Struktur (Soziologie)

Aus der Wikipedia:

Als Struktur gelten in der Soziologie Größen und gestaltende Kräfte, die zwischen Akteuren vermitteln. Die Struktur wird meist als Grundlage sozialen Handelns verstanden, wobei davon ausgegangen wird, dass sie Kontingenz (Wahlfreiheit beim Handeln) begrenzt oder auflöst und die Ursache für Handlungsmuster und die Verteilung von Macht ist. Die Struktur ist nach Ansicht vieler Soziologen omnipräsent und durchdringt alle sozialen Prozesse. Der Strukturbegriff ist vor allem eine Reaktion der Soziologie auf komplexe Geschehnisse, an denen eine Vielzahl verschiedener Personen mitwirkt und die sich nicht allein anhand der Interaktionen zwischen diesen Personen beschreiben lassen, aber dennoch relativ stabil ablaufen. Die Struktur überbrückt zeitliche und räumliche Distanzen zwischen einzelnen Handlungen und grenzt von vornherein die möglichen Handlungsverläufe ein. Sie ist damit einzelnen Handlungen vorgeordnet, wird aber nach Ansicht der meisten soziologischen Theorien aber gerade über sie reproduziert und konstruiert.

Theoretisch könnte man dann wohl die Biologie des Menschen auch als eine soziologische Struktur verstehen. Es wären Größen und gestaltende Kräfte, die die Wahlfreiheit in gewisser Weise  betreffen, weil sie bestimmte Entscheidungen attraktiver erscheinen lassen. Ich würde jedoch vermuten, dass die Soziologie eher menschlich geschaffene und soziale Strukturen im Auge haben.

Das Problem strukturalistischer Theorien besteht vor allem darin, dass sich die postulierten Strukturen nicht direkt beobachten lassen. Sie lassen sich lediglich anhand beobachtbarer Interaktionen rekonstruieren.

Und hier kommt eben eine große Schwäch soziologischer Theorien zum tragen: Strukturen, die man  nicht beobachten kann, kann man auch schnell falsch einordnen. Das ist insbesondere der Fall, wenn man sich lediglich auf reine Soziologie verlässt und die Biologie ausblendet. Denn dann werden menschliche Strukturen vermutet, wo tatsächlich biologische Strukturen vorhanden sind.

Dabei stellt sich vor allem die Frage, wie Interaktionen und Akteure mit der Struktur verknüpft sind. Viele Theorien haben versucht, auf diese Frage mit dem Konzept der Institution zu reagieren. Institutionen besitzen einen Mischcharakter aus Akteurs- und Struktureigenschaften, was es wiederum erschwert, sie nicht einer der beiden Kategorien zuzuordnen. Die Frage nach Strukturen, Institutionen und Akteuren spiegelt die grundsätzlichen Schwierigkeiten von Makro-, Meso– und Mikrosoziologie wider und zieht sich seit Émile Durkheims Werk Die Regeln der soziologischen Methode durch die Soziologie. Beispiele für Strukturkonzepte sind etwa Durkheims Gesellschaftsbegriff, dieSysteme von Talcott Parsons und Niklas Luhmann oder das soziale FeldPierre Bourdieus.

Man müsste wohl neben Struktur und Institution noch die Biologie und deren Einwirkungen ergänzen. Zumindest als Kontrolle inwieweit es überhaupt eine soziologische Erklärung ist, die die Effekte bewirkt.

In jüngerer Zeit hat der Strukturbegriff vor allem von poststrukturalistischen Soziologien Kritik erfahren, die sich nicht in der Tradition Durkheims sehen. Dazu zählt vor allem die Akteur-Netzwerk-Theorie, die eine soziale Struktur als eigenständige Größe ablehnt. Die Kritik bezieht sich dabei auf dieTranszendenz von Struktur, eine fehlende Möglichkeit zu ihrer Beobachtung sowie die Vernachlässigung vermittelnder Elemente vor Ort – beispielsweise technische Einrichtungen, Topografie oder kommunikative Verknüpfungen –, die es erst nötig mache, die Struktur als erklärende Größe heranzuziehen. Stattdessen schlägt die Akteur-Netzwerk-Theorie vor, soziale Gruppen nicht mehr mit rein menschlichen Versammlungen gleichzusetzen und so das Zustandekommen komplexer Handlungsmuster über zeitliche und räumliche Entfernungen besser nachvollziehen zu können.

