Kausalität, Biologie und Evolution

Elmar hat einen Artikel über Prognosen und Erklärungen geschrieben, der irgendwie mal wieder darlegen soll, das biologische Theorien falsch, Biologismus, und geradezu unmöglich sind.

Seine Zusammenfassung lautet:

In den Naturwissenschaften gilt: Erklärungen erzeugen keine Prognosen und Prognosen erklären nichts. Und die Güte einer Erklärung kann auch nicht durch die Treffsicherheit einer Prognose gemessen werden. Argumentformen erzeugen keine Erklärungen, aber Erklärungen ohne Argumente gibt es nicht. Erklärungen benötigen keine Gesetze und keine Kausalaussagen. Der Kausalbegriff ist in der Physik nicht eindeutig, wird aber an alle anderen Naturwissenschaften vererbt. Kausalaussagen oder kausale Prozesse können manchmal, müssen aber nicht immer etwas erklären und eine analysierende Vereinheitlichung allein genügt nicht immer für das Zustandekommen einer Erklärung. Vor allem aber betreffen Erklärungen immer Behauptungen, deren Wahrheit wir bereits mit guten Gründen akzeptiert haben: Erklärungen, die systematisieren, erzeugen zwar ein spezielles Wissen, aber ob es sich wirklich um Erklärungen handelt, messen wir unter anderem in Termen von unabhängig verfügbaren Wissen. Wenn es in den Naturwissenschaften offenbar so überraschend kompliziert ist, welchen Grund haben wir dann zu glauben, daß das Verhalten der Personen so viel einfacher zugänglich ist? Und woher kommen eigentlich die Prognosen in Biologismus und evolutionärer Psychologie, wenn sie nicht von den Erklärungen über die Ursprünge des Verhaltens geliefert werden?

Es kann gut sein, dass ich das Ganze falsch verstehe, es scheint mir aber eine recht willkürliche Aufteilung zu sein, die an den tatsächlichen Gegebenheiten vorbeiredet.

Wenn man Biologie verstehen will, dann muss man zunächst Evolution verstehen. Man muss verstehen, dass es dort um Mutationen und Selektionen geht, dass dieses ein zielloser Prozess ist, der ohne Steuerung auskommt, der aber dennoch unglaublich komplexe Gebilde und Strukturen schaffen kann.

Sie haben beispielsweise unser Gehirn geschaffen, welche unzweifelhaft eine äußerst komplexe Struktur ist.

Soweit werden sicherlich die meisten noch zustimmen.

Jetzt kommt der Punkt, an dem die Philosophen wohl einige Probleme haben:

Dieser Prozess kann Denkregeln schaffen, ebenso wie Vorlieben, instinkthaftes Verhalten, das Unterbewußtsein etc und klassische Formen von Erklärung und Kausalität greifen hier nicht mehr.

Denn es kommt hier zum einen eine zufällige Mutation und zum anderen ein Selektionsprozess zusammen, der nicht so abgelaufen sein muss, der nicht zwingend ist, der auch hätte in eine andere Richtung verlaufen können und der dennoch bestimmten Regeln folgt, die man in einer Ex-Post-Betrachtung, also eine Betrachtung im Nachhinein nachvollziehen und zuordnen kann.

Das Ergebnis dieses Selektionsprozesses kann dabei ein Horn zur Verteidigung sein oder aber auch eine Denkroutine, die zB die Fähigkeiten eines Angreifers zB seine Größe etc in Flucht oder Kampf umrechnet, und das im Verhältnis zu dem, was es zu bewahren gilt (die äußeren Grenzen eines großen Reviers? Der Nachwuchs, der sonst deinem Fressfeind ausgeliefert ist?)

Ich verstehe wie gesagt vielleicht auch nicht die dort aufgemachte aus meiner Sicht sehr theoretische Differenzierung:

Wenn ich weiß, dass ein Hammer zum Schmieden von Schwertern konstruiert worden ist und der andere Hammer dazu, den Kniesehnenreflex zu testen, dann kann ich deswegen natürlich auch eine gute Prognose abgeben, welcher wohl mehr aushält, selbst wenn ich die Hammer nicht gesehen habe.

Ebenso kann ich aus den mir bekannten Daten zur Kostenverteilung menschlicher Fortpflanzung überlegen, wie wohl das Gehirn konstruiert sein wird und daraus Thesen zum Verhalten ableiten. Es ist zB sehr wahrscheinlich, dass das Geschlecht, welches die geringeren Fixkosten  der Fortpflanzung trägt weitaus eher zu „casual Sex“ bereit sein wird.

Oder man müsste genauer formulieren: Das Gehirn wird eher so eingerichtet sein, dass es Gelegenheiten zu Casual Sex als attraktiv wahrnimmt und es wird die Erkennung entsprechender Muster eher mit der Aktivierung von „Belohungsgehirnarealen“ verbunden sein. Diese evolutionär entstandene Bewertungsroutine des Gehirns führt dann dazu, dass dieses Verhalten attraktiver ist und ein entsprechender Handlungsimpuls, dessen Stärke je nach Gelegenheit und anderen Faktoren variiert, schwerer von dem logisch denkenden Teil unseres Gehirns ausgebremst werden kann.

Natürlich sind das erst einmal Theorien, ob sie plausibel sind, kann durch Experimente, Studien etc festgestellt werden.

Dazu gibt es ja auch eine Menge Möglichkeiten: Nahezu jedes „System“ am Menschen kann ausfallen, sei es durch eine Mutation oder eine Gehirnverletzung, solange es nicht für das Überleben wichtig ist. Es gibt Leute ohne Kurzzeitgedächtnis, ohne Langzeitgedächtnis, ohne die Fähigkeit Emotionen zu erkennen oder Entscheidungen zu treffen (weil zB ihr Filter für „wichtig“ und „unwichtig“ nicht funktioniert. Es gibt Leute, die sexuelle Anziehung nicht verstehen oder wie man überhaupt sexuelles Begehren empfinden kann. Es gibt Leute, die unter der Einwirkung von Gehirnverletzungen ihr Verhalten und ihre Persönlichkeit verändern.

Beispielshaft sei hier der berühmte Fall des Phineas Gage angeführt:

Phineas P. Gage (* wahrscheinlich am 9. Juli 1823 in Lebanon, New Hampshire; † 21. Mai 1860 in San Francisco, Kalifornien) arbeitete als Vorarbeiter bei einer amerikanischen Eisenbahngesellschaft bei Cavendish, Vermont, und erlitt dort am 13. September 1848 einen schweren Unfall. Bei einer von ihm durchgeführten Sprengung schoss eine etwa 1,10 m lange und 3 cm dicke Eisenstange von unten nach oben durch seinen Schädel und verursachte einen großen Wundkanal. Die Stange trat unterhalb des linken Wangenknochens in den Kopf ein und oben am Kopf wieder aus (Läsion im orbitofrontalen und präfrontalen Kortex). Während des Unfalls blieb Gage bei Bewusstsein und war auch später in der Lage, über den gesamten Hergang des Unfalls zu berichten. Er überlebte den Unfall, und die Wunden heilten, lediglich sein linkes Auge wurde durch den Unfall irreversibel zerstört.

