soll das denn ändern? Irgendeinen Grund für Entscheidungen gibt es immer, und dieser ist dann schon fast per Definition kausal. Man könnte vielleicht sogar von einer „Konkurrenz der Kausalitäten“ sprechen, die auf den Menschen und seinen Geist einwirken. Eine (oder eine Kombination) setzt sich schließlich evolutionär gegen die anderen durch.

          „Ich denke so könnte man ohne die Annahme einer besonderen sozialen Kausalität auskommen.“

          Wenn man bereit ist, menschliches Verhalten ausschließlich auf der physikalischen Ebene durch Schall, elektrische Impulse im Gehirn und dergleichen zu erklären, dann kann man auf soziale Kausalität verzichten.

          „Mein Punkt ist: Du kannst vom begrifflichen Standpunkt „soziale Kausalität“ definieren – hast es aber nicht getan – und du kannst sagen, daß es es „soziale Kausalität“ gibt, wenn du eine unverzichtbare Theorie vorschlägst, deren Erklärungen auf das Existenzpostulat der sozialen Kausalität nicht verzichten können. Aber letzteres ist auch nicht geschehen.“

          Also ich finde, deutlicher als djadmros kann man gar nicht erklären, was soziale Kausalität ist. Ich sehe hier eher die Weigerung, den Kausalitätsbegriff auf bestimmte Sachverhalte anzuwenden. Das muss den gemeinen Soziologen bei seiner Arbeit aber nicht stören.

        • @JCD

          „Das muss den gemeinen Soziologen bei seiner Arbeit aber nicht stören.“

          Na ja … wenn es für diesen Soziologen einen Unterschied macht, ob eine wirkspezifische Kausalrelation vorliegt, der man nicht ohne weiteres entrinnen kann, und die die Vorstellung von Zwangsläufigkeit und Alternativlosigkeit mitbringt, oder ob nur eine ihrerseits erklärungsbedürftige Korrelation zwischen zwei Merkmalen vorliegt, DANN sollte ihn das schon stören – und zwar gewaltig.

        • @ elmar

          Kausalität ist ein Konzept, um Korrelationen zu erklären, keine naturwissenschaftliche Tatsache. Man kann ihr nicht entrinnen, was aber nicht heißt, dass jede mögliche (soziale) Kausalbeziehung gleich Zwangsläufigkeit und Alternativlosigkeit hinsichtlich des menschlichen Handelns mit sich bringt. Wenn Physiker oder Philosophen das nicht akzeptieren, dann ist das deren Problem und nicht das der Soziologen.

        • @Elmar:

          Deine Argumentation läuft, wenn ich das richtig verstehe, auf eine konsequente Begriffshygiene hinaus. Wenn wir den Begriff der Kausalität außerhalb der Naturwissenschaften zurückweisen, folgt daraus, dass er dort, wo er bislang verwendet wird, konsequent in einer anderen Terminologie reformuliert werden muss, aber voraussichtlich auch kann. Das kann man wohl so machen. Ich würde allerdings die praktischen Auswirkungen dessen (für die Soziologie) nicht überschätzen. Ob ich in Bezug auf eine Befehls-Gehorsam-Beziehung von Gründen oder (Kausal-)Ursachen spreche, ändert nichts an der Relation zwischen Explanans und Explanandum. Insofern möchte ich (auch nach einem Blick in die Literatur: Esser, Opp, Coleman) meine These dahingehend abschwächen, dass der Begriff der »Erklärung« für die Soziologie wichtiger ist als der Begriff der »Kausalität«. Die Kausalbegrifflichkeit ist, wo sie verwendet wird, in eine Methodologie des Erklärens eingebunden, aber diese verträgt m. E. durchaus auch einen Begriffswechsel von Ursachen zu Gründen.

          Woraufhin ich mich jetzt frage, ob damit der Gegenstand unserer Kontroverse bereits entfallen ist. Der Verzicht auf den Kausalbegriff in diesem Sinne hat sicherlich den Vorteil, die Unterscheidung der ontologischen Ebenen nicht zu verwischen. Und es trifft auch zu, dass man einen messenden und einen beschreibenden Zugang zu einem Problembereich nebeneinanderstellen kann. Aber die Kluft dazwischen, die scharfe Trennung zwischen dem Raum der Gründe und dem Raum der Ursachen, bleibt natürlich ein intellektuelles Ärgernis.