Die Akteur-Netzwerk Theorie hat ebenfalls einen Wikipediaeintrag:

Die Akteur-Netzwerk-Theorie wurde zunächst entwickelt, um wissenschaftliche und technische Innovationen zu erforschen und zu erklären. Aber sie hat sich zu einer umfassenden soziologischen Theorie und Forschungsmethode entfaltet.

Die Theorie wurde bekannt, da sie im Gegensatz zu den meisten (nahezu allen) sozialen Theorien das Soziale nicht als das ansieht, was zwischen den Menschen entsteht, sondern die Beteiligung nichtmenschlicher Entitäten hervorhebt. Die Methode kann als „material-semiotisch“ bezeichnet werden. Dies bedeutet, dass sie die Verbindungen aufzeigt, die ebenso materiell (zwischen Dingen) als auch semiotisch (zwischen Konzepten) bestehen. Die Theorie geht davon aus, dass viele Verbindungen sowohl materiell als auch semiotisch sind. Zum Beispiel bezieht der Interaktionsraum einer Universität Studenten, Dozenten sowie deren Ideen ebenso ein wie Technologien, z. B. Stühle, Tische, Tafeln, Laptops und Schreibwaren. Zusammen bilden sie ein einziges Netzwerk namens „Universität“.

Die ANT versucht nun zu erklären, wie materiell-semiotische Netzwerke zusammenkommen, um als Ganzes zu handeln (z. B. ist die Universität sowohl ein Netzwerk als auch ein Akteur, und für manche Zwecke agiert sie als eine einzige Entität). Als einen Teilaspekt hiervon betrachtet die ANT explizite Strategien, die dazu dienen, verschiedene Elemente zusammen in ein Netzwerk zu integrieren, damit sie nach außen hin als ein kohärentes Ganzes erscheinen.

Gemäß der ANT sind solche Akteur-Netzwerke kurzlebig. Sie befinden sich in ständigem Werden und dauernder Wiedererschaffung. Dies bedeutet, dass bestimmte Beziehungen wiederholt vollzogen werden müssen, da sich das Netzwerk ansonsten auflösen würde (in unserem Beispiel müssen die Studenten täglich Lehrveranstaltungen besuchen, die von den Dozenten angeboten werden müssen und die Computer müssen in Gebrauch bleiben etc.). Es wird ebenso vorgeschlagen, dass Beziehungsnetzwerke nicht an sich kohärent seien und tatsächlich Konflikte enthalten können (z. B. könnte ein gespanntes Verhältnis zwischen Studenten und Dozenten bestehen oder auf den Computern Inkompatibilitäten bestehen). Soziale Beziehungen sind mit anderen Worten stets im Wandel und müssen permanent vollzogen werden.

Soziale, technische und natürliche Objekte werden in der Akteur-Netzwerk-Theorie nicht als durch die Gesellschaft zu erklären betrachtet, sondern als die Gesellschaft (mit)erklärend; ihr Einfluss auf die Gesellschaft wird also betrachtet. Wissenschafts- und Technikentwicklung ist demnach weder allein durch natürliche oder technische Faktoren noch allein durch soziale Faktoren verursacht.

Das würde aus meiner Sicht zu der Privilegientheorie passen. Man hat in gewisser Weise „Das Patriarchat“ als Akteur und als Netzwerk (bzw. innerhalb der intersektionalen Theorien die anderen privilegierten Gruppen), und die feministischen bzw. intersektionalen Theorien stellen ebenfalls darauf ab, dass man die „Wiedererschaffung“ behindern muss, eben indem Männer ihre Privilegien hinterfragen und diese nicht weiter praktizieren. „Männlichkeit“ „Weißsein“, „Heteronormativität“ wären insofern zum einen Versammelungen von Leuten und gleichzeitig Institutionen, die beständig durch eine Praxis der Handelnden wieder errichtet werden.