Der Unfall des Phineas P. Gage ist für die neurowissenschaftliche Forschung von großer Bedeutung: Nach Angaben seines Arztes, John D. Harlow, war er nach wenigen Wochen körperlich wiederhergestellt, und auch seine intellektuellen Fähigkeiten, einschließlichWahrnehmung, Gedächtnis, Intelligenz, Sprachfähigkeit, sowie seine Motorik waren völlig intakt. In der Zeit nach dem Unfall kam es jedoch bei Gage zu auffälligen Persönlichkeitsveränderungen. Aus dem besonnenen, freundlichen und ausgeglichenen Gage wurde ein kindischer, impulsiver und unzuverlässiger Mensch. Dieses Krankheitsbild ist heutzutage in der Neurologie als Frontalhirnsyndrom bekannt.

Gage litt nach dem Unfall immer wieder an epileptischen Anfällen und Fieberschüben, verlor nach einem heftigen Krampfanfall das Bewusstsein und erlangte es nach einer Reihe von weiteren Krämpfen nicht wieder. Er starb am 21. Mai 1860. António Damásio ist der Ansicht, dass er einem Status epilepticus zum Opfer fiel.

1867 wurde der Körper exhumiert. Der Schädel sowie die seinerzeit mitbeigesetzte Eisenstange wurden im Museum der Harvard Medical School ausgestellt. 1994 wurde der Schädel an der Universität Iowa von Hanna Damasio gescannt und am Computer ein Gehirn simuliert, das in diesen Schädel passte. Anhand der Löcher im Schädel konnte so festgestellt werden, welche Hirnareale durch die Stange beschädigt wurden.

Das Frontalhirnsyndrom zeigt eine gewisse Nähe zum „Computermodell“:

Allgemein schreibt man diesen Hirnteilen, die auch als präfrontaler Cortex bezeichnet werden, eine Analyse- und Überwachungsfunktion zu. Daher wurde für ihn auch der Begriff „supervisory attentional system“ (SAS) eingeführt. Es besteht ein dichtes Netzwerk zu vielen anderen Hirnteilen. Auf diese Weise können unterschiedlichste Informationen analysiert, bewertet, „verrechnet“ und die Ergebnisse wieder zurückgesendet werden – ähnlich dem zentralen Prozessor (CPU) eines Computers. Aufgrund der zahlreichen präfrontalen Verbindungen („Projektionen“) zu anderen Gehirnstrukturen können auch Läsionen in anderen Hirnabschnitten zu einem Dysexekutiven Syndrom führen, z. B. Thalamus, kortikale oder subkortikale limbische Strukturen,Basalganglien. (…)

Das Supervisory Attentional System (SAS) ist nicht mehr dazu in der Lage, Handlungen des Menschen flexibel auf neue Situationen einzustellen (kognitive Flexibilität). Das problemlösende Denken und eine vorausschauende Handlungsplanung sind z. T. massiv gestört. Irrelevante (Umwelt-)Reize können nicht mehr von relevanten unterschieden werden. Es findet keine ausreichende Analyse mehr statt. Bei Routinehandlungen dagegen zeigen sich in der Regel keinerlei Probleme. Personen mit einer Schädigung des Frontalhirns sind hier zumeist unauffällig: z. B. Einkaufen von alltäglichen Dingen, Frühstück- oder Abendessenrichten, Wahrnehmen von Arztterminen usw.

Folgende kognitive Störungen können im Rahmen eines dysexekutiven Syndroms auftreten und mit unterschiedlichen Tests erfasst werden:

  • Unzureichende Problemanalyse
  • Unzureichende Extraktion relevanter Merkmale
  • Unzureichende Ideenproduktion (Verlust von divergentem Denken und Einfallsreichtum)
  • Verringerte Wortflüssigkeit und Reduktion der „Spontansprache“
  • Haften an (irrelevanten) Details
  • Mangelnde Umstellungsfähigkeit und Hang zu Perseverationen
  • Ungenügende Regelbeachtung und Regelverstöße (auch im sozialen Verhalten)
  • Einsatz planungsirrelevanter Routinehandlungen
  • Verminderte Plausibilitätskontrollen
  • Keine systematische Fehlersuche
  • Alternativpläne werden kaum entwickelt
  • Handlungsleitendes Konzept geht verloren
  • Schwierigkeiten beim gleichzeitigen Beachten mehrerer Informationen (Arbeitsgedächtnis)
  • Kein „Multi-Tasking“ mehr möglich
  • Handlungskonsequenzen werden nicht vorhergesehen
  • Kein Lernen aus Fehlern
  • Unbedachtes und vorschnelles Handeln (erhöhte Impulsivität)
  • Rasches Aufgeben bei Handlungsbarrieren (reduzierte Beharrlichkeit und Willensstärke)
  • Wissen kann nicht mehr in effektive Handlungen übersetzt werden („Knowing-doing-dissociation“)

Das Faszinierende daran ist auch, dass es zeigt, dass wir einen Teil unserer Tätigkeiten nicht durch „logisches Denken“, sondern quasi auf dem Autopilot unserer Gewohnheiten erledigen und dieser Teil biologisch abgrenzbar ist (ein gutes Beispiel für die „Modultheorie“ der Evolutionsbiologie). Das ist der Teil unseres Gehirns wegen dessen wir uns plötzlich vor einer geöffneten Kühlschranktür finden und uns wundern, dass wir ja gar nichts essen wollten oder bei der wir gedankenverloren von zu Hause losfahren und statt in die eigentlich gewollte Richtung in Richtung der Arbeit abbiegen, weil wir diese Strecke sonst immer fahren.

Ist hingegen eben das „Aufsichtssytem“ gestört, dann denken wir anders. Wir haben keine Willensstärke und folgen unseren unterbewußt errechneten Handlungswünschen. Eben weil unser Gehirn in diesem Moment auf diese Weise funktioniert. Das wäre aber unmöglich, wenn wir nicht ein durch Evolution entstandenes Gehirn hätten, bei dem sich immer mehr entwickelt hat und unsere unterbewußten Wünsche und Handlungsmotivationen immer mehr durch eine Kontrollorgan einer Prüfung unterzogen worden ist, die sich teilweise durchsetzt und ein entsprechendes Handeln verhindert, bei besonders starken Reizen aber eben der Versuchung nicht widerstehen kann. Wir haben eben durch langsame Evolution nicht unsere biologisch vorgegebenen Wünsche und Handlungsmotivationen verloren, wir setzen sie nur intelligenter um und sortieren unvernünftige Wünsche eher aus.