          Diese Diskussion zur Soziologie hat bereits einen Präzedenzfall im Methodenstreit um die Psychoanalyse zwischen den Neurowissenschaftlern einerseits und den »Hermeneutikern« andererseits. Freud selbst hat seine Lehre ursprünglich mit naturwissenschaftlichem Anspruch entwickelt und hat nur aus pragmatischen Gründen davon Abstand genommen, weil die Gehirnforschung seiner Zeit nicht leistungsfähig genug war. Erst Eric Kandel hat dann wieder überzeugend für eine neurowissenschaftliche Rückbindung (nicht Reduktion) der Psychoanalyse plädiert. Auf der anderen Seite haben die »Hermeneutiker« (Ricœur, Habermas, Lorenzer) ebenfalls recht, insofern das Material der Psychoanalyse auch für deutbare Geschichten im Raum der Gründe gut ist.

          Die von der Psychoanalyse erschlossene Innenwelt des Menschen gehört offenbar sowohl dem Raum der Ursachen als auch dem Raum der Gründe an, beide sind ein Aspekt desselben menschlichen In-der-Welt-Seins (être au monde, Dasein). Und die dem Unbewussten angehörenden Kräfte drängen sich uns regelmäßig mit der wahrgenommenen Notwendigkeit einer strengen Kausalität auf, die Entscheidungsfreiheit ihnen gegenüber ist kontingent und oft nur auf dem (psycho-)analytischen Umweg zu gewinnen (Freud: »wo Es ist, soll Ich werden«). Das spricht dafür, dass es einen Ort gibt, an dem beide parallele Beschreibungen tatsächlich zusammenstoßen.

        • @djad

          „Deine Argumentation läuft, wenn ich das richtig verstehe, auf eine konsequente Begriffshygiene hinaus.“

          Richtig.

          „Wenn wir den Begriff der Kausalität außerhalb der Naturwissenschaften zurückweisen, folgt daraus, dass er dort, wo er bislang verwendet wird, konsequent in einer anderen Terminologie reformuliert werden muss, aber voraussichtlich auch kann.“

          Richtig. Für die den Physikern vertraute Kausalität gilt, daß es ein kausale Potential gibt, welche man auch zur Individuation von physikalischen Entitäten verwenden kann. Für die von dir „soziale Kausalität“ genannte Relation muß das aber nicht gelten. Also ist es besser, die ganze Sache anders zu nennen. Denn es werden ja auch andere Beweislasten damit verknüpft,

          „Ob ich in Bezug auf eine Befehls-Gehorsam-Beziehung von Gründen oder (Kausal-)Ursachen spreche, ändert nichts an der Relation zwischen Explanans und Explanandum.“

          Nehmen wir an, es wäre so. Warum bestehst du dann auch einer Homonymie?

          „Insofern möchte ich (auch nach einem Blick in die Literatur: Esser, Opp, Coleman) meine These dahingehend abschwächen, dass der Begriff der »Erklärung« für die Soziologie wichtiger ist als der Begriff der »Kausalität«.“

          Da bin ich durchaus dafür.

          „Die Kausalbegrifflichkeit ist, wo sie verwendet wird, in eine Methodologie des Erklärens eingebunden, aber diese verträgt m. E. durchaus auch einen Begriffswechsel von Ursachen zu Gründen.“

          Bissel schwammig … aber damit kann man leben.

          „Woraufhin ich mich jetzt frage, ob damit der Gegenstand unserer Kontroverse bereits entfallen ist.“

          Wenigstens hat er sich verschoben – und zwar hin zur spezischen Natur einer soziologischen Erklärung. Damit schließe ich nicht aus, daß Soziologen unter anderem historische oder psychologische Erklärungen verwenden, aber die move hängt nun von dem spezifisch Soziologischen einer Erklärung ab. Und hier hast du – soweit ich sehen kann – erst mal freie Bahn.

          „Der Verzicht auf den Kausalbegriff in diesem Sinne hat sicherlich den Vorteil, die Unterscheidung der ontologischen Ebenen nicht zu verwischen.“

          Genau.

          „Und es trifft auch zu, dass man einen messenden und einen beschreibenden Zugang zu einem Problembereich nebeneinanderstellen kann.“

          Richtig.

