Kyriarchat als das neue Patriarchat und Intersektionalität

Der Begriff „Kyriarchie“ bzw. „Kyriarchat“ ist ein Begriff, der innerhalb des Feminismus quasi den Begriff des Patriarchats ersetzen soll.

Dazu aus der Wikipedia:

Kyriarchat ist eine Wortschöpfung, geprägt von Elisabeth Schüssler Fiorenza, um miteinander verbundene, interagierende, multiplikative Systeme von Herrschaft und Unterwerfung zu beschreiben, in denen dieselbe Person in einem Kontext unterdrückt und in einem anderen Kontext privilegiert sein kann. Es ist eine intersektionale Festlegung des Begriffs des Patriarchats, es erweitert die Analyse der Unterdrückung jenseits geschlechtsspezifischer Diskriminierungen um die Dynamik des Rassismus, Heterosexismus, Klassismus, Ethnozentrismus, der Altersdiskriminierung und anderer Formen der internalisierten und institutionellen Diskriminierung.

Man hat also schlicht gemerkt, dass „Patriarchat“ zu sehr auf das Geschlechterverhältnis beschränkt ist und brauchte einen neuen Begriff, dem man nicht vorwerfen kann, dass er weitere Herrschaftsverhältnisse (immer schön binär mit Opfer-und Tätergruppen) ausblendet.

Zur „Strukturellen Position“:

Schüssler Fiorenza (2009) beschreibt voneinander abhängige „Schichten von Geschlecht, Rasse, Klasse, Religion, Heterosexualität und Alter“ als strukturelle Positionen, die bei der Geburt zugewiesen werden. Sie meint, dass Menschen mehrere Positionen innehaben und dass die Positionen mit Privileg Knotenpunkte werden, durch die die anderen Positionen erlebt werden. Zum Beispiel, in einem Kontext, in dem das Geschlecht die primäre privilegierte Position ist (z.B. Patriarchat), wird das Geschlecht zum Knotenpunkt, durch den Sexualität, Rasse und Klasse erfahren werden. In einem Kontext, in dem die Klasse die primäre privilegierte Position bedeutet (Klassismus), werden Geschlecht und Race durch die Klassendynamik erlebt.

Also doch die klassische Erbschuld, aus der man im Feminismus durch „Buße tun“ entkommen kann, indem man allen Privilegien entsagt und sich dem Kampf gegen diese widmet.

Schüssler Fiorenza schreibt über die Wechselwirkung zwischen Kyriarchat und Kritische Theorie als solche[3]:

„In light of this analysis, it becomes clear that the universalist kyriocentric rhetoric of Euro-American elite men does not simply reinforce the dominance of the male sex, but it legitimates the imperial „White Father“ or, in black idiom, the enslaving „Boss-Man“ as the universal subject. By implication, any critical theory — be it critical race, feminist, liberationist, or Marxist theory — that articulates gender, class, or race difference as a primary and originary difference masks the complex interstructuring of kyriarchal dominations inscribed in the subject positions of individual wo/men and in the status positions of dominance and subordination between wo/men. It also masks the participation of white elite wo/men, or better „ladies,“ and of Christian religion in kyriarchal oppression, insofar as both have served as civilizing colonialist conduits of kyriarchal knowledges, values, and culture.“

„Im Licht dieser Analyse wird deutlich, dass die universalistische kyriocentrierte Rhetorik der Euro-amerikanischen Elite-Männer nicht einfach die Dominanz des männlichen Geschlechts verstärken, aber sie legitimiert den imperialen „Weißen Vater“ oder (im schwarzen Idiom) den versklavenden „Boss-Man“ als universelles Thema. Im Umkehrschluss maskiert jede kritische Theorie, sei es kritische Race-, feministische, befreiungstheologische oder marxistische Theorie, welche Geschlechts-, Klassen- oder Raceunterschied als primäre und ursprüngliche Differenz artikuliert, das komplexe Zusammenspiel der Strukturierung von kyriarchaler Fremdherrschaft bezogen auf das Thema Positionen bei einzelnen wo/men und bei den Statuspositionen von Dominanz und Unterordnung zwischen wo/men. Auch wird die Beteiligung der weißen Elite wo/men, oder besser „Damen“ und der christlichen Religion an der kyriarchalen Unterdrückung verschleiert, soweit beide als zivilisatorische kolonialistische Kanäle von kyriarchalen Erkenntnissen, Werten und Kultur gedient haben.“

– Elisabeth Schüssler Fiorenza: Prejudice and Christian beginnings[4]

Tēraudkalns (2003) legt nahe, dass diese Strukturen der Unterdrückung selbsttragend sind durch verinnerlichte Unterdrückung; jene mit relativer Macht neigen dazu, an der Macht zu bleiben, während jene ohne Macht dazu tendieren, entrechtet zu bleiben.