In dem Modell von Elmar wären diese Wünsche, die auf Gehirnroutinen beruhen, die durch Mutation und Selektion entstanden sind, durchaus Erklärungen für unser Handlen („weil Fette und Zucker gute Nährstofflieferanten sind schmecken sie uns gut und das Erkennen solcher Nahrungsmittel, sei es optisch oder durch Geruch und (im Gedächtnis gespeicherten) Geschmack löst daher über den Hunger eine Handlungsmotivation aus“). Wenn aber der entdeckte Schokoriegel gegessen wird, dann würden wir dennoch im Vorfeld keineswegs eine sichere Prognose aufstellen können, dass dieser gegessen wird. Weil wir eben keine simplen Reiz-Reaktion Automaten sind. Eine strikte Kausalität in dieser Hinsicht liegt insofern nicht vor, aber das ist auch nicht erforderlich um solche Faktoren dennoch als wichtige Faktoren im menschlichen Handeln zu bewerten. Wir können gut nachvollziehen, warum uns der Schokoriegel oder das Glas Nutella mehr in Versuchung führt als eine Fenchelstaude oder ein Becher Sand. Unter dem Aspekt, dass wir bestimmte Geschmacks- und Geruchsvorlieben entwickelt haben, die unserem Gehirn mitteilen, dass etwas Nähstoffreich ist, können wir sogar Täuschungen wie Süßstoffe verstehen, auch wenn uns logisch bewusst ist, dass wir unseren Körper gerade täuschen: Wir wollen das Glücks- und Geschmackserlebnis der Süße als sinnentleertes Gefühl und – in der heutigen Zeit – nicht dessen „Nachteile“. Wir können dies verstehen, weil wir verstehen, dass im Rahmen der Evolution kein perfektes System, welches durch Süßstoffe nicht zu täuschen ist, entstehen musste. Es reichte ein damals sicheres System.

Menschliches Verhalten ist insofern nicht verständlich, wenn wir uns nicht mit den unterbewussten Wünschen, Ängsten, Verhaltenssystemen beschäftigen, die evolutionär entstanden sind. Denn diese bilden in vielen Punkten überhaupt erst die Grundlage, auf der wir dann zur Umsetzung scheinbar logische Entscheidungen treffen. Es macht keinen logischen Sinn Sex mit Verhütungsmitteln zu haben ohne Verständnis der Biologie. Es macht keinen logischen Sinn bei diesem Sex mit Verhütungsmitteln einen nach unser Vorstellung attraktiven Partner zu bevorzugen ohne die Biologie. Es  macht keinen Sinn zu lieben, eifersüchtig zu sein, sich zu schämen oder Angst vor Statusverlust und Peinlichkeit zu haben ohne die Biologie. Psychopathen handeln in dieser Hinsicht vielleicht wesentlich logischer, nur nehmen wir dies in unser biologisch bedingten Unlogik nicht als Logik war. Verständlich wird dies alles erst, wenn man die evolutionären Hintergründe des Verhaltens versteht. Das gilt um so mehr im Geschlechterbereich.

Wenn es um Biologie geht, dann muss es insofern auch gar nicht per se um Kausalität im strikten Sinne gehen. Das ist eine viel zu monokausale Betrachtung, bei der nur eine Motviation vorherrscht und umgesetzt wird. Es werden aber beständig verschiedene Motivationen ausgelöst, von dem Wunsch nach Sex verbunden mit dem Wunsch nicht vor anderen abgelehnt zu werden und soziale Abwertung zu erfahren, dem Wunsch Ressourcen zu besitzen und dem Wunsch als großzügig wahrgenommen zu werden. Der Wunsch sicher zu sein und der Wunsch aus der Menge hervorzustechen im positiven Sinne. Nicht nur zwei Seelen wohnen ach in unserer Brust, sondern unsere tatsächliche Handlung ist das Ergebnis einer Vielzahl von Wünschen, Motivationen, Ängsten etc, die aussortiert und logisch bewertet werden, deren Dringlichkeit und Gewicht in dieser Bewertung aber keineswegs rein logisch sein muss, sondern gegebenfalls nur logisch innerhalb unserer Biologie ist (ein normalgewichtiger Mensch verhungert nicht, wenn er einen Tag nichts ist, aber Hunger kann nach einem Tag ohne Essen trotz dieses Umstandes ein sehr hohes Gewicht in der Entscheidung zwischen der Erfüllung verschiedener Motivationen haben, die uns „etwas essen“ als logische Entscheidung erscheinen lässt.

Ist es jetzt von Belang, dass wir die Entscheidung des Menschen nicht sicher vorhersagen können? Aus meiner Sicht nicht. Hier wird schlicht ein Strohmann aufgebaut, der mit bestimmten Begriffen, die auf das Modell nicht passen, eine scheinbar logische Ablehnung dieser Theorien ermöglichen soll.

Was auch wichtig zu verstehen ist: In vielen Punkten wird gar nicht per se auf evolutionäre Erklärungen abgestellt, sondern auf biologische. Wenn Testosteron zB die Risikobereitschaft erhöht, dann wirkt sich das auf das Verhalten aus. Ob das der Fall ist, kann man durchaus schlicht testen. Wie dann die evolutionäre Erklärung dazu ist, das wäre dann noch nicht einmal wichtig.

Das die Biologie unser Denken beeinflusst ist allerdings in der heutigen Zeit wirklich nicht mehr zu leugnen.

54 Gedanken zu “Kausalität, Biologie und Evolution

  1. Zitat. „Wenn man Biologie verstehen will, dann muss man zunächst Evolution verstehen. Man muss verstehen, dass es dort um Mutationen und Selektionen geht, dass dieses ein zielloser Prozess ist, der ohne Steuerung auskommt, der aber dennoch unglaublich komplexe Gebilde und Strukturen schaffen kann.
    Sie haben beispielsweise unser Gehirn geschaffen, welche unzweifelhaft eine äußerst komplexe Struktur ist.
    Soweit werden sicherlich die meisten noch zustimmen.“

    Es ist immer wieder versucht worden die These von den positiven zufälligen Mutationen im Labor zu beweisen, z.B. an Fruchtfliegen u.ä. Das hat aber nie geklappt, der Beweis für die These muss also erst noch erbracht werden.
    Dazu folgendes Zitat:

    „Die bei Drosophila erfaßten klassischen Varianten weisen normalerweise Verfall, Versagen oder Verschwinden einiger Organe auf. Man kennt Mutationen, die an Augen, Borsten und Beinen die Pigmentbildung verringern oder zerstören. Viele Mutationen wirken tatsächlich tödlich auf den Träger. Variationen, die der normalen Fliege an Vitalität gleichkommen, sind eine Minderheit, und Variationen, die eine größere Verbesserung der normalen Organisation innerhalb einer normalen Umgebung aufweisen, sind unbekannt.“

  2. EvoChris hat mal wieder meinen post nicht gelesen oder nicht verstanden.

    Der post hat direkt mit Biologie nichts zu tun, obwohl es sehr interessant wäre, die spezifischen funktionalen Erklärungen, die in der Biologie verwendet werden, zu untersuchen.