          „Aber die Kluft dazwischen, die scharfe Trennung zwischen dem Raum der Gründe und dem Raum der Ursachen, bleibt natürlich ein intellektuelles Ärgernis.“

          Du siehst hier nur die schlechten Nachtrichten. Die guten an dieser Sache bestehen darin, daß du ein adaptive Sprachspiele hast, die besonders leistungsfähig im Hinblick auf die Formulierung von Erkenntnissen sind: Lokale Adaptation bezahlt man immer mit den Verlust an Allgemeinheit. Andererseits können Soziologen ein gewissen Maß an Interdisziplinarität nicht vermeiden, was zur Folge hat (und jetzt kommt das Motiv meines Widerstandes zum Vorschein) daß jede zu allgemeine Soziologie immer schlechte Soziologie ist – unvermeidlich. Mathematiker haben es da oft – wenn auch nicht immer – einfacher.

          „Erst Eric Kandel hat dann wieder überzeugend für eine neurowissenschaftliche Rückbindung (nicht Reduktion) der Psychoanalyse plädiert.“

          Leider kenne ich diese Diskussion nicht. Aber es fällt mir schwer, zu entscheiden, wem ich tieferes Mißtrauen entgegenbringe: Den Psychoanalytikern oder den Hermeneutikern.

          „Die von der Psychoanalyse erschlossene Innenwelt des Menschen gehört offenbar sowohl dem Raum der Ursachen als auch dem Raum der Gründe an, beide sind ein Aspekt desselben menschlichen In-der-Welt-Seins (être au monde, Dasein).“

          Meine Vermutung ist eher, daß die Psychoanalyse mit epistemischen Metaphern aus der Geometrie, der Biologie und der Physiker überfrachtet ist und daher geradezu nach einer Modernisierung in schrillen Tönen schreit. Aber das ist natürlich eine völlig andere Diskussion.

          „Und die dem Unbewussten angehörenden Kräfte drängen sich uns regelmäßig mit der wahrgenommenen Notwendigkeit einer strengen Kausalität auf, die Entscheidungsfreiheit ihnen gegenüber ist kontingent und oft nur auf dem (psycho-)analytischen Umweg zu gewinnen.“

          Sorry, aber das halte nicht mehr für das Protokoll eigener Erfahrungen, sondern bereits für eine ideologische Verbrämung einer schlechten Theorie, die sich unentbehrlich machen möchte. Aber wie gesagt – OT.

        • @Elmar:

          »Nehmen wir an, es wäre so. Warum bestehst du dann auch einer Homonymie?«

          Homonymie von was und was? Ich umschreibe nochmal, was ich meine: eine Erklärung ist es, wenn ich aussage, dass beim Vorliegen der Menge der Bedingungen B={b1, b2, b3} die Menge der Effekte E={e1, e2, e3} regelmäßig erwartbar beobachtet werden kann. Damit unterstelle ich das Bestehen eines (in der Soziologie üblicherweise nichtdeterministischen) Gesetzes, das beide Mengen in eine Relation setzt, oder genauer: ich mache diese Unterstellung als Gesetzesaussage explizit.

          Ich kann den Zusammenhang als Graph veranschaulichen, in dem ich B und E als Knoten darstelle und zwischen beiden eine gerichtete Kante von B nach M eintrage. Diese Kante kann ich nun, wenn ich den Kausalitätsbegriff verwenden will, als »bewirkt« etikettieren oder aber, wenn ich das vermeiden will, als »erklärt«. Das erste Label gehört zu einer ontologischen, das zweite zu einer epistemischen Semantik.

          Das eigentliche Geschäft der Soziologie (zumindest einer seriösen Soziologie) besteht nun aber vor allem darin, die Qualität des behaupteten Zusammenhangs zu gewährleisten, also beispielsweise nicht zu behaupten, dass der Rückgang der Geburtenrate mit dem Rückgang der Population von Störchen zusammenhänge, oder dass Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern auf »Frauendiskriminierung« zurückzuführen seien, also erstens die korrelierten Merkmalsverteilungen sauber zu erheben (empirische Qualität) und zweitens auf eine adäquate theoretische Aussage zu beziehen, die sie verbindet (theoretische Qualität).

          Alltagsverstand und common sense würden (um hier auch JC Denton recht zu geben) eine solche theoretische Aussage als kausal adäquat auffassen (ontologische Semantik), aber es ist auch hinreichend, sie als explanatorisch adäquat aufzufassen (epistemische Semantik). Damit kann ich die ontologische Frage ausklammern oder in einen separaten Argumentationsgang auslagern. In der Softwaretechnik wäre das eine »lose Kopplung« (loose coupling), mittels derer ich die ontologische von der epistemischen Problematik abkopple und an eine separate Komponente delegiere.