Also letztendlich das, was man sonst auch schon unter Intersektionalität verstanden hat, nur eben mit einem neuen Begriff, der das Patriarchat ersetzt.

Den „versklavenden Boss-Man“ finde ich schön, ebenso wie die „Damen“, womit wohl (weiße) Frauen der Oberschicht gemeint sind, die ebenfalls unterdrücken. Nachweisen kann man das alles irgendwie nicht, es ist ein vager Prozess, der sich selbst stützt und wieder einmal wird auf das Merkmal der „verinnerlichten Unterdrückung“ zurückgegriffen, damit man erklären kann, warum die Leute da mitmachen und sich nicht dagegen wehren.

Noch etwas zur Herkunft des Wortes:

Der Begriff wurde von Elisabeth Schüssler Fiorenza als eine Erweiterung des Patriarchats geprägt, abgeleitet aus den griechischen Worten κύριος oder kyrios (Herr oder Meister) und ἄρχω or archō (zu führen, Regel, regieren). Der Begriff wurde geprägt in: But She Said: Feminist Practices of Biblical Interpretation (Aber sie sagte: Feministische Praxis biblischer Interpretation), 1992.

Es wäre also nicht mehr die „Herrschaft der Väter“, sondern die „Herrschaft der Meister“, die dann eben auch Frauen, Weiße, Heterosexuelle, Christen, CIS-Personen etc sein können, niemals aber die unterdrückten Gruppen. „Feministische Praxis von Bibelinterpretationen“ an sich wäre auch ein interessantes Thema: Eine absolut patriarchische Religion aus einer Zeit, in der an Gleichberechtigung nicht zu denken war, umzudeuten, erfordert bestimmt interessantes Zwidenk.

 

30 Gedanken zu “Kyriarchat als das neue Patriarchat und Intersektionalität

  1. Schön, dann kann man jetzt jede weisse Frau mit einem „Du miese kyriarchale Unterdrückerin“ anblaffen. Oder auch jede WoC die nicht zur Unterschicht gehört. Und die Journaille, und alle Akademiker …
    Alle alle alle müssen ab jetzt das Maul halten und sich schämen, nur die farbigen lesbischen Hartz*innen nicht, die dürfen als einzige noch mit dem Finger auf andere zeigen.

    Eigentlich müssten ja alle FeministInnen knallharte Kommunisten sein, denn das ist ja das (utopische) Ziel des Kommunismus, die vollständige Gleichheit aller. Daher seltsam dass im feministischen Umfeld der Kommunismus nie auftaucht.

    • Gibt ja einige die darüber spekulieren, dass der „Kulturmarxismus“ angelsächsischer Prägung durchaus bewusst gefördert wird (etwa von Leuten wie Soros, liegt ja nahe, dass sich so eine arme, schwarze, lesbische Frau um LGBT etc. sorgt).

      Eine schöne Verschwörungstheorie, mit einiger Plausibilität. Es ist immerhin nicht von der Hand zu weisen, dass sich die linken Parteien selbst zerlegen und auf gesellschaftlich vollkommen unwichtige Randthemen konzentrieren. Fast so, als ob man die schwächste Stelle der linken Ideologien gesucht und durch maßlose Übertreibung und Ablenkung einen Selbstzerstörungsprozess angestoßen hätte.

      Nachdem der Kommunismus nicht funktioniert hat, benutzt man jetzt (immer vorhandene) latente Benachteiligungsgefühle für eine ähnliche Bewegung, die aber den wirklich Bessergestellten nicht die Bohne gefährlich werden kann. Dafür kompensiert sie schön die Machtlosigkeitsgefühle, die sich angesichts globalen Freihandels und offener Grenzen bei den Parteien eingestellt haben.