    Vielmehr referiert der Artikel, was in der Wissenschaftheorie in Jahrzehnten über Erklärungen und ihre Zusammenhänge mit anderen wesentlichen Begriffen wie z.B.

    Argumentform
    Naturgesetz
    natürliche Kausalrelationen
    Prognose
    Wissen

    herausgefunden wurde.

    Mit meiner Meinung hat das überhaupt nichts zu tun – weshalb ich ja auch auch fleißig Literatur zitiere.

    Ein sehr interessanter Punkt besteht darin, daß der Kausalbegriff vortheoretisch ist und von den Physiker selbst nicht eindeutig verwendet wird: Sie praktizieren einfach kein homogeness Verständnis der natürlichen Prozesse in der Natur.

    Man kann sich an 3 Fingern abzählen, daß das

    IRGENDWIE

    Folgen haben muß für das Verständnis biologischer Prozesse und natürlich für einen kausalen Beinahe-Determinismus, auf den kein Biologismus verzichten kann.

    Aber WIE GENAU – das steht in den post noch nicht drin.

    Würde man alles, was zur Widerlegung des Biologismus anfällt, in einen einzigen post, schreiben, dann würde ein Buch dabei herauskommen – was online keiner lesen würde.

    Man muß eher häppchenweise veröffentlichen und die Häppchen dann zusammensetzen.

  3. Wenn du, EvoChris, aber wissen willst, worauf das alles hinausläuft, dann kann ich dir – und den anderen – den Masterplan gerne verraten, denn du kannst den ohnehin nicht aufhalten:

    Du, EvoChris, hast dich mal beklagt, warum ich deine/Dawkins/Pinkers These als Biologismus bezeichne. Das hat seinen Grund in etwas, daß jeden, der sich irgendwie schon ernst mit Theorien beschäftigt hat, die nicht nur von Menschen als biochemische Maschinen, sondern als Personen mit mentalen Charakteristika beschäftigt hat, schon mal gerettet hat. Und das ist Ideengeschichte.

    Die erste Lektion dazu hättest du im Feminismus lernen können. Aber weil du dich vor allem für Frauen interessierst, deutest du Feminismus von der feministischen Praxis her als politisches Mittel der Frauen. Doch in Wahrheit ist er das nicht, sondern er ist der Ideengeber der feministischen Theorie.

    Diesere Ideengeber ist natürlich selbst nicht vom Himmel gefallen, irgendwer hat den ersten Schritt getan – wie in der Evolution, da waren es Darwin/Wallace, die ihrerseits 29 geistige Vorväter angeben.

    Im Feminismus ist das Simone des Beauvoir, die im wesentlichen von Sarte abgeschrieben hat, der seinerseits in der kontinentalphilosophischen Tradition der Existenzialisten steht. Die historische Komponente daran ist langweilig, aber wie sich die Ideen dabei auseinander entwickeln – das ist der Punkt, der enorm helfen kann, am Ende die Dynamik der feministischen Praxis zu verstehen.

    In deiner Weltsicht ist eine solche Dynamik natürlich nahezu konstant, weil sich ja immer die biologisch determinierten Wünsche durchsetzen … blablabla … aber in der Realität gibt es natürlich.

    Verstanden? Jetzt machen wir dasselbe für Biologismus mal analog: Wir suchen die Ideengeber des Biologismus und der muß nicht in der Biologie liegen.

    Denn was jetzt gerade läuft, ist die Widerlegung des Biologismus aus Sicht des Humanismus: Was der Humanismus später nicht braucht, wird nicht gezeigt und was jetzt gezeigt wird, ist nicht alles, was es gegen Biologismus zu sagen gibt.

    Evolutionsbiologie hat ungefähr 100 Jahre gebraucht, um sich zu entwickeln, 3 von 5 darwinistischen Theorien waren falsch und die meisten Ideen stammen gar nicht von Darwin. Historisch ist das alles längst erforscht.

    Aber Biologismus hat sich unmittelbar nach Erscheinen von THE ORIGIN OF SPECIES entwickelt und z.B. Cesare Lombardo, der Darwins Theorie kannte. spielt eine große Rolle. Auf literarischer Seite sind dann auch schon ein Jahr später die ersten wissenschaftlichen Fiktionen da z.B von Emile Zola. Emile Zola schrieb zwischen 1871 – 1893 seinen Roman-Zyklus Les Rougon-Macquart, eine Folge experimenteller Romane, die die unvermeidlichen sozialen und persönlichen Konsequenzen naturwissenschatlicher Tatsachen für den Menschen ausloten sollten – und natürlich waren die genetischen Dispositionen hier dabei. Zola’s Ergebnis ist – cum grano salis – das das Leben der Individuen primär aus der Entfaltung seiner genetischen Anlagen resultiert. Zwar kann die Umwelt den Verlauf der Ontogenese temporär modifizieren, doch – so führt Zola z.B. in L’Assommoir aus – am Ende triumphiert das genetische Erbe.

    Kommt dir das bekannt vor?

    Auch Charles Dickens hat entsprechende Romane geschrieben.

    Die Pointe entsteht nun, wenn man die Häppchen zusammensetzt.

    a) Es gibt sechs verschiedene falsche philosophische Annahmen, ohne die kein Biologismus verständlich wird. Eenn man bemerkt, daß die zusammenarbeiten, um eine Geschichte zu erzeugen, wird die Sache interessant.

    b) Denn lange bevor sich Biologisus aus den Belegen der Evolutionsbiologie hätte entwickeln können, gab es ihn schon in einer Form in der Literatur, die heute immer noch widerholt wird – z.B. von dir, aber bei dem Thema „Frauen ficken.“.

    c) Ich gehe daher jede Wette ein, daß sich Evolutionsbiologie und Biologismus als Ideologie parallel zueinander entwickelt haben und der Biologismus sich nur punktuell heraussucht, was ihm als wissenschaftliche Fiktion, die auch sicher unter den Biologen verbreitet ist, in den Kram paßt.

    d) Diese ganze – neue und über die Kritik des Humanismus am Biologismus weit hinausreichende – story kann man beweisen, wenn man zeigen kann, daß z.B. das biologistishe Verständnis von Genen mit dem heute in der modernen Biologie verwendeten Verständnis nichts mehr zu tun hat.