          Wenn wir über Gegenstände wie den »Gender Pay Gap« diskutieren, steht allerdings nicht die Differenz zwischen ontologischer und epistemischer Semantik zur Debatte, sondern die explanatorische Qualität der unterschiedlichen behaupteten Zusammenhänge. Da sich der Gegenstandsbereich des »Einkommens« (mit Searle zu sprechen) vollständig im Raum der »institutionellen Tatsachen« befindet, können wir das GPG-Thema ontologisch auch vollständig im »Raum der Gründe« (anstatt im »Raum der Ursachen«) unterbringen, ohne dass die Debatte um die korrekte Erklärung darunter leiden müsste.

        • @djad

          „Homonymie von was und was?“

          Von Kausalität. Wie gesagt: Es ist ursprünglich ein philosophischer Begriff, den die Physiker für sich umgebaut haben. Das gibt uns heute eine Menge Vorteile. Aber das gibt ihnen nicht die Deutungshoheit über dieses Wort.

          „Ich umschreibe nochmal, was ich meine:“

          Ich hatte nicht den Eindruck, daß ich dich mißverstanden habe – aber …. hau rein! 😉

          „eine Erklärung ist es, wenn ich aussage, dass beim Vorliegen der Menge der Bedingungen B={b1, b2, b3} die Menge der Effekte E={e1, e2, e3} regelmäßig erwartbar beobachtet werden kann. Damit unterstelle ich das Bestehen eines (in der Soziologie üblicherweise nichtdeterministischen) Gesetzes, das beide Mengen in eine Relation setzt, oder genauer: ich mache diese Unterstellung als Gesetzesaussage explizit.“

          Erinnere dich daran, was ich Leszek oben sagte:

          „Denn die Wechselwirkung zwischen Struktur, i.e. einer Verteilung und der Handlung einer Person läuft nicht über kausale Wechselwirkung, sondern darüber, daß die Menschen diese Struktur verstehen (oder mißverstehen) und daher Meinungen herangezogen werden, um als Gründe für freiwillige und daher nicht kausal herbeigeführte Handlungen in Erklärungen zu fungieren.“

          Damit sage ich, daß die Vorgänge auf der Mikroebene Priorität haben. Folgt man dem, könnte man meinen, daß es davon keine Verallgemeinerung auf viele Menschen geben könnte. Aber das ist in meinen Augen ein Vorurteil: Natürlich gibt es hier statistische Makrogesetze und diese spielen sicher auch bei der Bildung von Normen und Meinungen wieder eine Rolle. Der ganze Kram ist in meinen Augen also ein rückgekoppeltes Vielteilchensystem und daher nicht-linear, chaotisch und sowieso statistisch. Außerdem passen sich die Leute ständig an, ändern sich und ihre lokale Umgebung. In meiner Sprache nennt man sowas complex adaptive system (CAS) und man versucht, auch solche System zu verstehen, indem man sie mathematisiert. Das heißt dann „multi agent systems“ und dort steht man noch ganz am Anfang. Aber ich bin zuversichtlich, daß da mal die für die Soziologie geeignete Mathematik rauskommt – so in 20-50 Jahren oder so.

          Das alles erzähle ich dir, damit du siehst, daß ich der Soziologie in Bezug auf eine Menge von Menschen und ihre Wechselwirkungen, dieselbe Rolle gebe, die der Physik in Bezug auf eine Menge von Teilchen: Ihr müßt gewissermaßen das Modell bilden und vorschlagen, dessen Konsequenzen man dann mathematisch simulieren kann. Und die soziologische Erklärung wird für die Modellbildung eine zentrale Rolle spielen.