      Statt finanzielle Umverteilung von oben nach unten, gibts jetzt halt nur noch die Umverteilung mehr- oder weniger herbeiphantasierter „Privilegien“ innerhalb des Volkes. Und die Sache ist auch noch so angelegt, dass die dümmsten und unproduktivsten Ideologen nicht nur besonders profitieren, sondern nebenbei auch noch die gesellschaftlichen Mehrheiten angreifen. Teile und herrsche. Und solange man die entsprechenden Vertreter ein bisschen anfüttert (statt sie in ihrer faktischen Bedeutungslosigkeit schmoren zu lassen), wird das nie zur Ruhe kommen. Putin wußte schon was er tat:
      http://www.n-tv.de/politik/Moskau-verbietet-NGOs-von-Soros-article16468376.html

      http://www.veteranstoday.com/2016/08/17/vladimir-putin-to-george-soros-thank-god-we-kicked-you-out-of-russia/

  2. Ich meine Was will uns der Begriff sagen?

    Die Systeme
    (Soziale Ordnung, z.B. Gesellschaft, Staat,)
    müssen nicht nur mit einander Verbunden
    (z.B. Gemeinde, Ehe, Arbeitsverhätlnis, Vereinte Nationen?)
    sondern auch Interaktiv sein
    (Kann es überhaupt Verbundene Systeme geben die nicht Interaktiv sind?
    Denn wenn sie nicht mit einander agieren wie können sie dann messbar Verbunden sein?)
    und sich irgendwie in Form von Dominanz und Unterwerfung
    (Jetzt ist sogar Freiwillige „Unterdrückung“ böse)
    multiplizieren (nicht im Sinne von verstärken sondern das es in mehreren Bereichen existiert ….wobei jetzt die Frage wäre innerhalb des Systems oder auch in verschiedenen Systemen?)

    Also
    Wenn der Chef die Mitarbeiter terroisiert und sich am Abend von der Domina den Hintern versohlen lässt –> Kyriarchat
    Wenn der Sohn von Oma geschlagen wird und dann die Katze quält –> Kyriarchat.
    Wenn der weiße homosexuelle Polizist zuhause beim schwarzen Ehemann unter dem Pantoffel steht –> Kyriarchat.

    Ein Begriff der irgendwie alles umschließen kann, kann nichts erklären und ist alles nur nicht Wissenschaftlich.

    • „Ein Begriff der irgendwie alles umschließen kann, kann nichts erklären und ist alles nur nicht Wissenschaftlich.“

      Darauf läuft doch mehr oder weniger dieser ganze Unsinn hinaus.

      Was dessen Vertreter nicht kapieren: wenn ich versuche Gleichheit per Sprache herbeizukonstruieren, kann ich letztlich über Unterschiede nicht mehr sprechen (sie nichtmal mehr anklagen 🙂

      Wenn die Fortschritte in der Sprachverhunzung aber schneller vonstatten gehen, als die gefühlte Gleichstellung, haben die Herr- und Damenschaften ein Problemchen *g*

      Nur ausgeprägte bigotte Doppelstandards haben bisher den Crash dieser Weltanschauung verhindern können.

  3. Adjective

    κύριος • ‎(kúrios) m ‎(feminine κῡρία, neuter κῡ́ριον); first/second declension

    (of people): ruling, governing, having power
    (of things): decisive, critical, authorized, valid, legal, entitled
    (of times): fixed, set, appointed
    (of language): literal
    main, major, primary, principal

    Noun

    κῡ́ριος • ‎(kū́rios) m ‎(genitive κῡρίου); second declension

    lord, master, guardian, ruler, owner
    sir
    Greek translation of יהוה in LXX

    „Herrschaft der Herrscher“ also. Wow..

  4. Es gibt da ein Herrschaftsverhältnis, das ich nicht verstehe, vielleicht kann eine der anwesenden Feministinnen erklären, in welche Richtung die Kyriarchie hier wirkt.

    Das sind auf der einen Seite die Blumen, die den ganzen Tag stramm stehen müssen und umzig Prozent ihrer gesamten Energie in die Produktion von Pollen stecken, welche dann von Heerscharen von Bienen geraubt werden.
    Blumen sind eindeutig unterdrückt.