    Als erfahrener Naturwissenschaftler ist es für mich natürlich kein Problem, mich da einzuarbeiten und mein erster Eindruck ist, daß die Sache gar nicht schlecht aussieht.

    in short: Biologismus ist – wie der Feminismus – eine literarisch geborene, wissenschaftliche Fiktion, die von der wirklich bestehenden modernen Evolutionsbiologie längst ad acta gelegt und vor allem experimentell widerlegt wurde.

    Da ich schon viele solcher Projekt gemacht habe, schätze ich die Chancen, daß das Projekt NICHT – wie geplant – klappt auf gerade mal 1/3. Das bedeutet, daß du mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 in ein paar Monaten mit deinem Themenblog gerade mal noch so aktuell und wichtig bist, wie ne Zeitung von gestern.

    Und da ich weiß, wie wesentlich das alles hier für deine Psychohygiene ist, solltest du dir rechtzeitig was Neues suchen.

    Denn (Hand schwer auf Schulter leg) du kannst das hier nicht gewinnen – no way.

    Für die Männer ist das übrigenss gut: Denn ohne Biologismus werden sie ihre soziale Welt viel besser verstehen.

    • Ich wollte jetzt erst sagen: Sowas kannst Du nicht schreiben!

      Aber diese kurze Aussage ist vielleicht der beste Beitrag hier im ganzen Thread.

      Wer wirklich was zu sagen hat, braucht keine langen Sätze … 😉

  4. Elmars Versuch, das ganze formal als Großintellektualismus aufzublasen, ist ziemlich anstrengend und verstellt vor allem den Blick für den eigentlichen Kern.

    Wenn ich es richtig entziffere, dann geht es Elmar darum, dass „Biologismus“ und wahrscheinlich viel im Zusammenhang mit Evolutionstheorie nur Rationalisierung ist und keine Theorie über einen Wirkmechanismus. Das stimmt auch. In gewisser Hinsicht handelt es sich um eine reine Erzählung. Man beobachtet Phänomene aus der Gegenwart und schaut dann zurück, wo die evolutionstechnisch herkommen könnten, versucht dies mit einer eher dürftigen Indizienbasis an Funden der evolutionären Vergangenheit zu verknüpfen und schließt dann in der Evolutionären Psychologie zurück auf die Phänomene der Gegenwart. Biologismus betreibt etwas ähnliches, nur als Überbrückung von Körper und Geist.

    Das ist eine berechtigte Kritik oder sagen wir mal, etwas was man im Auge behalten sollte, wenn man die Grenzen des Modells nicht überstrapazieren will. Aber ein Grund für die Verwerfung von Biologismus ist das noch lange nicht, dafür ist diese Kritik weder notwendig noch hinreichend.

    Denn die mangelnde Vorhersagequalität dieser Rationalisierungen entsteht nicht so sehr aus den Diffusheiten der Theorie, als mehr der uferlosen Komplexität der Phänomene, zwischen die sie gestellt werden müsste. Daraus folgt, dass Biologismus zwar gemessen am Ideal erhebliche Defizite hat, aber in Ermangelung von etwas besserem bleiben solche erklärenden Theorien trotzdem nützlich.

      • Ach so?

        Du meinst, daß alles, was so gewesen sein könnte, ist auch so und wenn es so gewesen sein könnte, dann erklärt es auch, warum es wirklich so ist? Und wenn ich weiß, wie es gekommen ist, inwiefern erklärt mir das, warum Menschen etwas tun?

        Warum ist dein Beinahe-Determinismus wahr – der übrigens eine Modalaussage ist und deshalb nicht durch empirische Studien bewiesen werden kann.

        Denn empirische Studien zeigen nur, was der Fall ist. Determinismus aber sagt auch etwas darüber aus, was nicht der Fall und sogar über das, was gar nicht der Fall sein kann.

        Verstehst du irgendwas davon?

    • @lh

      „Wenn ich es richtig entziffere, dann geht es Elmar darum, dass “Biologismus” und wahrscheinlich viel im Zusammenhang mit Evolutionstheorie nur Rationalisierung ist und keine Theorie über einen Wirkmechanismus. Das stimmt auch.“

      Nicht so ganz….

      Evolutionsbiologie ist eine ganz normale Theorie, die immer wieder in Teilen verbessert und verworfen wird – wie im Grunde alle Theorien. Das abzustreiten scheint mir gerade zu selbstmöderisch zu sein.

      Den Punkt, den ich – neben der Widerlegung des Biologismus aus humanistischer Sicht – machen will, ist der, daß bereits die ersten Ideen aus der beginnenden Evolutionstheorie benutzt wurden, um das Rätsel des mind-body-problems zu lösen – zu einer Zeit, als Darwin das Wort „Evolution“ noch nicht benutzte. Auch „fitness“ kommt erstmal in der 4. Auflage von ORIGIN OF SPECIES von 1865 vor.

      Das mutmaßliche Resultat dieser Anwendung ist eine wissenschaftliche Fiktion, die sich aus einer kriminologische Typenlehre (Lombardo) entwickelt und von der Belletristik (Zola, Dickens) dankbar aufgegriffen wurde. Diese Fiktion ist die wahre Natur des Biologismus, Biologismus ist eine Ideologie, die die Autorität der Naturwissenschaften benutzt, um sichc wie ein Krebsgeschwür zu verbreiten und ab und an weiter ausformuliert wird, indem sie Studien für ihre Zwecke umdeutet. Einige Biologen sind selbst dieser Ideologie erlegen, wie z.B. Gerhard Roth. Auch in der Udry-Studie kann man den Quatsch nachweisen, den Auch schon die Nazis benutzt haben, um damit Unfug zu treiben.

      Insofern stimmt es, daß Biologismus eine Erzählung ist, aber er ist keine Rationalisierung in Sinne einem psychologischen Sinne derart, daß wir etwas kaschieren wollen.

      „Man beobachtet Phänomene aus der Gegenwart und schaut dann zurück, wo die evolutionstechnisch herkommen könnten, versucht dies mit einer eher dürftigen Indizienbasis an Funden der evolutionären Vergangenheit zu verknüpfen und schließt dann in der Evolutionären Psychologie zurück auf die Phänomene der Gegenwart. Biologismus betreibt etwas ähnliches, nur als Überbrückung von Körper und Geist.“

      So ist es. Evolutionäre Erklärungen müßten eigentlich anthropolitisch sein, aber das sind sie nie, sondern sie wollen immer nur funktional sein und natürliche Kausalrelationen benutzen.

      Außerdem sind sie natürlich immer fatal einseitig: Sie erzählen nur, wie sich der Menschen unter seiner Umwelt veränderte, berücksichtigen aber nicht, daß jede Generation erstens seiner lokalen Umgebung ausweicht und zweitens seinen Nachkommen eine veränderte Umgebung hinterläßt. Wie schnell Spezies ihre Umwelt verändern können, sieht man z.B. am Yellostone National Park, wo Wölfe in 20 Jahren alles verändert haben. Solche Kaskadeneffekte kommen in den Geschichten des Biologismus nicht vor, weil Darwin sie nicht kannte. Aber die moderne Evolutionsbiologie kennt sie selbstverständlich.