          „steht allerdings nicht die Differenz zwischen ontologischer und epistemischer Semantik zur Debatte, sondern die explanatorische Qualität der unterschiedlichen behaupteten Zusammenhänge.“

          So ist es, aber die explanatorische Qualität – und das ist mein Punkt – wird nicht allein dadurch gesichert, daß man lineare Korrelationen ausrechnet und statistisch ihre Signifikanz nachweist. Mengen von Menschen, die man in Kulturen vorgegebener Eigenschaften einbettet, „funktinionieren“ einfach in bestimmter und nicht beliebig veränderlicher Weise. Wir wissen nicht genau wie und schon gar nicht warum (Warum haben die Naturkonstanten die Werte, die sie haben?), aber es ist einfach eine empirische Tatsache, daß sie „so funktionieren“. So machen ganz offensichtlich bestimmte Religionen bestimmte Kulturen besonders gewalttätig, ohne daß das der einzige Weg wäre, eine Gewaltneigung zu entwickeln. Soweit ich das verstehe, ist das euer Alleinstellungsmerkmal und insofern erwarte ich, daß es auch eine spezifisch soziologische Erklärung gibt, die am Ende über die Bildung eines mathematisierbaren Modells entscheidet – das euch wiederumhelfen wird, euer Modell zu verstehen und einer empirischen Kontrolle zu unterziehen.

          Oder noch mal naiv in ontologischer Sprache formuliert: Wie ein Einzelner mit einer Verteilung von Eigenschaften von Mengen von Menschen „wechselwirkt“, ist kein Geheimnis. Er könnte z.B. irgendwas erfinden, alle kaufen und benutzen das, ändern daraufhin ihre Gewohnheiten und so weiter (smartphone). Aber wie so eine Verteilung mit einem Einzelnen „wechselwirkt“ – das müßt ihr rausfinden.

          Für jeden methodologischen Individualismus wie er z.B. vom Biologismus realisiert wird, ist das natürlich alles Humbug oder Voodoo, weil z.B. die der Evolution unterliegenden Gene, die Biochemie oder die neuronale Architektur alles determinieren. Für alle normal denkenden Menschen ist das hochspannend.

          • „Für jeden methodologischen Individualismus wie er z.B. vom Biologismus realisiert wird, ist das natürlich alles Humbug oder Voodoo, weil z.B. die der Evolution unterliegenden Gene, die Biochemie oder die neuronale Architektur alles determinieren. Für alle normal denkenden Menschen ist das hochspannend.“

            Determinieren ist – wie schon häufiger angeführt – der falsche Begriff.

            Auch für die Biologie, die ja nicht in deinem Strohmann eines Biologismus denkt, sondern in einem integrierten Modell, sind Wechselwirkungen spannend. Aber natürlich ist da auch gerade die biologische Komponente interessant, weil dadurch eben sehr viele Faktoren in diese Wechselwirkung einfließen.

            Findest du es nicht reichlich unbefriedigend, dass deine Theorien selbst banale biologische Einflüsse ablehnen müssen, die in tausenden von Studien bestätigt sind? Das muss doch eigentlich deinen Ehrgeiz packen, da Erklärungen zu finden, deine Wissbegier.

          • Wenn du deine polemische Propaganda mal lassen würdest, dann würde ich auch mit dir diskutieren. Aber so bringt das einfach nichts und alle sind nur gelangweilt.

          • Wir können gern einmal auf einer reinen Studienbasis reden: jeder nennt drei Studien die für seine Ansicht sprechen und der andere erklärt dann wie sie in seine Theorie passen oder warum sie falsch sind. Wäre doch frei von Propaganda wärst du damit einverstanden?

          • „Ich hab im Moment andere Projekte. Biologismus muß warten.“

            Hehe. Ich sollte mal ein „Elmar – warum ich auf Kritik nie erwidern kann und auch nie werde“ Bingo machen

            Aber das Angebot steht. Du kannst es auch gerne erst in einem halben Jahr nutzen oder wann du Zeit hast

          • „Aber das Angebot steht.“

            Da ist ne Menge Holz, was gebohrt werden muß: paper über weibliches Sexualität, psychologische papers, Biologie aus dem 21 Jhr. Das dauert. Und du siehst ja selbst, daß die Entwicklung nicht-biologischer Geschlechterrollen gefragt ist – was deiner Ideologie und damit deiner Stellung auch schadet und genug Gelegenheiten bieten sollte, um unqualifizierte Kommentare zu machen. Also warum beschwerst du dich? Nur weil du nicht im Zentrum meiner Aufmerksamkeit stehst?

          • „Da ist ne Menge Holz, was gebohrt werden muß: paper über weibliches Sexualität, psychologische papers, Biologie aus dem 21 Jhr. Das dauert“

            Du musst nur Studien zu DEINER Meinung raussuchen. Die solltest du eigentlich vorliegen haben oder bildest du deine Meinung rein abstrakt, ohne die Auswertung von Fakten?

