Tag: 8. September 2016
„Frustrierte männliche Flüchtlinge, unberührbare muslimische Mädchen und Zweit- und Drittsöhne“
Ein interessanter Artikel bzw. ein Interview mit Gunnar Heinsohn zu Männern in der Flüchtlingskrise vom Anfang des Jahres:
Herr Professor Heinsohn, 2003 haben Sie mit Ihrem Buch „Söhne und Weltmacht“ für Aufsehen gesorgt. Bestätigt sich mit Blick auf die Ereignisse von Köln Ihre damals aufgestellte These von der Gewaltbereitschaft junger unterbeschäftigter Männer?
Gunnar Heinsohn: Zuerst muss man sich fragen: Warum haben wir so viele Männer auf den Routen nach Europa? In den Heimatländern gibt es einen „youth bulge“, einen deutlichen Jugendüberschuss oder, wenn man es anders formulieren will, einen hohen Kriegsindex.
Die Welt: Was versteht man unter dem Begriff?
Heinsohn: Der Kriegsindex misst das Verhältnis von 55- bis 59-jährigen Männern, die sich der Rente nähern, und den 15- bis 19-jährigen Männern, die den Lebenskampf aufnehmen. Wenn wir, wie in den Herkunftsländern, einen Kriegsindex von drei bis sechs haben, dann kommen also auf 1000 alte Männer, die eine Position frei machen, 3000 bis 6000 junge Männer. In Deutschland sind das gerade mal 660.
Die Welt: Eigentlich kein Wunder, dass die jungen Männer ihr Glück woanders suchen.
Heinsohn: Beim Wandern gehen junge Männer zuerst. Das sind meist zweite, dritte Brüder. Der erste Sohn hat ja zu Hause eine Chance. Die anderen, die zu uns kommen, haben zu Hause keine Chance auf eine Position, und das heißt, sie haben auch keine Chance auf ein Familienleben. Und damit auch nicht auf ein legales Sexualleben. Deswegen haben wir auch in den arabischen Ländern Übergriffe, wie wir sie jetzt zwischen England und Deutschland und Schweden erleben.
Auch das ist interessant. Es ist ein klassisches Element aus der evolutionären Biologie nach Trivers, dass erste Kinder „kostbarer“ sind, einfach weil man schon Ressourcen in sie gesteckt hat, die sonst eher verloren sind bzw. weil man in jüngere Kinder noch mehr Ressourcen stecken muss. Das wirkt sich in reicheren Ländern nicht mehr so aus, auch weil mit zunehmender Berufstätigkeit und Ausbildung der Frau die Zeit eh knapp wird und zudem eine gleichartige Förderung der Kinder erwartet wird.
Die Welt: „Kein Job“ plus „kein Sex“ ist gleich „sexuelle Übergriffigkeit“ – ist das nicht eine etwas zu simple Rechnung?
Heinsohn: Schauen Sie doch auf die jungen Männer, die zu uns kommen. Entweder sie können etwas. Dann steigen sie bei uns auf und haben außerhalb ihrer Religionsgruppe keine Schwierigkeiten, Partnerinnen zu finden. Das ist aber eine Minderheit. Bei etwa 90 Prozent sieht das anders aus. Die haben schlecht bezahlte Jobs oder beziehen Sozialhilfe. Denen fehlt, was man im Soziologenjargon „Status-Sex“ nennt. Jetzt sind das junge Männer mit ihrer ganzen sexuellen Begehrlichkeit. Die haben in ihrer eigenen Gruppe Mädchen. Aber die sind absolut tabu. Diese Frauen bleiben unberührt bis zur Ehe.
Der Begriff „Status-Sex“ interessiert mich natürlich. Geht es dabei um Sex, den man wegen seines Status bekommt, also weil man einen guten Job hat und einen der Status attraktiv macht oder geht es darum, dass man über Sex Status aufbaut, dass man also seiner durch den niedrigen Status bedingten Unattraktivität entgegenhalten will, dass man trotzdem Sex hat? Vielleicht kann einer der mitlesenden Soziologen etwas dazu sagen.
Die Welt: Ist das denn wirklich noch so verbreitet oder auch unsere Vorstellung von einer rigiden islamischen Moral?
Heinsohn: Es gibt in der muslimischen Kultur kein „girl friend“. Ich bin Jahrgang 1943. Ich kann mich erinnern, dass es auch in Deutschland eine Zeit ohne „girl friend“ gab. Es gab eine Braut und eine Ehefrau. Alles andere spielte sich im halbseidenen Milieu ab. In der muslimischen Gruppe gilt das immer noch. Da drohen unerhört harte Strafen, wenn sich Männer an ihre Mädchen heranmachen. Das Paradoxe ist, dass diese jungen Männer, die Frauen angegriffen haben, in ihrer eigenen Gruppe junge Frauen mindestens so heftig schützen.