      „Das ist eine berechtigte Kritik oder sagen wir mal, etwas was man im Auge behalten sollte, wenn man die Grenzen des Modells nicht überstrapazieren will.“

      Ja, „im Auge behalten“ ist die richtige Einstellung, man muß das erst mal weiter verfolgen.

      „Aber ein Grund für die Verwerfung von Biologismus ist das noch lange nicht, dafür ist diese Kritik weder notwendig noch hinreichend.“

      Absolut richtig.

      „Denn die mangelnde Vorhersagequalität dieser Rationalisierungen entsteht nicht so sehr aus den Diffusheiten der Theorie, als mehr der uferlosen Komplexität der Phänomene, zwischen die sie gestellt werden müsste.“

      Ja, kluge Beobachtung.

      „Daraus folgt, dass Biologismus zwar gemessen am Ideal erhebliche Defizite hat, aber in Ermangelung von etwas besserem bleiben solche erklärenden Theorien trotzdem nützlich.“

      Na ja …. kommt drauf an, worin man den Nutzen sieht. Meiner Ansicht nach ist er eher psychologisch, weil er natürlich wie jede andere (falsche) Ideologie oder Religion ihren Anhängern Orientierung vorgaukelt.

      Aber nur „wahr“ ist „erfolgreich“, d.h. über ein ziemlich niedriges level kommen die Biologisten nie hinaus.

      • Die kommen immerhin über ein abstraktes level hinaus und viele Thesen aus der Biologie werden täglich bestätigt, zB bei fallen wie David Reimer, CAH, cloacal exstophy, Transsexualität etc. Wir finden die Auswirkungen von Hormonen und die dadurch sich ergebenden Auswirkungen in tausenden von Experimenten.

        Blendest du natürlich aus.

        Du bleibst auch immer noch schuldig ob und was deine Theorien dazu beitragen können diese Probleme zu lösen

        • Ja, CAH-Mädchen … das ist auch so eine Nazi-Geschichte …. ich bin da gerade dran … schlimm.

          Reimer ist ein Einzelfall, den wir gar nicht verstehen, keine Regel.

          Ach egal … jetzt spult Klein-Ego-Chris … ähn… Klein-EvoChris wieder sein Standardliste von Fehlern ab… langweilig.

          Ich geh mal raus in die Sonne. 🙂

      • Selbst wenn diese Details der historischen Entwicklung biologistischer Theorien anrüchig sind, ist das nur ein Argument gegen Biologismus, wenn man Vegetarier für Nazis halten will, weil Hitler Vegetarier war. Das ist Quatsch.

        Rationalisierende Überlegungen wie Biologismus lassen sich zwar nicht anhand ihrer Vorhersagequalität beweisen, aber sie müssen trotzdem auf dem Standbein der Plausibilität stehen. Solche Theorien dienen dazu, Verbindungen zwischen Phänomenen herzustellen. Widerlegen lassen sie sich insbesondere, wenn gezeigt werden kann, dass das Verbindungssystem nicht plausibel ist oder keine hinreichende Konsistenz vorliegt.

        In der Praxis werden solche Gebilde aber eher nicht widerlegt, sondern durch etwas besseres ersetzt. Und sei es nur, weil der Zeitgeist nach anderen Bildern verlangt.

        • @lh

          „Selbst wenn diese Details der historischen Entwicklung biologistischer Theorien anrüchig sind, ist das nur ein Argument gegen Biologismus, wenn man Vegetarier für Nazis halten will, weil Hitler Vegetarier war.“

          Richtig.

          Der Beweis wird aus zwei Teilen bestehen:

          i) Biologismus benutzt eine absurde Metaphysik – das haben wir fast im Sack.
          ii) Biologismus benutzt ein falsches Verständnis von Genen – da bin ich dan.

          Also: Biologismus ist eine Ideologie, die als literarische Fiktion entstand.

          Aber da ich der Einzige bin, der den Humanismus entwickelt und den Biologismus als Ideologie abschießt, gibt es zeitliche Limits.

        • Nun, um damit den Biologismus „zu erledigen“ müsstest Du zwingend beweisen (ohne jeden Zweifel!), dass für die Funktionserfüllung der Erzählung Biologismus die Verwendung einer „nicht-absurden“ Metaphysik absolut erforderlich ist und weiter, dass biologistische Überlegungen ein korrektes Verständnis (was wir auf dem aktuellen Stand der Forschung wahrscheinlich gar nicht haben) der Gene voraussetzen um sinnvoll zu bleiben.

          Theoretisch könnte das möglich sein. Aber es erscheint mir 1. unnötig anspruchsvoll und 2. deswegen so ziemlich der mühsamste und mit den meisten Zweifeln zu betrachtende Weg der „Widerlegung“ zu sein. Üblicherweise verfährt man beim Denken und Argumentieren aber nicht nach dem Motto „viel Feind viel Ehr“, sondern sucht ausdrücklich nach dem einfachsten Weg.

        • @lh

          „dass für die Funktionserfüllung der Erzählung Biologismus die Verwendung einer “nicht-absurden” Metaphysik absolut erforderlich ist und weiter, dass biologistische Überlegungen ein korrektes Verständnis (was wir auf dem aktuellen Stand der Forschung wahrscheinlich gar nicht haben) der Gene voraussetzen um sinnvoll zu bleiben.“

          Richtig.

          Krieg ich beides hin.

          Aber wenn du einen einfacheren Weg weiß – ich bin ganz Ohr. 🙂

        • Eine bessere Erzählung finden. Angesichts der begrenzten aber diffusen Funktion solcher Erklärungstheorien halte ich alles andere für Zeitverschwendung. Die Leute brauchen eine Erzählung um die Welt zu verstehen.

        • @lh

          Es stimmt natürlich, daß nicht nur in guten Restaurants, sondern auch bei solchen Lebenserzählungen die Abstimmung mit den Füßen stattfindet, aber ob es die einfachere Aufgabe ist, so eine mal eben zu finden, wage ich zu bezweifeln.

          „Die Leute brauchen eine Erzählung um die Welt zu verstehen.“

          Halte ich alles für total richtig, was du sagst.

          Problem: Die biologistische Erzählung lebt von einem genialen Einfall, der Evolution. Sowas kommt nicht jeden Tag vor.

          Wenn es also keine bisher unentdeckte oder unberücksichtigte, genialische Theorie gibt, die wir als Schablone verwenden können, wie es der Biologismus tat, dann … woher nehmen?

          Ich bin immer dankbar für Vorschläge.

        • Für mich erfüllt der Biologismus den Zweck. Die Frage ist doch zunächst: wozu überhaupt eine andere Erklärung? Entweder man hat eine Idee, die mehr erklärt. oder man kann bei dem bleiben, was man hat?