            „Und du siehst ja selbst, daß die Entwicklung nicht-biologischer Geschlechterrollen gefragt ist“

            Das Wollen bestimmt nur sehr eingeschränkt den Ist-Zustand. Im integrierten Modell ist aber natürlich platz für einen nichtbiologischen Anteil. Oder willst du einen reinen Sozialkonstruktivismus vertreten?

    • Seit ich Gilbert Ryle gelesen habe, ist die Sache für mich eigentlich klar: Es gibt keine zwei Welten, eine materielle und eine geistige oder soziale, die von der ersteren irgendwie unabhängig ist.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Gilbert_Ryle#The_Concept_of_Mind

      Seit Descartes bis heute ist kein Philosoph in der Lage gewesen, die Interaktion zwischen Geist und Materie bzw. Geist und Körper zu erklären. Wer sie trotzdem behauptet, ist seinerseits beweispflichtig.

      • @El_Mocho

        „Es gibt keine zwei Welten, eine materielle und eine geistige oder soziale, die von der ersteren irgendwie unabhängig ist.“

        Das behauptet auch niemand. Alle wollen im Grunde eine Naturalisierung. Die Frage ist, wie diese konkret aussieht.

      • Seit Descartes bis heute ist kein Philosoph in der Lage gewesen, die Interaktion zwischen Geist und Materie bzw. Geist und Körper zu erklären. Wer sie trotzdem behauptet, ist seinerseits beweispflichtig.

        Ich verstehe dieses Problem nicht wirklich. Es ist doch klar, dass einige biologische Prozesse notwendig sind, dass ein Gehirn funktioniert, und es ungefähr 20 Jahre braucht bis das Gehirn seine maximale Leistungsfähigkeit erreicht.

        Bis dahin hat es verschiedene Prägungsphasen durchlaufen, die wiederum biologischen Ursprungs sind. Ausserdem ist ein Teil unserer Intelligenz vererbt, also bewirkt die Hardware auf irgend eine Art und Weise wie die Software funktioniert und einige Verhaltenweisen bewirken unsere Fortpflanzung, die ganz fest in unseren Hirnen programmiert ist.

        • Ich verstehe sie auch nicht. Aber es ist offenbar so, dass wir uns in der Selbstwahrnehmung als geistige, vom Körper unterschiedene Wesen mit freiem Willen erfahren. Und da man die der Selbstwahrnehmung zugrunde liegenden körperlichen Prozesse nicht wahrnimmt, erscheinen sie als nichtexistent.

          Etwa so wie die Verdauung, von der man normalerweise ja auch nur das Resultat wahrnimmt.

  8. @Christian

    Strategisch ist dieses Netzwerkt oder Bündnis super aufgestellt, davon sollten die Männerrechtler lernen. Neu werden jetzt auch wieder die klassischen oder modernistischen Linken ins Boot geholt und nicht nur die postmoderne Llnke.

    • Die Linken haben generell den Rechten eine Sache vorraus: Sie führen in der Regel keine ethischen (nicht ethnischen!) Säuberungen durch. Während die Rechten sich gleich von jeden, der einmal etwas „problamtisches“ sagt lossagen, übergehen die Linken verbale Ausrutscher gerne mal. Deshalb haben sie auch in den letzten drei Jahrzehnten kontiniuierlich gewonnen.

    • Und dafür, wie unsere Gesellschaft sozial gerecht aussehen soll, hat der Feminismus eine klare Vision.

      versteht sich von selbst 😉

  9. „Es ist die Verantwortung der gesamten Gesellschaft, Frauen* und alle Menschen zu schützen, die besonders von Gewalt betroffen sind.“
    schön das muss also ne neue Männerrechtsgruppe sein 😀

    • Wie bei so vielen anderen Stellen auch, wäre es einfach sinnvoller zu schreiben „Es ist die Verantwortung der gesamten Gesellschaft alle Menschen zu schützen, die von Gewalt betroffen sind.“

      • Das wäre nur dann logisch, wenn man unterstellte, dass Frauen* offenbar nicht zur Gruppe der Menschen, die besonders von Gewalt betroffen sind, gehörten.
        (Ist ja eigentlich auch zutreffend)

        Warum man aber Frauen*, die nach obiger Implikation eher nicht zur Gruppe gehören, die besonders von Gewalt betroffen sind, schützen müsse, bleibt noch zu klären.