Das wäre also ein klassischer Fall davon, dass man Leute außerhalb seiner Gruppe, in der Out-Group, anders behandelt als Leute innerhalb der eigenen Gruppe, also der In-Group. Natürlich bieten sich unterschiedliche Kulturen dazu erst recht an. Aber auch in gleichen Kulturen trifft man dieses Phänomen ja häufiger und es ist eine klassische Position gerade patriarchalerer Länder: Die eigenen bzw. die zur Familie gehörenden Frauen müssen „rein“ sein, die Schwester oder Tochter wird entsprechend verteidigt und der Versuch einfach so mit ihnen zu schlafen als Angriff gesehen. Selbst mit anderen Schwestern oder Töchtern zu schlafen, ohne von ihnen etwas zu wollen, ist hingegen natürlich okay. Das ist evolutionär auch eine gut erklärbare Vorgehensweise im Wege der Verwandtenselektion und aufgrund des Umstandes, dass die Kosten einer „Kurzeitstrategie“ für den Fall einer Schwangerschaft eben schnell auf die Familie der Frau abgewälzt werden statt das sie von dem Vater getragen werden. Leute in Ländern, die bereits auf effektive Verhütung und damit eine freiere Sexualmoral abgestellt haben, können sich zwar abweichende Verhalten erlauben, aber Kulturen stellen sich eben langsam um.
Die Übergriffe auf Frauen in Köln sind noch nicht aufgeklärt. Die Polizei geht aber von Tätern aus dem arabischen Raum aus. Ein Kulturkreis, in dem Frauen eine deutlich untergeordnete Rolle spielen.Quelle: Die Welt
Die Welt: Welches Bild haben die jungen Araber von westlichen Frauen?
Heinsohn: Die gelten schnell als Huren, weil die vorehelichen Verkehr haben. Sie werden zur Beute, auf die sie auch von den Eltern verwiesen werden, damit die Töchter rein und ehefähig bleiben. Da folgen die sexuellen Übergriffe quasi naturgesetzlich. Wenn man das vorher nicht weiß und die Einwanderung als Fortschritt zu allgemeiner Harmonie gepriesen hat, dann steht man als Naivling oder gar Täuscher da und sucht im Vertuschen einen Ausweg. Von der Polizei angefangen bis in die Politik.
Also auch wieder ein In-Grouping und ein Out-Grouping bzw eine Zuweisung bestimmter Werte, die auch wieder in gewisser Weise evolutionären Strategien folgt: Die sind eh nur für die Kurzzeitstrategie da, da sie eh keine Vatersicherheit bieten, lebt euch dort aus, aber verderbt nicht unsere „guten“, die für eine Langzeitstrategie votieren. Dass eine solche Haltung Übergriffe begünstigen kann leuchtet ein. Wobei ja auch diese Männer zum einen Strafbarkeiten kennen und zum anderen auch keine Bestien sind und auch in ihren Ländern Erfahrungen mit Touristinnen hatten und sich benommen haben.
Die Welt: Zu den größten aktuellen Vertuschungsskandalen gehört die Missbrauchsserie von Rotherham. Über Jahre wurden in der mittelenglischen Stadt 1400 Kinder und Jugendliche von britisch-pakistanischen Banden missbraucht. Behörden und Politikern konnte nachgewiesen werden, die Taten verschleiert zu haben.
Heinsohn: Diesen Vertuschungsmechanismus haben wir auch in Schweden und in Deutschland. Überall haben nette, fortschrittliche Menschen ein Problem überhaupt nicht auf dem Radar. Und dann nimmt es mit Wucht seinen eigenen naturwüchsigen kriminellen Weg. Doch wenn ich das einräume, dann stehe ich als Versager mit meiner fortschrittlichen Linie da. Und dann geht das Vertuschen weiter.
Die Welt: Ich kann diesen von Ihnen beschriebenen Mechanismus, der zu sexueller Gewalt führt, nachvollziehen. Tatsächlich aber wissen wir ja noch gar nicht so viel über die Täter von Köln. 19 Verdächtige, zehn davon Asylbewerber. Was ist, wenn unter denen tatsächlich die Einzelsöhne syrischer Oberschichtfamilien sind und nicht die frustrierten Zweit- und Drittsöhne ohne Zukunftsperspektive?
Heinsohn: Wir reden ja von einem allgemeinen Muster, einer Dynamik. Aber auch bei genauerer Betrachtung der Verhältnisse in den Herkunftsländern liegt der Eindruck nahe, dass es sich bei den Flüchtlingen nicht um Einzelsöhne oder Erstgeborene handelt. Einzelsöhne gibt es in der arabischen Welt bisher noch kaum. Die Erstgeborenen finden in den Heimatländern am ehesten eine akzeptable Position. In Deutschland, wo die jungen Männer, statistisch gesehen, einzige Söhne sind, häufig sogar Einzelkinder, da entwickelt sich diese Dynamik nicht. Da glänzt man mit Pazifismus.
