Warum es wichtig ist, mal ein Buch der anderen Seite zu lesen

Ich glaube, dass nichts besser für die Entwicklung von stimmigen Theorien ist als sich mit den entgegengesetzten Theorien zu beschäftigen.

Die große Gefahr bei einem ideologisch besetzten Thema ist, dass man nicht mehr merkt, wo die eigene Theorie Schwachstellen hat. Man nimmt nur die Argumente der eigenen Seite, aber nicht die Gegenargumente wahr. Die findet man eben üblicherweise auch nicht in den Büchern der eigenen Seite, sondern allenfalls in Abgrenzung zu den Argumenten der anderen Seite.

Mir wird beispielsweise häufig die äußerst schwache Argumentation von Heinz Voss entgegengehalten, etwa dazu, dass männliche und weibliche Hormone quasi austauschbar sind und es mehr vom Verhalten abhänge, welches bei einem Menschen mehr vorhanden ist.

Auch haben schon diverse Feministinnen angekündigt, dass sie Cordelia Fine lesen wollen, aber noch keine, die etwa mal Male/Female oder ein Buch aus dem Bereich lesen wollte.

Dabei sollte man sich bewußt machen, dass es einfach ist, falsches sehr überzeugend darzustellen, wenn Gegenargumente weggelassen und Fakten so präsentiert werden, dass sie genau zur eigenen Sicht passen. Ich kann das gut nachvollziehen, denn ich habe als Kind einige Dänikenbücher verschlungen und war damals überzeugt, dass es gar nicht anders sein kann.

Das macht es auch gleichzeitig so gefährlich und unbequem Bücher der anderen Seite zu lesen: Wo vorher alles aus einem Guß präsentiert wurde und einen einfach überzeugt hat, muss man nunmehr nachdenken und verschiedene Seiten abgleichen. Es erfordert auch, dass man seine „versunkenen Kosten“ evtl tatsächlich aufgeben muss.

Es gibt aber auch die Gelegenheit, sehr viel zu lernen. Das sexuelle Selektion die Weitergabe biologisch abgespeicherter Attraktivitätsmerkmale wurde mir erst so richtig klar als ich sexuelle Selektion und Sozialkonstruktivismus gegeneinander stellte. Auch andere Punkte wurden mir erst beim Nachdenken über andere Texte deutlich, beispielsweise fand ich bei Roughgarden interessantes zum Thema evolutionäre Vorteile von gleichgeschlechtlichen Sex, wenn auch nicht in dem Sinne, wie sie es dort schreibt.

Ein weiterer Vorteil ist, dass man gegnerische Scheinargumente und den Verweis auf bestimmte Bücher leichter kontern kann. Wer zB Butler gelesen hat, der ist den meisten Feministinnen durchaus voraus, viele verweisen darauf, aber wenige haben es wirklich gelesen. Es ergeben sich durchaus einige Gegenargumente, einfach weil man die Texte tatsächlich kennt.

Welche Bücher der „anderen Seite“ habt ihr gelesen? Welche haben euch geholfen oder eure Argumentation verbessert? Welche Bücher werden euch immer wieder entgegengehalten?