Der Politiker der Grünen, Winfried Kretschmann,
hat in der Zeit einen Text veröffentlicht, der einige interessante Passagen hat. Ich greife mal eine raus:
Und dennoch sollten wir uns selbstkritisch fragen: Haben wir vielleicht auch etwas falsch gemacht? Wie verhält es sich mit dem Vorwurf, wir hätten es mit dem Glauben an die Erziehbarkeit des Menschen übertrieben?
Das ist eine gute Frage gerade innerhalb der linkeren Politik. Diese neigt zum Sozialkonstruktivismus und dieser wiederum sieht alles im Verhalten als veränderbar und damit auch erziehbar an.
Dabei geht es um den Kern von Moral. In der Tradition Kants sollten wir daran festhalten, dass unser kollektives Handeln verallgemeinerbar sein muss, im Hinblick auf unsere Gesellschaft und, so würden wir Grüne hinzufügen, im Hinblick auf zukünftige Generationen. Zugleich aber ist der Mensch, wie Kant sagt, „aus krummem Holz geschnitzt“. Wir sind keine Heiligen und werden es auch dann nicht, wenn man uns dazu machen will. Wir sollten daher das Moralisieren lassen. Anstatt Vorgaben für das gute Leben und die individuelle Lebensgestaltung zu machen, sollten wir uns auf den Kampf für eine gute Ordnung der Dinge konzentrieren. Eine Ordnung, die in den zentralen Fragen die richtigen Anreize setzt, um das Beste in uns zum Vorschein zu bringen.
Das ist für eine radikal linke Vorstellung von Politik schon fast eine Ohrfeige. Kretschmar ist eben ein „Realo“und er schneidet bei Wahlen so gut ab nicht weil die Grünen so beliebt sind, sondern weil er Charisma hat und man ihn wählen will. Radikallinke, die das moralisieren sein lassen sollen, das wird als nachhaltige Kritik und Einschränkung verstanden werden.
Außerdem müssen wir deutlich machen, dass die neuen Freiheiten in der Lebensgestaltung ein Angebot und keine Vorgabe sind. Hier liegt ein häufiges Missverständnis. Es geht darum, dass jeder nach seiner Fasson leben kann, und nicht darum, traditionelle Lebensformen abzuwerten oder die Individualisierung ins Extrem zu treiben. Individualismus darf nicht zum Egoismus werden, sonst wird gesellschaftlicher Zusammenhalt unmöglich. So ist und bleibt die klassische Ehe die bevorzugte Lebensform der meisten Menschen – und das ist auch gut so.
Kretschmar hat noch einmal ausdrücklich in einer späteren Erklärung klar gestellt, dass die klassische Ehe zwar die bevorzugte Lebensform der meisten Menschen ist, dass er aber diese damit nicht absolut setzt, sondern weithin für die „Ehe für alle“ ist. Das ergibt sich eigentlich auch recht klar aus dem Text, denn jeder soll ja nach seiner Fasson glücklich werden, aber die „klassische Ehe“ zur „bevorzugten Lebensform zu erklären wird ebenfalls in radikalen Kreisen als Angriff verstanden worden sein. Die heterosexuellen als Normalität ist ja dort gerade der Feind. Und das beißt sich eben auch damit, dass man traditionelle Lebensformen nicht abwerten soll.
Ich hingegen finde seine Aussage sehr gut – Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden und man sollte sich nicht wundern, wenn es Häufungen gibt ohne damit die Ausnahmen einzuengen und einen Konformitätszwang einzufordern war auch schon vorher meine Position.
Was die Political Correctness betrifft, die di Lorenzo anspricht, geht es meiner Auffassung nach darum, eine neue Mitte zu finden. Schließlich brauchen wir eine Sprache, in der wir uns politisch verständigen können. Auf der einen Seite erleben wir eine tendenziell übersteigerte politische Korrektheit, auf der anderen Seite das krasse Gegenteil: einen Verbalradikalismus und eine Verrohung der Sprache. Wir müssen eine neue Tonlage finden, getragen von Klarheit und Respekt.
Auch das scheint mir als jemand, der sowohl die übersteigerte Korrektheit auf der einen Seite als auch die pauschalen Verurteilungen von zB Flüchtlingen auf der anderen Seite ablehnt, richtig.
Wenn wir mit einer solchen Haltung an die Dinge herangehen, wenn wir unsere Politik ohne Besserwisser-Gestus erklären, verständlich in der Sprache, klar in der Sache und mit einem festen Wertekompass, dann bin ich zuversichtlich. Dann können die nächsten Jahre und Jahrzehnte sogar zu einem wirklichen „grünen Zeitalter“ werden. Denn wir haben schließlich, wie di Lorenzo richtig feststellt, mit dem Überleben des Planeten ein veritables Menschheitsthema auf unserer Seite.
Da zu bräuchte es wohl eine gewaltige Veränderung der grünen Partei, es müssten eine Menge sehr radikaler Leute austreten. Ich bezweifele, dass das passieren wird. Aber es wäre immerhin schön, wenn Kretschmann mehr politisches Gewicht bekommt als er jetzt schon hat. Die Grüne Partei wird wissen, was sie an ihm hat, aber genug werden auch deswegen ihre politischen Prinzipien, gegen die er sich hier gerade ausgesprochen hat, aufgeben