  10. „Gleichzeitig darf niemand aufgrund von familiären, geschlechtsbezogenen oder sozialen Zuschreibungen genötigt werden, Care-Arbeit für andere zu übernehmen.“

    Ist es ok, dass es Menschen geben könnte, die aufgrund von Zuschreibungen genötigt werden, echte Arbeit zu übernehmen?

    • Ich denke, das soll heißen:
      „Da wir ja fordern, daß alle Menschen BGE bekommen, legen wir gleichzeitig jede soziale Verantwortung ab.“
      Daß das in sich selbst widesprüchlich ist, ist aber egal, denn es geht ja um „alle-Menschen-Rechte“, also nicht zuletzt um spezielle Frauenprivilegien.
      Übersetzt müßte es dann heißen:
      „Wenn frau keine Lust auf Sozialtätigkeiten ( mehr ) hat, kann sie Oma, den Gatten, das eigene Kind jederzeit bei einer Sammelstelle abgeben und sich zur nächsten Raveparty begeben“.
      Das Patriarchat sorgt dann für die und zwar gefälligst vollwertig, mindestens! ( Was immer „vollwertig“ in dem speziellen Einzelfalls auch bedeuten mag, das wäre dann nach zugewiesenem Bedarf zu klären )

  11. Was bitte ist „antiromaistisches“

    Vorurteile gegen die Stadt Rom?
    Oder meinen die Antiziganismus und haben das jetzt endlich auch geändert?

    Und ist das nicht diskriminierung gegenüber den Sinti die ja so Unsichtbargemacht werden?

    Müsste es da nicht „Anti-SintiundRomaismus“ sein?

    Und vieleicht sogar “ Anti-SinitundRomaismus* “ ?

    Vielleicht gibt es ja noch Zigeuner Gruppen die nicht Sinti oder Roma sind?

    • Glatter Tabubruch,@St.Elmo!
      Du sollst lieber eine ganze Kinderwurst am Stück essen, als auch nur einmal „Zigeunerschnitzel“ zu sagen, merkt Dir das! ( Ooops…. )

  12. ohne Zeit zu haben alles zu lesen , noch einmal:

    Gewalt gegen Frauen ist ein völlig sekundäres Problem. Wer eine weniger gewalttätige Gesellschaft will, muss zuerst daran arbeiten die Würde und den Wert von Männern (und nicht nur „Alphas“) wieder herzustellen.
    Und 2. nochmal an 1789 erinnert, weil leider oft vergessener Aspekt: Freiheit , Gleichheit, BRÜDERLICHKEIT. Männer müssen auch aufhören sich wegen Frauen gegenseitig den Schädel einzuschlagen, sie sind es nicht Wert.
    Alle Menschen sind gleich, es gibt also keine besonderen Frauenrechte, die wären ja eine Widerspruch zur Idee das alle Menschen gleich sind ! leider ist das Bewusstsein dafür schon gleich zu Anfang untergegangen.

    Mir ist allerdings klar, das eine Änderung der Gesellschaft zur Gänze illusorisch ist, da das biologisch fixierte Mainstreamverhalten beider Geschlechter, dem zuwider läuft, und daher immer nur eine Minderheit der Männer und Frauen frei zueinander finden werden.

    Auch muss man erinnern, weil es Vielen nicht klar ist, wir haben die säkulare Gesellschaft immer noch nicht erreicht. Denn noch immer haben wir Sexualstrafrecht, das in der Wurzel auf religiösen Dogmen beruht. Gut für Homos gab es viele Fortschritte, für Heteromänner allerdings Rückschritte.

    Alles was man Menschen antun kann ist strafrechtlich geregelt, Mord, Körperverletzung, Freiheitsberaubung,, Verletzung der Würde, besonderer Schutz von Kindern etc.
    Das Sexualstrafrecht ist überflüssig (ebenso auch viele gesetzliche Gängelungen des Privatlebens, was Ehe und Familie betrifft), ist eine Überbleibsel religiöser Dogmen.
    Das ist überall so, da sind westliche Kultur und islamische Kultur z.B. keine Gegensätze, sondern nur 2 Seiten einer Medaille, der religiös verbrämten Gängelung des Menschen. Interessant ist allerdings die Frage, warum das so ist. Vielleicht konnten sich die Gesellschaften auf Grund des durchschnittlichen geschlechtlichen Verhaltens gar nicht anders entwickeln.

  13. Pingback: Diskriminieren feministische Netzwerke Naturwissenschaftlerinnen und technisch arbeitende Frauen? | Alles Evolution

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