        • @lh

          Ok, gutes Gespräch, danke.

          „Die Frage ist doch zunächst: wozu überhaupt eine andere Erklärung?“

          Um besser und anders zu leben.

          Ich werde laufend über meine Fortschritte in dieser Sache berichten.

    • @Leszek

      Das Buch kenne ich. Kausale Handlungstheorien, die seit Davidson dominiert haben, halte ich ganz grundsätzlich für falsch.

      Davidson hat es auch umgekehrt gemacht und seine Handlungstheorie so gebastelt, daß er damit seinen anomalen Monismus formulieren konnte – der aber im Grunde als Reduktionismus in der Theorie des Geistes gescheitert ist.

      Was ich in Sachen Handlung mache, ist selbst zusammengebastelt und beruht auf der Idee, daß Handlungen in Erklärungen rationalisiert werden i.e. normative und epistemische Aspekte des Handelns in ihnen generiert werden. Insofern mache ich Davidson nach, weil meine Handlungstheorie es auf diesem Wege a la Peter F. Strawson erlaubt, in Handlungserklärungen Wissen über Mentales zu akkumulieren. Dabei naturalisiere ich Handlungen nicht, wohl aber Tätigkeiten. Doch nicht alle Handlungen haben eine Tätigkeit als Träger. Im Ergebnis entwerfe ich einen sozialen Handlungsbegriff, der aber auf der kognitiven Rationalisierungsleistung eines Kollektivs beruht.

      Letzteres liegt daran, daß der methodologische Individualismus, der z.B. den Biologismus strukturiert, in der Alltagspsychologie nachweislich falsch ist – man nennt das Externalismus nach Tyler Burge. Das bedeutet, daß nur ein Kollektiv eine allein in der Sprache wurzelnde Alltagspsychologie als Theorie der Charakterisierung von Personen meistern und intentionalen Zuständen der Alltagspsychologie eine Identität zuweisen kann.

      Die Folge ist etwas, was dir gefallen könnte, nämlich die Entstehung einer gegen Biologismus immunisierten sozialen Sphäre, die als Folie aller soziologischen oder politischen Interpretation des intentionalen Handelns von Akteuren fungiert.

      In meinen Augen funktioniert das so:

      Intentionales Verhalten wird weder z.B. durch eine Kombination
      von Wünschen und Überzeugungen verursacht, noch kausal erklärt. Entsprechend sind Handlungserklärungen völlig abzukoppeln von kausalen Aspekten der physiologischen Verursachung: Es geht beim Handeln in keiner Weise um das tätige Individuum als von der Gemeinschaft isolierte Person. Eine Handlung zu beschreiben und zu erklären, heißt vielmehr, daß ein Kollektiv von Interpreten Veränderungen eines gegebenen sozialen Kontextes durch Rationalisierungen auf bei Raum-Zeit-Punkten intentional auftretenden Akteuren und daher auf Manipulationen durch Personen „projeziert“.

      Eine Handlung ist damit (im allgemeinsten Fall) eine kollektive Betrachtungsweise der Fähigkeiten und Intentionen von Personen, aber keine Tätigkeit, kein Ereignis, sondern eine explanatorische Relation des Herbeiführens zwischen dem Akteur, bereits identifizierten Veränderungen in der Menge der Tatsachen und einer sozialen Sphäre der Verantwortung, die mit der Rolle des Akteurs in einer Gemeinschaft wechselt. Entsprechend sind Handlungen oder Unterlassungen nicht dasjenige, was von unseren Wünschen, Absichten oder Überzeugungen gesteuert wird, sondern sie sind selbst die Steuerung von lokalen Abläufen in der Zeitentwicklung der externen Welt verstanden als Menge erklärter Tatsachen. Damit ist expressis verbis gemeint, daß die Welt die Menge der physischen Tatsachen übersteigt und auch soziale Tatsachen umfaßt.

      Wenn das stimmt, dann sind Handlungen in ihrer Identität unabhängig von unseren Intentionen und Unterschiede in den Rationalisierungen des Handelns des Akteurs, die wir von den Veränderungen in der sozialen Sphäre des Akteurs geben, führen zu Unterschieden in der Identität von Handlungen des Akteurs.

      Die Folge davon ist, daß man die Identität von Handlungen nicht schon
      deshalb kennen kann, weil man die Person kennt, sondern man muß von der Identität der Handlung auf die Identität der Person zurückschließen. Lediglich die Frage, ob überhaupt gehandelt wird bzw. was unabsichtlich getan wurde, hängt von den Akteursintentionen ab, ohne daß es auf deren Inhalt ankäme.

      Im Vergleich erklären Zweck-Mittel-Erklärungen lediglich, wofür jemandem etwas dient, was aber den Akteur selbst als Person charakterisiert, insofern Personalität eine Funktion von Entscheidungen ist, nicht aber seine Handlung, so daß die psychischen Aspekte des intentionalen Verhaltens von der Leistung der Handlungsrationalisierung streng zu unterscheiden sind.

      Der entstandene Handlungsbegriff ist allgemein genug ist, um wenigstens fünf verschiedenen Typen von Handlungen und ihren korrespondierenden Handlungserklärungen (Rationalisierungen) „Raum“ zu bieten.

      Wenn ich jetzt damit auf die Kontroverse des Buches zwischen Teleologen und Kausalisten zurückkomme, dann ist in meinen Augen dieser Streit überflüssig: Handlungserklärungen sind nie kausale Erklärungen und Handlungen werden nie verursacht. Einige Handlungen sind vielleicht Mittel zu Zwecken, aber das gilt nicht für alle Handlungen – etwa so wie es im Biologismus eine Art Generalzweck gibt, evolutionäre Vorteile zu realisieren.

      In den Aufsätzen des Buches suchen die genannten Philosophen nach einer Reduktion aller Handlungsanalysen auf ein simples Prinzip, die weder nützlich, noch wünschenswert, noch nötig ist – wenn der Handlungsbegriff allgemein genug ist.

      Und das ist der Fall, wenn eine Handlung eine dreistellige, explanatorische Relation ist.

      Rückfragen sind jederzeit willkommen. 🙂

  5. Wenn ich die Beiträge in diesem thread lese, dann verstehe ich genau, warum Arne, Tristan usw. diese Männer-Blogger so hassen – äh, ich meine: über manche Männer-Blogger ein wenig den Kopf schütteln …

  6. „Rückfragen sind jederzeit willkommen.“

    Hier mal ein kleines Detail. Elmar schreibt ganz oben:

    „Erklärungen benötigen keine Gesetze und keine Kausalaussagen.“

    Warum nicht? Denken wir mal an das deduktiv-nomologische Erklärungsmodell von Hempel & Oppenheim:

    https://en.wikipedia.org/wiki/Deductive-nomological_model

    Erklärungen nach diesem Modell funktionieren nur mit Rekurs auf ein entsprechendes Gesetz (vorzugsweise Naturgesetz). Erklärungen eines prominenten Typs benötigen also sehr wohl Gesetze.