    Da sind auf der anderen Seite die Bienen, die jeden Tag ihr Leben riskieren und viele Kilometer weit fliegen, um die Pollen der einen Blume zu anderen Blumen zu tragen, damit diese bestäubt werden. Das ist so anstrengend, dass die Lebenserwartung der Arbeiterbiene nicht mehr als 5 Wochen beträgt.
    Bienen werden eindeutig von Blumen ausgebeutet

    Wie rum ist denn nun hier das Herrschaftsverhältnis richtig?

  5. Heisst das nicht einfach: Ein Grossteil der Schlussfolgerungen intersektionaler Ideen sind Unfug, weil sie kontextabhängig sind?

    Diese Einsicht wäre ja schon mal ein Fortschritt. Am Ende ist aber eine soziale Theorie, in der jedeR alles sein kann, beliebig.

        • Überhaupt nicht. Das ist ein weiterer rethorischer Trick,man benutzt einerseits Begriffe aus der Alltagssprache wie Unterdrückung, Privilegien usw. unter denen sich jeder aus seinem Alltagsverständnis heraus etwas vorstellen kann, und daneben benutzt man selbsterfundene Begriffe wie „Person of Color“ oder Diskurs oder soziale Konstruktion, die ncht allgemeinverständlich sind, aber mn definiert sie nie.Man kann also ständig von Ebene zu Ebene wechseln, wie es der eigenen Argumentation grade nutzt.

        • „Man kann also ständig von Ebene zu Ebene wechseln, wie es der eigenen Argumentation grade nutzt.“

          Unterdrückung ist eine aktive Handlung. Mein Sosein kann aber niemanden unterdrücken. DAS ist das Grundproblem feministischer Argumentation. Ich als weißer männlicher Zugehöriger unterdrücke Frauen durch meine Existenz.

          So ähnlich aber drastischer haben auch Nazis in Bezug auf das Sosein anderer Menschen „argumentiert“. Familie Rosenbaum unterdrückte durch ihr jüdisches Sosein das deutsche Volk…..absurd! Hässlich! Ekelhaft!

        • @mark

          Gute Frage: Da kommt üblicherweise nicht. Da geht von „Schau eben mal in die Geschichte“ bis „willst du die Privilegierung etwa leugnen?“, aber eine Festlegung von Kriterien kommt selten.
          Neulich kam mal Gehalt, aber auf meinen Hinweis, dass Asiaten in den USA üblicherweise mehr verdienen als Weiße wollte man die dennoch nicht zu den privilegierten rechnen

  6. Schlimm wird es nur, wenn der böse Boss-Mann sie gar nicht versklaven will, sondern gar kein Interesse an ihr hat.
    Merke: Frauen sind sie einigen Sklaven, die sogar vor Gericht dafür streiten versklavt zu werden. ^^

  7. Nun: Offenbar wollte Elisabeth Schüssler Fiorenza lieber Unterdrückung und Macht etc. analysieren, aber selbst wollte sie offenbar nicht auf ihre Privilegien verzichten. Sie hat ja zumindest einen Doktortitel, also bereits eine Menge kulturelles Kapital angesammelt, dann ist oder war sie Professorin an der Elite-Universität Harvard, also hat zudem noch eine Elite-Position inne, gehört also elitesoziologisch gesehen zur Wissenselite bzw. zur Funktionselite und dies erst noch in in den USA. also der imperialen Weltmacht Number One. Man könnte nun natürlich auch sagen: Wasser predigen und Wein trinken. 🙂 Und wie stellt sie sich das eigentlich vor, dass es keine privilegierten Menschen mehr gibt? Alles verstaatlichen, Eigentum abschaffen, Bildungstitel abschaffen, Hierarchien vollständig abschaffen, direkte Demokratie einführen und zwar wirklich direkt – ohne Repräsentanten etc., usw. usf.? Analysen sind natürlich immer gut, nur dürfte die Umsetzung vermutlich zu einem System führen, das noch viel ungerechter (insbesondere repressiver) ist, als wir es in den westlichen Industrienationen haben.

  8. „multiplikative Systeme von Herrschaft und Unterwerfung zu beschreiben, in denen dieselbe Person in einem Kontext unterdrückt und in einem anderen Kontext privilegiert sein kann.“

    Schrödingers Feminismus? :d

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