Es würde mich interessieren, ob sich diese „Zweit-und Drittsöhne“-Problematik tatsächlich so zeigt. Wer dazu etwas näheres hat, der mag es in den Kommentaren mitteilen.
Die Welt: Ich möchte noch einmal auf Rotherham zurückkommen. Die Taten sind unfassbar, die Verschleierung ebenso. Aber mein Entsetzen über die Missbrauchsskandale in Großbritannien endet nicht bei Rotherham. Dem Missbrauchsskandal beim BBC sollen mehr als 500 Menschen zum Opfer gefallen sein. Das ist offenbar auch ein Problem der weißen Oberschicht, nicht nur der Migranten.
Heinsohn: Ich glaube, bei der Frage der Integration gibt es weder Rassenprobleme noch Religionsprobleme, sondern nur Kompetenzprobleme. Aber wenn die Leute in der Schule versagen, von Hartz IV leben müssen und dann nur gesehen wird: das sind Afrikaner, das sind Muslime – dann wird das Kompetenzproblem überdeckt mit einem Rassenetikett oder einem Religionsetikett. Kompetenz ist der Schlüssel zur Integration. Ich hatte an der Uni in Bremen ja Studenten aller Couleur und Religion. Da geht die Integration relativ schnell. Aber Exzellenzstudenten und Schulabbrecher bringen Sie nicht einmal bei gleicher Religion, Sprache und Hautfarbe dazu, miteinander zu leben. Deshalb sagen Länder mit Weitblick: Wir machen nur kompetente Einwanderung, um den inneren Frieden zu sichern.
Jemand, der sich ein gutes Leben aufbauen kann, weil er Kompetenzen hat und damit Geld und Status, wird auch eher Teil der Gesellschaft. Das ist sicherlich war. Er wird auch in vielen Fällen das Leben etwas mehr genießen wollen und eher die starren Regeln über Bord werfen vermute ich.
Insgesamt ein interessantes Interview aus meiner Sicht. Zu der These von Heinsohn noch ein Überblick aus der Wikipedia:
2003 publizierte Heinsohn Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen[71]. Für Gaston Bouthouls Befund,[72] dass es bei einem starken Ungleichgewicht zwischen karrieresuchenden jungen Männern und verfügbaren gesellschaftlichen Positionen zu Konflikten komme, ermittelte Heinsohn für den dafür erforderlichen Youth Bulge (Jugendüberschuss) einen Anteil von mindestens 30 % der 15- bis 29-jährigen an der männlichen Gesamtbevölkerung. Vor allem für den arabischen Raum einschließlich der Palästinensergebiete umriss er 2003 die ab 2011 im „arabischen Frühling“ zum Ausbruch kommenden Potentiale.[73] Um die Thesen des Buches entstand eine ausgedehnte Debatte, in der sich etwa Reiner Klingholz (Machen junge Männer Krieg?[74]) gegen sie wandte, während sich Soziologen um Uwe Wagschal ihnen mit eigenen Untersuchungen anschlossen.[75] Klingholz bemängelte die fehlende „statistische Grundlage für die Theorie des kriegsträchtigen Überhangs an jungen Männern“.[74] Er führte die These Heinsohns auf eine Studie der CIA aus dem Jahr 1995 zurück, wandte ein, dass die These für Länder wie Brasilien oder Botswana nicht zu gelten scheine, und stellte ihr die allerdings erst nach Heinsohns Buch publizierten Erkenntnisse des Berliner Demographen Steffen Kröhnert entgegen. Für Kröhnert zählen neben anderen kriegauslösenden Faktoren, zu denen auch die Perspektivlosigkeit der Jugend gehöre, vor allem Bildungsmangel und die überlange Herrschaft verkrusteter Diktaturen zu den Kriegsursachen. Hinzu komme die „Entstaatlichung“ der Kriege (Herfried Münkler). Darüber hinaus gelte: „Die Zahl der Kriege und bewaffneten Konflikte liegt seit Jahrzehnten bei etwa 6 bis 7 Auseinandersetzungen je Milliarde Erdenbürger.“[76] Lag der „Überschuss an jungen Menschen“ gar über 21 %, so sank, statistisch gesehen, die Kriegswahrscheinlichkeit; dies führt Kröhnert darauf zurück, dass die 15- bis 24-Jährigen vielfach schon selbst wieder Eltern seien, was einen „Jugendüberschuss“ kaum aufkommen lasse. Dabei „sind die meisten in Konflikte verwickelten Länder arm und schlecht entwickelt. Denkbar ist also, dass die Kriegsgefahr lediglich mit wirtschaftlicher (Unter)-Entwicklung zusammenhängt, die wiederum mit hohen Geburtenraten einhergeht.“ Jugendüberschüsse „über 21 Prozent können […] nur in Ländern mit zuvor hohen Geburtenraten entstehen, in denen die Kinderzahlen binnen kurzer Zeit deutlich gesunken sind“,[77] Er konzediert, dass der Jugendanteil ein „demografischer Stressfaktor“ sein könne, „der zum Ausbruch von Gewalt beitragen kann, wenn der Staat seinen Menschen keine wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten bietet.“ Unklar bleibe, ob er „lediglich Ausdruck des gesellschaftlichen Entwicklungsstandes ist, welcher Kriege begünstigt“.