    Mag sein, daß Erklärungen eines anderen Typs keinen Rekurs auf Gesetze benötigen. Die Frage wäre dann für mich: Was leisten solche Erklärungen?

    Nehmen wir mal ein mythologisches Beispiel: „Der große Geist ging über das Eis, immer weiter. Schließlich schlug er ein Loch in das Eis – ein großes Loch. Dann zog er ein Karibu aus dem Loch, dann noch eins, und dann noch eins. Und so kamen die Karibus und liefen über das Eis – bis die Menschen sie entdeckten …“ Dies als Erklärung für die Existenz von Karibus im Norden Canadas.

    Oder etwas kürzer: „Warum war Mozart so ein musikalisches Genie? Weil Gott ihn dazu gemacht hat.“ (Anne-Sophie Mutter)

    Es mag Leute geben, die solche Erklärungen tatsächlich akzeptieren und sogar gegen Einwände verteidigen. Meiner bescheidenen Einschätzung nach leisten solche Erklärungen gar nichts – sie beruhigen und benebeln unser Gemüt.

    Darum neige ich zu der Ansicht: Erklärungen ohne Rekurs auf Gesetze sind vielleicht möglich, aber weitgehend wertlos.

    • „Oder etwas kürzer: “Warum war Mozart so ein musikalisches Genie? Weil Gott ihn dazu gemacht hat.” (Anne-Sophie Mutter)

      Es mag Leute geben, die solche Erklärungen tatsächlich akzeptieren und sogar gegen Einwände verteidigen. Meiner bescheidenen Einschätzung nach leisten solche Erklärungen gar nichts – sie beruhigen und benebeln unser Gemüt.“

      Da will ich jetzt doch den Advocatus diaboli spielen 😀

      Ich glaube, Anne-Sophie Mutter hat recht.
      Und jetzt kommst Du.

      Widerleg mich (sie).

      Wer konsequent wissenschaftlich denken will, der DARF keine Option ausschließen(!), solange eine andere These keinen Beweis bringt.

      Wir haben Gott sehr weitgehend aus unserer Welt verdrängt, aber noch lange nicht getötet 🙂 .
      Ein paar Asse hat er noch im Ärmel.

        • Ich GLAUBE auch, dass es ihn nicht gibt.
          Aber in dem Punkt unterscheide ich mich kaum von einem, der an seine Existenz glaubt.
          So wenig, wie er mir Gottes Existenz beweisen kann (dann würde es auch nicht mehr „Glaube“ heißen), so wenig kann ich sie mit letzter Sicherheit widerlegen.
          Ich kann nur für mich beschließen, dass seine Existenz für mich derzeit irrelevant ist. Alles, was mir Rätsel aufgibt, kann ich mindestens langfristig auch ohne ihn erklären.
          Und ob der Urknall dann doch nie stattfand und das Universum auf göttlichem Entschluss entstand, muss mich nicht jucken.

        • „das gleiche gilt dann aber für Quetzacoatl, den Yeti, das Loch Ness Monster, Thor und Co oder die römischen Götter.“

          Oder ein fliegendes Spaghetti-Monster, ja.

          Wobei ich mit all den genannten Figuren deutlich weniger Probleme hätte, als mit dem allgütigen, allmächtigen Gott der Christen, Juden und Moslems.
          Er ist von allen der Unwahrscheinlichste (inc Spaghetti-Monster).

          Wie schon mal geschrieben, leiste ich mir den Luxus der „Schutzgöttin“ Athene Parthenos. Die ich mir aber eher wie eine große Schwester denke, mit guten und schlechten Tagen, Launen, Stärken und Schwächen.
          Und sie sieht auch noch umwerfend gut aus 😀

        • „So wenig, wie er mir Gottes Existenz beweisen kann (dann würde es auch nicht mehr “Glaube” heißen), so wenig kann ich sie mit letzter Sicherheit widerlegen.“

          Können wir uns vielleicht mal darauf einigen, dass das eine IRRELEVANTE Aussage ist?
          NICHTS kann man mit letzter Sicherheit widerlegen. Aber nur bei Gott wird so getan, als spräche das für eine Wahrscheinlichkeit seiner Existenz.

      • „Widerleg mich (sie).“

        Hier liegt wohl ein Mißverständnis vor. Ich behaupte keinesfalls, daß die Aussage von Anne-Sophie Mutter falsch ist. Ich behaupte lediglich, daß diese vorgebliche Erklärung nichts leistet: sie leistet nicht das, was eine (passable) Erklärung leisten sollte.

        Ich muß die gute Anne-Sophie also nicht widerlegen: Mit ihrem lieben Gott kann sie anstellen, was immer ihr beliebt. Aber sie soll mir bitte keinen Unfug als „Erklärung“ verkaufen.

  7. Elmar schreibt ganz oben:

    „In den Naturwissenschaften gilt: Erklärungen erzeugen keine Prognosen […] Und woher kommen eigentlich die Prognosen in Biologismus und evolutionärer Psychologie, wenn sie nicht von den Erklärungen über die Ursprünge des Verhaltens geliefert werden?“

    Verstehe ich nicht so ganz: Mit der rhetorischen Frage wird nahegelegt, daß die Prognosen in Biologismus und evolutionärer Psychologie von irgendwelchen Erklärungen geliefert werden – mit der ersten Aussage wird aber ausgeschlossen, daß in der Naturwissenschaft Prognosen von Erklärungen geliefert werden.

    Soll das jetzt bedeuten, daß Biologismus und evolutionäre Psychologie nicht zu den Naturwissenschaften gehören? Seltsam …

  8. “Rückfragen sind jederzeit willkommen.”

    Elmar schreibt ganz oben:

    „Wenn es in den Naturwissenschaften offenbar so überraschend kompliziert ist, welchen Grund haben wir dann zu glauben, daß das Verhalten der Personen so viel einfacher zugänglich ist?“

    Verstehe ich wieder nicht: WAS ist in den Naturwissenschaften so überraschend kompliziert? Elmars Passage vor dem Zitat gibt darüber keine Auskunft.

    Und worauf bezieht sich der Komparativ „einfacher“: so viel einfacher zugänglich als WAS?

    Nebenbei: „das Verhalten der Personen“ ist natürlich „einfach zugänglich“ – man kann es einfach beobachten und aufzeichnen. Die Erklärung dieses Verhaltens ist es, die in einigen Fällen weniger einfach zugänglich sein mag, vielleicht sogar unmöglich.

  9. Pingback: Ist unser Gehirn eine Form von Computer? | Alles Evolution

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