Postfaktisch und Feminismus

Postfaktisch ist das „Wort des Jahres 2016“. Das Konzept dahinter bietet sich daher für eine Diskussion an:

Aus dem Wikipediaatrikel zu „postfaktischer Politik

Der Begriff postfaktische Politik bezeichnet ein politisches Denken und Handeln, bei dem Fakten nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Die Wahrheit einer Aussage tritt hinter den Effekt der Aussage auf die eigene Klientel zurück. In einem demokratischen Diskurs wird – nach dem Ideal der Aufklärung – über die zu ziehenden Schlussfolgerungen aus belegbaren Fakten gestritten. In einem postfaktischen Diskurs wird hingegen gelogen, abgelenkt oder verwässert – ohne dass dies entscheidende Relevanz für das Zielpublikum hätte. Entscheidend für die von postfaktischer Politik angesprochenen Wähler ist, ob die angebotenen Erklärungsmodelle eine Nähe zu deren Gefühlswelt haben.

Und dort auch zur Entstehungsgeschichte:

Im Jahr 2004 erschien das Buch The Post-Truth Era von Ralph Keyes. Post-truth wird häufig mit postfaktisch übersetzt. Populär wurde der Begriff im US-Präsidentschafts-Wahlkampf 2016 und im Brexit-Referendum 2016 in Großbritannien.  Oxford Dictionaries erklärte den Ausdruck post-truth zum internationalen Wort des Jahres 2016.

Und noch einmal aus der englischen Wikipedia zum Begriff „Post-Truth„:

A defining trait of post-truth politics is that campaigners continue to repeat their talking points, even if these are found to be untrue by the media or independent experts. For example, during campaigning for the British EU referendum campaign, Vote Leave made repeated use of the claim that EU membership cost £350 million a week. This figure, which ignored the UK rebate and other factors, was described as „potentially misleading“ by the UK Statistics Authority, as „not sensible“ by the Institute for Fiscal Studies, and was rejected in fact-checks by BBC News, Channel 4 News and Full Fact. Vote Leave nevertheless continued to use the figure as a centrepiece of their campaign until the day of the referendum, after which point they downplayed the pledge as having been an „example“.[22] Tory MP and Leave campaigner Sarah Wollaston, who left the group in protest during its campaign, criticised its „post-truth politics“.

Michael Deacon, parliamentary sketchwriter for The Daily Telegraph, summarised the core message of post-truth politics as „Facts are negative. Facts are pessimistic. Facts are unpatriotic.“ He added that post-truth politics can also include a claimed rejection of partisanship and negative campaigning. In this context, campaigners can push a utopian „positive campaign“ to which rebuttals can be dismissed as smears and scaremongering and opposition as partisan.

In its most extreme mode, post-truth politics can make use of conspiracism. Fact-based criticism of a campaign is attributed to a powerful enemy – such as the Establishment, Zionists, or the mainstream media – which is supposedly seeking to discredit it, and this in turn drives voters away from these information sources. In this form of post-truth politics, false rumors (such as the „birther“ or „Muslim“ conspiracy theories about President Obama) become major news topics.

Schaut man sich diese Definitionen an, dass fallen einem aus der Geschlechterdebatte eine Vielzahl von „postfaktischen Standpunkten auf:

Theoretisch ist ein Großteil der feministischen Theorie postfaktisch, weswegen man dort auch erhebliche Filterblasen einrichten muss und Hinweise auf Fakten als Angriff sieht.

Auch dort haben die angebotenen Erklärungsmodelle wie etwa das Patriarchat eine Nähe zu der Gefühlswelt der Feministen, die gerne gegen eine Unterdrückung der Frau kämpfen wollen, die es so gar nicht gibt.

Natürlich gibt es da auch im Maskulismus: Dort wird auch gerne die große feministische Verschwörung („Staatsfeminismus“) behauptet, nach der für alle nicht genehmen Entscheidungen zB eines Familiengerichts Feministen verantwortlich sind.

Allerdings bietet sich der Vorwurf natürlich auch für Abwertungen an: Es kann einfach behauptet werden, dass der andere „Postfaktisch“ ist, man muss dazu nur die Fakten, die für dessen Position sprechen und die Gegenargumente gegen die eigene Position ausblenden. So kann man sich gegenseitig vorwerfen, dass der jeweils andere den Aluhut auf hat.

Warum wirkt das ganze? Weil unser Gehirn gerne zu einem Selbsttäuschung bereit ist, wenn dies evolutionäre Vorteile bringt. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn wichtige Leute oder gar der ganze Stamm bestimmte Überzeugungen haben und einem Nachteile in der Interaktion mit diesen besteht, wenn man diese nicht teilt. Das dürfte uns auch empfindlich für Religion machen, weil diese eine Form des Tabus behandelt, eben ein Zweifeln an einem bestimmten Glauben. Der evolutionäre Schutz gegen zu unlogische Ideologien dürfte darin gelegen haben, dass bestimmte Kosten oder Gefahren die Durchsetzung eines entsprechenden Tabus schwierig machten.

Das Gehirn ist nicht per se darauf angelegt, die Wahrheit zu ermitteln. Es ist darauf angelegt, Gene in die nächste Generation zu geben. Das kann durch zu viel Hinterfragung gefährdet sein. Da wir Entscheidungen oft unterbewußt treffen, nach einem „Bauchgefühl“, kann es weitaus wichtiger sein, die Gefühlsebene anzusprechen als Fakten zu präsentieren, die sich in ein bestehendes Bild nicht integrieren lassen und daher ihrerseits skeptisch gesehen werden.