Bevölkerungspyramide Afghanistans im Jahr 2015. 1978 hatte das Land eine Million „wehrfähige Männer im Alter von 20 bis 29 Jahren“, 1989 0,96 Millionen. 2001 waren es 1,65 Millionen, 2015 2,65 Millionen. Wegen dieses Wachstums, trotz der beiden Kriege, sah Heinsohn 2015 eine Militärintervention als aussichtslos an.Der Philosoph Peter Sloterdijk, der Heinsohn als „höchst anregenden Gelehrten, der die engeren Fachdisziplinen immer wieder zu wissenschaftlichem Nutzen überschreitet“[79] beschrieb, bezeichnete Heinsohns Buch Söhne und Weltmacht als „Pflichtlektüre für Politiker und Feuilletonisten“.[80] 2005 lud der Bundesnachrichtendienst Heinsohn zu einem Vortrag Wie wird sich die Welt entwickeln? – Krisenlage in [sic!] 2020 ein. Nach seinem Essay Babies win wars[81] bat ihn das Londoner City Forum zu einem Vortrag vorNATO-Kommandeuren über Demography and War.[82] In einem dort gehaltenen zweiten Vortrag analysierte er die Konflikte in Afghanistan und Pakistan aus ihrer über Jahrzehnte hinweg oberhalb von sechs liegenden Kinderzahl pro Frauenleben.[83]
Diese und weitere Publikationen trugen Heinsohn in der New Left Review den Vorwurf ein, „NATO’s demographer“ zu sein.[84] 2009 bis 2012 hielt Heinsohn zur Wechselwirkung von Kriegsdemographie und Kriegsrecht Vorträge an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, seit 2012 lehrt er am NATO Defense College in Rom u. a., dass Interventionen westlicher Staaten zurückgehen werden, weil sie – statistisch gesehen – einzige Söhne oder gar einzige Kinder gefährden würden, um gegen dritte oder vierte Brüder zu kämpfen.
Für die Abschätzung von Opferzahlen[85] und Dauer von durch Jungmännerüberschuss getriebenen Konflikten entwickelte er 2011 einen „Kriegsindex“,[86][87] der die Relation zwischen 15- bis 19-Jährigen misst, die in den Lebenskampf eintreten, und 55- bis 59-Jährigen, die sich dem Ruhestand nähern.[35] Bei einem Index von 6 (Beispiele Afghanistan, Gaza oder Uganda; zum Vergleich Deutschland 0,8) folgen auf 100 Ruheständler 600 junge Männer. Bei Indexwerten von 3 bis 6 seien Spannungen von steigender Gewaltkriminalität bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen wahrscheinlich.[88] Als Erklärung für Gewalt reiche der Kriegsindex allerdings nicht aus; vielmehr seien ein Index zwischen 3 und 7 sowie eine wirtschaftliche Entwicklung erforderlich, schlussendlich „also relativ gut beschulte, ernährte und medizinisch versorgte Jünglinge“.[35] Auch die Dynamik hinter dem Ersten Weltkrieg oder Europas Pazifizierung nach dem Zweiten Weltkrieg könnten, so Heinsohn, auf diese Art besser erklärt werden.[89]Umgekehrt lasse sich auch Kriegsmüdigkeit in einzelnen Fällen als ein Absinken der Kinderzahlen auffassen.
Der emeritierte Professor für Politik und Wirtschaft Mohssen Massarrat bemängelte in der Frankfurter Rundschau, dass etwa die Bevölkerungsentwicklung in Bangladesch, China und Brasilien zu Heinsohns Theorie nicht passe. Darüber hinaus bezeichnete er Heinsohns Postulat, dass internationale Hilfsorganisationen aufhören müssten, durch ihren Einsatz die „Kinderproduktion“ in Krisengebieten und Entwicklungsländern zu fördern, als „zynisch“.[90]
Die Thesen sind also nicht ganz ohne Kritik geblieben. Hat da noch jemand was zu?